von LAURA JÄCKEL, TIMO LAVEN und YANNICK SCHOOG
In seinem Urteil vom 22. Februar 2023 fordert auch der Zweite Senat des BVerfG, was bereits vor ihm viele gefordert hatten: eine gesetzliche Grundlage für die Finanzierung sog. parteinaher Stiftungen. In ihrem Fehlen erkannte das Gericht eine Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit der Alternative für Deutschland (AfD) aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, da im Haushaltsgesetz 2019 Mittel für sechs politische Stiftungen mit Ausnahme der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) vorgesehen waren.
Das neue Urteil hat bereits erste Würdigungen erfahren (aus politikwissenschaftlicher Perspektive hier und einer juristischen hier). Das Verhältnis von Partei und parteinaher Stiftung identifiziert auch Alexander Hobusch in seinem Beitrag als zentrale Frage. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf dieses Paradoxon: Wie sollen die parteinahen Stiftungen „rechtlich und organisatorisch unabhängige Institutionen“ sein und das „Distanzgebot“ einhalten, wenn sie gleichzeitig mit den jeweiligen Parteien in einem „besonderen Näheverhältnis“ stehen (2023, Rz. 195)? Nach einer Analyse des Urteils im Hinblick auf dieses Paradoxon zeichnen wir dessen Genese nach und schlagen schließlich eine geeignetere Abgrenzung zwischen Parteien und Stiftungen vor als diejenige, die das BVerfG vornimmt.
Das Paradoxon: „Rechtliche und tatsächliche Unabhängigkeit“ bei gleichzeitigem „besonderen Näheverhältnis“
Parteinahe Stiftungen fallen nicht unter den Parteienbegriff des Art. 21 GG, da sie ihre satzungsmäßigen Aufgaben in organisatorischer und personeller Unabhängigkeit erfüllen (Jarass/Pieroth, Art. 21, Rz. 9; Hömig/Wolff, Art. 21, Rz. 5; kritisch dazu: BeckOK, Art. 21, Rz. 50). Danach berührt die staatliche Finanzierung von parteinahen Stiftungen die Parteien nicht unmittelbar in ihrem Recht auf Chancengleichheit. Dies geht zurück auf die vom BVerfG in seinem ersten Urteil zur Stiftungsfinanzierung geforderte rechtliche und tatsächliche Trennung von Partei und Stiftung (1986, Rz. 32). Parteinahe Stiftungen sind danach als von den Parteien unabhängige Dritte zu qualifizieren, wenn und sofern sie das sogenannte Distanzgebot einhalten.
In seinem aktuellen Urteil stellt das BVerfG dennoch einen (mittelbaren) Eingriff in den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien fest. Bemerkenswert ist, dass das BVerfG das Distanzgebot zwischen Partei und Stiftung keineswegs über Bord wirft, gleichzeitig aber eine faktische oder mittelbare Beeinträchtigung der Chancengleichheit durch Zuweisung staatlicher Mittel an Dritte insbesondere daran knüpft, dass „zwischen Leistungsempfänger und politischer Partei ein besonderes Näheverhältnis besteht“ (2023, Rz. 177). Indem das Gericht ein solches besonderes Näheverhältnis zwischen Stiftungen und Parteien anerkennt, unternimmt es einen waghalsigen Balanceakt zwischen der Vermeidung (verfassungswidriger) versteckter Parteienfinanzierung und (von der Verfassung gebotener) Wahrung des Distanzprinzips.
Zwar erkannte das BVerfG bereits im ersten Urteil zur Stiftungsfinanzierung an, dass eine gleichheitsgerechte Stiftungsförderung verfassungsrechtlich geboten ist, da die Arbeit der Stiftungen „der ihnen jeweils nahestehenden Partei in einem gewissen Maße zugute kommt“ bzw. „diese daraus regelmäßig einen größeren Vorteil ziehen wird als andere“ (1986, Rz. 37f.). Dennoch pochte das alte Urteil gerade auf die Distanz zwischen Parteien und Stiftungen. Dass die Distanz nun um die besondere Nähe ergänzt wird, ändert den Fokus und weist auf eine implizite Abkehr von der früheren Rechtsprechung hin.
Das Gericht wird nicht müde zu betonen, dass es sich bei politischen Stiftungen zwar einerseits um rechtlich und organisatorisch unabhängige Dritte handelt, andererseits aber „zwischen den einzelnen Parteien und den von ihnen jeweils anerkannten politischen Stiftungen ein besonderes Näheverhältnis“ besteht (2023, Rz. 206). Gelingt dem BVerfG hier die Quadratur des Kreises?
Das Distanzgebot erfordert zunächst die rechtliche und tatsächliche Unabhängigkeit der Stiftungen von den Parteien, eine selbstständige und eigenverantwortliche Wahrnehmung der Stiftungsaufgaben in geistiger Offenheit, sowie eine gelebte Distanz in personeller (d.h. Inkompatibilität zwischen Stiftungs- und Parteifunktionen) wie finanzieller Hinsicht (d.h. Verbot geldwerter Leistungen von Stiftungen an die Parteien, Rz. 197). Gleichzeitig muss die Zwecksetzung von Parteien und Stiftungen eindeutig voneinander abgrenzbar sein. So weit, so gut.
Die Begründung eines gleichwohl festzustellenden besonderen Näheverhältnisses zwischen Parteien und Stiftungen erscheint vor diesem Hintergrund aber inkonsequent. Es ist widersprüchlich, wenn das Gericht beim Näheverhältnis insbesondere auf die Personalfrage abstellt: Mit umgekehrter Stoßrichtung verweist es hier auf die nicht unerheblichen personellen Verflechtungen zwischen Parteien und Stiftungen, die charakteristisch für deren Nähe seien (2023, Rz. 208). Welcher Grad personeller Überlappung ausreichend, aber gleichzeitig nicht zu viel ist, bleibt dabei unklar.
Darüber hinaus begründet das BVerfG das besondere Näheverhältnis mit der gemeinsamen politischen Grundströmung, die Partei und Stiftung zu fördern versuchen. Dies hat zur Folge, dass sich beide Institutionen „auch tatsächlich und auf Dauer nahestehen“ (2023, Rz. 210). Die Formulierung überrascht, hat das Gericht doch zuvor die tatsächliche Unabhängigkeit als Voraussetzung des Distanzgebots postuliert, an deren Bestehen ein Näheverhältnis jedoch Zweifel sät.
Eine überzeugende Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern seine Judikatur zum Distanzgebot bei der Stiftungsfinanzierung in dieser (vermeintlich) strikten Form heute weiterhin Gültigkeit beanspruchen kann und sollte, bleibt das BVerfG schuldig. Auf die Kritik an seiner bisherigen Rechtsprechung geht das Gericht in nur einem Absatz ein (2023, Rz. 201). So schneidert es seine Entscheidung auf die Realität zu, geht diesen Weg in der Begründung aber nicht konsequent zu Ende.
Hintergrund: (versteckte) Parteienfinanzierung in der alten Bundesrepublik
Diese widersprüchliche Argumentation geht auf die Trennung zurück, die das BVerfG in seiner ersten Entscheidung zur Stiftungsfinanzierung 1986 vorgenommen hat, die inhaltlich noch durch das erste Urteil zur Parteienfinanzierung von 1966 determiniert war.
Dieser Trennung lag die Überlegung zugrunde, dass die Funktion der Parteien als Bindeglieder zwischen Staat und Gesellschaft von ihnen nur effektiv wahrgenommen werden könnte, wenn Organisation und Finanzierung staatsfrei ausgestaltet werden. Demnach würde eine „völlige oder auch nur überwiegende Deckung des Geldbedarfs der Parteien aus öffentlichen Mitteln“ zu einer staatlichen Beeinflussung des Meinungs- und Willensbildungsprozesses führen (1966, Rz. 145). Aufgrund der zentralen Bedeutung der Parteien für demokratische Wahlen, sah das Gericht demgegenüber Kosten als erstattungsfähig an, die in unmittelbarem sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem Wahlkampf ausgegeben wurden (1966, Rz. 168 ff.). In der Praxis führte die vom BVerfG ermöglichte pauschale Berechnung allerdings zu einer weitgehenden Ausweitung der Wahlkampfkosten, die letztlich einer Basisfinanzierung gleichkam (Volkmann, ZRP 1992, 325). Dass es sich bei einer solchen Differenzierung zwischen Wahlkampf- und sonstigen Kosten um eine Fiktion handle, erkannte das BVerfG in seinem zweiten Parteienfinanzierungsurteil von 1992 ausdrücklich an und ermöglichte eine staatliche Basisfinanzierung politischer Parteien (Rz. 89).
Das erste Stiftungsurteil aus 1986 stand im Lichte dieser älteren Rechtsprechung, die lediglich eine Finanzierung der Wahlkampfkosten zuließ. So wird die Sorge des Gerichts vor einer „verdeckten Parteienfinanzierung“ verständlich: Bei einer Finanzierung der Stiftungen musste sichergestellt werden, dass ihre Arbeit nicht der der politischen Parteien gleichkommt und de facto eine Parteienfinanzierung erreicht würde. Die Arbeit der Stiftungen an sich stand hingegen in keinem unmittelbaren Bezug zum Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien, sodass gegen ihre Finanzierung keine Bedenken bestanden. Die Stiftungsfinanzierung war also nur dann verfassungsrechtlich problematisch, wenn mit ihr das Risiko einer Finanzierung der Parteiarbeit abseits des Wahlkampfes einhergegangen wäre. Diesem konnte durch die organisatorische Abgrenzung praktikabel begegnet werden: Solange die Stiftungen nur parteinah, darüber hinaus aber unabhängig waren, bestand kein Risiko einer Parteienfinanzierung.
Zu der oben dargestellten widersprüchlichen Situation führte die Rechtsprechung erst durch Hinzunahme der gleichheitsrechtlichen Problematik. Aufgrund der Sorge vor einer versteckten Parteienfinanzierung (1986, Rz. 153 f.) beschäftigte sich das Gericht lediglich mit der formalen Unabhängigkeit der Stiftungen; inwiefern die Stiftungsarbeit aber trotz Unabhängigkeit einen Einfluss auf die Meinungs- und Willensbildung haben kann, war nicht von Bedeutung. Grund dafür könnte die politische Lage in der Ära nach Adenauer gewesen sein: Seit 1961 bestand der Bundestag nur noch aus Union, SPD und FDP, unter deren Stiftungen die Finanzierung seitdem gleichheitsgerecht und konfliktfrei verlief. Die Chancengleichheit hätte daher erst in Bezug auf die Grünen bedeutsam werden können, die zur Zeit des Urteils vor nur drei Jahren erstmalig mit 5,6 % der Zweitstimmen in den Bundestag eingezogen waren – ein bundesweiter Stiftungsverband wurde erst zwei Jahre nach dem Urteil gegründet. Als Dreiparteienstaat wurden diese im politischen und verfassungsrechtlichen Diskurs noch nicht als dauerhafte Strömung wahrgenommen: Im ersten Parteienfinanzierungsurteil nahm das Gericht noch an, dass die 5 % Hürde allein nicht geeignet sei, „den Mißbrauch zu verhindern, daß sich kleine Splittergruppen nur deshalb am Wahlkampf beteiligen, weil er vom Staat finanziert wird.“ (1966, Rz. 182). Dass die Chancengleichheit neuer Parteien, deren Aufkommen als Missbrauch befürchtet wurde, nicht das tragende Motiv der Entscheidung war, ist vor diesem Hintergrund einleuchtend.
Vorschlag: funktionale statt organisatorische Abgrenzung
Seit die Voraussetzungen der Parteienfinanzierung durch das zweite Urteil entschärft wurden, entfällt auch das Argument einer versteckten Parteienfinanzierung. Die Gesamtsumme der Stiftungsfinanzierung ist seit 1986 von 85,8 Mio. DM auf 699,8 Mio. € angestiegen und ist damit etwa dreimal höher als die derzeitige Parteienfinanzierung (193,5 Mio. €). Auch heute besteht daher ein erhebliches Interesse daran, dass die Gelder tatsächlich der Stiftungs- und nicht der Parteiarbeit zufließen. Zweifelhaft ist aber, ob es dazu der künstlichen Trennung in organisatorischer Hinsicht bedarf, die das BVerfG auch in seiner jüngsten Entscheidung aufrechterhält. Zwar hat das BVerfG in der mündlichen Verhandlung Stiftungsvertreter:innen sowie Sachverständige angehört. Im Urteil bleiben die Ergebnisse dieser Anhörungen jedoch – die etwas polemische Formulierung wird uns hoffentlich verziehen – schwammiger Jurist:innensprech par excellence: So seien die leitenden Stiftungsorgane „jedenfalls nicht vornehmlich aus in hervorgehobener Stellung aktiven Parteimitgliedern“ rekrutiert. Man könnte wohl einen einzelnen Beitrag darüber schreiben, die einzelnen Caveats dieser Formulierung aufzudröseln. Die Tätigkeit der Stiftungen erfolge darüber hinaus „bisweilen“ sogar im Dissens mit den Parteien. Dass keine Hinweise auf „unmittelbare Einflussnahmen“ bestehen, verschließt vor einer Realität die Augen, in denen solche Beeinflussungen gerade nicht den Dienstweg beschreiten, sondern subtilerer Natur sind. Personelle Verflechtungen bestehen außerdem, dies hat auch das BVerfG anerkannt. Dass die Stiftungen organisatorisch vollständig unabhängig sein sollen, wenn bis zu drei Viertel der Mitglieder des Vorstandes jedenfalls zuvor parteipolitisch aktiv waren, überzeugt nicht.
Diese Verflechtungen sind als solche auch nicht problematisch, sondern naturgemäßer Nebeneffekt des Konzepts von parteinahen Stiftungen. Politische Ideen verbreiten sich durch Menschen, durch Persönlichkeiten, die in Parteien, aber auch in ihren Stiftungen tätig werden können. Im Hinblick auf die Finanzierung von Stiftungen ist daher nicht die personelle oder organisatorische Unabhängigkeit, sondern die tatsächliche Wahrnehmung unterschiedlicher Aufgaben ausschlaggebend und zu besorgen. Die enorme Summe staatlicher Stiftungsfinanzierung ergeht mit der Zweckbindung Stiftungsarbeit. Während Parteien der politischen Meinungs- und Willensbildung dienen, besteht die zentrale Aufgabe von Stiftungen in der Nachwuchsförderung sowie der politischen Bildung. Letztere befasst sich typischerweise nicht mit tagesaktuellen politischen Themen, sondern mit grundlegenderen Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Insbesondere die Auslandsarbeit ist wichtiger Teil der Arbeit der parteinahen Stiftungen. Insoweit ist verfassungsrechtlich sicherzustellen, dass die Mittel nicht zur Partei- oder Wahlkampfarbeit genutzt werden. Ohne enge verfassungsrechtliche Kontrolle bestünde das Risiko einer möglichst Wahlerfolg versprechenden Verwendung, die den eigentlichen Zielen möglicherweise nicht mehr gerecht wird.
Daraus wird deutlich, dass die zentrale Voraussetzung in einer funktionalen, nicht einer organisatorischen Abgrenzung zur Partei bestehen muss. Diese fordert das BVerfG also zutreffend, die organisatorische Unabhängigkeit ist demgegenüber in der Realität schwer einzuhalten und vor dem Hintergrund des besonderen Näheverhältnisses widersprüchlich. Dies erkennt im Ansatz auch das BVerfG, verkompliziert die Lage jedoch mit seinem gleichzeitigen Beharren auf das Distanzgebot. Überzeugender wäre es, auf das Merkmal der organisatorischen Unabhängigkeit zu verzichten und lediglich eine funktionale Abgrenzung vorzunehmen. Die Finanzierung muss also daran gebunden sein, dass die von der Stiftung verrichtete Arbeit keine Überschneidungen mit der Parteiarbeit enthält, personelle Verflechtungen sind hingegen nicht relevant. Es geht nicht darum, wer tätig wird, sondern vielmehr um das Ziel der Tätigkeit. Dies könnte gleichzeitig zu einer Rückbesinnung der Parteien auf ihre verfassungsmäßigen Aufgaben führen, während sonstige Tätigkeitsfelder in die Stiftungen ausgegliedert werden sollten. Damit kann zugleich auch der Widerspruch aufgelöst werden: Das real existierende Näheverhältnis zwischen Partei und Stiftung kann anerkannt werden ohne zugleich eine organisatorische Unabhängigkeit fingieren zu müssen. Das zutreffende Ergebnis der Entscheidung könnte so auch ohne Quadratur des Kreises erreicht werden.
Zitiervorschlag: Jäckel, Laura / Laven, Timo / Schoog, Yannick, Die Quadratur des parteipolitischen Kreises, JuWissBlog Nr. 8/2023 v. 14.03.2023, https://www.juwiss.de/8-2023/.
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