von LISA FÜRST
In den vergangenen Monaten gab es in Nordrhein-Westfalen an vielen Orten Demonstrationen, die sich gegen den Entwurf eines Landes-Versammlungsgesetzes richteten. Der Entwurf stößt auf massive Kritik angesichts der erheblichen Ausweitung polizeilicher Eingriffsbefugnisse – unter Verwendung teils nebulöser Formulierungen. Zwar hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Düsseldorf bereits ihre Absicht bekundet, die besonders kritisierten Vorschriften des neuen Gesetzes zu entschärfen. Bisher bleibt aber ungewiss, wie weit diese Korrekturen reichen sollen. An bedenklichen Regelungen mangelt es dem Entwurf jedenfalls nicht.
Mehr Hürden für Versammlungen im Vorfeld
Schon im Vorfeld von Versammlungen sollen künftig höhere Anforderungen gelten: Nach dem neuen Gesetz, das das Bundes-Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen ersetzen würde, müsste die Anzeige der geplanten Veranstaltung früher als bisher erfolgen (§ 10 I). Bei der Berechnung der 48-Stunden-Frist, die mindestens zwischen Anzeige und Einladung liegen muss, sollen Samstage, Sonntage und Feiertage nach dem Willen der Landesregierung zukünftig nicht länger berücksichtigt werden. Wer also montags zu einer Demo einladen will, muss diese bereits am Donnerstag bei der zuständigen Versammlungsbehörde anzeigen – und bei zusätzlichen Feiertagen sogar noch früher. Besonders problematisch ist dies vor dem Hintergrund, dass die Durchführung der Versammlung ohne vorherige Anzeige eine Straftat darstellen kann. Darüber hinaus wird die Möglichkeit zur telefonischen Anzeige abgeschafft und der Katalog von Pflichtangaben erheblich erweitert: Die Anzeige müsste in Zukunft auch Angaben zum geplanten Ablauf, Streckenverlauf, Zeitpunkt und Ort der Versammlung, zur Anzahl der erwarteten Teilnehmenden und eingesetzten Ordner:innen sowie die Telefonnummer, Anschrift und Namen der anzeigenden und der versammlungsleitenden Person enthalten (§ 10 II).
Zudem soll die Veranstalter:innen nach dem neuen Versammlungsgesetz in bestimmten Fällen eine bußgeldbewehrte Pflicht zur Weitergabe der Adressdaten und Namen von Ordner:innen treffen (§ 12 II). Die Daten müssen weitergeleitet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu besorgen ist, dass von der Versammlung eine Gefahr ausgeht. Derartige Umstände dürften regelmäßig außerhalb des Einflussbereichs der einzelnen Ordner:innen liegen und sich häufig erst im Laufe der Versammlung ergeben. Von der Weitergabe ihrer Daten müssten die Betroffenen nicht einmal in Kenntnis gesetzt werden. Wer künftig gebeten wird, als Ordner:in eine Versammlung zu unterstützen, wird sich dies angesichts der möglichen Registrierung vermutlich zweimal überlegen.
Ausweitung des Störungsverbots
Eine brisante Neuregelung betrifft die Kollision der Versammlungsfreiheit verschiedener Grundrechtsträger. Ein Beispiel hierfür sind Proteste und Blockaden gegen rechtsextreme Demonstrationen. In diesem Spannungsfeld steht das Störungsverbot des § 2 II Bundes-Versammlungsgesetz. Danach sind Störungen untersagt, die zum Zweck der Versammlungsverhinderung vorgenommen werden. Diese Verhinderungsabsicht soll dem Entwurf nach auf die Absicht einer bloßen Behinderung der Versammlung ausgeweitet werden (§ 7 I). Dem Wortlaut nach könnten somit schon laute Zwischenrufe vom Störungsverbot umfasst sein, denn qualifizierte Anforderungen an die Störung werden nicht formuliert. Weniger einschneidend wäre hier beispielsweise eine Regelung, die sich auf „erhebliche“ Störungen beschränkt und geringe Einwirkungen auf den Versammlungsablauf zulässt.
Darüber hinaus soll der Anwendungsbereich des Störungsverbots in zeitlicher Hinsicht erweitert werden. Der Entwurf schlägt vor, bereits Förderungshandlungen zu untersagen, die auf die Verursachung von Störungen gerichtet sind und mit der Absicht vorgenommen werden, die Durchführung einer erst bevorstehenden Versammlung zumindest wesentlich zu erschweren (§ 7 II Nr. 2). Angesprochen sind damit insbesondere Blockadetrainings und Probeblockaden, deren rechtliche Zulässigkeit umstritten ist. Diskutiert wird dabei, ob die Formulierung in § 2 II des Bundes-Versammlungsgesetzes, der zufolge Störungen „bei” öffentlichen Versammlungen und Aufzügen zu unterlassen sind, zwingend eine stattfindende Demonstration voraussetzt. Während dies zum Teil für erforderlich gehalten wird, beruft sich die Gegenansicht auf einen drohenden Wertungswiderspruch, wenn Vorbereitungshandlungen nicht verboten würden. Blockadetrainings und Probeblockaden könnten das Ausmaß der späteren Störungen schließlich deutlich steigern, sodass zumindest gewisse Formen entsprechender „Vorbereitungen“ dem Verbot unterfielen.
Diese Debatte wird mit dem Entwurf ad acta gelegt, der Landesgesetzgeber will Förderungshandlungen ausdrücklich als Ordnungswidrigkeiten sanktionieren (§ 28 I Nr. 3 i.V.m. § 7 II Nr. 2). Es ergeben sich jedoch Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der beabsichtigten Regelung. Grund hierfür ist, dass ein hohes Schutzniveau für Versammlungen bereits durch die Strafbarkeit des Aufrufens zu einer groben Störung nach § 111 StGB i.V.m. § 21 Bundes-Versammlungsgesetz erreicht wird. Vor diesem Hintergrund dürfte die geplante Ausweitung des Störungsverbots kaum erforderlich sein. Zwar mag das Einüben und Simulieren von Störungshandlungen diese im Ernstfall wirkungsvoller machen. Es wird aber gerade nicht eine gerade stattfindende Versammlung beeinträchtigt. Wie weit genau das nordrhein-westfälische Störungsverbot vorgreift, bleibt angesichts des offenen Begriffs der „Förderung“ unklar. Nicht nur das aktive Trainieren von Sitzblockaden könnte unter diese schwer eingrenzbare Gestaltung des Störungsverbots fallen, sondern auch das Verabreden hierzu, das Bereitstellen eines Treffpunkts und das Erstellen von Informationsmaterial.
Chance für ein modernes Versammlungsgesetz
Die skizzierten Neuerungen bilden lediglich einen Teil des Entwurfs ab. Sie zeigen aber deutlich, wie großzügig in diesem hochgradig grundrechtssensiblen Bereich mit weitgehend auslegungsoffenen Begriffen hantiert wird. Zugleich werden der Organisation von Versammlungen sowie der Versammlungsteilnahme zahlreiche neue Hürden und Einschränkungen auferlegt, ohne dass eine ersichtliche Rechtfertigung hierfür bestünde.
Einen guten Überblick bietet der Blog-Beitrag von Marius Kühne, der unter anderem auf die geplante Einführung von Übersichtssaufnahmen und deren Speicherung sowie die Schaffung eines in hohem Maße unbestimmten Militanzverbots eingeht.
Noch besteht die Chance für eine Umsetzung der Kritik und ein modernes Versammlungsgesetz für NRW, wie es die Landesregierung 2017 in ihrem Koalitionsvertrag versprochen hat. Ein wirklicher Fortschritt wäre es zum Beispiel, nicht länger auf den umstrittenen Begriff der „öffentlichen Ordnung“ zurückzugreifen. Dessen Verwendung wird in der Entwurfsbegründung mit zunehmenden Verrohungs- und Verhetzungstendenzen gerechtfertigt (S. 66). In Anbetracht der bereits hierfür vorhandenen rechtlichen Instrumente, beispielsweise § 130 und § 185 StGB, hätte man die „öffentliche Ordnung“ getrost außen vor lassen können und sollen.
Wünschenswert ist eine deutliche Entschärfung des Entwurfs sowie die stärkere Konturierung zahlreicher Formulierungen durch eng gefasste Voraussetzungen sowie die Aufnahme von Regelbeispielen. In der jetzigen Form schießt der Entwurf über das Ziel, aktuellen Herausforderungen zu begegnen, weit hinaus. Er droht, die Versammlungsfreiheit in NRW drastisch zu verkürzen und rechtstreue Bürger:innen von der Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheit abzuschrecken. Das Recht, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess teilzuhaben, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Brokdorf-Beschluss (BVerfGE 69, 315) zu den „unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens“ gezählt. Hieraus folgt: Wer die Versammlungsfreiheit einengt, beschädigt die Demokratie.
Zitiervorschlag: Lisa Fürst, Höchste Zeit zum Umdenken – Das geplante Versammlungsgesetz für NRW wird der Versammlungsfreiheit nicht gerecht, JuWissBlog Nr. 81/2021 v. 6.8.2021, https://www.juwiss.de/81-2021/
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