Das NPD-Parteiverbotsurteil des BVerfG
von SVEN JÜRGENSEN und LASSE RAMSON
Das Bundesverfassungsgericht (Az. 2 BvB 1/13) hat gesprochen und die NPD nicht verboten. Damit findet ein Verfahren ein Ende, das ein gewaltiges öffentliches Interesse auf sich zog und dessen Aspekte in prozessualer wie materieller Hinsicht umfassend diskutiert wurden. Viel schien für ein Verbot der rechtsextremen Partei NPD zu sprechen, vor allem die Unerträglichkeit ihrer ideologischen Wurzeln. Die Bedenken waren indes nicht weniger fundamental, soll doch die demokratische Freiheit durch die Verkürzung derselben gewahrt werden, zumal das Gefahrenpotential der NPD geringfügig schien. Es fragt sich: Verkennen die Richter*innen aus Karlsruhe die politische Realität oder zieht das Urteil vielmehr die notwendigen Schlüsse aus dem Demokratieprinzip?
Die Rhetorik in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem rechtlichen Institut des Parteiverbots ist erstaunlich martialisch. Das Instrument wird als „Damoklesschwert“ oder „Axt“ bezeichnet, diskutiert wird, ob es als „Schwert des Staates“ nicht „stumpf“ sei und das BVerfG selbst formulierte als zentrale Verbotsvoraussetzung eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung“ der Partei. Freilich: der Topos des politischen Wettbewerbs als „Kampf“ ist ein bekannter. Dies lädt dazu ein, in Bildern zu sprechen, die sich aus gewalttätigen Auseinandersetzungen speisen. Das BVerfG hat indessen die Hürden für das Vorgehen des Staates gegen politische Parteien erhöht. Die NPD, so Karlsruhe, sei nicht zu verbieten. Bei vielen Demokrat*innen stößt das auf Kritik: Ralf Stegner beispielsweise spricht für die schleswig-holsteinische SPD sein Bedauern über das Urteil aus.
Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung
Lang ist’s her, dass letztmalig erfolgreich Parteiverbotsverfahren in Karlsruhe geführt wurden; zuletzt traf es die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die mit Urteil vom 17. August 1956 aufgelöst wurde. Auch damals sahen die Karlsruher Richter*innen – wie im heutigen Urteil – kein tatsächliches Potenzial der Partei, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erschüttern. Und doch zogen sie unterschiedliche Schlüsse: Während es im Urteil von 1956 noch heißt, auf ein konkretes Unternehmen mit Erfolgspotenzial komme es im Bereich des Art. 21 GG nicht an, formuliert das Gericht im NPD-Verbotsurteil wie folgt: „Dass dadurch eine konkrete Gefahr für die durch Art. 21 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter begründet wird, ist nicht erforderlich. Allerdings bedarf es konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen.“
Damit wendet sich der Zweite Senat in einem zentralen Punkt von seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des Parteiverbots nach Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG, die immerhin über 60 Jahre zurückliegt, ab. Das Grundgesetz fordert im Wesentlichen „ein darauf ausgehen“, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Noch im KPD-Urteil steht, es sei nicht erforderlich, dass die Partei „ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können“. In Anpassung an die heutige Dogmatik sei dies nicht aufrechtzuerhalten, so Voßkuhle. Neben einer verfassungsfeindlichen Gesinnung und eines darauf gerichteten, planvollen Handelns im Sinne qualifizierter Vorbereitungshandlungen erfordere ein Parteiverbot zwar keine konkrete Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung, wohl aber konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die die Verwirklichung der Ziele der Partei zumindest möglich erscheinen lassen. Das BVerfG hat sich somit entschieden, in das Tatbestandsmerkmal des „darauf ausgehens“ eine Gefahrenschwelle zu lesen. Das Bundesverfassungsgericht begibt sich damit auf eine Linie mit der Rechtsprechung des EGMR, die Katharina Pabel anschaulich zusammenfasst. Dass das Gericht solche konkreten Anhaltspunkte von Gewicht nicht sieht, liegt auch in der Tatsache begründet, dass die NPD – anders als zum Zeitpunkt der Antragsstellung – außerhalb der kommunalen Ebene praktisch keine Bedeutung mehr hat (Rn. 4 des Urteils).
Anerkennung der politischen Realität – und der Schärfe des Parteienverbots
Die Rechtsprechungsänderung des Gerichts erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der wehrhaften Demokratie. Denn das heutige Urteil kann als Verantwortungszuweisung für die Auseinandersetzung mit parteipolitischem Extremismus verstanden werden. Das Parteiverbot stellt in der jetzigen Situation keine wirksame Waffe des Staates im Kampf gegen rechtsextreme Parteien dar. Damit rückt der freie gesellschaftliche Diskurs in den Vordergrund, für den der Staat, auch das betont das BVerfG, die Rahmenbedingungen zu schaffen hat.
Demokrat*innen überall in Deutschland mögen sich ärgern, dass eine Partei, die offensichtlich verfassungsfeindliche Ziele auf Grundlage eines Volkstumsbegriffs verfolgt (Leitsatz 9 Buchstabe a) des Urteils), damit weiterhin an den Privilegien der Parteien partizipiert, wozu auch die staatliche Parteienfinanzierung und die Möglichkeit, öffentliche Mandate zu bekleiden, gehört. Letztlich kann man das Urteil jedoch als Bekenntnis zur demokratischen Auseinandersetzung begreifen. Durch das konsequente Anwenden einer dreistufigen Prüfung, die neben dem Blick in die Parteiorganisation (Ziele – Hinarbeiten) auch einen auf die Außenwirkung der Partei richtet (Erfolgspotenzial), erkennt das Bundesverfassungsgericht die Schärfe des Parteiverbots an und formuliert diese Erkenntnis im ersten Leitsatz des Urteils auch gleich ungewohnt blumig: „Das Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG stellt die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar.“
Angesichts der weitreichenden Folgen eines Parteiverbots, darf es nur als letztes Bollwerk der Demokratie verstanden werden, dass todbringende Gefahren abwehrt. Die Auseinandersetzung mit diesen Parteien hingegen ist Aufgabe der freien politischen Willensbildung, die, wie sich ja an den zunehmenden Misserfolgen der NPD zeigt, auch wirksam gegen solche Tendenzen ist.
Die NPD als unerwünschte Partei?
Die NPD bleibt also eine Partei in der deutschen Politik. Zu den ehernen Prinzipen des Parteienrechts gehört der Grundsatz parteipolitischer Neutralität. Dem Staat ist es verwehrt, Maßnahmen an die inhaltliche Ausrichtung von Parteien zu knüpfen, auch nicht an die vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit. Dieses parteienrechtliche Anküpfungsverbot leidet bislang – zumindest gegenüber der NPD – jedoch unter einem Vollzugsdefizit. Es existiert eine kaum zu überblickende Anzahl von Gerichtsentscheidungen, die sich mit der rechtswidrigen Verweigerung von Stadthallen, Bankkonten und Versammlungsverboten gegenüber der NPD beschäftigen.
In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsrechtler Michael Kloepfer die Kategorie der unerwünschten Partei vorgeschlagen, die zwar nicht verboten sei, sich aber durch eine verfassungsfeindliche bzw. -ablehnende Haltung auszeichne. Es sei denkbar, dass der Staat an diese Haltung negative Konsequenzen außerhalb des Parteiverbots knüpfen könne und auch das BVerfG sinniert über die Möglichkeit des verfassungsändernden Gesetzgebers, Maßnahmen z.B. in der Parteienfinanzierung zu ergreifen. Diese Ansätze erscheinen indes äußerst bedenklich. Von wem sollen Parteien, vor allem die NPD, schon erwünscht sein? Der Staat jedenfalls hat sich keine Parteien zu wünschen, im Gegenteil: die Parteienfreiheit gebietet, dass er sich aus deren Angelegenheiten heraushält. Auch auf gesellschaftlicher Ebene kann von Wünschen keine Rede sein. Die Parteigründung ist frei und die Bürger sind frei, sich parteipolitisch zu betätigen. Es anderen zu versagen, ist rechtswidrig.
Fazit und Ausblick
Muss die Demokratie also Gefahren aushalten, die ihr durch Parteien drohen? Nein, das muss sie nicht. Der Verfassungsgesetzgeber hat mit dem Parteienverbot ein scharfes Schwert zu ihrer Verteidigung geschmiedet. Dadurch ist unsere Demokratie wahrlich wehrhaft. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil fest, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Sollte die Antwort auf die Frage nach dem Erfolgspotenzial der NPD irgendwann „hoch“ lauten, steht einem Verbot wenig im Wege. Muss die Demokratie aber aushalten, dass in ihr praktisch bedeutungslose Partei-Organisationen ihr Unwesen treiben, die einmal zu einer Gefahr werden können? Das BVerfG hat entschieden, dass die NPD trotz ihrer menschenverachtenden Ideologie eine der Demokratie zumutbare Partei ist. Nun müssen sich die Beteiligten positionieren. In der Verantwortung steht nun also die Gesellschaft. Dies erfordert eine gewisse Gelassenheit gegenüber fundamental Andersdenkenden, aber auch ein gehöriges Maß an Verantwortungsgefühl und Anstrengung – eben eine Einstellung, die der Demokratie angemessen ist. Die demokratische Gesellschaft muss sich selbst wehren, wie schon immer im politischen Streit: Rechtsextreme Positionen aufzeigen und widerlegen. Insofern ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch ein Zeugnis des Vertrauens in und ein Aufruf an die demokratischen Kräfte in diesem Lande: Engagiert euch! Seid selbst wehrhaft!