von SEBASTIAN PIECHA
Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals in seiner Geschichte eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (Art. 267 AEUV) gerichtet. Welche Auswirkungen wird diese Entscheidung auf das Kooperationsverhältnis der beiden Gerichte haben? Der Beitrag sucht Antworten in der Rechtsprechungsgeschichte beider Gerichte und wagt einen Ausblick.
Historisch, aber lediglich konsequent
In seinen Urteilen Maastricht und Lissabon hat das Bundesverfassungsgericht die ultra vires-Kontrolle ins Leben gerufen und konturiert. Es behält sich damit die Prüfung von Unionsrechtsakten auf ihre Grundlage im deutschen Zustimmungsgesetz hin vor. Geleitet von der Kritik aus der Wissenschaft und dem in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV angelegten Auslegungsmonopol des EuGH ruderte das Gericht bereits kurze Zeit später unter Rekurs auf die Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes zurück. In seinem Honeywell-Urteil stellt es höhere Hürden für die ultra vires-Erklärung auf. Bevor ein Unionsrechtsakt als ausbrechender Rechtsakt eingestuft wird, muss das Bundesverfassungsgericht daher dem EuGH die Möglichkeit geben, einen Unionsrechtsverstoß zu heilen. Es lässt seiner Ankündigung nunmehr Taten folgen und fragt den EuGH, ob die Anleiheprogramme der EZB mit dem währungspolitischen Mandat der EZB (Art. 119, Art. 127 AEUV) sowie dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung aus Art. 123 Abs. 1 AEUV in Einklang stehen.
Dieser Schritt ist mehr als konsequent, zumal das Bundesverfassungsgericht bereits in der einstweiligen Anordnung in Sachen ESM/Fiskalpakt vom 12. September 2012 angekündigt hat, dass es die Anleihekäufe für unionsrechtlich problematisch hält. Ein Bruch zur bislang eher „rettungsfreundlichen“ Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich in die nun erfolgte Vorlage nicht hineininterpretieren. Dies wäre schlicht zu kurz gegriffen. Die Euro-Rettungs-Judikatur des Bundesverfassungsgerichts stellte zwar stets Leitplanken auf, betonte aber gleichzeitig, dass die jeweilige Rettungsmaßnahme (Griechenland-Soforthilfe, EFSF, ESM) den hierdurch gezeichneten Weg (noch) nicht verlassen habe. Nichts anderes ist auch vom EuGH zu erwarten.
Die Entscheidung des EuGH ist absehbar
In welche Richtung der Europäische Gerichtshof entscheiden wird, kann schon jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden. Es ist hinlänglich bekannt, dass das höchste europäische Gericht eine institutionenfreundliche Auslegung der Verträge und eine weite Auslegung unionaler Kompetenzen pflegt. Dass es hierbei die Grenzen der Rechtsfortbildung überschreitet, ist spätestens seit der Mangold-Entscheidung (C-144/04) kein Geheimnis mehr und wurde bereits vielfach kritisiert. Spätestens seit der – ebenfalls nicht wenig kritisierten – Pringle-Entscheidung (C-370/12) ist die Linie der Rechtsprechung des EuGH für Rettungsmaßnahmen in der Staatsschuldenkrise nahezu vorgezeichnet. Dort wurde die Errichtung des ESM sowie die über ihn ausgegebenen Finanzhilfen insbesondere für mit dem Verbot der Nichtauslösung (bail-out-Verbot) aus Art. 125 Abs. 1 AEUV vereinbar erklärt. Auf die deutsche Vorlage wird der EUGH wohl, wie schon bei Pringle, den Sinn und Zweck der Anleiheprogramme als für die Stabilität der Währungsunion förderlich ansehen und in diesem Sinne das währungspolitische Mandat der EZB extensiv und das Verbot monetärer Staatfinanzierung restriktiv ausdeuten. Allerdings heiligt der Zweck bekanntlich nicht die Mittel. Das Bundesverfassungsgericht gibt durch die Formulierung der Vorlagefragen ein engmaschiges Prüfprogramm vor. Trotz dieser vorhersehbaren Tendenz darf die genaue Begründung des EuGH mit Spannung erwartet werden.
Die Geister, die Du riefst… – Folgen für das Kooperationsverhältnis
Welche Folgen die Vorlage der Karlsruher Richter für das Kooperationsverhältnis der Gerichte langfristig haben wird, ist zwar nur schwer absehbar. Dass die Abgabe von Überprüfungskompetenzen auf die europäische Ebene keinesfalls die Stellung des Bundesverfassungsgerichtes nachhaltig schwächen muss, hat die Grundrechte-Rechtsprechung allerdings bewiesen. Die darin angelegte, partielle Selbstbeschränkung der Gerichte schuf ein beinahe symbiotisches Kooperationsverhältnis, das den Grundrechtsschutz stärkte.
Ist die Vorlage des Bundesverfassungsgerichts nun ein Zeichen der Stärke oder der Schwäche? Beides! Gibt das Bundesverfassungsgericht eine solche Frage zur Klärung an den EuGH ab, so verhält es sich einerseits nur konsequent zu seiner bisherigen Rechtsprechung und lässt seiner Ankündigung (endlich) Taten folgen. Prima facie wird das Kooperationsverhältnis der beiden Gerichte durch eine solche Vorlage gestärkt, der unterschwellige Konflikt mit dem EuGH beigelegt. Die Folgen auf Seiten des EuGH, der bis dato immer selbstbewusst von seiner Letztentscheidungsbefugnis sprach, sind wohl vorhersehbar. Dieser selbstbehauptete Bedeutungsgewinn wird sich wohl in künftigen Judikaten durch noch selbstbewusstere und zweckorientierte Auslegungen fortsetzen. Karlsruhe könnte andererseits seine Kontrollfunktion auch komplett einbüßen, wenn das Luxemburger Gericht das letzte Wort behält. Allerdings wird sich das Bundesverfassungsgericht seiner Kompetenz zur Überprüfung des EuGH-Urteils am Maßstab des Grundgesetzes kaum entledigen. Gleichwohl wird es schwierig, eine Interpretation des EuGH als ausbrechenden Rechtsakt zu qualifizieren, sofern sie sich an die bundesverfassungsgerichtlichen Leitplanken aus dem Honeywell-Urteil hält.
Insgesamt wird die erste Vorlage des Bundesverfassungsgerichts dem Kooperationsverhältnis der Gerichte nur zugute kommen und zur Abgrenzung der Überprüfungskompetenzen beitragen. Eine Schwächung des Bundesverfassungsgerichts ist damit nicht verbunden. Zwar gibt das Bundesverfassungsgericht insofern Verantwortung an den EuGH ab und übergibt letzterem die Bürde dieser Entscheidung. Solch ein Schritt kann gleichwohl taktisch klug und aus der bisherigen Rechtsprechung heraus folgerichtig sein. Eher entledigt sich das Gericht seiner begrenzten nationalen Sichtweise und lenkt den Fokus in dieser Frage zutreffenderweise auf die gesamteuropäische Ebene. Damit geht zwar durchaus eine Stärkung des EuGH einher. Diese Auswirkungen werden dem Begriff des Kooperationsverhältnisses aber wohl am meisten gerecht. Dieses muss geprägt sein von einem gesunden Selbstverständnis der Gerichte in Bezug auf ihre Kompetenzen sowie die Berücksichtigung von Interdependenzen ihrer Judikate. Schlussendlich stellt das Verhältnis der beiden Gerichte ein Spiegelbild des Verhältnisses zwischen Union und den Mitgliedstaaten dar.