von FREDERIK FERREAU
Die große Zahl an öffentlich-rechtlichen Angeboten lässt Forderungen nach ihrer Reduzierung naheliegend erscheinen. Sie werfen allerdings die Frage auf, welcher Angebotsumfang von Verfassungs wegen gefordert ist. Ein rundfunkrechtlich komplexes Thema, dem sich ein Blogbeitrag naturgemäß nur näherungsweise widmen kann: Zunächst sollen Spielräume der Medienpolitik für eine Ausklammerung bestimmter Angebote aus dem beitragsfinanzierten Auftrag der Rundfunkanstalten identifiziert werden. Sodann wird untersucht, ob und wie die ausgeklammerten Angebote in eine privatwirtschaftliche Veranstaltung überführt werden könnten.
Anfang 2016 setzten die Länder die Arbeitsgemeinschaft „Auftrag und Strukturoptimierung der Rundfunkanstalten“ ein, um angesichts des prognostizierten Anstiegs des Finanzbedarfs Einsparpotenziale zu ermitteln. Wer nun auf eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehofft hatte, wurde bislang enttäuscht: Die von den Anstalten vorgelegten Sparvorschläge beschränken sich auf bisweilen kleinteilig anmutende Verbesserungen wie stärkere Kooperationen im IT-Bereich. Es mag daher nicht verwundern, dass in Politik und Gesellschaft Forderungen nach einem „Großen Wurf“ wie beispielsweise einer weitgehenden Privatisierung öffentlich-rechtlicher Sender erhoben werden. Auf diese Weise soll nicht nur der Rundfunkbeitrag gesenkt, sondern auch das Profil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geschärft und dadurch seine Akzeptanz erhöht werden.
Grundversorgungsauftrag als Privatisierungsgrenze
Das BVerfG entnimmt der Rundfunkfreiheit Vorgaben an den Rundfunk im Ganzen, die aller gesetzlicher Ausgestaltung der Rundfunkordnung vorgelagert sind. Entscheidet sich der Gesetzgeber – was keineswegs verfassungsrechtlich zwingend ist – für die Errichtung einer Dualen Rundfunkordnung, ist es darin primär Aufgabe der Öffentlich-rechtlichen, diese im Terminus „Grundversorgung“ zusammengefassten Anforderungen zu erfüllen. Darin drückt sich das enorme Misstrauen der Verfassungsrichter gegenüber kommerziellen Anbietern aus: Wenn Inhalte zum „Geldverdienen“ eingesetzt werden, bestehe die Gefahr der Ausrichtung auf Massenattraktivität. Die Grundversorgung verlange dagegen ein Angebot, welches die Vielfalt der Gesellschaft weitmöglich abbildet. Und dies könne nur ein (öffentlich-rechtlicher) Rundfunk leisten, der weitgehend unabhängig von kommerziellen Einnahmen agieren kann.
Selbst wenn man die recht pauschale Kritik des BVerfG an der Unzulänglichkeit werbefinanzierter Angebote teilt, stellt sich doch die Frage, ob die Anstalten für die Erfüllung des Grundversorgungsauftrags sämtliche ihrer derzeitigen Angebote benötigen oder ob der Gesetzgeber die Zahl der Angebote reduzieren könnte. Das BVerfG hat zuletzt im zweiten Gebührenurteil von 2007 betont, die Anstalten verfügten zwar über einen gewissen Spielraum bezüglich der Entscheidung über Anzahl und Umfang der zur Auftragserfüllung erforderlichen Programme. Das bedeute aber nicht, dass gesetzliche Programmbegrenzungen von vornherein unzulässig wären (Rn. 125). So hat der Gesetzgeber 2009 die Zahl der Fernsehangebote in § 11b RStV und die der Hörfunkangeboten nach Maßgabe des § 11c RStV abschließend festgelegt, ohne dass dies bislang verfassungsgerichtlich beanstandet worden wäre.
Regionale und bundesweite Angebote
Welche Angebote könnten aber nun konkret aus dem Auftrag herausgenommen werden? Besonders wertvoll für die Erfüllung des Grundversorgungsauftrags sind zunächst regionale Angebote: Die Digitalisierung und das Aufkommen neuer „Global Player“ verstärkt die überregionale, ja globale Ausrichtung audiovisueller Inhalte. Hier können regionalspezifische Angebote Lücken im Gesamtangebot füllen. Zudem ist erforderlich, dass öffentlich-rechtliche Angebote auf allen räumlichen Ebenen in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Anbietern treten: Nur so kann ein Duales System „die durch die verschiedenartigen Strukturen der Veranstalter ermöglichten unterschiedlichen Programmorientierungen als Beitrag zur Sicherung der Breite und Vielfalt des Programmangebots [nutzen]“ (BVerfG, Rn. 120). Daher wurde auch ein gesetzliches Verbot von regionalem und lokalem Rundfunk für die Öffentlich-Rechtlichen für verfassungswidrig erklärt: Auch auf diesen Ebenen soll publizistischer Wettbewerb herrschen (BVerfGE 74, 297).
Anders sieht es dagegen bei der Rechtfertigung öffentlich-rechtlicher Doppelstrukturen aus, wie sie vor allem die bundesweiten Fernsehvollprograme „Das Erste“ und „ZDF“ hervorrufen: Unstreitig sorgen zwar mehrere bundesweite Angebote für noch mehr Vielfalt, doch ließe sich mit dieser Argumentation die Anzahl notwendiger öffentlich-rechtlicher Programme beliebig erhöhen. Und auch das BVerfG hat bislang noch nie explizit mehrere parallele öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme auf derselben räumlichen Verbreitungsebene gefordert. Demnach ließe sich auch eines der beiden bundesweiten Programme aus dem Auftrag ausklammern.
Information, Bildung – und Unterhaltung?
Bei Informations- und Bildungsangeboten dürfte sich die Frage nach der Zugehörigkeit zum Auftrag gar nicht stellen. Allerdings umfasst der Grundversorgungsauftrag in seiner bisherigen Konkretisierung durch das BVerfG daneben auch Unterhaltungsinhalte. Geht es dabei um die Kompensation von werbebedingter Unzulänglichkeit privater Unterhaltungsinhalte, so hat jedenfalls ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der sich um innovative, weil vom Quotendruck befreite Inhalte bemüht, auch im Unterhaltungssegment weiterhin seine Daseinsberechtigung. Das schließt aber auch ein, dass der Gesetzgeber für den Unterhaltungsbereich von den Anstalten die Erarbeitung eines spezifisch öffentlich-rechtlichen Profils verlangen kann.
Wie steht es aber um solche Unterhaltungsinhalte, die auch in kommerziellen Angeboten laufen könnten, weil sie für private Anbieter hinreichend attraktiv sind? Gemeint sind damit etwa reichweitenstarke Sportübertragungen und fiktionale Inhalte: Das Anbieten solcher Inhalte in öffentlich-rechtlichen Sendern fand in der analogen Rundfunkwelt ihre Berechtigung in der Stärkung der Gesamtattraktivität von linearen Fernsehprogrammen. Die verfassungsrechtliche Blankettermächtigung für umfangreiche Unterhaltungsangebote erhielten die Anstalten scheinbar durch das Postulat des BVerfG im zweiten Gebührenurteil, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse gegenüber seiner privaten Konkurrenz publizistisch wettbewerbsfähig bleiben, damit das Rundfunksystem insgesamt verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge (Rn. 122). In der digitalen Welt aber, in der die Anstalten nicht mehr gegen wenige nationale Privatsender, sondern gegen us-amerikanische Plattformen und Netzwerke konkurrieren, liefe dies auf ein „Wettrüsten“ mit massenattraktiven Unterhaltungsinhalten hinaus, welches der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf lange Sicht nicht gewinnen kann. Kluge Medienpolitik versucht daher gar nicht erst, die Attraktivität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mittels massenattraktiver Unterhaltung steigern zu wollen: Sie sollte vielmehr versuchen, den publizistischen Wettbewerbsnachteil durch eine Verbesserung der Auffindbarkeit öffentlich-rechtlicher Inhalte im Netz zu kompensieren.
Selbst wenn man aber den Anstalten die Darbietung massenattraktiver Unterhaltung nicht vollständig versagen will, so lassen sich jedenfalls ihre von massenattraktiver Unterhaltung dominierten Spartenangebote aus dem Auftrag entfernen. Dem Autoren kommen als Beispiele hierfür Hörfunkangebote wie die Pop- und Schlagerwellen der einzelnen Landesrundfunkanstalten oder der Fernsehspartensender ZDFneo in den Sinn.
Zwei alternative Privatisierungswege
Die Angebote, die nach hier vertretener Auffassung aus dem beitragsfinanzierten Auftrag ausgeklammert werden könnten – eines der bundesweiten Fernsehvollprogramme sowie die von massenattraktiver Unterhaltung dominierten Sender –, verfügen über starke Marken und einen beachtlichen Rezipientenkreis. Sie bieten die Chance einer hinreichenden Refinanzierung durch Werbung oder Entgelte und dürften sich somit für eine Überführung in die Privatwirtschaft eignen. Hierfür bieten sich zwei Wege an:
Zum einen die Veräußerung an privatwirtschaftliche Interessen im Rahmen eines geeigneten – insbesondere transparenten und diskriminierungsfreien – Bieterverfahrens. Die erzielten Veräußerungsgewinne könnten zur Senkung des Beitrags und zur Bildung von Rücklagen verwendet werden.
Zum anderen – und dies wäre der rechtlich anspruchsvollere Weg – könnten auch die kommerziellen Tochtergesellschaften der Anstalten diese Angebote künftig erbringen: Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen gemäß § 16a RStV „kommerzielle Tätigkeiten“ durch separate Beteiligungsunternehmen (wie etwa ZDF Enterprises) entfalten. Selbst wenn der Gesetzgeber bei Einführung der Norm die traditionellen „wirtschaftlichen Randnutzungen“ der Anstalten wie Werbezeitenverkauf oder nachträgliche Programmverwertung vor Augen hatte, kann sie auch neuartige Tätigkeiten umfassen, sofern diese durch Wortlaut und Systematik gedeckt sind (vgl. dazu BVerfGE 132, 1, 12). Das ist bei der kommerziellen Rundfunkveranstaltung der Fall, da die Legaldefinition von kommerziellen Tätigkeiten hinreichend abstrakt und die Aufzählung von Regelbeispielen nicht abschließend ist.
Damit wäre aber erst die einfachgesetzliche Hürde übersprungen. Verfassungsrechtlich wäre zu verhindern, dass durch die teilweise Umwandlung der Anstalten in kommerzielle Rundfunkveranstalter negative Rückwirkungen auf ihre eigentliche (Grundversorgungs-)Aufgabe entstehen. Eine solche Rückwirkung wäre insbesondere eine inhaltlichen „Auszehrung“ der Auftragsangebote: Verlagerte die Anstaltsleitung bestimmte Inhalte von den Auftrags- in die kommerziellen Angebote, könnte dies im Einzelfall die Grundversorgung beeinträchtigen. Es müssten daher materielle und prozedurale Sicherungen eingebaut werden, um innerhalb der „Anstaltskonzerne“ Auftragserfüllung und kommerzielle Rundfunkveranstaltung wirksam voneinander abzuschirmen. Unüberwindbar erscheint aber auch diese Hürde nicht.
Bei dieser Privatisierungsvariante würden etwaige Gewinne der Tochtergesellschaften aus der kommerziellen Rundfunkveranstaltung zur Querfinanzierung des Auftrags verwendet, während Verluste nicht auf den Beitragsbedarf angerechnet werden dürften (vgl. § 3 Abs. 2 und 3 RFinStV).
Eines jedenfalls sollten die vorangegangen Ausführungen veranschaulicht haben: Die gesetzgeberischen Spielräume für Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind durchaus weiter, als es medienpolitische Debatten mitunter suggerieren. Es lohnt sich daher, weiterhin Optionen auszuloten und diese anschließend zu diskutieren.
Zitiervorschlag: Ferreau, Auftragskonkretisierung durch Privatisierung? , JuWissBlog Nr. 6/2019 v. 16.1.2019, https://www.juwiss.de/6-2019/
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