Gesetzentwurf „zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“, Drucksache 19/4669:
Der „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“ soll für intergeschlechtliche Menschen die rechtliche Anerkennung ihrer geschlechtlichen Identität sicherstellen. Neben der Möglichkeit, die Geschlechtseintragung offen zu lassen, wurde dazu die neue Personenstandskategorie „divers“ geschaffen. Beide Möglichkeiten können jedoch nur Menschen mit medizinisch nachgewiesenen „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ nutzen. In einem Beschluss zur rechtlichen Anerkennung intergeschlechtlicher Menschen nimmt das BVerfG jedoch primär auf die geschlechtliche Identifikation einer Person Bezug und nicht auf körperliche Merkmale. Eine verfassungskonforme Regelung müsste daher die Optionen zur Geschlechtserfassung sowohl nicht-binären Inter*- als auch Trans*-Personen ermöglichen.
1. Kampagne für eine dritte Option
Bei intergeschlechtlichen Menschen entwickeln sich nicht alle geschlechtsbestimmenden Merkmale in eine als weiblich oder männlich definierte Richtung. Zu diesen Merkmalen zählen Chromosomen, Gonaden, Hormone sowie das Genitale. Intergeschlechtliche Menschen können sich als Frauen oder Männer identifizieren. Ebenso gibt es zahlreiche Inter*-Personen, die sich einer alternativen oder keiner Geschlechtskategorie als zugehörig erachten und die rechtliche Anerkennung ihrer nicht-binären Geschlechtsidentität fordern. Als rechtliche Kategorie und Personenstandsdatum wurde das Geschlecht jedes in Deutschland geborenen Kindes bis zum Jahr 2013 ausschließlich als „weiblich“ oder „männlich“ eingetragen. Dies wurde 2013 durch eine Novellierung des Personenstandsgesetzes (PStG) geändert. Dabei sah § 22 Abs 3 PStG 2013 vor, dass die Beurkundung des Geschlechts eines Kindes entfallen muss, wenn „das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden [kann]“. Eine Verwaltungsvorschrift führte dazu aus, dass Umschreibungen wie „intersexuell“ oder „ungeklärt“ von Standesbeamt_innen nicht eingetragen werden dürfen. Zwar erkannte der Staat intergeschlechtliche Menschen mit dieser Regelung rechtlich an. Er verwehrte ihnen aber ausdrücklich die „positive Bezeichnung“ einer Geschlechtsidentität außerhalb des binären Geschlechterverständnisses.
Gegen diese Praxis wehrte sich eine intergeschlechtliche Person namens Vanja. So beantragte Vanja 2014 die Berichtigung der ursprünglich auf „weiblich“ lautenden Geschlechtseintragung hin zu „inter/divers“. Nachdem Vanja bei den Fachgerichten keinen Erfolg hatte, fasste das BVerfG 2017 einen richtungsweisenden Beschluss: Demnach verletze der rechtliche Zwang zur Eintragung eines personenstandsrechtlichen Geschlechts „Menschen, die sich dauerhaft weder als ‚männlich‘ noch ‚weiblich‘ identifizieren“, in ihren Grundrechten, sofern ihnen als Bezeichnung neben „weiblich“ oder „männlich“ keine Alternative zur Verfügung steht (Rn 36). Das BVerfG stufte § 22 Abs 3 PStG 2013 als verfassungswidrig ein und setzte der Gesetzgebung bis Ende des Jahres 2018 eine Frist zur Neuregelung (Rn 66).
2. Gesetzentwurf zur Novellierung des PStG 2013
Für die Umsetzung der Karlsruher Entscheidung liegt inzwischen ein Gesetzentwurf vor. Nach der Neufassung von § 22 Abs 3 PStG ist „der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe ‚divers‘ in das Geburtenregister einzutragen“, wenn „das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden“ kann. § 45b PStG ergänzt, dass „Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ durch Erklärung beim Standesamt eine Korrektur der bei der Geburt erfolgten Geschlechtseintragung fordern können. Optionen zur Geschlechtserfassung sind die Begriffe weiblich, männlich oder divers sowie die ersatzlose Streichung einer bestehenden Eintragung. Mit dieser Erklärung ist auch die Wahl eines oder mehrerer neuer Vornamen möglich. Um diese Optionen zu nutzen, ist jedoch „durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung […] nachzuweisen, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt“.
3. BVerfG zum Personenstandsgeschlecht
Die neue Regelung wird explizit auf „Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung [beschränkt], bei denen die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden inkongruent sind“. Diese rigide Formulierung überrascht mit Blick auf den Beschluss des BVerfG. Schließlich beschreibt das Gericht Geschlechtsidentität als „konstituierenden Aspekt der eigenen Persönlichkeit“ (Rn 38-39). Zudem führt das BVerfG zum im Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 Grundgesetz (GG) verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht unmissverständlich aus, dass dieses die geschlechtliche Identität von Menschen schützt, die „sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“ (Rn 36). Die Ausführungen des BVerfG nehmen dabei primär auf die Geschlechtsidentität einer Person Bezug und nicht auf ihre körperliche Konstitution. Ausdrücklich betont das Gericht, dass intergeschlechtliche Personen weiterhin die Möglichkeit zu einem konventionellen Geschlechtseintrag haben müssen, wenn sie sich dem weiblichen oder männlichen Geschlecht als zugehörig erachten (Rn 51). Die Unmöglichkeit zur Eintragung eines Geschlechts jenseits der Kategorien „weiblich“ und „männlich“ für intergeschlechtliche Menschen bewertet das BVerfG als Geschlechterdiskriminierung und Verstoß gegen Art 3 Abs 3 Satz 1 GG. Dazu führt es näher aus, dass dem Diskriminierungsverbot des GG zufolge „das Geschlecht grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden“ darf (Rn 56-57).
4. Geschlechtervielfalt vs. Fremdbestimmung
Ein Rekurs auf körperliche Geschlechtsmerkmale zur rechtlichen Anerkennung der individuellen Identifikation einer Person widerspricht den oben genannten Ausführungen des BVerfG. Dieses stellt die Geschlechtsidentität in den Mittelpunkt der rechtlichen Geschlechtserfassung und nicht körperlichen Merkmale. Da die Geschlechtsentwicklung mannigfaltig ist, gibt es zahlreiche intergeschlechtliche Menschen, die über keine klare medizinische Diagnose verfügen. Zum Nachweis einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“ müssten sie sich medizinisch-diagnostischen Untersuchungen aussetzen. Diese können mit Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit und einer (Re-) Traumatisierung der betroffenen Personen verbunden sein. Tun sie das nicht, wird ihnen auch nach der Novellierung des PStG ein ihre geschlechtliche Identität widerspiegelnder Geschlechtseintrag verwehrt bleiben. Im Lichte der Ausführungen des BVerfG zum Recht auf Anerkennung der Geschlechtsidentität erscheint die strikte Bezugnahme auf medizinisch definierte körperliche Merkmale überschießend und daher verfassungsrechtlich bedenklich.
Bis auf Menschen mit einer „Variante der Geschlechtsentwicklung schließt die Regelung zudem alle anderen nicht-binären Personen von einer rechtlichen Anerkennung ihrer individuellen Geschlechtsidentität aus. Doch gibt es beispielsweise auch transgeschlechtliche Personen, mit als weiblich oder männlich definierten körperlichen Geschlechtsmerkmalen, die sich nicht binär verorten. Das BVerfG hat verdeutlicht, dass weder staatliche Interessen noch jene Dritter dem Recht auf Anerkennung einer nicht-binären Geschlechtsidentität entgegenstehen (Rn 50-54). Daher widerspricht eine Differenzierung auf körperlicher Grundlage bei der rechtlichen Anerkennung einer nicht-binärer geschlechtlichen Identifikation zwischen Inter*- und Trans*-Personen sowohl Art 3 Abs 3 S 1 als auch Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG. Deshalb muss auch die Anerkennung intergeschlechtlicher Menschen von körperlichen Merkmalen losgelöst möglich sein.
Für intergeschlechtliche Menschen kommt es außerdem zwingend zu einer Offenbarung ihrer körperlichen Diversität bei der Geburt, weil der neue §22 Abs 3 iVm § 45b PStG die Option „offen“ oder „divers“ vorschreibt. Bereits bei der Novellierung des PStG 2013 kritisierten Selbstvertretungsorganisationen die Pflicht zum „offenen“ Geschlechtseintrag. Sie befürchteten, dass dadurch die elterliche Angst vor einer Stigmatisierung des Kindes steigen und dazu führen könnte, dass Eltern medizinischen Maßnahmen zur Feminisierung oder Maskulinisierung rascher zustimmen. Dem könnte der Staat entgegenwirken, indem er die Pflicht zur Geschlechtseintragung schlicht abschafft. Nicht nur Selbstvertretungsorganisationen fordern den Verzicht auf die personenstandsrechtliche Erfassung des Geschlechts, sondern auch das BVerfG nannte diese Möglichkeit zur Behebung der Verfassungswidrigkeit des aktuellen PStG (Rn 65). Die Gesetzgebung entschied sich jedoch für die Erweiterung der für die Kategorisierung des Geschlechts verwendeten Begriffe „weiblich/männlich“ durch „divers“. Die Bezeichnung weist zwar auf die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten hin, stellt aber dennoch eine Sammelbezeichnung dar. Diese kann der Anerkennung individueller menschlicher Identifikation nicht gerecht werden. Eine Ergänzung der zur Geschlechtserfassung zulässigen Begriffe um ein „freies Feld“ hätte diesem Dilemma entgegengewirkt und eine zentrale Forderung von Selbstvertretungsorganisationen aufgegriffen.
Zuletzt gilt es noch hervorzuheben, dass im Gesetzentwurf eine wichtige Regelung fehlt: Denn die Neuregelung umfasst ausschließlich personenstandsrechtliche Bestimmungen, obwohl flankierende Maßnahmen zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit intergeschlechtlicher Personen ebenso dringend notwendig sind. Entsprechende Vorschläge lagen dem Gesetzgeber in einem Gutachten zu „Geschlechtervielfalt im Recht“ bereits vor. Das Gutachten wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vom Deutschen Institut für Menschenrechte erarbeitet. Es umfasst einen mit Inter*- und Trans*-Communities abgestimmten „Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung und zum Schutz der Geschlechtervielfalt […]“. Dieser Entwurf enthält ua ein ausdrückliches Verbot, medizinisch nicht notwendige fremdbestimmte Eingriffe zur Veränderung des geschlechtlichen Erscheinungsbildes intergeschlechtlicher Menschen durchzuführen. Solche Eingriffe sollen also nicht aufgrund einer Entscheidung der Eltern, sondern ausschließlich aufgrund einer eigenverantwortlichen Entscheidung der Betroffenen selbst durchgeführt werden können. Statt biologistisch-geschlechtsspezifische Zuschreibungen durch das Abstellen auf medizinische Gutachten zu reproduzieren, bedarf es m.E. nicht nur der rechtlichen Anerkennung, sondern auch des Schutzes der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten.
Zitiervorschlag: Petricevic, „Gender (Stereotyping) Reloaded”, JuWissBlog Nr. 98/2018 v. 11.12.2018, https://www.juwiss.de/98-2018/