Kampfdrohnen-Debatte: Von Sensenmännern, Grauzonen und vergessenen Verpflichtungen

von PHILIPP STROH

PhilippStroh_formatiertDeutschland diskutiert über das „Euro-Hawk“-Debakel und die Anschaffung von bewaffneten „Predator“-Drohnen für die Bundeswehr, U.S.-Präsident Obama verkündet eine neue Phase im Anti-Terrorkampf und die Navy lässt zum ersten Mal eine Stealth-Drohne von einem Flugzeugträger abheben. Luftgestützte unbemannte militärische Kampfsysteme (UMKS), umgangssprachlich meist Kampfdrohnen genannt, sind das militärische Instrument der Stunde. Der gesellschaftliche Zwiespalt in der Diskussion ist groß, UMKS werden bezeichnet als „Killerwaffen in staatlicher Hand“ oder „die Zukunft“, der Verteidigungsminister hält sie für „ethisch neutral“ und auch völkerrechtlich handelt es sich bei den mit UMKS in Verbindung gebrachten Problemen um eine Gemengelage. Die unbemannten Fluggeräte sind ein Zankapfel, um den es sich zu streiten lohnt.

UMKS sind technisch hoch entwickelte Luftfahrzeuge ohne Piloten an Bord. Die von den U.S.A. eingesetzte Drohne MQ-9 „Reaper“ zum Beispiel verfügt über fünf visuelle Sensoren, eine Kombination aus panzerbrechenden „Hellfire“-Raketen und gelenkten Präzisionsbomben an vier Unterflügelstationen, erreicht beladen eine Höchstgeschwindigkeit von ca. 280 km/h bei einer maximalen Flughöhe von gut 15.000 Metern und wird von zwei oder drei Steuerern aus der Ferne geführt. Dabei kann sie bis zu 30 Stunden ununterbrochen in der Luft verweilen, „loitern“, und liefert so sehr umfangreiche Möglichkeiten zur präzisen Aufklärung militärischer Ziele. Durch ihre Bewaffnung ermöglicht sie zudem einen direkten Verbund zwischen Aufklärung und Wirkung und kann so mit weniger Aufwand und ohne die Gefährdung von eigenen Streitkräften auch in schwer zugänglichen Gebieten eingesetzt werden. Einen militärischen Vorteil gewähren UMKS somit zweifelsohne. Handelt es sich also tatsächlich um eine ethisch neutrale Waffe? Und wo liegen die juristischen Schwierigkeiten beim Einsatz dieser Technik?

Um es vorweg zu nehmen: Rechtliche Schwierigkeiten bereitet nicht das UMKS immanente Element deren Unbemanntheit. Es gibt keine Vorschrift im Humanitären Völkerrecht, die ferngesteuerte Waffensysteme verbietet, auch ist Kriegführung aus der Ferne keine Neuerung, die speziell durch die Einführung der Drohnentechnik des letzten Jahrzehnts zu beobachten gewesen wäre; vom Langbogen bis zur Mittelstreckenrakete fanden im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder kleinere oder größere Revolutionen in der Militärtechnik statt. Die Art der Verwendung ist folglich entscheidend für die Rechtmäßigkeit eines Waffeneinsatzes und hier gilt es zu differenzieren.

Menschenrechtliche Garantien und das Recht des bewaffneten Konflikts: Gratwanderung mit Fallstricken

Im Recht des bewaffneten Konflikts bereitet der Einsatz von UMKS an sich keine Probleme. Nach dem dort geltenden Unterscheidungsgebot ist jeder Zeit zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden, dabei können UMKS jedenfalls hilfreich sein. Auch die umstrittene Praxis der gezielten Tötung ist im bewaffneten Konflikt nicht untersagt, vorausgesetzt die Grundsätze der Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten und der Verhältnismäßigkeit von militärischem Vorteil und verursachtem Schaden sind gewahrt.

Außerhalb bewaffneter Konflikte sieht die Rechtslage jedoch anders aus. Hier gelten Menschenrechtsnormen beziehungsweise innerstaatliches Recht. Die Tötung von Personen ohne Gerichtsverfahren ist mit menschenrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar, innerstaatlich dürfte es sich um den Tatbestand des Totschlags, wenn nicht gar Mordes handeln. Insofern darf auch die Praxis der U.S.A., terrorverdächtige Personen außerhalb bewaffneter Konflikte gezielt zu eliminieren, kritisch beäugt werden, da weder in Pakistan noch im Jemen die Schwelle zu einem bewaffneten Konflikt übertreten ist. Wenn Präsident Obama diese Einsatzpraxis unter Hinweis auf ein Selbstverteidigungsrecht gegen die Anschläge des 11. September 2001 und einen bestehenden Krieg zwischen den U.S.A. und al-Quaeda, den Taliban sowie deren Verbündeten für rechtmäßig erklärt, dürfte dies sodann eine exklusiv U.S.-amerikanische Interpretation darstellen. Der „Krieg gegen den Terror“ ist rechtlich gesehen ohnehin eine Worthülse. „Terror“ ist schließlich keine Konfliktpartei, deren „Streitkräften“ ein bewaffneter Konflikt und das für diesen anwendbare Recht anhaftet, wo immer sie sich befinden.

Eine Rechtfertigung der extra-territorialen gezielten Tötungen ist auch schwerlich mit einem Selbstverteidigungsrecht der U.S.A. zu begründen. Dazu müssten die Regierungen betroffener Staaten nicht willens oder nicht in der Lage sein, gegen die von ihrem Staat ausgehende Bedrohung vorzugehen, präemptive Selbstverteidigung gegen zukünftige Bedrohungen ist ohnehin nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn die Bedrohung so immanent ist, dass sie weder zeitlichen Verzug noch eine besonnene Wahl der Mittel zulässt. Die Datenlage über derartige Gefahrenherde in den betroffenen Gebieten ist schlecht, dennoch lässt sich anzweifeln, ob Bedrohungen beispielsweise aus Pakistan gegenüber den U.S.A. tatsächlich in einem Umfang bestehen, der die Tötung von Individuen notwendig macht. Würde man dies bejahen, so stünde dennoch die Frage im Raum, wie unmittelbar diese Bedrohungen sind, da schließlich auch die Zeit zur extensiven Überwachung der Ziele und zur Erstellung so genannter „kill lists“ vorhanden ist.

Quo volat Bundeswehr?

Militärische Geheimdienstoperationen zur gezielten Tötung von Individuen nach amerikanischem Vorbild sind nach deutschem Recht unzulässig und auch technisch kaum durchführbar, das Verteidigungsministerium hat zudem für die Bundeswehr Einsatzszenarien außerhalb bewaffneter Konflikte kategorisch ausgeschlossen. Dennoch bleibt auch die Bundesrepublik bislang hinter ihren rechtlichen Verpflichtungen zurück, wie sie zum Beispiel in Art. 36 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen festgelegt sind. Danach ist bei Beschaffung oder Einführung neuer Waffen, Waffensysteme und Mittel der Kriegführung festzustellen, ob diese gegen anwendbares Völkerrecht verstoßen. Diese Überprüfung hat in Bezug auf UMKS bisher nicht stattgefunden.

Auch stehen beim Drohneneinsatz grundsätzliche ethisch-moralische Fragestellungen im Raum, die sich eventuell sogar in das Recht übertragen lassen. Nach umfangreichen Erhebungen und Interviews mit Bewohnern Nord-Waziristans, wo besonders häufig gezielte Tötungen von Terrorverdächtigen mit UMKS durchgeführt werden, veröffentlichten zwei Institute der Stanford Law School und der NYU School of Law im September 2012 einen Bericht über die Auswirkungen von Drohneneinsätzen auf die dortige Zivilbevölkerung, welcher belegt, dass Zivilpersonen immensen Beeinträchtigungen auf unterschiedlichsten Ebenen unterliegen. Sollten diese Erhebungen auch nur im Ansatz auf andere von Drohneneinsätzen betroffene Gebiete, beispielsweise Afghanistan, übertragbar sein, so ließe dies den Schluss zu, dass UMKS durch diese Effekte auf Zivilbevölkerungen für das Erreichen übergeordneter Einsatzziele, namentlich sind dies in Afghanistan das Herstellen von Stabilität in der Region sowie der Schutz der Zivilbevölkerung, sogar kontraproduktiv wirken können. Übergeordnete, strategische Ziele eines Streitkräfteeinsatzes insgesamt sind jedoch auch in die Berechnung des militärischen Vorteils, den ein einzelner Angriff verspricht einzubeziehen, sodass Drohneneinsätze in auch von Zivilisten bewohnten Gebieten unverhältnismäßig erscheinen könnten.

Derlei Auswirkungen von UMKS-Einsätzen vorzubeugen, sollte ein Hauptanliegen bei der eventuellen Beschaffung bewaffneter Systeme durch die Bundeswehr sein. Zumindest minimieren ließe sich die Gefahr von zivilen Schäden durch eine Selbstverpflichtung, UMKS-Einsätze auf militärische Ziele zu beschränken, die nicht innerhalb einer Konzentration von Zivilpersonen gelegen sind. Wenigstens jedoch ist die Überprüfung nach Art. 36 des ersten Zusatzprotokolls durchzuführen. Dabei sollten die zukünftigen Einsatzszenarien für UMKS nicht bloß umrissen, sondern klar dargelegt werden, die Überprüfung alle Elemente des in der Anschaffung befindlichen Systems umfassen. Mehr Technik in der Kriegführung bedeutet nämlich nicht nur das Ausschalten menschlichen Fehlverhaltens, sondern im Umkehrschluss auch das Einbinden einer Vielzahl hoch komplizierter technischer Prozesse. Viele dieser teils in Millisekunden stattfindenden Abläufe bergen ein eigenes Gefahrenpotenzial, sei es durch Verzögerungen in der Datenübertragung zwischen Bodenstation und Fluggerät, die Störung der Datenverbindung durch Interferenzen, Ausfall und Sabotage oder auch schlichte Soft- oder Hardware-Konflikte unterschiedlicher technischer Komponenten.

„Nicht alles, was man kann, muss man.“

UMKS, Kampfdrohnen, sind aufgrund der mit ihrem Einsatz einhergehenden Risikominimierung für Streitkräfte und der höheren Präzision bei Zielauswahl und -markierung geeignet, von bewaffneten Konflikten verursachte Schäden zu verringern. Dabei bestehen keine grundlegenden humanitär-völkerrechtlichen Bedenken gegen ihren Einsatz im bewaffneten Konflikt, solange die Rechtsgrundsätze von Distinktion und Verhältnismäßigkeit hinreichende Beachtung finden. Ethisch-moralisch stellt sich hingegen eine Reihe von Fragen, deren letztgültige Beantwortung noch aussteht, von eventuell unverhältnismäßigen Auswirkungen auf Zivilbevölkerungen betroffener Regionen über das vielfach befürchtete Sinken der Hemmschwelle zum Waffeneinsatz bis zur Gefahr der zunehmenden Dehumanisierung und Autonomisierung des Schlachtfeldes.

Eine kritische Begleitung der Entwicklungen auch in der Bundeswehr ist demnach unbedingt geboten und eine eingehende Überprüfung neuer Kampfmittel unter allen Umständen einzufordern. Schließlich gilt auch und vor allem im Bereich militärtechnischer Neuentwicklungen: „Nicht alles was man kann, muss man.“

 

Hinweis der Redaktion vom 18.8.2013: Ein Interview mit Philipp Stroh über die Entwicklung von Kriegsrobotern und den auch rechtlichen Konsequenzen daraus findet sich hier.

Bundeswehr, Humanitäres Völkerrecht, Kampfdrohnen, Philipp Stroh, USA, war on terror
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