Von MARIA WERSIG
In seiner heute veröffentlichten langerwarteten Entscheidung hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts den Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften vom Ehegattensplitting im Einkommensteuerrecht für verfassungswidrig erklärt. Die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bestehe rückwirkend seit Schaffung der eingetragenen Lebenspartnerschaft im Jahr 2001. Diese Entscheidung war absehbar, denn beide Senate haben in den vergangenen Jahren in vergleichbaren Fällen (zum Beispiel der 1. Senat 2010 zum Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht und der 2. Senat 2012 zum Verheiratetenzuschlag im Beamtenrecht und zum Grunderwerbsteuerrecht) denkbare Rechtfertigungen von Ungleichbehandlungen beider Rechtsinstitute verworfen. Die Begründungsmesslatte für eine Beschränkung der Zusammenveranlagung mit Splittingvorteil auf Ehepaare war inzwischen also außerordentlich hoch. Ein Handeln der Gesetzgebung wird nun erfolgen müssen. Die Entscheidung könnte Anlass sein, neu über eine Überwindung des aus Gleichstellungsgründen fragwürdigen Ehegattensplittings zu diskutieren. Leider hat der 2. Senat in dieser Hinsicht aber keine klaren Worte zum Ehegattensplitting gefunden, sondern mit Äußerungen zu familienpolitischen Zielen des Splittings allenfalls neue Verwirrung gestiftet.
Rechtfertigungen für Ungleichbehandlung
Die Diskussion über die Rechtfertigungsgründe für die Beschränkung des Splittingvorteils auf Ehepaare hatte sich bisher auf zwei Punkte konzentriert, die kaum mit den sonst für das Ehegattensplitting herangezogenen Begründungen korrespondieren: zum einen Eheschutz (Art. 6 Abs. 1 GG) und zum anderen die Möglichkeit der gemeinsamen biologischen Fortpflanzung verschiedengeschlechtlicher Paare. Beide Begründungen hat der 2. Senat in seiner Entscheidung verworfen und auch eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung mit dem Zweck des Splittings und der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers abgelehnt. Die Beschränkung des Splittingvorteils lässt sich auch nicht mit den eingegangenen Unterhaltsverpflichtungen und der ehelichen Solidarität begründen, weil diese Verpflichtungen in beiden Rechtsinstituten gleich ausgestaltet sind.
Kinder oder keine
Die Stellungnahme der Bundesregierung im Verfahren wollte auf Basis der Gesetzesbegründung von 1958 den Zweck der Einführung des Ehegattensplittings in einer „Förderung der Ehe gerade wegen ihrer gesamtgesellschaftlich bedeutsamen demogra-phischen Funktion“ entdecken (Rz. 51)1. Diese Argumentation beruht auf einer stark verkürzten und in ihrem Ergebnis sogar verfälschenden Analyse der damaligen politischen und gesellschaftlichen Situation2. Nun waren die Begründungen für das Ehegattensplitting immer im Fluss und haben wie die gesellschaftlichen Verhältnisse seit der Bundesrepublik der Adenauer-Ära einen gewissen Wandel erfahren.
In der Frage der Begründungen und Ziele des Ehegattensplittings sowie eventueller damit verbundener familienpolitischer Erwägungen ist die Entscheidung des 2. Senats leider enttäuschend und widersprüchlich. Auf der einen Seite wurde festgestellt, das Ehegattensplitting habe nichts mit Kindern zu tun, da es auch kinderlosen Ehepaaren gewährt wird (Rz. 97). Auf der anderen Seite folgen dann Ausführungen, die das Ehegattensplitting erneut in den Kontext von Familie stellen (Rz. 98):
„Allerdings bewirkt die mit dem Splittingverfahren bezweckte Gleichbehandlung … eine Erweiterung des Spielraums der Ehepartner bei der Ausgestaltung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Lebensführung und der Aufgabenverteilung innerhalb der Ehe. Im Hinblick darauf ist das Splittingverfahren bei seiner Einführung auch als „bedeutende Förderung des Familiengedankens“ bezeichnet (stenographischer Bericht der 17. Sitzung des 3. Deutschen Bundestages vom 13. März 1958, S. 771; vgl. auch stenographisches Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Haushaltsausschusses mit den Ausschüssen für Finanz- und Steuerfragen, für Wirtschaftspolitik und für Mittelstandsfragen vom 13. Februar 1958, S. 20) und als eine „besondere Anerkennung der Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“ (BT-Drucks 3/260, S. 34; zu BT-Drucks 3/448, S. 6) gesehen worden.“
Zur Zukunftsfähigkeit des Ehegattensplittings
Im Ergebnis wird festgestellt, dass auch der Gedanke einer Familienförderung die Schlechterstellung nicht rechtfertigt, da die „Freiheit“, die durch das Splitting entsteht, auch zur Pflege von Angehörigen genutzt werden kann, nicht in allen Ehen Kinder leben, aber in immer mehr Lebenspartnerschaften Kinder aufwachsen. Trotzdem erscheint es so, als solle mit dem Hinweis auf durch das Splitting entstehende Gestaltungsmöglichkeiten der Paare bezogen auf ihre Arbeitsteilung das Splitting quasi ins 21. Jahrhundert geführt werden. Zwar würde heute kaum jemand von der „Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“ sprechen – aber auch in der modernen Familie müssen Angehörige gepflegt und Kinder betreut werden. Auch dabei kann das Ehegattensplitting helfen, so der Unterton. Natürlich tut es das aber nur bei entsprechenden Einkommen eines Alleinverdieners und fördert so einseitig ein bestimmtes Ehemodell. Deshalb bedeutet die Ausweitung des Ehegattensplittings nicht für alle in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Paare einen Vorteil, sondern hauptsächlich für diejenigen mit einem sehr gut verdienenden Alleinverdiener. Bei aller Berechtigung der Forderungen nach Gleichbehandlung muss die Frage gestellt werden, ob das Ehegattensplitting ein Zukunftsmodell auch für die nächsten 50 Jahre darstellt.
Die seit Jahrzehnten formulierte Kritik am Ehegattensplitting kommt in der Entscheidung nicht vor. Das ist auf der einen Seite konsequent, ging es doch nur um die Ungleichbehandlung einer bestimmten Gruppe. Es ist auf der anderen Seite fatal, weil so einmal mehr das Ehegattensplitting als ganz normale Regelung des Steuerrechts konstruiert wird. Denn natürlich wird sehr genau gelesen, wie sich der 2. Senat zu den Begründungen für das Ehegattensplitting äußert. In der Beziehung hat die Entscheidung den Mainstream nicht einmal in einem Nebensatz verlassen. Aus der Gleichstellungsperspektive ist das Ehegattensplitting dringend reformbedürftig und wird als mittelbar Frauen diskriminierend auch als verfassungswidrig betrachtet3. Liest man die Entscheidung von heute, so scheint es, als hätte es 50 Jahre Streit über das Ehegattensplitting gar nicht gegeben.
- So auch Löhr/Serwe, Das Ehegattensplitting auf dem Prüfstand. Verfassungsrecht – Unionsrecht – EMRK, 2011, S. 28. [↩]
- Vgl. Wersig, Der lange Schatten der Hausfrauenehe. Zur Reformresistenz des Ehegattensplittings, 2013. [↩]
- Vgl. m.w.N. Mennel, Welche rechtlichen Maßnahmen sind vordringlich, um die tatsächliche Gleichstellung der Frauen mit den Männern im Arbeitsleben zu gewährleisten? Gutachten für den 50. Deutschen Juristentag. In: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.): Verhandlungen des 50. Deutschen Juristentages. Band 1 Gutachten Teil D, 1974, S. 165–199; Vollmer, Das Ehegattensplitting, 1998; Spangenberg, Neuorientierung der Ehebesteuerung: Ehegattensplitting und Lohnsteuerverfahren. Arbeitspapiere der Hans-Böckler-Stiftung 106, 2005; Sacksofsky, Einfluss des Steuerrechts auf die Berufstätigkeit von Müttern. In: Hohmann-Dennhardt/Körner/Zimmer (Hg.): Geschlechtergerechtigkeit. Festschrift für Heide Pfarr, 2011, S. 363–377. [↩]
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Liebe Maria,
mich würde noch interessieren, wie Sie/du die Kritik des Sondervotums beurteilen/st, dass für die Einbeziehung der Lebenspartnerschaften in die Typisierung Daten über die Anzahl der Lebenspartnerschaften, in denen Kinder aufwachsen, hätten erhoben werden müssen und dass „etwaig bestehenden Ungleichbehandlungen auch durch eine beschränkte Eröffnung des Splittingverfahrens für eingetragene Lebenspartnerschaften, in denen Kinder erzogen werden oder wurden, hätte wirksam Rechnung getragen werden können.“ (Rz. 145).
Freue mich auf eine Antwort.