Licht ins Off: Der Bundessicherheitsrat und die Praxis der Rüstungsexporte

Von OLIVER DAUM

oliverdaum01Ein Großteil der deutschen Bevölkerung scheint dem Export von Rüstungsgütern eher kritisch gegenüberzustehen. Aus Anlass einer schriftlichen Frage an die Bundesregierung sorgte ein Bericht der SZ im Februar für Aufsehen, wonach sich die Rüstungsexporte an die Golfstaaten und an die Staaten des Maghreb gesteigert haben. Bei der Frage, ob die deutsche Rüstungspolitik maßlos oder restriktiv ist, sollte zunächst streng zwischen den erteilten Genehmigungen und tatsächlichen Ausfuhren unterschieden werden.

Diejenigen Rüstungsexporte, die politisch bedeutsam und umstrittenen sind, werden dem Bundessicherheitsrat (BSR) vorgelegt. Dieser Beitrag gibt daher einen Überblick über den BSR, dem ursprünglich die Funktion eines ressortübergreifenden Koordinierungsgremiums in Fragen der Verteidigung zukommen sollte. Im Anschluss daran wird die Praxis der Rüstungsexporte näher analysiert, indem auch auf die Kriterien der Genehmigungen eingegangen wird. Am Ende wird der Leser idealerweise in der Lage sein, der medialen Empörung fundiert zu begegnen.

Geschichte und Aufgaben des Bundessicherheitsrates

Die nicht unumstrittene1 Gründung des BSR 1955, noch als Bundesverteidigungsrat (BVR), flankierte den 1954 begonnenen Aufbau der Bundeswehr. Mit dem BVR sollte die Idee einer Gesamtverteidigung umgesetzt werden.2 Als neues Bindeglied zwischen den Ressorts, war der BVR also hauptsächlich verteidigungspolitischen Fragen verpflichtet. In den 1980er Jahren fokussierte sich der Rat – mittlerweile in Bundessicherheitsrat umbenannt – auf Abrüstung, Rüstungsexporte und Rüstungskontrolle, bis er in den 1990er Jahren einzig für Genehmigungen von Rüstungsexporten zuständig wurde.

Der BSR ist als Kabinettsauschuss eine ständige Einrichtung der Bundesregierung. Anders als die weiteren Kabinettsausschüsse unterliegt der BSR nicht dem Grundsatz der Diskontinuität, wonach alle Vorlagen nach abgelaufener Wahlperiode grundsätzlich als erledigt gelten. Zudem sind nur die Sitzungen des BSR geheim, die anlassbezogen im Kanzleramt stattfinden.

Innenleben des geheim tagenden Bundessicherheitsrates

Die stimmberechtigten Mitglieder sind der Bundeskanzler als Vorsitzender, der Vizekanzler und der Verteidigungsminister sowie die Minister des Auswärtigen, des Inneren, der Justiz, der Finanzen, für Wirtschaft und Technologie, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und schließlich der Chef des Kanzleramts. Dessen Berufung soll angesichts seiner Stellung als beamteter Staatssekretär verfassungsrechtlich fraglich sein.3 Als beratende Mitglieder ohne Stimmrecht kommen in Betracht: die übrigen Bundesminister, die Präsidenten der Nachrichtendienste sowie der Generalinspekteur der Bundeswehr.

Die Tagesordnung, Sitzungstermin und Abstimmungsverhalten des BSR sind mit dem Geheimhaltungsgrad „Geheim“ belegt. Diese umstrittene Geheimhaltungspraxis wird mit dem Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung der Bundesregierung begründet, der dem verfassungsrechtlichen Informationsanspruch des Bundestages Grenzen setzt.4 Zudem könnte eine Offenlegung von Geschäftsvorhaben deutscher Rüstungsunternehmen diese benachteiligen.

Mittlerweile hat sich die Praxis etabliert, wonach der BSR bei Exporten von Kriegswaffen faktisch allein entscheidet, also ohne anschließende Vorlage bei der Bundesregierung. Dies ist wegen der Beratungs- und Empfehlungsfunktion der Kabinettsauschüsse nicht unbedenklich – Beschlüsse des BSR sollen grundsätzlich unverbindlich sein.5 Zudem verstößt die Praxis gegen Art. 26 Abs. 2 S. 1 GG, wonach die Entscheidungsbefugnis über Kriegswaffenexporte formell und materiell bei der Bundesregierung liegt. Glawe gelangt daher zu der Feststellung, dass die bisherige Praxis „in Kompetenzfragen fortwährend gegen das Grundgesetz verstößt.“6

Genehmigungspflichtigkeit von Rüstungsgütern

Art. 26 Abs. 2 S. 1 GG stellt klar, dass die Tatbestände des Herstellens, Beförderns und Inverkehrbringens von Kriegswaffen einer Genehmigung der Bundesregierung bedürfen. Der Hintergrund dieses Genehmigungserfordernisses liegt in der von den Tatbeständen ausgehenden potentiellen Friedensstörung.7 Zudem stellen die Tatbestände regelmäßig Vorbereitungshandlungen für einen verfassungswidrigen Angriffskrieg dar.8

Allerdings profitiert der Export von Gütern vom Grundsatz der Freiheit des Außenwirtschaftsverkehrs. Dieser greift jedoch nicht zugunsten von Kriegswaffen, die in der sog. Kriegswaffenliste (Maschinengewehre, Panzer, Kriegsschiffe etc.) des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG) aufgelistet sind. Es folgt, dass die Ausfuhr von Kriegswaffen einer Genehmigung bedarf, auf deren Erteilung nach ganz herrschender Meinung kein Rechtsanspruch besteht.

Daneben gibt es noch eine umfassendere, abschließende Ausfuhrliste der Außenwirtschaftsverordnung (AWV), die neben Kriegswaffen auch die sog. sonstigen Rüstungsgüter erfasst. Sonstige Rüstungsgüter sind chemische oder biologische Agenzien, Ausrüstung für die militärische Ausbildung sowie Infrarot- oder Wärmebildkameras etc. Auch sonstige Rüstungsgüter sind genehmigungspflichtig, es besteht nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) jedoch ein Rechtsanspruch auf Genehmigung, wenn keine Versagungsgründe vorliegen.

Kontrollierter Export nur nach umfassender Abwägung

Der Export aller Rüstungsgüter ist also genehmigungspflichtig. Ob der BSR das zuständige Genehmigungsgremium ist, wird maßgeblich nach dem Empfängerland, dem Rüstungsgut und dem Geschäftsumfang entschieden. Weniger brisante Rüstungsexporte werden nach nicht unumstrittener Praxis auf die jeweiligen Fachressorts delegiert.9 Somit ist für den Export von Kriegswaffen überwiegend das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) zuständig. Es ist zu beachten, dass der Export von Kriegswaffen nach den strengen Regeln des KWKG und nach AWG/AWV zu bewerten ist.

Die Ausfuhrgenehmigung von sonstigen Rüstungsgütern bemisst sich einzig anhand von AWG/AWV und erfolgt durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Alle genehmigenden Stellen sind zugunsten einer Harmonisierung der Genehmigungspraxis an Verwaltungsvorschriften10 gebunden, insbesondere den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Demnach wird die Welt praktisch in vertrauenswürdige und bedingt vertrauenswürdige Länder aufgeteilt: In der ersten Gruppe befinden sich die vertrauenswürdigen NATO- und EU-Länder sowie NATO-gleichgestellte Länder (Australien, Neuseeland, Japan, Schweiz). Rüstungsexporte in diese Gruppe sind grundsätzlich nicht zu beschränken.

In die zweite Ländergruppe fallen alle anderen Staaten, insbesondere die von der OECD eingestuften entwicklungshilfebedürftigen Länder, wobei Albanien und die Türkei als NATO-Staaten zur ersten Ländergruppe gezählt werden. In diese Ländergruppe fallen auch die Golfstaaten und die Staaten des Maghreb.

Rüstungsexporte in diese Ländergruppe werden restriktiv behandelt und nur nach einer Abwägung folgender, nicht abschließender Faktoren vorgenommen: beschäftigungspolitische Gründe, volkswirtschaftliche Interessen, außen- und sicherheitspolitische Erwägungen der Bundesrepublik, die innere Lage des betreffenden Landes unter besonderer Berücksichtigung der Menschenrechtslage, die Sicherung des Endverbleibs, das Verhalten des Empfängerlandes gegenüber der internationalen Gemeinschaft (Abwehr terroristischer Bedrohungen, Sicherung von Seewegen etc.).

Der Rüstungsexportbericht 2011

Ob nun die deutschen Rüstungsexporte maßlos oder restriktiv sind, lässt sich schwerlich resümieren. Zwar sind nach Angaben des aktuellen Rüstungsexportberichts die in Höhe von 5,414 Milliarden Euro erteilten Genehmigungen im Vergleich zu 2010 um ca. 660 Millionen Euro gestiegen. Allerdings ist die tatsächliche Ausfuhr von Kriegswaffen in Höhe von 1,285 Milliarden Euro um 834 Millionen Euro zurückgegangen. Die Zahlen der Genehmigungen und Ausfuhren fallen regelmäßig auseinander, weil nicht alle Genehmigungen auch im selben Jahr ausgeführt werden. Zur Orientierung: Die Höhe des Bundeshaushalts 2013 beträgt ca. 302 Milliarden Euro.

Auch ein Blick auf die 2011 erteilten 17586 Einzelgenehmigungen im Verhältnis zu den 105 abgelehnten Anfragen hilft nicht weiter, auch wenn das Gesamtvolumen der abgelehnten Anträge im Wert von 24,8 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr um 16,7 Millionen Euro gestiegen ist. Zwar gibt es internationale Vergleichstabellen, jedoch vermögen auch diese keine definitive Antwort zu geben. Denn diesbezüglich wird im Exportbericht richtigerweise darauf hingewiesen, dass auch zahlenmäßig geringe Ausfuhren von großer Bedeutung sein können, zum Beispiel bei der alleinigen Ausfuhr von Kriegsschiffen oder Panzer. Andererseits darf der Bundesregierung aufgrund einer hohen Genehmigungsanzahl keine verantwortungslose „Waffenschwemme“ unterstellt werden. Ob die deutsche Rüstungsexportpolitik maßlos oder restriktiv ist, liegt somit einzig im Auge des Betrachters.

  1. Kai Zähle, Der Staat 44 (2005), S. 462 ff., 466. []
  2. Näher zum Konzept der Gesamtverteidigung vgl. Robert Glawe, DVBl. 127 (2012), S. 329 ff., 329. []
  3. Zähle, Der Staat 44 (2005), S. 469 f. []
  4. Ausführlich hierzu Glawe, DVBl. 127 (2012), S. 333 ff. []
  5. Zur Entscheidungskompetenz des BSR vgl. Zähle, Der Staat 44 (2005), S. 476 ff. []
  6. Glawe, DVBl. 127 (2012), S. 332. []
  7. Ingolf Pernice in: Dreier, Grundgesetz – Kommentar (2006) Bd. 2, Art. 26, S. 555 ff., 570, Rn. 20. []
  8. Udo Fink in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz (2010) Bd. 2, Art. 26, S. 533 ff., 549, Rn. 58. []
  9. Vgl. Fink in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz (2010) Bd. 2, Art. 26, S. 554, Rn. 76. []
  10. Zähle, Der Staat 44 (2005), S. 475. []
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Martin Pilgram
    27. März 2013 19:13

    die angesprochene mediale Empörung muss auch nach dem Lesen des Artikels anhalten, da selbst hier die rechtmäßigkeit der dort getroffenen Entscheidungen in Frage gestellt wird und auf die Frage nach der Höhe der Rüstungsexporte Deutschland steht im Vergleich an dritter Stelle hinter USA und Russland nicht eingegangen wird bzw. die Entscheidung ob das zuviel oder zu wenig ist dem betrachter überlassen wird.
    Auch kann über das Verhältnis zwischen genehmigten Anträgen und abgelehnten nur spekuliert werden, da auch dies der Geheimhaltung unterliegt.
    Der Author hätte hier SIPRI folgen müssen und zumindest, wenn er Rüstungsexporte nicht in Frage stellt, mindestens mehr Transparenz einfordern müssen.

    Antworten
    • Oliver Daum
      28. März 2013 16:19

      Lieber Herr Pilgram,

      mein Beitrag ist als Grundlage gedacht für weitere Diskussionen – selten gelingt es einem Autor auf alle relevanten Aspekte eines Themas in weitgehender Tiefe einzugehen. Dazu bedarf es stets der Mithilfe von „Außen“. Haben Sie daher vielen Dank für Ihren Kommentar.

      Beste Grüße

      Antworten

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