von NIKLAS SONNTAG
Die Überprüfung von Normen auf ihre Konformität mit der Verfassung ist im Regelfall einer gerichtlichen Instanz überlassen. Sie erfolgt zumeist zeitlich nachgelagert, was auch dem Bild „der Richter später Gewalt“ (Walter Leisner) entspricht. Nicht selten werden Gesetze angefochten und vom Verfassungsgerichtshof wegen Verfassungswidrigkeit (teilweise) wieder aufgehoben oder müssen entsprechend nachgebessert werden. Eine präventive Kontrolle, welche die Verfassungskonformität von Gesetzen schon vorab überprüft und ggf. abfangen kann, ist in den meisten Staaten nicht einer gerichtlichen Instanz überlassen und wenn so nur in Einzelfragen. Die bundesstaatliche Struktur eines Landes trifft hier insofern Vorsorge, als Bundes- und Landesgesetze aufgrund wechselseitiger Einspruchs- oder Zustimmungsmöglichkeiten flächendeckend einer präventiven Kontrolle unterliegen, wie im Folgenden am Beispiel Österreichs dargelegt werden soll.
Was das Fallbeispiel Österreich betrifft, so verfügt der Verfassungsgerichtshof als Modell klassischer Verfassungsgerichtsbarkeit lediglich über eine einzige präventive Kontrollmöglichkeit, konkret bezüglich Fragen bundesstaatlicher Kompetenzverteilung. Die übrigen Instrumente präventiver Kontrolle der Rechtssetzung sind – wie etwa die Begutachtungsverfahren, die Gesetzesfolgenabschätzung und die Funktion der Verfassungsdienste – in hohem Maße exekutivlastig, im Regelfall unverbindlich und eher beratender Natur. Vereinzelt gibt es auch Vetorechte vor allem in Form von Zustimmungsrechten, die sodann Bedingung für das Zustandekommen einer Norm sind. Föderaler Natur sind dabei neben der Funktion der Bundes- und Landesregierungen insbesondere die Zweite Kammer in der Bundesgesetzgebung sowie mittelbar auch besagte gerichtliche Prüfbefugnis. Die Mechanismen erstrecken sich dabei quer über die horizontale Gewaltenteilung. Die wichtigsten Instrumente stelle ich nachfolgend vor.
Präventive Rechtsetzungskontrolle auf Bundesebene
Im Rahmen der Bundesgesetzgebung sei auf die prüfende Rolle des Bundesrates verwiesen: Diesem steht nach dem österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) einerseits ein generelles Einspruchsrecht als Regelverfahren und in einzelnen, taxativ aufgezählten Bereichen ein Zustimmungsrecht zu. Ein Einspruch des Bundesrates muss mit Gründen versehen sein und binnen acht Wochen nach Übermittlung des Gesetzesbeschlusses des Nationalrates erfolgen. In diesem Fall wird der beeinspruchte Gesetzesbeschluss dem Nationalrat rückübermittelt, dem die Möglichkeit eines Wiederholungsbeschlusses (mit erhöhtem Präsenzquorum), der Abänderung oder Aufgabe des Gesetzesvorhabens zusteht. Alternativ besteht für den Bundesrat die Möglichkeit, zu beschließen, keinen Einspruch zu erheben oder die Einspruchsfrist ungenutzt verstreichen zu lassen – in diesen Fällen ist das Gesetz entsprechend kundzumachen, was im zweiten Falle einem aufschiebenden Veto entspricht. Die verfassungsrechtlich vorgesehenen Fälle eines Zustimmungsrechts ersetzen das Einspruchsrecht in den betreffenden Angelegenheiten und geben dem Bundesrat die Möglichkeit, ein absolutes Veto insofern zu erheben, als ohne seine Zustimmung das betreffende Gesetz nicht weiter verfolgt werden darf. Konkret umfassen die Zustimmungerechten Grundsatzgesetze des Bundes, für die eine Frist zur Ausführungsgesetzgebung kürzer als sechs Monate oder länger als ein Jahr sein soll (Art 15 Abs 6 B-VG), Bundesverfassungsgesetze, die die Stellung des Bundesrates als Verfassungsorgan betreffen (Art 35 Abs 4 B-VG) und Verfassungsänderungen, durch die die Kompetenzen der Bundesländer beschränkt werden (Art 44 Abs 2 B-VG). Die Konsequenz ist im einen Fall bestenfalls eine Verzögerung des Normerzeugungsprozesses, im Falle eines Zustimmungsrechts hingegen ein echtes Veto.
Unabhängig vom Bundesrat sieht die österreichische Bundesverfassung in Einzelfällen zusätzlich spezielle Zustimmungsrechte der Länder zu Bundesgesetzen vor, so in Fällen des Ausbaus unmittelbarer Bundesverwaltung (Art 102 Abs 1 und 4 B-VG), bei der Betrauung der Unabhängigen Verwaltungssenate der Länder (Art 129a Abs 2 B-VG) und in einigen Bereichen des Vergaberechts (Art 14b Abs 4 B-VG). Aufgrund von Unklarheiten betreffend die verfahrensrechtliche Abwicklung der direkten Länderzustimmungen erging durch eine jüngst beschlossene Bundesverfassungsnovelle (BGBl I Nr 51/2012) eine entsprechende Ausgestaltung in Form eines neuen Art 42a B-VG.
Darüber hinaus sind die Bundesländer an der Bundesgesetzgebung vor allem über Begutachtungs- und Stellungnahmeverfahren eingebunden, welche teilweise, wie etwa im Vergaberecht, auch verfassungsrechtlich niedergelegt sind. Eine Besonderheit stellt der sogenannte „Konsultationsmechanismus“ dar, der in einer speziellen gliedstaatlichen Vereinbarung verankert ist und Konsultationen bei Vorhaben mit finanziellen Auswirkungen auf die andere Gebietskörperschaften jeweils auf Antrag vorsieht.
Präventive Rechtsetzungskontrolle auf Landesebene
Die Landesgesetzgebung wiederum unterliegt nach Art 97 Abs 2 B-VG einem speziellen Zustimmungsrecht der Bundesregierung, soweit ein Landesgesetz bei seiner Vollziehung die Mitwirkung von Bundesorganen (gedacht ist dabei insbesondere an die Polizei) vorsieht. Bis 2012 gab es ferner ein Einspruchsrecht der Bundesregierung, das sich auf behauptete Kompetenzverletzungen bzw „Gefährdung von Bundesinteressen“ bezog, das jedoch nicht zuletzt aufgrund seiner Nicht-Anwendung mit besagter Novelle BGBl I Nr 51/2012 abgeschafft wurde. Unabhängig davon, dass einzelne Bundesländer wiederum besondere Begutachtungsverfahren, teilweise auch unter Einbeziehung der Bürger vorsehen, unterliegt spätestens mit Entfall des Einspruchsrechts der Bundesregierung die Landesgesetzgebung verfassungsrechtlich betrachtet weniger wechselseitiger präventiver Kontrolle seitens des Bundes als umgekehrt.
Präventive Konsultation des Verfassungsgerichtshofs
Sowohl Bundes- wie Landes-seitig möglich ist die eingangs genannte präventive Konsultation des Verfassungsgerichtshofes zur Vorab-Kontrolle darüber, ob ein geplanter Akt der Gesetzgebung oder Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt. Art 138 Abs 2 B-VG normiert dafür die Möglichkeit eines speziellen Feststellungsurteils, das in Form eines „Rechtssatzes“ sodann auch im Bundesgesetzblatt kundgemacht wird und stufenbaumäßig auch Bundesverfassungsrang genießt.
Präventive Rechtssetzungskontrolle und föderales System
Abgesehen von weiteren Kontrollmöglichkeiten muss festgehalten werden, dass der Großteil der präventiven Normenkontrolle in Österreich auf das bundesstaatliche System zurückzuführen ist, als es Staatsorgane aller drei Gewalten in die wechselseitige Prüfung jeweils der Bundes- bzw der Landesebene einbezieht. Die Maßstäbe variieren dabei von Kompetenzfragen oder finanziellen Auswirkungen von Vorhaben oder können sich überhaupt auf alle Belange beziehen, wie dies etwa beim Einspruchsrecht des Bundesrates der Fall ist. Ebenso variabel ist die Konsequenz des jeweiligen Prüfinstruments, das sich von einem Veto bis hin zu bloßer Konsultation bewegt.
In weiterem Sinne kann man auch die ex-ante-Kontrollen europäischer Instanzen, wie die Beihilfenkontrolle oder das Notifikationsverfahren hinzuzählen, welche die nationale Rechtssetzung mittlerweile maßgeblich beeinflussen. Ferner sei auch umgekehrt auf die seit dem Vertrag von Lissabon ausgebauten Möglichkeiten der Mitsprache nationaler Parlamente bei der EU-Rechtssetzung zum Beispiel im Rahmen des „Frühwarnmechanismus“ hingewiesen, die auch in Bundesstaaten den Ländern mittelbar präventive Einflussmöglichkeiten über die Zweite Kammer vermitteln (vgl dazu Art 6 des Protokolls Nr 1 über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und dementsprechend Art 23g B-VG über das Verfahren einer begründeten Stellungnahme).
Prävention „ja“ – letztes Wort „nein“
Die Frage der demokratischen Legitimation der genannten Instanzen löst sich insofern, als diese im Regelfall eben nicht „das letzte Wort“ haben, sondern – nicht zuletzt aufgrund ihrer Unverbindlichkeit – die Entscheidung dem Parlament überlassen ist. Umso sensibler sind sodann jene Instrumente vor allem der Exekutive, die etwa zwischen Beschlussfassung und Kundmachung fallen und in ihrem Ausmaß auch nicht immer klar sind, wie z.B. die Beurkundungskompetenz des Staatsoberhaupts nach Art 47 Abs 1 B-VG. Präventive Normenkontrolle ist jedenfalls in bestimmtem Rahmen ausbaufähig wie sich an der jüngsten Diskussion zur Frage der Vorab-Prüfung von Staatsverträgen im Zuge des ESM-Pakts und ähnlicher Ereignisse zeigt und vermag einen Beitrag zur Entspannung des Verhältnisses von Rechtssetzung und Verfassungshüter zu leisten, wiewohl damit nicht freilich alle Probleme gelöst werden können.
Literaturhinweise
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