Evergreens und vage Formulierungen

Der Maßnahmenkatalog zur inneren Sicherheit zwischen verfassungsrechtlichen Anforderungen und Zweckmäßigkeit

von TIMO SCHWANDER

Amfoto_sw_timo 13. Januar 2017 haben Innenminister de Maizière und Justizminister Maas zehn Maßnahmen vorgestellt, mittels derer Konsequenzen aus dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz gezogen werden sollen. Bei näherer Betrachtung erweist sich eine davon als recht wolkig, bei Fünfen ist der Nutzen zweifelhaft und mindestens drei Vorschläge sind verfassungs- bzw. unionsrechtswidrig. Drei Vorschläge stehen in keinerlei erkennbarem Zusammenhang zum jüngsten Anschlag, einer könnte nach hinten losgehen, und zwei enthalten gute Ideen.

Residenzpflicht bei Identitätstäuschung

Das Dokument beginnt mit einem Klassiker der Verquickung von Aufenthalts- und Gefahrenabwehrrecht: der Residenzpflicht. Diese soll nun auch bei Identitätstäuschungen durch Geflüchtete möglich sein. Angesichts der Tatsache, dass während des Asylverfahrens gem. § 56 Abs. 1 AsylG bereits eine Residenzpflicht besteht, im Anschluss für Geduldete gem. § 61 AufenthG ebenfalls, und inzwischen auch für anerkannte Geflüchtete, subsidiär Schutzberechtigte und Asylberechtigte gem. § 12a AufenthG, stellt sich die Frage: Welche Personengruppe unterliegt denn noch keiner Residenzpflicht? Im Fall des Berliner Attentäters bestand eine solche übrigens ebenfalls – dieser hielt sich nur nicht daran.

Abschiebehaft bei Gefährdern

Zweitens soll die Gefährdereigenschaft einen Abschiebehaftgrund konstituieren. „Gefährder“ – ein Wort, das man in letzter Zeit öfters hören konnte ‑ klingt nach „Gefahr“, aber wer eine Gefahr verursacht, ist nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht schon „Störer“ (wenn das jeweilige Polizeigesetz nicht, wie inzwischen üblich, vom „Verantwortlichen“ spricht), auch wenn hier der Begriff des Gefährders wohl sprachlich angemessener wäre. Dieser aber hat eben noch keine Gefahr verursacht, sondern ist lediglich „eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird“ (BT-Drs. 16/3570, S. 6). Der Begriff ist für innenpolitische Forderungen aber wegen seines „gefährlichen“ Klangs reizvoll: Wo ein Gefährder ist, da ist noch keine konkrete Gefahr – es klingt aber so. Vollendet wird die Verwirrung durch die sogenannte Gefährderansprache bzw. das Gefährderanschreiben, das nicht etwa gegen jeden „Gefährder“ im oben genannten Sinn eingesetzt werden kann, sondern mangels speziellerer Rechtsgrundlage auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden muss und deswegen die Störereigenschaft voraussetzt.

Der Gefährderbegriff findet sich derzeit noch nicht im Gesetz – nun, das kann man ändern –, eine ähnliche Definition findet sich aber in § 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG: „Das Bundeskriminalamt kann personenbezogene Daten mit den besonderen Mitteln nach Absatz 2 erheben über […] die Person, bei der Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 begehen wird“. Also alles wunderbar? Das Bundesverfassungsgericht ist anderer Meinung:

„Zwar knüpft die Vorschrift [§ 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG, d. Verf.] an eine mögliche Begehung terroristischer Straftaten an. Die diesbezüglichen Prognoseanforderungen sind hierbei jedoch nicht hinreichend gehaltvoll ausgestaltet. Die Vorschrift schließt nicht aus, dass sich die Prognose allein auf allgemeine Erfahrungssätze stützt. Sie enthält weder die Anforderung, dass ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und absehbares Geschehen erkennbar sein muss, noch die alternative Anforderung, dass das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründen muss, dass sie in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begeht. Damit gibt sie den Behörden und Gerichten keine hinreichend bestimmten Kriterien an die Hand und eröffnet Maßnahmen, die unverhältnismäßig weit sein können.“

Es hat § 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG folglich für nichtig erklärt, weil die Norm an eine derart vage Formulierung die Befugnis zu Observationen, zum Einsatz verdeckter ErmittlerInnen und V-Personen sowie zum kleinen Lauschangriff geknüpft hat. Es ist schwer vorstellbar, dass die Befugnis zur Freiheitsentziehung unter diesen Voraussetzungen Bestand haben könnte.

Überwachung aus Gründen der inneren Sicherheit

Weiter geht es mit folgendem Satz: „Der Anwendungsbereich der Überwachung aus Gründen der inneren Sicherheit soll bei Gefährdern erweitert werden.“ Gemeint ist wohl § 56 AufenthG, der für aus Gründen der inneren Sicherheit ausgewiesene Personen etwa Meldeauflagen und Kontaktverbote vorsieht; diese können bei Vorliegen konkreter Gefahren außerdem auch gegen sonstige vollziehbar Ausreisepflichtige angeordnet werden. Bislang knüpft die Norm damit an begangene Straftaten bzw. konkrete Gefahren an. Stattdessen soll sie nun offenbar auch auf Gefährder angewandt werden.

Grundrechtseingriffe von einer derartigen Intensität auf diesen vagen, wenig bestimmten Begriff zu stützen, stößt ebenfalls auf verfassungsrechtliche Hürden. § 56 AufenthG ermöglicht Maßnahmen, die in ihrer Schwere mit jenen des für nichtig erklärten § 20g Abs. 1 Nr. 2 BKAG durchaus vergleichbar sind, weswegen ihre Anordnung gegen bloße Gefährder nicht zu rechtfertigen sein dürfte.

Fußfessel für verurteilte Extremisten

Deutlicher wird es im Anschluss: Verurteilte ExtremistInnen sollen, wenn sie nach Verbüßung ihrer Haft weiterhin als gefährlich angesehen werden, eine elektronische Fußfessel tragen. Aufgrund der Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht werden dafür Hürden verlangt werden müssen, die mit jenen der Sicherheitsverwahrung vergleichbar sind. Eine andere Frage drängt sich aber auf: Wie soll denn eine solche Vorrichtung gegen Terrorismus helfen? Soll sie immer Alarm schlagen, wenn sich die überwachte Person einer Menschenmenge nähert?

Fußfessel für Gefährder

Die nächste Forderung ist die Synthese von Punkt 2 und Punkt 4: Er ist weder praktikabel noch mit dem Grundgesetz vereinbar. Eine elektronische Fußfessel an den diffusen Rechtsbegriff des Gefährders zu hängen, ist mit den Ausführungen des BVerfG zum BKA-Gesetz nicht vereinbar, und auch hier ist nicht erkennbar, wie eine Fußfessel vor Anschlägen schützen soll.

Verlängerung des Ausreisegewahrsams

Ferner soll die Maximaldauer des Ausreisegewahrsams von vier auf zehn Tage erhöht werden. Der (euphemistisch so bezeichnete) Ausreisegewahrsam unterscheidet sich von der Abschiebehaft dadurch, dass für ihn die Haftgründe des § 62 Abs. 3 AufenthG nicht vorliegen müssen. Er soll die Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht sicherstellen. Im Fall des Berliner Attentäters war eben diese überhaupt nicht durchsetzbar, da sein Heimatland die Rücknahme des Staatsangehörigen verweigerte. Eine Verbindung zum jüngsten Anschlag ist also nicht erkennbar. Vielmehr scheint es sich um eine Sanktion gegen Personen zu handeln, die nach Ansicht der Ausländerbehörden nicht hinreichend kooperieren. Ein solches Druckmittel soll der Ausreisegewahrsam aber eben nicht sein. Seine Zweckbestimmung wird durch Art. 15 Abs. 1 der RL 2008/115/EG abschließend festgelegt.

Prävention und gesellschaftliche Offensive

Anschließend wird es wieder wolkig: „Präventionsmaßnahmen gegen Extremismus und Radikalisierung sollen ausgebaut werden.“ Das ist eine Zielsetzung, die zu begrüßen ist, und man würde sich an dieser Stelle deutlich mehr Details wünschen. Diese bleiben aber leider aus.

Druck auf Herkunftsstaaten

Ferner sollen Staaten, die ihre vollziehbar ausreisepflichtigen Staatsangehörigen nicht zurücknehmen wollen, wirtschaftlich unter Druck gesetzt werden. Dabei stellt sich allerdings die Frage, was mit einer Person passiert, deren Heimatland sie nicht zurücknehmen will, dieses aber durch wirtschaftlichen Druck dazu gezwungen wird? Die menschenrechtswidrige Weigerung der Einreise ins eigene Land spricht nicht gerade für eine menschenwürdige Aufnahme in diesem Fall.

Fluggastdatenspeicherung

Es folgt wieder ein Evergreen: die Fluggastdatenspeicherung. Es handelt sich ausnahmsweise nicht um eine Maßnahme gegen Geflüchtete – diese können aufgrund von § 63 AufenthG in der Regel nicht im Flugzeug nach Deutschland kommen. Aber auch ein Konnex zu den jüngsten Anschlägen ist nicht erkennbar. Vielmehr kommt der Vorschlag mit einiger Regelmäßigkeit nach jedem Anschlag von neuem auf die Tagesordnung.

Informationsaustausch auf EU-Ebene

Der letzte Vorschlag schließlich überrascht: Der europaweite Informationsaustausch über Straftäter – nicht über vage Gefährder – soll ausgebaut werden. Auch das könnte eine sinnvolle Idee sein, wobei abzuwarten gilt, ob sie auf europäischer Ebene derzeit umsetzbar ist.

Fazit

Der Maßnahmenkatalog enthält weitgehend das, was man von Innenministern – nicht so sehr hingegen von Justizministern – erwartet. Es hätte wohl, so ehrlich muss man sein, schlimmer kommen können. Überraschend ist allerdings der Fokus auf die elektronische Fußfessel, die offenbar als neues Allheilmittel der inneren Sicherheit gilt. Weitgehend ausgeblieben sind hingegen strukturelle Vorschläge etwa zur Zentralisierung im Sicherheitsbereich, wie sie noch vor einer Weile von Thomas de Maizière geäußert wurden. Was ebenfalls fehlt und vor derartigen Vorstößen stehen sollte: Eine Analyse, inwiefern geltendes Recht ausreichend wäre, aber nicht angemessen angewandt wurde. Stattdessen folgt man der Devise „Im Zweifel für eine neue Regelung.“

Abschiebehaft, Anschlag Berlin, Ausreisegewahrsam, Fußfessel, Gefährder, innere Sicherheit, Residenzpflicht, Terrorismus, Timo Schwander
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Oliver Daum
    29. Januar 2017 15:46

    Moin Timo,

    vielen Dank für Deinen aufschlussreichen Beitrag.

    Du zeichnest ein überwiegend negatives Bild vom Maßnahmenkatalog des Bundesinnenministers. Das scheint so gewollt zu sein. Vielleicht könntest Du dennoch einmal näher erläutern, welche zwei Maßnahmen gute Ideen enthalten und warum.

    Was den Nutzen der Fußfessel angeht, so bin ich mir auch nicht ganz sicher. Ich habe nur eine gewisse Vorstellung, die keinesfalls richtig sein muss:

    M.E. nach enthält die Fußfessel präventive wie repressive Elemente. Was die repressiven Elemente angeht, so ist einleuchtend, dass die Fußfessel eine weitere Möglichkeit bildet, im Nachhinein einer Straftat den Aufenthaltsort des Trägers zu bestimmen. Im Strafprozess könnte dies zur Überzeugungsbildung des Richters führen.

    Allerdings wird eine Fußfessel wohl kaum einen Terroranschlag verhindern. Deshalb die präventive Wirkung gänzlich zu verneinen, halte ich für zu pauschal. Zu fordern, dass eine sicherheitsrechtliche Maßnahme einen Terroranschlag wie dem auf dem Breitscheidplatz zu verhindern hätte, um (verfassungs-)recht- und zweckmäßig zu sein, halte ich nicht für einen legitimen Zweck. Hier gilt wiederum der etwas abgedroschene Satz, dass es keine 100 prozentige Sicherheit gibt.

    Ich bin der Meinung, dass eine Fußfessel durchaus geeignet ist, spezialpräventive Wirkungen zu entfalten, wenn es sich nicht gerade um einen Selbstmordattentäter handelt, dem die Auswirkungen seines Handelns ohnehin völlig egal sind. Zuzugeben ist, dass diese Wirkungen auch von geringer Bedeutung sein können. Ich denke aber schon, dass die Vorstellung, durch die Fußfessel in gewisser Form unter Beobachtung zu stehen, beim Träger dazu führt, gewisse Orte (und damit Gruppierungen) nicht mehr aufzusuchen.

    Hieran anschließend kann man die Fußfessel in Hinblick auf verurteile Extremisten auch als eine Form der Strafe betrachten. Strafe beinhaltet auch stets spezialpräventive Erwägungen. Dies ist zumindest die Vorstellung, die dem Zweck der Strafe unterliegen soll. Wer dies – zu Recht – bezweifelt, der muss sich allerdings auch mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern das Strafrecht durch seine abschreckende Wirkung geeignet ist, zukünftige Straftaten zu verhindern.

    Beste Grüße aus Kiel

    Oliver

    Antworten
  • Hi Timo,
    zwei Anmerkungen zu deinem Beitrag:
    1. § 12a AufenthG beinhaltet eine Wohnsitzauflage und keine Residenzpflicht. Eine Residenzpflicht für alle anerkannten Flüchtlinge wäre auch eindeutig verfassungs- und europarechtswidrig. (Auch die Wohnsitzauflage ist das, aber das ist umstritten)
    2. Die Weigerung der Herkunftsstaaten ihre Staatsangehörigen einreisen zu lassen ist menschenrechtswidrig. Das dürfte aber nicht für den Fall von Abschiebungen gelten. In dem Fall will der Ausepflichtige ja gar nicht von seinem Menschenrecht auf Einreise in den Herkunftsstaaat Gebrauch machen. Ob es eine anderweitige völkerrechtliche Pflicht zur Rücknahme gilt, sei dahingestellt.
    Ansonsten ein sehr schöner Beitrag!

    Antworten
  • Timo Schwander
    30. Januar 2017 16:28

    Hallo Oliver,

    vielen Dank für die ausführlichen Anmerkungen und Gedanken. Die zwei Maßnahmen, die ich meinte, sind Nummer 7 (Präventionsmaßnahmen) und 10 (Informationsaustausch). Du hast sicherlich Recht damit, dass die elektronische Fußfessel sowohl präventive als auch repressive Aspekte hat: in präventiver Hinsicht die Warnung „X nähert sich Ort Y“, in repressiver Hinsicht die Erkenntnis „X war am Ort Y“. Der Nutzen des ersten Aspekts ist aber m.E. bei terroristischen Anschlägen zweifelhaft, weil es dort „Ort Y“ nicht gibt. Ziel eines Anschlags kann jeder beliebige Ort sein, an dem sich Menschen aufhalten. Die Warnfunktion ist also eher zweifelhaft – es sei denn, es steht fest, dass nur ein bestimmter Ort Ziel eines Anschlags sein soll. Nur: Wenn man behördenseits weiß, von wem an welchem Ort ein Anschlag begangen werden soll, braucht man auch keine Fußfessel mehr.
    Was die „täterseitige“ Prävention betrifft, also den Gedanken, ihn durch die Fußfessel von Taten abzuhalten, so bin ich da im Bereich des Terrorismus eher skeptisch. Interessant könnte es allenfalls im Vorbereitungsspektrum sein, weil der „Gefährder“ geneigt sein könnte, bestimmte Orte nicht mehr aufzusuchen, um seine Kontaktpersonen dort nicht in Gefahr zu bringen.
    Ist es relevant, ob die Maßnahme einen vergleichbaren Anschlag verhindert hätte? Ich denke, zumindest muss es darauf ankommen, ob er durch sie deutlich erschwert worden wäre. 100%ige Sicherheit kann man nicht verlangen, aber: Der komplette Maßnahmenkatalog läuft ja unter dem Vorspruch „Was wir aber tun müssen in unserer Verantwortung, ist alles in die Wege zu leiten, damit sich ein Fall Amri in Deutschland nicht wiederholt.“ Ich denke, da liegt es schon nahe, zu prüfen, ob der Katalog dieses Versprechen denn einlöst.

    Viele Grüße aus Münster
    Timo

    Antworten
  • Oliver Daum
    31. Januar 2017 08:15

    Moin Timo,

    danke für Deine Antwort.

    Du nimmst die Herren Minister sehr bei ihrem Wort. Ich denke, dass der Zweck des Maßnahmenkatalogs, zukünftig vergleichbare Terroranschläge wie in Berlin zu verhindern, eher aus politischen Gründen gewählt wurde. Es geht selbstverständlich auch darum, der Bevölkerung neue Gesetze zu präsentieren und schmackhaft zu machen.

    Ich würde nicht so weit gehen und diesen Zweck als Richtschnur einer juristischen Überprüfung des Maßnahmenkatalogs heranzuziehen.

    Beste Grüße aus Kiel

    Oliver

    Antworten

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