Von LENNART LAUDE
Die Länder setzen für die Regulierung von Medienintermediären im neuen Medienstaatsvertrag auf ein zweistufiges Regulierungsmodell mit Transparenzvorgaben und einem darauf aufbauenden Diskriminierungsverbot in §§ 93, 94 MStV. Eine Analyse der Normen zeigt einen weitreichenden Konkretisierungsbedarf, womit den Landesmedienanstalten eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der neuen Medienordnung zugewiesen wird.
Intransparente Transparenzpflichten
Die Länder machen im neuen MStV Transparenzpflichten zur Basis ihrer Regulierung von Medienintermediären, auf denen auch das ebenfalls neu normierte Diskriminierungsverbot aufbaut. Transparenzvorgaben für Medienintermediäre stellen angesichts der kaum nachvollziehbaren algorithmenbasierten Entscheidungsfindung gerade in sozialen Netzwerken ein wichtiges und sinnvolles Instrument der zukünftigen Medienordnung dar. Indes erzeugt die konkrete Ausgestaltung der Transparenzpflicht des § 93 MStV (zu) viele offene Fragen für die Rechtsanwendung. Die sprachlich den Impressumspflichten in TMG und RStV nachgebaute Regelung wirkt insgesamt unbestimmt. Unklar ist insbesondere, mit welcher Detaildichte und in welcher Form die „Kriterien“ bzw. „zentralen Kriterien“ für den Zugang bzw. die Aggregation und Selektion von Inhalten durch den Medienintermediär darzustellen sind. Die Begründung nennt beispielhaft den Standort oder die Sprache eines Nutzers. In diesem Sinne erlaubt Facebook Nutzern bereits, über das Drop-Down-Menü eines Beitrags eher stichpunktartig gehaltene Informationen darüber zu erhalten, welche Kriterien dessen Position im Feed beeinflusst haben. Eine nur durch einen entsprechenden Klick aufrufbare, zudem auf wenige Kriterien begrenzte Information in dieser Form scheint kaum geeignet, die Mechanismen hinter den Angeboten von Medienintermediären für den Nutzer transparenter zu machen. Sinnvoller wäre es, durch den Medienintermediär sortierten und selektierten Inhalten insgesamt verpflichtend einen Hinweis auf die (algorithmische) Funktionsweise voranzustellen; dieser wäre dann etwa dauerhaft oberhalb eines Newsfeeds platziert.
In diesem Zusammenhang ist bedauerlich, dass die Transparenzpflichten des MStV ausschließlich auf das Verhältnis Betreiber – Nutzer abzuzielen scheinen. Hier darf bezweifelt werden, ob die Nutzer die richtigen Empfänger der von Medienintermediären bereitgestellten Informationen sind. Perspektivisch wäre es sinnvoll, Transparenzpflichten im Verhältnis zu den Landesmedienanstalten als zuständige Aufsichtsbehörden zu schaffen und mit einem erweiterten Umfang zu versehen. Ein derartiges gestuftes Konzept kann einerseits Nutzern die Grundlagen der Entscheidungen von Medienintermediären verständlich machen, während andererseits gegenüber dem Staat zusätzliche Kriterien offengelegt werden müssen. So könnten die Landesmedienanstalten perspektivisch ihre Expertise für eine zielführende Regulierung von Medienintermediären aufbauen und erhöhen.
Streitpunkt Social Bots
Ein mehr als beachtenswerter Bestandteil des neuen MStV ist in der Transparenzvorgabe des § 18 Abs. 3 in Verbindung mit § 93 Abs. 4 MStV versteckt: Anbieter von Telemedien, die soziale Netzwerke anbieten, müssen „mittels eines Computerprogramms automatisiert erstellte Inhalte oder Mitteilungen“ kenntlich machen, „sofern das hierfür verwandte Nutzerkonto seinem äußeren Erscheinungsbild nach für die Nutzung durch natürliche Personen bereitgestellt wurde.“ Mit den Regelungen zielen die Länder auf sog. Social Bots, automatisierte Accounts, deren Einsatz etwa im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 und im Russland-Ukraine Konflikt beobachtet wurde. Durch die Kennzeichnungspflicht wird erstmals das Feld der automatisierten Meinungsbeeinflussung reguliert. Dies ist insofern beachtlich, als sich unter Wissenschaftsjournalisten Zweifel an der Validität der Forschung bezüglich Social Bots mehren und deren Existenz schon im Bereich der Falschmeldungen verortet wurde. Demgegenüber bestätigte etwa Twitter selbst noch in diesem Jahr die (fortwährende) Existenz automatisierter Accounts innerhalb des Netzwerks, bezeichnete aber zugleich die existierenden Methoden zu deren Erkennung als ungenügend und fehlerhaft. Somit begeben die Landesgesetzgeber sich erkennbar in den Bereich wissenschaftlicher Ungewissheit. Eine präventive Regulierung unter diesen Bedingungen im Sinne einer Risikovorsorge (vgl. ebd., S. 18) scheint dennoch möglich, wenn damit der Schutz des verfassungsrechtlich unterfangenen Ziels der Meinungsvielfalt verfolgt wird. Im vorliegenden Fall ist die Regelung für Social Bots als vorausschauend zu begrüßen, wenn man sich die stetige Entwicklung auf dem Gebiet künstlicher Intelligenz und mithin das möglicherweise künftig entstehende Potenzial ihres Einsatzes zur Meinungsbeeinflussung vor Augen führt.
Leider orientieren sich die Landesgesetzgeber bei der rechtlichen Ausgestaltung an dem (aus TMG und RStV) bekannten Muster einer Kennzeichnungspflicht, die den Anbieter von Telemedien trifft. Die Begründung zu § 93 Abs. 4 MStV stellt klar, dass die konkreten Pflichten der Medienintermediäre, die für die Kennzeichnung „Sorge tragen“, bewusst nicht festgelegt werden. Somit werden gerade nicht die Medienintermediäre zur Kennzeichnung automatisierter Accounts verpflichtet. Indes sind vor allem die Betreiber sozialer Netzwerke durch die ihnen zukommende Kontrolle über die technischen Bedingungen und den Zugang zu ihren Netzwerken in der Lage, eine Kennzeichnungspflicht umzusetzen. Sie verfügen über alle in ihrem jeweiligen Netzwerk erzeugten Daten und können über die Zugriffsmöglichkeiten Dritter auf diese Daten, etwa über die APIs, entscheiden. Langfristig wäre daher zumindest eine Präzisierung, eher aber eine Erweiterung des offenen Begriffs „Sorge tragen“ wünschenswert.
Große Verantwortung der Landesmedienanstalten
Diese offene Formulierung steht exemplarisch für die Vielzahl offen gestalteter Vorschriften im MStV, welche die fehlenden Erfahrungswerte der Länder bei der Regulierung von Medienintermediären, für die es auch international keine Vorbilder gibt, deutlich machen. Die Länder wollen zwar ein deutliches Zeichen in Richtung großer Internetunternehmen setzen, ob großer Unsicherheiten den Landesmedienanstalten zugleich aber Raum bei der Rechtsanwendung belassen. Dies zeigt am deutlichsten die Satzungsermächtigung in § 96 MStV, nach der die Landesmedienanstalten durch gemeinsame Satzungen und Richtlinien „Einzelheiten zur Konkretisierung der sie betreffenden Bestimmungen“ zu Medienintermediären regeln. Bedenkt man die sehr offenen Formulierungen des Transparenzgebots und des Diskriminierungsverbots in §§ 93, 94 MStV, entscheiden die Landesmedienanstalten künftig ganz erheblich über die Reichweite der Medienintermediäre treffenden Pflichten mit. So werden für die Handhabung des Diskriminierungsverbots des § 94 MStV Richtlinien für die Interpretation der Transparenzkriterien von Medienintermediären und die Identifikation „systematischer“ Verstöße notwendig sein. Führt man sich vor Augen, dass § 94 Abs. 3 MStV den Landesmedienanstalten zugleich das Recht zur Verfolgung von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot (in offensichtlichen Fällen) überträgt, entscheiden diese faktisch fast vollständig über Anwendungsbereich und Durchsetzung des Verbots. Diese sehr weitgehende Satzungsermächtigung der Landesmedienanstalten scheint ob der bestehenden (wissenschaftlichen) Ungewissheiten aktuell fast alternativlos; ob der Dynamik des regulierten Bereichs und der staatsfernen Organisation der Landesmedienanstalten bewegt sich der ihnen zugewiesene Konkretisierungsspielraum wohl auch im Rahmen des Vorbehaltes des Gesetzes.
Ausblick
Die Landesgesetzgeber haben mit dem neuen Medienstaatsvertrag nicht nur ob des neuen Namens einen großen Schritt hin zu einem moderneren Rechtsrahmen für Mediendienste getan. Der ausdifferenzierte Rechtsrahmen für besondere Telemedien ermöglicht eine feinere Regulierung unter Berücksichtigung der Besonderheiten neuer Medienformen. Ob der bestehenden wissenschaftlichen und tatsächlichen Unsicherheiten haben die Länder bei Ausgestaltung der Vorschriften oftmals auf bekannte Muster zurückgegriffen, deren Tauglichkeit für das neue Regulierungsfeld sich noch zeigen muss. Zugleich haben die Länder mit dem MStV den Ball an die Landesmedienanstalten weitergespielt, die dabei keineswegs einschussbereit vor dem Tor stehen. Ihre Aufgabe wird es sein, die neuen Vorgaben durch umfassende Konkretisierung handhabbar zu machen und anschließend ihre Einhaltung zu überwachen. Bei der künftigen Ausgestaltung der Medienordnung, welche entscheidend durch den auf Unionsebene geplanten Digital Services Act geprägt werden wird, wird es insoweit darauf ankommen, den Landesmedienanstalten die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen und Ressourcen zu schaffen, die ihnen eine Erfüllung ihrer Mammutaufgabe ermöglicht.
Zitiervorschlag: Lennart Laude, Aus Rundfunk- wird Medienstaatsvertrag – neuer Anstrich für neuen Durchgriff gegen Medienintermediäre?, (Teil II), JuWissBlog Nr. 127/2020 v. 02.11.2020, https://www.juwiss.de/127-2020/.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.