von RALPH JANIK
Die Präsidentschaft von Donald Trump markiert das (zumindest vorläufige) Ende der liberalen Weltordnung. Die Dominanz von Geo- und Realpolitik bedeutet auch eine Rückkehr des klassischen souveränitätsbezogenen Völkerrechts.
Die Wurzeln des modernen Völkerrechts
Unter dem klassischem Völkerrecht versteht man das nach dem Westfälischen Frieden 1648 entstandene (Staaten-)System, das im Zuge einer Reihe markanter historischer Eckpfeile weiterentwickelt wurde: Darunter fallen der Vertrag von Utrecht 1731 und das Prinzip des Mächtegleichgewichts, der Wiener Kongress 1814/1815 mitsamt dem Kongresssystem und der Heiligen Allianz, die zunehmende Formalisierung des Völkerrechts als eigenständige, über reine Diplomatie hinausgehende Disziplin, die Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 und letzten Endes die Schaffung des Völkerbunds und der Vereinten Nationen.
Die souveräne Gleichheit und das lange 19. Jahrhundert
Zentral ist dabei der Grundsatz der souveränen Gleichheit. Staaten genießen die gleichen Rechte und Pflichten: So wie ein Riese genauso ein Mensch ist wie ein Zwerg, ist ein kleiner Staat nicht weniger ein Souverän wie großer – lesen wir bei Emer de Vattel. Dementsprechend gilt in der UN-Generalversammlung und vielen anderen internationalen Organisationen das Prinzip „one state, one vote.“
Freilich handelt es sich bei der souveränen Gleichheit über weite Strecken um eine Fiktion. Zum einen unterschied das Völkerrecht lange Zeit zwischen zivilisierten, semi-zivilisierten und unzivilisierten Nationen, Völkern und Staaten. Volle Souveränität sollten nur erstere genießen, ursprünglich die europäischen Staaten und – nach Erlangung ihrer Unabhängigkeit – die USA.
Erst nach den beiden Weltkriegen ließ sich der westliche Anspruch auf zivilisatorische Überlegenheit nicht mehr aufrechterhalten. Wenn internationale Dokumente wie etwa das Statut des Internationalen Gerichtshofs (Artikel 38) von den „civilized nations“ sprechen, sind damit alle UN-Mitglieder gemeint.
Zum anderen sind Staaten faktisch nun einmal nicht gleich, sondern von unterschiedlicher Größe oder wirtschaftlicher und militärischer Stärke. Daher gilt es, juristische nicht mit politischer Gleichheit gleichzusetzen. Die Großmächte zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Oppenheim nennt in seinem „International Law“ von 1912 Großbritannien, Österreich-Ungarn, Frankreich, Deutschland, Italien, Russland, die USA und Japan) spielten dementsprechend eine tragende Rolle als „die Anführer der Family of Nations und jeglicher Fortschritt im Law of Nations ist das Ergebnis ihrer politischen Hegemonie.“ Im Gegensatz zu damals hat diese Sonderstellung angesichts des Veto-Rechts der ständigen Sicherheitsratsmitglieder oder der Stimmgewichtung in den großen internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank und IWF) übrigens auch eine juristische Grundlage.
Die liberale Weltordnung
Der Zerfall der Sowjetunion brachte auch maßgebliche völkerrechtliche Veränderungen. Die USA waren in diesem „Unipolar Moment“ (Charles Krauthammer) als Hegemon verblieben. In der Staatstheorie hatte die Demokratie den Wettstreit politischer Ideen gewonnen, Regierungen sollten fortan verstärkt anhand ihrer Legitimität gemessen werden und weniger danach, ob sie die effektive Kontrolle über den Staatsapparat innehaben. Im Einzelfall behielten sich die NATO-Mitglieder das Recht vor, im Falle grober Menschenrechtsverletzungen innerhalb von Staaten zu intervenieren – notfalls auch ohne Mandat des Sicherheitsrats (der Gedanke der „humanitären Intervention“). Nach der Kosovo-Intervention wurde Souveränität endgültig und einmal mehr an die Verantwortung gegenüber der jeweiligen Bevölkerung geknüpft (die „Responsibility to Protect“). Auf wirtschaftlicher Ebene erfolgte neben der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union die Gründung der Welthandelsorganisation WTO, mit der ihre Mitglieder auf „einen wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie auf die Beseitigung der Diskriminierung in den internationalen Handelsbeziehungen abzielen“ und „ein integriertes, funktionsfähigeres und dauerhafteres multilaterales Handelssystem“ etablieren wollten (siehe dazu die WTO-Präambel). Auf militärischer und geopolitischer Ebene kam es zur bis heute umstrittenen NATO-Osterweiterung.
China und Russland
Die Vorstellung einer liberalen Weltordnung unter Führung der USA und das mit ihr verbundene Völkerrecht sollten jedoch bald Risse zeigen. Der islamistische und unmittelbar auf die Zivilbevölkerung abzielende (und sich insofern von älteren Erscheinungsformen wie der RAF unterscheidende) Terrorismus brachte ein neues Bedrohungsszenario (David C. Rapoport spricht von der „vierten Welle“ des modernen Terrorismus). Der im Windschatten von 9/11 beschlossene US-Angriff auf den Irak 2003 wurde auch von westlichen (NATO-)Staaten, allen voran Frankreich und Deutschland, zurückgewiesen. Zeitgleich wurde das Weltwirtschaftssystem von der Währungs-, Finanz- und Staatsschuldenkrise hart getroffen. Vor allem die EU hat sich bis heute nicht erholt und steht vor einer Vielzahl ungelöster Probleme, allen voran die Eurorettung und die Flüchtlingskrise.
Parallel dazu erfolgten der immer weiter voranschreitende wirtschaftliche und auch militärische Aufstieg Chinas (das 2001 der WTO beitrat) und die Re-Konsolidierung Russlands, das nach dem Georgienkrieg 2008 seine Armee wieder auf Vordermann brachte.
Sowohl China als auch Russland haben vertreten das klassische Völkerrechtsverständnis. Dazu gehört der Gedanke der Großmächte ebenso wie die souveräne Gleichheit aller Staaten unabhängig von ihrem jeweiligen politischen System wie wir sie in der Friendly Relations Declaration der Generalversammlung von 1970 oder im 1986 gefällten Nicaragua-Urteil des Internationalen Gerichtshofs finden: Homogenität im Inneren und Heterogenität hinsichtlich der unterschiedlichen Staatensysteme. Dabei betonen sie auch die Rolle des Staates als Garant von Stabilität und eine strenge Auffassung des insbesondere im 19. Jahrhundert ausformulierten Prinzips der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten – was sich insbesondere gegen das Konzept der „humanitären Intervention“ richtet, das sie gemeinsam mit einer Vielzahl anderer Staaten als rhetorischen Deckmantel für imperialistische Bestrebungen sehen (siehe dazu die Erklärung des South Summit der Group of 77 + China). Dabei sollte freilich nicht unerwähnt bleiben, dass sowohl China als auch Russland die Souveränität anderer Staaten freilich nur dann hochhalten, wenn sie in keinem Widerspruch zu den eigenen (geostrategischen)Interessen steht. Auch die Menschenrechte genießen im eigenen Land oder beim Umgang mit anderen Staaten nicht unbedingt allzu viel Bedeutung (ein Vorwurf, den beide Staaten routinemäßig mit Hinweisen auf die Verfehlungen des Westens zurückweisen).
Geo- und Realpolitik
Barack Obama fuhr bereits einen weitaus weniger interventionistischen Kurs als sein Vorgänger George Bush. Seinem Credo „don’t do stupid shit“ entsprechend war er darum bemüht, keine zusätzlichen Fehler zu begehen. Militärisch hatte er Afghanistan und den Irak übernommen, statt neuer Kriege (mit der großen Ausnahme der Libyen-Intervention, bei der er Bodentruppen oder eine Okkupation allerdings von Anfang an ausgeschlossen hatte) sollten weniger intensive Eingriffe folgen: Drohneneinsätze und die Unterstützung bewaffneter Gruppen im Kampf gegen unliebsame Diktatoren.
Wenn die USA unter Donald Trump wie angekündigt einen verstärkt-isolationistischen Kurs fahren sollten, befinden wir uns wieder in der Zeit des Mächtegleichgewichts. Die USA könnten zwar weiterhin die Führungsrolle übernehmen, wollen aber nicht.
Freilich bestehen zwei Konfliktfelder, die gegen die Charakterisierung von Donald Trump als Nicht-Interventionisten sprechen (an der Weigerung, als globale Ordnungsmacht aufzutreten, ändern jedoch beide nichts). Erstens der angekündigte weltweite Kampf gegen den Terrorismus und die Frage, wie die USA sich gegenüber Staaten wie dem Iran verhalten werden. Zweitens könnte es durch die Konfrontation mit China könnte es langfristig außerdem zu einer Neuauflage des Kalten Krieges kommen (der von Donald Trump bestellte Direktor des neu geschaffenen „National Trade Council“ Peter Navarro hat sich in seinem Buch „Crouching Tiger“ intensiv mit der Möglichkeit eines militärischen Konfrontation mit China befasst), auch Russland ist wenig gewillt seine geopolitische Stellung aufzugeben. Europa beziehungsweise die Europäische Union gerät dabei ins Hintertreffen und muss sich mit dem Status einer Regionalmacht begnügen. Aufgrund der verteidigungs- und sicherheitspolitischen Abhängigkeit von den USA war und ist die Verunsicherung anlässlich der Aussagen Trumps zur NATO entsprechend groß.
Zumindest vorläufig stößt das Völkerrechtsverständnis der 1990er Jahre damit an seine Grenzen. Das Denken vom „Recht auf Demokratie“ und die Förderung der Menschenrechte werden immer stärker von geo- und realpolitischen Überlegungen verdrängt. Damit kehrt auch das klassische, souveränitätsbezogene Völkerrecht des 19. Jahrhunderts und der Zeit des Kalten Krieges zurück. Streng genommen war es freilich nie ganz weg.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Guten Tag Herr Janik,
mir ist nicht ganz klar, was Sie unter einer „liberalen Weltordnung“ verstehen. Das was Sie im Unterabschnitt „Die Liberale Weltordnung“ geschrieben haben kling für mich überhaupt nicht liberal.
Dementsprechend frage ich mich auch, was verloren geht oder „wieder zurück“ sein soll.
Viele Grüße
Dabei muss man natürlich bedenken, dass das englische „liberal“ bzw. der „liberal Internionalism“ sich nicht mit dem deutschen Begriff des Liberalismus deckt.