Der überfällige Mutterschutz bei Fehlgeburten kommt! Zu einem guten Reformaufschlag und seinen Einschränkungen

von OLE LUEG

§ 3 Abs. 2 S. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) sieht vor, dass der Arbeitgeber eine Frau bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigen darf. Eine mindestens zweiwöchige Schutzfrist ist für die Mutter auch in dem Fall vorgesehen, dass das Kind tot geboren wird (§ 3 Abs. 4 S. 1 MuSchG). Nach geltendem Recht besteht eine Schutzlücke allerdings bei Fehlgeburten. Die Frau, die eine Fehlgeburt erlitten hat, ist regelmäßig auf eine Krankschreibung durch den Arzt angewiesen, da das MuSchG für sie keine Schutzfristen vorsieht. Bereits der Koalitionsvertrag der „Ampel-Regierung“ (S. 79) strebte an, der unzulänglichen Situation des geltenden Rechts zu begegnen. Am 30.1.2025 hat der Deutsche Bundestag nunmehr ein „Mutterschutzanpassungsgesetz“ beschlossen, durch das gestaffelte Mutterschutzfristen eingeführt werden sollen, wenn es zu einer Fehlgeburt nach der 13. Schwangerschaftswoche kommt. Die Regelungen des Gesetzes, das am 1.6.2025 in Kraft treten soll, sind im Ausgangspunkt zu begrüßen. Sie sollten allerdings auch einen Schutz der Mutter bei einer Fehlgeburt vor der 13. Schwangerschaftswoche vorsehen.

Fehlgeburten nach der Rspr. des BAG nicht vom „Entbindungs-“Begriff erfasst

Der „Entbindungs-“Begriff in § 3 MuSchG wird in den Gesetzgebungsmaterialien und dem Gesetzestext nicht näher konkretisiert. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) versteht unter „Entbindung“ grundsätzlich die „Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib“, was zunächst Lebendgeburten erfasst (BAG, Urt. v. 12.12.2013 – Az. 8 AZR 838/12, NJW 2014, 2061, 2063). Eine Totgeburt ist nach der Auffassung des BAG als „Entbindung“ anzusehen, wenn sich das Kind in einem Entwicklungsstadium befand, in dem es jedenfalls kurz eigenständig überleben konnte, was allgemein ab einem Geburtsgewicht von mindestens 500 Gramm angenommen werden könne (s. schon BAG, Urt. v. 15.12.2005 – Az. 2 AzR 462/04, NZA 2006, 994, 996 mit Verweis auf § 31 Abs. 2 der Personenstandsverordnung (PStV)). Ausgehend von diesem Definitionsansatz handelt es sich – in Abgrenzung zur „Entbindung“ – um eine Fehlgeburt bei einer tot geborenen Leibesfrucht mit einem Körpergewicht unter 500 Gramm (vgl. § 31 Abs. 3 PStV). Für den Fall einer solchen Fehlgeburt sieht das MuSchG bislang nur in § 17 einen bestimmten Kündigungsschutz vor.

Die Aufforderung des Bundesrates an die Bundesregierung und der Beschluss des BVerfG vom 21.8.2024

Der Bundesrat hat am 5.7.2024 eine Aufforderung an die Bundesregierung beschlossen, auch „für Betroffene von Fehlgeburten Schutzfristen im Sinne des Mutterschutzgesetzes einzuführen“ (BR-Drs. 289/24). Die Mutterschutzdauer solle gestaffelt werden und bereits „deutlich vor der 20. Schwangerschaftswoche beginnen“. Begründet wurde dies mit einer starken physischen und psychischen Belastung auch im Falle einer Fehlgeburt.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 21.8.2024 eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen § 3 Abs. 2 bis 4 MuSchG richtete, wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschl. v. 21.8.2024 – Az. 1 BvR 2106/22, NJW 2024, 3774; s. dazu auch Nicole Friedlein im Verfassungsblog). Die Beschwerdeführerinnen, vier angestellte bzw. verbeamtete Frauen, die jeweils zwischen der 12. und der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erlitten haben, rügten, die Schutzfristregelungen im MuSchG seien nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das BVerfG betonte allerdings, den Beschwerdeführerinnen sei die Inanspruchnahme einfachgerichtlichen Rechtsschutzes zumutbar gewesen. Das ergebe sich besonders daraus, dass der Begriff der „Entbindung“ durch den Gesetzgeber nicht näher bestimmt wurde. Ein Abstellen auf die Wertungen der PStV, wie durch das BAG erfolgt, sei mithin nicht obligatorisch. Das gelte gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber selbst die Rechtsprechung des BAG „aus medizinischer Sicht und nach der Intention des Mutterschutzgesetzes für nicht sachgerecht erachtet“ habe (vgl. dazu BT-Drs. 18/8963, S. 87 f.). Nicht hinreichend substantiiert sei insofern dargelegt worden, dass die Gerichte stets weiterhin an ihrer bisherigen Auslegung des „Entbindungs-“Begriffs festhalten würden. 

Verabschiedung eines Gesetzes zu erweiterten Schutzfristen nach einer Fehlgeburt durch den Bundestag

Um der geltenden Rechtsunklarheit künftig von vornherein zu begegnen, hat der Bundestag am 30.1.2025 einstimmig den Antrag der CDU/CSU-Fraktion (BT-Drs. 20/14231) beschlossen, gestaffelte Mutterschutzfristen nach einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche einzuführen. Vergleichbar mit den Erwägungen des Gesetzgebers bei der Reform des Mutterschutzrechts im Jahre 2016 (BT-Drs. 18/8963, S. 87 f.), betont der Antrag, es sei „nicht sachgerecht“, den Entbindungsbegriff an personenstandsrechtliche Regelungen zu koppeln und nach einer Fehlgeburt aktiv die Krankschreibung eines Arztes einholen zu müssen, die „in vielen Fällen der konkreten physischen und körperlichen Belastungssituation“ (S. 2) nicht gerecht werde. Etabliert werden soll daher eine „klare Definition des Begriffs ‚Entbindung‘“ in einem § 2 Abs. 6 MuSchG n. F. Entbindung ist danach „eine Lebend- oder eine Totgeburt“, wobei die „Regelungen zur Entbindung [grundsätzlich] im Falle einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche entsprechende Anwendung“ finden.

Das Beschäftigungsverbot für die Frau, welche eine Fehlgeburt erlitten hat, soll in einem § 3 Abs. 5 MuSchG n. F. aufgenommen werden. Verboten ist die Beschäftigung bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche für zwei Wochen, bei einer Fehlgeburt ab der 17. Schwangerschaftswoche für sechs Wochen und ab der 20. Schwangerschaftswoche für acht Wochen. An die 13. Schwangerschaftswoche als „Untergrenze“ für einen Schutz wird angeknüpft, da ab diesem Zeitpunkt die „Schwangerschaft […] aus psychologischer Sicht als ‚sicher‘ bewertet wird und sich die Bindung der Mutter zu ihrem ungeborenen Kind ab diesem Zeitraum besonders intensiviert“ (S. 9; vgl. auch BT-Drs. 18/8963, S. 87 f.).

Regelung für Fehlgeburten vor der 13. Schwangerschaftswoche sinnvoll

Die Etablierung eines Mutterschutzes ab der 13. Schwangerschaftswoche ist zwar grundsätzlich sehr zu begrüßen und als guter Reformaufschlag des Gesetzgebers auf den letzten Metern der Legislaturperiode zu bewerten. Allerdings bleibt die Frau, welche eine Fehlgeburt erleidet, nach dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor der 13. Schwangerschaftswoche weiterhin auf eine Krankschreibung durch den Arzt oder die Inanspruchnahme von Erholungsurlaub angewiesen. Das geht allerdings an der Lebenssituation vieler Frauen vorbei. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages weist darauf hin, dass ca. 25% aller Schwangerschaften in den ersten 12 Schwangerschaftswochen mit einer Fehlgeburt enden (S. 3; s. auch BR Drs. 289/24, S. 1). Auch diesen Fällen sollte das Mutterschutzrecht begegnen: Bereits vor der 13. Schwangerschaftswoche kann der Verlust des Kindes infolge einer Fehlgeburt nämlich mit bedeutenden psychischen Folgen für die Mutter einhergehen. Denkbar ist an der Stelle, die pauschale Staffelung bereits ab der Zeugung anzusetzen. Vorgesehen werden könnte auch eine einzelfallbezogene Prüfung bei Fehlgeburten vor der 13. Schwangerschaftswoche. Wünschenswert wäre, einen vergleichbaren Regelungsansatz zeitnah in den angepassten § 3 MuSchG aufzunehmen.

Zitiervorschlag: Lueg, Ole, Der überfällige Mutterschutz bei Fehlgeburten kommt! Zu einem guten Reformaufschlag und seinen Einschränkungen, JuWissBlog Nr. 20/2025 v. 26.02.2025, https://www.juwiss.de/20-2025/

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