Regional gebundene Bezahlkarten im Spannungsverhältnis zur Freizügigkeit

von FABIO KNIPPER

Die politische Debatte über die Bezahlkarte für Asylbewerber gewinnt zunehmend an Fahrt. Besonders die Ankündigung von Markus Söder, die Bezahlkarte „schneller und härter“ einführen zu wollen, sorgte jüngst für Aufsehen. Die in Bayern geplante regionale Bindung der Bezahlkarte wirft dabei verfassungsrechtliche Bedenken auf: Haben Asylbewerber nicht auch ein Recht auf Freizügigkeit? Und wenn ja, ist ein Eingriff in dieses Recht gerechtfertigt?

Konzept der Bezahlkarte

Die im November letzten Jahres beschlossene Bezahlkarte für Asylbewerber ist eine Prepaidkarte ohne Konto, auf die Sozialleistungen geladen werden sollen. Die Bezahlkarte soll keine Möglichkeit zu Überweisungen beinhalten, und zudem soll sie zumindest in Bayern nur in dem Landkreis funktionieren, in dem die Leistung ausgezahlt wird.

Freizügigkeit im Bundesgebiet für Asylbewerber

Das Grundgesetz gewährt in Art. 11 Abs. 1 GG die Freizügigkeit im Bundesgebiet. Asylbewerber können sich jedoch nicht auf Art. 11 Abs. 1 GG berufen, da es sich um ein „Deutschen-Grundrecht“ handelt. Ausländer haben dennoch ein Recht auf Bewegungsfreiheit im Bundesgebiet, welches sich aus Art. 2 Abs. 1 GG, der allgemeinen Handlungsfreiheit, ergibt. Der Schutz ist jedoch nicht so umfassend wie der des Art. 11 Abs. 1 GG, weil weitreichendere Beschränkungen möglich sind, wie nicht zuletzt §§ 44 ff. AsylG beweisen (vgl. BVerfG, 18.07.1973 – 1 BvR 23/73, 1 BvR 155/73). Zwar enthält Art. 11 Abs. 2 GG einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt, jedoch vermag bei Art. 2 Abs. 1 GG jedes formell und materiell verfassungskonforme Gesetz einen Eingriff zu rechtfertigen. Problematisch erscheint die Verhältnismäßigkeit.

Sinn und Zweck der Bezahlkarte

Grundsätzlich ist Sinn und Zweck der Bezahlkarte die Verhinderung des Missbrauchs von Sozialleistungen. Die regionale Bindung der Bezahlkarte verfolgt außerdem den Zweck, die Verwaltungsarbeit zu erleichtern und die regionale Wirtschaft zu fördern. Zudem wird sie als Mittel zur Begrenzung von Migration angesehen. Zuletzt soll die regionale Bindung einen Anreiz zur Integration schaffen. Betroffene sollen motiviert werden, schnell ins Berufsleben einzusteigen, um nicht länger den Beschränkungen der Bezahlkarte zu unterliegen.

Ist die regionale Bindung erforderlich?

Im Rahmen der Erforderlichkeit stellt sich die Frage, ob die mit der regionalen Bindung verfolgten Zwecke auch durch gleich geeignete und gleichzeitig weniger einschneidende Mittel erreicht werden könnten. Denkbar wäre eine Bezahlkarte, welche im ganzen Bundesgebiet oder zumindest in einem Bundesland funktioniert. Fragwürdig erscheint dabei, ob der Zweck der Missbrauchsverhinderung auch bei einem größeren Einzugsbereich gleichwertig erreicht wird, denn ein solcher könnte die Kontrolle erschweren. Festzuhalten ist jedoch, dass es auch bei einer zumindest innerhalb eines Bundeslandes verwendbaren Bezahlkarte möglich sein dürfte, Missbrauch in ähnlichem Ausmaß zu verhindern. Stützen lässt sich dies am Beispiel Bayern darauf, dass der Auftrag für die Bezahlkarte an nur eine Firma vergeben wurde und insofern dafür Sorge getragen werden kann, dass durch einheitliche technische Möglichkeiten im Land die Karte nur an den dafür vorgesehenen Geräten funktioniert. Die Frage der Erforderlichkeit hängt jedoch maßgeblich von den Details der Umsetzung, insbesondere den technischen Voraussetzungen ab und wird sich daher erst nach den bereits angelaufenen Testphasen abschließend beantworten lassen.

Abwägung der widerstreitenden Interessen

Sollte in Anbetracht der konkreten Ausgestaltung die regionale Bindung erforderlich sein, ist die Angemessenheit zu prüfen. Es stellt sich die Frage, ob die verfassungsrechtlich legitimierten Zwecke die Einschränkungen in Bezug auf Art. 2 Abs. 1 GG rechtfertigen können.

Die regionale Wirtschaftsförderung scheint dabei ein zu vernachlässigendes Argument zu sein. Der Anteil an Asylbewerbern ist in den meisten Regionen so gering, dass die Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft kaum merklich sein dürften. Dies belegen folgende Zahlen: Zum 31.12.2022 haben insgesamt 486.125 Menschen Asylbewerberleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen, während die Gesamteinwohnerzahl zu diesem Zeitpunkt bei 84.358.845 Menschen lag, d. h., dass der Anteil der Leistungsbeziehenden im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung bei 0,57 % lag. Selbst wenn regionsabhängig der Anteil der Leistungsbeziehenden über diesem Wert liegt, so wird eine spürbare Auswirkung auf die regionale Wirtschaft höchstwahrscheinlich ausbleiben.

Zudem vermag auch das Argument nicht zu überzeugen, dass durch eine regional begrenzte und somit schärfere Bezahlkarte Migration begrenzt werden kann. In der Migrationsforschung besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass Flüchtende sich nicht aufgrund der für sie günstigsten Sozialleistungen für ein Zielland entscheiden. Flucht wird viel mehr multikausal beschrieben und Sozialleistungen sind nur einer von diversen Faktoren, wobei andere Faktoren als deutlich relevanter angesehen werden (vgl. dazu hier und hier).

Als letztes Argument bleibt die in der Politik oft angeführte integrationsfördernde Wirkung. Diese Argumentation vernachlässigt jedoch, dass es in vielen Fällen nicht an der Arbeitsbereitschaft der Asylsuchenden hängt, sondern viel mehr an bürokratischen Hürden sowie der Sprachbarriere und dem oft nicht möglichen Transfer von im Heimatland erworbenen Humankapital. Vor allem in den ersten drei Jahren des Aufenthalts sind diese Hürden schwer zu überwinden (vgl. dazu hier (S. 7 Abb. T4), wonach der Inaktivitätsstatus von Asylbewerbern nie über 19 % liegt). Weiterhin wird durch die regionale Bindung zwar die Integration in die jeweilige Region gefördert, auf der anderen Seite erschwert sie aber die Teilnahme an überregionalen Veranstaltungen. Gerade in ländlichen Landkreisen, welche gegebenenfalls wenige Veranstaltungen und Beteiligungsmöglichkeiten für Asylbewerber bieten können, könnte eine regional gebundene Bezahlkarte die Integration erheblich erschweren.

Insgesamt wiegen die schutzwürdigen Interessen der Asylbewerber in Anbetracht der genannten Argumente schwerer. Die regionale Bindung der Bezahlkarte erscheint nicht angemessen.

Fazit

Es ist festzuhalten, dass möglicherweise die Erforderlichkeit, aber in jedem Fall die Angemessenheit der regionalen Bindung zu verneinen ist. Neben dem Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG wirft die Bezahlkarte zudem noch weitere verfassungsrechtliche Fragen auf, denn sie könnte gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, weil andere Sozialleistungsempfänger nicht derartigen Beschränkungen unterliegen. Außerdem könnte, wie von Julian Seidel argumentiert sogar das aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG folgende Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum betroffen sein. Der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG scheint meiner Meinung nach dabei derjenige Eingriff zu sein, welcher am leichtesten zu vermeiden wäre, indem man sich von der Idee einer regionalen Bindung trennt. Sollte sich die Bezahlkarte trotz allem in dieser Form durchsetzen, wird sich wohl auch das Bundesverfassungsgericht früher oder später mit deren Verfassungsmäßigkeit auseinandersetzen müssen.

Zitiervorschlag: Knipper, Fabio, Regional gebundene Bezahlkarten im Spannungsverhältnis zur Freizügigkeit , JuWissBlog Nr. 23/2024 v. 03.04.2024, https://www.juwiss.de/23-2024/.

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Bezahlkarte, Freizügigkeit, Migration, Sozialleistungen
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Peter Arlau
    4. April 2024 13:54

    Der Autor zieht das Fazit: „Insgesamt wiegen die schutzwürdigen Interessen der Asylbewerber … schwerer“.
    Dem vorhergehenden Abschnitt fehlt jede ernsthafte Gegenüberstellung von Interessen. Zwar werden die von den Befürwortern der Bezahlkarte ins Feld geführten Argumente genannt, welche Interessen der Asylbewerber diesen Interessen gegenüberstehen könnten, bleibt weitgehend im Dunkeln. Die Teilnahme an überörtlichen Veranstaltungen ist kein dem Verfassungsbürger garantiertes Recht. Wer über keine Mittel zu einer Reise verfügt, der bleibt Zuhause. Dem Asylanten, der zeitweise Schutz vor der Verfolgung seiner Staatsorgane sucht, stehen im Zweifel keine Rechte zu, die über die eines Verfassungsbürgers seines Schutzlandes hinausgehen.
    Ob der Autor sämtliche Argumente der Befürworter der Bezahlkarte aufgeführt hat, steht darüber hinaus zu bezweifeln.
    Weil eine umfassende Gegenüberstellung nicht stattfindet, ist das Fazit wertlos.

    Antworten

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