Von ANDREAS ZÖLLNER und HENDRIK SCHWAGER
Die Weltwirtschaft ächzt unter den Auswirkungen des Coronavirus. Das umfassende Maßnahmenprogramm des Finanz-, des Arbeits- und des Wirtschaftsministeriums und das Pathos von Olaf Scholz sind eine „Kriegserklärung“ gegen SARS-CoV-2. Der Bundesfinanzminister, der selten im Verdacht steht, sich martialischer Rhetorik zu bedienen, möchte mit dem gigantischen Schutzschirm „alle Waffen auf den Tisch“ gepackt wissen, die „Bazooka“ sei geladen mit staatlichen Betriebsmittelkrediten in unbegrenzter Höhe, Bürgschaften, Steuerstundungen. Auch das reformierte Kurzarbeitergeld findet sich im Arsenal der Bundesregierung. Doch taugt die Novelle zur beabsichtigten Sicherung der Lage am Arbeitsmarkt?
Die Coronakrise hat ihr erstes Parlamentsgesetz: In legislativer Überschallgeschwindigkeit verabschiedeten Bundestag und Bundesrat am Freitag (13. März 2020) eine Reform des Dritten Sozialgesetzbuchs (SGB III) und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG), mit denen die Kurzarbeitergeldregelungen optimiert werden sollen.
Was ist Kurzarbeit?
Kurzarbeit ist eine vorübergehende Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit aufgrund eines erheblichen Arbeitsausfalls. Zwar trägt der Arbeitgeber typischerweise das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko. Lohnfortzahlung ohne Gegenleistung kann notleidende Unternehmen jedoch in den Ruin und ihre Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit führen. Um Letztere zu vermeiden, kann der Arbeitgeber unter Umständen Kurzarbeit anordnen. Dann reduziert sich anteilig auch die Vergütung der Arbeitnehmer – es greift der arbeitsrechtliche Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn“. Selbst eine hundertprozentige Suspendierung der gegenseitigen Leistungen („Kurzarbeit Null“) ist möglich.
Mangels gesetzlicher Anordnungsbefugnis brauchen Arbeitgeber eine arbeitsrechtliche Grundlage, etwa aus einem anwendbaren Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einer Kurzarbeitsklausel im Arbeitsvertrag. Ansonsten bedarf es der Zustimmung der Betroffenen.
Kurzarbeitergeld zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit
Führt der Arbeitgeber rechtmäßig Kurzarbeit ein, haben Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen von § 95 SGB III Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Jedoch müssen Arbeitgeber oder Betriebsrat den Arbeitsausfall bei der Bundesagentur für Arbeit anzeigen und anschließend Kurzarbeitergeld beantragen. Liegen alle weiteren betrieblichen und persönlichen Voraussetzungen vor, übernimmt die Arbeitsagentur für die ausgefallene Arbeit Entgeltersatzleistungen zwischen 60 und 67 % (mit Kind) des pauschalierten Nettoarbeitsentgeltes. Anders als beim Arbeitslosengeld, das bereits eingetretene Arbeitslosigkeit voraussetzt, ist das sozio-ökonomische Ziel des Kurzarbeitergeldes gerade die Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Arbeitgeber können dadurch zeitweise nicht benötigte Kräfte und Know-how weiter an sich binden, aber gleichzeitig Personalkosten reduzieren.
Coronavirus als externer Wirtschaftskiller
Kurzarbeitergeld ist aber keine Versicherung gegen betriebliches Missmanagement oder das allgemeine Betriebsrisiko: Der Arbeitsausfall muss gem. § 96 Abs. 1 SGB III entweder auf allgemeinen wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruhen, darf nur vorübergehend und muss unvermeidbar sein. Zudem müssen – nach bisheriger Rechtslage – mindestens ein Drittel der Belegschaft von einem Entgeltausfall von mehr als 10 % ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen sein.
Anwendungsfälle für Kurzarbeit waren bislang außergewöhnliche Witterungsbedingungen, Naturkatastrophen und vor allem konjunkturelle Schwankungen oder Einbrüche: Während der Finanzkrise 2009 etwa waren zeitweise über 1,5 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit.
Durch die Folgen der Coronapandemie liegen nun einerseits „allgemeine wirtschaftliche Gründe“ vor, da der globale Wirtschaftskreislauf massiv gestört ist und wichtige Lieferungen ausbleiben oder Absatzschwierigkeiten bestehen. Gleichermaßen sind Unternehmen mit plötzlich von außen kommenden, von ihnen nicht zu vertretenden, sog. „unabwendbaren Ereignissen“ konfrontiert, wenn etwa aufgrund infektionsschutzrechtlich angeordneter Maßnahmen Betriebe geschlossen oder Großveranstaltungen wie Messen, Fußballspiele oder Konzerte behördlich untersagt werden.
Bleibt Gastronomen, Hoteliers oder Fluggesellschaften die Kundschaft weg, kann diese kollektive Konsumhemmung ein „allgemeiner wirtschaftlicher Grund“ sein oder wegen der Isolationsempfehlungen ein „unabwendbares Ereignis“. In diesen Fällen liegen die Voraussetzungen für Kurzarbeitergeld vor; knapp 26 Milliarden Euro Rücklagen stehen laut Bundesarbeitsminister zur Verfügung.
Was ändert sich?
Um die „Waffe“ Kurzarbeitergeld noch schlagkräftiger zu machen, haben BMAS und Bundesregierung eiligst einen Reformentwurf geschmiedet. Zentrale Neuerung ist § 109 Abs. 5 SGB III n.F. Demnach kann die Bundesregierung im Falle „außergewöhnlicher Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt“ durch Rechtsverordnung von einigen Voraussetzungen des § 96 SGB III abweichen: Erstens kann der Anteil der Beschäftigten, der in einem Betrieb vom Arbeitsausfall betroffen sein muss, von einem Drittel auf bis zu 10 % gesenkt werden. Zweitens darf man Betrieben mit Arbeitszeitkonten ganz oder teilweise die Pflicht erlassen, vor Auszahlung des Kurzarbeitergelds zunächst negative Arbeitszeitsalden anzusammeln. Drittens kann die vollständige oder anteilige staatliche Übernahme der vom Arbeitgeber zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge veranlasst werden. All das entlastet Unternehmen erheblich finanziell und auch bürokratisch.
Veränderungen stehen ferner im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung ins Haus: Der neue § 11a AÜG ermächtigt die Bundesregierung unter denselben Voraussetzungen, durch Verordnung auch Leiharbeitnehmern Kurzarbeitergeld zu zahlen. Grundsätzlich steht Leiharbeitnehmern nämlich gemäß § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG stets auch dann der volle (Annahmeverzugs-)Lohn zu, wenn ihr Arbeitgeber – der Verleiher – ihnen keine Arbeit zuweisen kann. Prima facie ist die neue Regelung also für Leiharbeitnehmer keine Verbesserung. Allerdings dürfte in allgemeinen Krisenzeiten des Arbeitsmarkts – und nur dann greift die Verordnungsermächtigung – die Gefahr einer betriebsbedingten Kündigung ebenso konkret sein wie in einem „normalen“ Arbeitsverhältnis, weshalb das Telos des Kurzarbeitergelds auch bei Leiharbeitnehmern zu deren Schutz voll greift.
Die Änderungen, so verlautbarte der Bundesarbeitsminister, sollen obendrein rückwirkend ab dem 1. März 2020 greifen.
Generalklausel oder Einzelfallgesetz?
Die Ermächtigungen selbst treten jeweils Ende 2021 außer Kraft – was ihnen unweigerlich den Charakter einer lex corona verleiht. Daraus macht auch die Bundesregierung keinen Hehl: „Um für krisenhafte Zeiten – ausgelöst etwa durch eine Corona-Pandemie – gewappnet zu sein, sollen bis 2021 befristete Verordnungsermächtigungen für die Bundesregierung in das Gesetz aufgenommen werden“, heißt es in der Entwurfsbegründung.
Sollte es bis dahin noch bedrohliche Veränderungen der wirtschaftlichen Großwetterlage geben, wird man sich die Frage stellen müssen, wann genau „außergewöhnliche Verhältnisse“ im Sinne der Verordnungsermächtigungen vorliegen. Eine genaue Definition gibt auch die Entwurfsbegründung nicht her, es bleibt also viel Anwendungsspielraum. Fürs Erste dürfte der Fall aber klar sein: Die Coronapandemie ist – wenig überraschend – in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich und exklusiv als Beispiel solcher außergewöhnlichen Verhältnisse genannt. Doch auch andere Szenarien sind denkbar, etwa eine neuerliche Krise der Finanzmärkte. Die Gesetzesnovelle ist deshalb kein Einzelfallgesetz und mit Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar.
Alles neu macht Corona?
Ist die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes im Kern dennoch ein eigens im Labor des BMAS entwickeltes Coronaserum für die jetzt schon kränkelnde deutsche Wirtschaft? Jein! Gewiss ist die Coronakrise Treiber für diese Finanzspritze. Ein etwas abgeschwächtes Präventivpräparat hätte es demnächst aber ohnehin gegeben: Das Kurzarbeitergeld kombiniert mit Weiterbildungsmöglichkeiten sollte nämlich ohnehin im Rahmen des „Arbeit-von-morgen-Gesetzes“ ein Mittel werden, um die Transformation der Arbeitswelt in einer künftig „grünen“ und digitalen Wirtschaft zu meistern. Der Referentenentwurf sah auch dafür eine Verordnungsermächtigung der Bundesregierung zum Ausbau des Kurzarbeitergeldes vor, obgleich unter engeren Voraussetzungen. Eine 10-%-Schwelle fand sich darin allerdings nicht, die Bundesagentur sollte schwellenwertunabhängig Kurzarbeitergeld bewilligen dürfen. Die Ermächtigung sollte sogar bis Juli 2023 gelten.
Demgegenüber hat der aktuelle Regierungsentwurf eher den Charakter eines Notfallpakets. Durch seine Umsetzung wird der Gesetzgeber aber hilfreiche Erfahrungen für eine dauerhafte Neuregelung nach Außerkrafttreten der Übergangsvorschriften Ende 2021 sammeln.
Der Gesetzgeber mit Siebenmeilenstiefeln
Der inhaltliche Pragmatismus des Entwurfs setzt sich bei seiner legislativen Umsetzung fort: Nicht zuletzt um einem eventuellen coronabedingten Ausfall der Bundestagssitzungen zuvorzukommen, wurde ein straffer Fahrplan eingehalten – nach Beschluss der Maßnahmen durch Koalitionsausschuss (8. März 2020) und Bundeskabinett (10. März 2020) wurden am 13. März 2020 ausnahmsweise gleich alle drei Lesungen nacheinander im Bundestag abgehalten. Nach lediglich 79 Minuten Beratungszeit wurde der Gesetzesentwurf einstimmig (!) verabschiedet, umgehend dem Bundesrat zugeleitet und von diesem noch am selben Tag ratifiziert. Nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten trat das Gesetz schon am 15. März 2020 in Kraft. Nur wenige Gesetzesvorhaben wurden bislang in ähnlich kurzer Zeit umgesetzt – durchschnittlich liegen zwischen Einbringung eines Entwurfs und Gesetzesverkündung rund 200 Tage.
Applaus für den Gesetzgeber
Das Eiltempo, mit der Regierung und Gesetzgeber die Maßnahmenpakete schnüren, ist lobenswert. Das Kurzarbeitergeld und eine inhaltlich ganz ähnliche erweiterte Verordnungsermächtigung der Bundesregierung haben sich bereits in der Finanzkrise 2009 als probates Mittel erwiesen, um wirtschaftliches Drangsal zu lindern. Dem Instrument werden zu einem erheblichen Teil der schnelle Wiederaufschwung und die Erhaltung der Arbeitsplätze nach der Finanzkrise zugeschrieben – Unternehmen konnten, nachdem das Gröbste überstanden war, größtenteils mit eingespielter Stammbelegschaft wieder in die Vollen gehen.
Im Schatten von Corona offenbart sich eine bemerkenswerte politische Eintracht: Die Fraktionen, aber auch Bund und Länder gehen Hand in Hand – oder besser: Ellenbogen an Ellenbogen – gegen die wirtschaftlichen Folgen des Virus vor. Wieder einmal wird deutlich: Wenn es sein muss, sind auch die Legislativorgane zu schnellem und pragmatischem Handeln imstande. Es besteht also kein Anlass zu grundlegenden Reformen. Nach derzeitigem Stand scheint insoweit zumindest die Verfassung wirksam gegen Corona geimpft zu sein.
Zitiervorschlag: Andreas Zöllner/Hendrik Schwager, Kurzarbeitergeld als lex corona – Regierung und Gesetzgeber im Kampf gegen das Virus für die Wirtschaft, JuWissBlog Nr. 25/2020 v. 17.3.2020, https://www.juwiss.de/25-2020/
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
[…] werden dürfen. Dass er auch in sehr kurzer Zeit Gesetze verabschieden kann, hat er bei den Anpassungen der Kurzarbeitergeldregelungen kürzlich […]
Interessant, dass es der Zustimmung der Betroffenen bedarf, falls keine Kurzarbeiterklausel im Vertrag ist. Ich wurde nach Kurzarbeit nun betriebsbedingt gekündigt. Ein Kollege, der nach mir eingestellt wurde, jünger ist und keine Kinder hat sowie eine ähnliche Tätigkeit macht, darf aber bleiben. Ich finde das ungerecht und werde daher mal zu einer Rechtsberatung gehen.