Im Falle eines unerfüllten Kinderwunsches von Paaren kommt im Rahmen der Reproduktionsmedizin eine Leihmutterschaft in Betracht: Dabei wird aufgrund einer Vereinbarung durch eine „andere“ Frau ein Kind ausgetragen, die die Wunscheltern jedoch als Eltern anerkennt und in der Regel auf die eigenen „Ansprüche“ verzichtet. Hierbei ermöglichen In-Vitro-Befruchtungen oder auch intrazytoplasmatische Spermieninjektionen eine genetische Verwandtschaft zu den Wunscheltern, sodass in Fällen der Leihmutterschaft rechtliche und genetische Verwandtschaft in verschiedentlicher Hinsicht auseinander- oder zusammenfallen können.
Leihmutterschaften sind in einigen Ländern, u.a. in Deutschland, verboten oder nicht geregelt. Infolgedessen gehen Wunscheltern für eine Leihmutterschaftsvereinbarung ins Ausland. Nach der Geburt des Kindes stellen sich rechtliche Fragen, die die Anerkennung der rechtlichen Elternschaft (im Heimatstaat) betreffen, aber auch die Frage nach der Staatsangehörigkeit des Kindes, woran jeweils Folgefragen anknüpfen.
Internationale Regelungen zur Anerkennung der rechtlichen Abstammung eines Kindes gibt es nicht, sodass das jeweilige nationale Recht maßgeblich ist (in Deutschland nach § 108 FamFG, dazu BGH, 10.12.2014 – XII ZB 463/13), bei dem die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention berücksichtigt werden müssen. Aufgrund der fehlenden einheitlichen Regelungen im Bereich von Leihmutterschaften ist der nach Art. 8 EMRK bestehende Ermessensspielraum besonders hoch. Mit der Frage, welche Maßstäbe bei der Anerkennung durch Art. 8 EMRK gezogen werden, hat der EGMR sich bereits vielfach beschäftigt.
First Advisory Opinion des EGMR
In der internationalen Debatte für Aufsehen gesorgt hat die aus Art. 1 des 16. Zusatzprotokolls zur EMRK hervorgegangene first Advisory Opinion (Stellungnahme) des EGMR zur Anerkennung der Elternschaft in Folge einer im Ausland durchgeführten Leihmutterschaft aus dem Jahr 2019. Nach dem Zusatzprotokoll können die höchsten Gerichte der Mitgliedstaaten den EGMR bei Fragen zur Auslegung oder Anwendung der Konvention anrufen. Die Stellungnahme im Zusammenhang mit dem Mechanismus aus dem 16. Zusatzprotokoll soll sich auf die Punkte beschränken, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem national anhängigen Verfahren stehen (s. Art. 1 §§ 1, 2 des 16. Zusatzprotokolls). Ferner soll sie den einzelstaatlichen Gerichten in Grundsatzfragen eine Orientierungshilfe für ähnlich gelagerte Fälle geben.
Diese erste Stellungnahme erging auf Vorlage des französischen Kassationsgerichtshofs infolge des Falles Mennesson vs. France, bei dem nach einer in Kalifornien durchgeführten Leihmutterschaft und dort erfolgten Eintragung der Wunscheltern in die Geburtsurkunde als rechtliche Eltern über die Frage nach der verweigerten Anerkennung der Elternschaft der Mennessons durch den französischen Staat entschieden wurde. Genetisch verwandt mit den Kindern war der Wunschvater, die Wunschmutter dagegen nicht. Somit kann das Urteil (und die Vorlagefrage) auch interessant für gleichgeschlechtliche Paare betreffende Fälle sein. Der Kassationsgerichtshof stellte keine Verletzung des Rechts der Kinder oder der Wunscheltern auf Achtung ihres Familienlebens fest, aber eine Verletzung des Rechts der Kinder auf Achtung ihres Privatlebens, da diese voraussetzt, dass die Details der Identität eines Individuums festgestellt werden können, wozu auch die rechtliche Eltern-Kind-Beziehung gehört (Rn. 96). Diese Verletzung sieht der Gerichtshof aufgrund der verweigerten Anerkennung der Elternstellung des biologischen Vaters; differenziert jedoch bei der Wunschmutter, für die lediglich die (im Falle von verheirateten Paaren erleichterte) Möglichkeit der Adoption besteht, um ein rechtliches Mutter-Kind-Verhältnis zu schaffen.
Die vorgelegte Frage betrifft die Anerkennung durch den Nationalstaat einer im Ausland festgestellten rechtlichen Elternschaft. Im Fokus steht die rechtliche Mutterschaft: Wird der aus Art. 8 EMRK resultierende Ermessensspielraum von einem Vertragsstaat überschritten, sofern dieser die Angaben aus der Geburtsurkunde eines Kindes, das im Rahmen einer im Ausland vereinbarten und durchgeführten Leihmutterschaft geboren wurde, betreffend der in dieser Urkunde als rechtliche Mutter hervorgehende „Wunschmutter“ nicht in das Geburtenregister einträgt, während eine Eintragung des „Wunschvaters“ akzeptiert wird, sofern dieser biologisch mit dem Kind verwandt ist? Und sollte in diesem beschriebenen Fall danach unterschieden werden, ob das Kind mit den Eizellen der „Wunschmutter“ gezeugt wurde oder nicht, also ob auch bezüglich der Elternstellung der „Wunschmutter“ eine biologische Verwandtschaft als Entscheidungskriterium dienlich sein kann? Sofern eine der Fragen bejaht werden sollte, fragt die Vorlage weiter danach, ob und inwieweit es von Art. 8 EMRK gedeckt wäre, der Wunschmutter für die Herstellung der rechtlichen Mutter-Kind-Beziehung die Adoption des Kindes des biologischen Vaters zu ermöglichen.
Der EGMR kommt in seiner (nicht verbindlichen) Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass nach nationalem Recht die Möglichkeit der Anerkennung der rechtlichen Eltern-Kind-Beziehung mit der Wunschmutter vorgesehen sein muss, wenn diese in der im Ausland rechtmäßig ausgestellten Geburtsurkunde als „rechtliche Mutter“ bezeichnet wird, da ansonsten eine Verletzung des Rechtes des Kindes auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK vorliegt. Bezüglich der zweiten Frage nach dem Mittel der Anerkennung kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass auch ein anderes Mittel als die Anerkennung der ausländischen Entscheidung erfolgen kann (wie die Adoption), solange das vorgesehene Verfahren unter Berücksichtigung des Kindeswohls zügig und wirksam durchgeführt werden kann.
Die rechtliche Situation in Deutschland
In Deutschland ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 7 ESchG verboten, bei einer Ersatzmutter eine künstliche Befruchtung durchzuführen oder auf sie einen menschlichen Embryo zu übertragen. Damit soll, wie auch durch andere Tatbestände des § 1 ESchG einer „gespaltenen Mutterschaft“ entgegengewirkt werden. Das geschützte Rechtsgut ist nach der Gesetzesbegründung das Kindeswohl (S. 6, 9), da die Entwicklung im Mutterleib und die daraus entstehende biologische und psychologische Beziehung zwischen Embryo und Ersatzmutter gestört werden könnte. Um eine Ersatzmutterschaft und die daraus resultierenden Konflikte zu vermeiden, regeln § 13a–13d AdVermiG das Verbot einer Vermittlung im Rahmen einer Ersatzmutterschaft.
Nach § 1591 BGB ist die Mutter eines Kindes die Frau, die das Kind geboren hat, sodass für die evtl. genetisch verwandte Wunschmutter lediglich die Adoption in Betracht kommt, um in die rechtliche Elternstellung zu gelangen. Das Argument des Kindeswohls spricht aber nicht einseitig für die Einhaltung des mater semper certa est, der in Zeiten moderner Reproduktionsmedizin auch rechtlich neu gedacht werden muss. Hierfür spricht neben den vielfältigen medizinischen Möglichkeiten auch die erhöhte Vielfaltigkeit der modernen Lebensformen und sich wandelnden Familienbildern, die zu einer steigenden Nachfrage im Rahmen von Leihmutterschaften führen. Die Arbeitsgruppe 2 der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin kommt in ihrem Kurzbericht zu dem Ergebnis, dass das Verbot der Leihmutterschaft verfassungsrechtlich nicht geboten ist, allerdings auch keinen grundsätzlichen Verstoß gegen Verfassungsrecht darstellt (S. 439).
Die Linie des EGMR und die Auswirkung auf Deutschland
Die Wirkungen des Art. 8 EMRK sind auch in Deutschland zu berücksichtigen. Aufgrund des Ermessensspielraums der Nationalstaaten ist kein konkretes Mittel der Anerkennung der Elternschaft vorgegeben. Grundsätzlich muss ein solches jedoch gegeben sein, um dem Kindeswohl gerecht zu werden. Wie oben bereits dargestellt, gibt es in Deutschland die Möglichkeit der Anerkennung nach § 108 FamFG, der im Lichte von Art. 8 EMRK angewendet werden sollte. Debatten über die Auswirkungen des Art. 8 EMRK könnten jedoch zumindest in der Europäischen Union hinfällig werden, wenn der (auch Leihmutterschaftsfälle betreffende) europäische Vorschlag für eine Verordnung über die Anerkennung von Entscheidungen und die Annahme öffentlicher Urkunden in Elternschaftssachen sowie zur Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats, erfolgreich verhandelt wird. Infolgedessen würden Fragen der Anerkennung der Elternschaft erleichtert werden, da das in Art. 46 des Vorschlags beschriebene „europäische Elternschaftszertifikat“ seine Wirkungen nach Art. 53 ohne ein besonderes Verfahren in allen Mitgliedstaaten entfaltet. Danach wäre in Deutschland zwar auch weiterhin ein Leihmutterschaftsverbot möglich, allerdings würden Unsicherheiten bezüglich der Anerkennung der Elternstellung abgebaut werden, sodass die rechtliche Lage der Wunscheltern aufgrund der erhöhten Rechtssicherheit sichtlich verbessert wird, was angesichts der möglichen Verfahrensdauer und damit einhergehenden Unsicherheiten begrüßenswert ist.
Hinweis: Dieser Beitrag entstand in Vorbereitung auf den Vortrag von EGMR-Richterin Ivana Jelić in Augsburg am 12.07.2024 (Informationen hier).
Zitiervorschlag: Peuser, Anna Sophia, Legal Motherhood in Surrogacy Cases – Die Linie des EGMR zur Anerkennung der Elternschaft, JuWissBlog Nr. 28/2024 v. 14.05.2024, https://www.juwiss.de/28-2024/.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.