Von PHILIPP BENDER
Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel wollte anlässlich einer Versammlung der „Dügida“ ein Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus setzen und rief über die städtischen Internetseiten zu Gegenmaßnahmen auf. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den OB hatte vor dem VG Düsseldorf zunächst Erfolg, wurde aber vom OVG kurz vor der Versammlung kassiert – zu Recht, denn der Beschluss des VG ist in zwei zentralen Punkten kritikwürdig. Der eine betrifft eine prozessuale Frage, der andere ist materieller Natur.
Die Organisatoren der Pegida-Demonstrationen inszenieren sich gerne als „neue Volksbewegung“, und man ist geneigt, sich zu fragen, welche „alte Volksbewegung“ sie dabei wohl im Hinterkopf haben. Während man den Dresdener Kundgebungen durchaus Massencharakter attestieren kann, sieht es in westdeutschen Großstädten schon anders aus: Hier erinnern die Kundgebungen der Pegida-Ableger eher an Szene-Treffen mehr oder minder organisierter Rechtsgesinnter. Dabei firmieren die „Patriotischen Europäer“ – je nach „Aufmarschgebiet“ – etwa griffig als „Bogida“ (Bonn), „Wügida“ (Würzburg) oder eben „Dügida“ (Düsseldorf). Während unbedarftere Zeitgenossen hinter diesen Kürzeln höchstens Herstellerfirmen für orthopädisches Schuhwerk vermuten würden, gehen andere von einer ernstzunehmenden Bedrohung für eine tolerante und weltoffene Bundesrepublik aus.
So wollte auch Düsseldorfs Oberbürgermeister (OB) Thomas Geisel (SPD) kürzlich ein „Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus“ setzen. Er rief über die städtischen Internetseiten alle Einwohner und Geschäftsleute dazu auf, anlässlich einer angemeldeten Dügida-Versammlung die Beleuchtung ihrer Gebäude abzuschalten. Auch städtische Beleuchtungseinrichtungen sollten außer Betrieb sein. Zudem warb er dafür, sich der Gegendemonstration anzuschließen.
Eilantrag vor dem VG und Beschwerde vor dem OVG
Einem daraufhin gestellten Eilantrag der Anmelderin der Dügida-Demo gab die Präsidentenkammer des VG Düsseldorf statt und verpflichtete den OB im Wege der einstweiligen Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO, den besagten Aufruf von der Homepage der Stadt zu entfernen. Dagegen legte der OB Beschwerde ein – und bekam Recht: Mit Beschluss vom 12. Januar 2015 änderte das OVG Nordrhein-Westfalen die Entscheidung des VG und lehnte den Eilantrag ab.
Bevor man dem 15. Senat des OVG nun reflexartig eine „Rechtsschutzverweigerung“ vorwirft, sollte man berücksichtigen, dass das Problem aus Sicht der Oberverwaltungsrichter mehr ein prozessuales denn ein materielles ist.
Anders als das VG hat das OVG nämlich nicht verkannt, dass die Antragstellerin unter Berufung auf ihren Unterlassungsanspruch keine vorläufige Maßnahme beantragt, sondern eine Entscheidung, die die Hauptsache vorwegnimmt. Würde der OB antragsgemäß dazu verpflichtet, den Aufruf von den Internetseiten zu entfernen, verbliebe für ein Hauptsacheverfahren kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.
Damit verschiebt sich aber der Prüfungsumfang: Während im Verfahren nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO (lediglich) danach gefragt wird, ob Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft gemacht werden können (§§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. 920 Abs. 2, 294 ZPO), ist im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache zusätzlich zu fordern, dass der Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist und das Abwarten für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte.
Die Frage nach dem Neutralitätsgebot von Amtsträgern im politischen Meinungskampf
In der Kürze der für die Beschwerdeentscheidung zur Verfügung stehenden Zeit war nicht festzustellen, ob die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegen werde. Mithin bestand für das OVG keine Veranlassung zum Erlass der begehrten Anordnung. Das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen (Unterlassungs-)Anspruchs hängt von der Frage nach dem Bestehen und der Reichweite des amtlichen Neutralitätsgebots in politischen Auseinandersetzungen außerhalb von Wahlkampfzeiten und ohne die Beteiligung politischer Parteien ab, welche aber juristisch nicht hinreichend geklärt ist.
Da der Ausgang des Hauptverfahrens somit kaum vorhergesagt werden konnte, gewichtete das OVG die drohenden Nachteile und kam zu dem Schluss, dass ein etwaiger Eingriff in die Grundrechte der Antragstellerin aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 (Meinungsfreiheit) bzw. Art. 8 Abs. 1 GG (Versammlungsfreiheit) jedenfalls nicht schwer wiege, da die Versammlung nach wie vor abgehalten werden könne.
Keine Partei, keine verfassungsrechtliche Privilegierung
Neben der prozessualen Behandlung des Antrags ist auch die materiell-rechtliche Würdigung des VG zweifelhaft.
Bei Dügida handelt es sich nicht um eine politische Partei gemäß Art. 21 GG, § 2 PartG, sie kann sich also nicht auf das Recht der Chancengleichheit berufen (Art. 21 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG). Anders als in dem jüngst durch das BVerfG entschiedenen Fall Schwesig geht es bei den Maßnahmen des Düsseldorfer OB nicht um parteiergreifende Einwirkungen von Amtsinhabern zugunsten oder zulasten von am politischen Wettbewerb beteiligten – zumal im Wahlkampf stehenden – Parteien.
Diese fehlende Privilegierung der Dügida-Bewegung kann nicht folgenlos für die Bewertung des Vorgehens des Oberbürgermeisters unter dem Aspekt der Neutralität bleiben. Das VG nimmt an, dass die Ausführungen des BVerfG zur Neutralitätspflicht gegenüber politischen Parteien „entsprechend“ zu gelten haben. Eine analoge Anwendung kommt jedoch nur in Betracht, wenn eine Regelungslücke besteht. Dies ist aber nicht der Fall, da es gerade die Aufgabe des VG gewesen wäre, herauszuarbeiten, was aus der Meinungsfreiheit der Dügida-Teilnehmer für die Neutralität des OB zu folgen hat.
Amtsträgereigenschaft des Oberbürgermeisters
Unzweifelhaft ist, dass der OB in seiner Funktion als Hoheitsträger gehandelt hat, denn er nutzte für seinen Aufruf amtliche Ressourcen (Internetseiten) und seine Weisung, die Beleuchtung an städtischen Gebäuden zu löschen, erfolgte aus der Autorität des Amtes heraus. Da er also nicht als Privatmann oder Parteipolitiker gegen Dügida aktiv geworden ist, steht ihm nicht der Rückgriff auf seine eigene Meinungsfreiheit zu, sondern er unterliegt grundsätzlich der Pflicht zur Neutralität.
Reichweite der Neutralitätspflicht und kommunaler Bezug
Mit dem BVerfG ist jedoch davon auszugehen, dass das Neutralitätsgebot für jedes öffentliche Amt gesondert unter Zugrundelegung der ihm zugewiesenen Rechte und Pflichten zu bestimmen ist. Der selbstverwaltungsrechtliche Aufgabenkreis der Stadt umfasst die Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung, vgl. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. Art. 78 Abs. 1, 2 LVerf NW, § 2 GO NW. Gemeint sind Angelegenheiten, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln und auf sie einen spezifischen Bezug haben. Als Träger der Gemeindeverwaltung und als Leiter ebendieser (§§ 40 Abs. 2 i.V.m. 62 Abs. 1 GO NW) muss es dem OB möglich sein, zu solchen Angelegenheiten Stellung zu nehmen.
In einer Abwägung mit den Grundrechten der Antragstellerin kommt das VG zu dem Schluss, dass das berechtigte Interesse der Kommune und ihrer Organe, zu örtlichen Angelegenheiten Stellung zu beziehen, vorliegend gering wiegt. Als Teil der Pegida-Bewegung gehe es bei der Versammlung der Dügida um Fragen des Asyl-, Flüchtlings- und Ausländerrechts, die über den örtlichen Bereich hinausreichten. Der OB greife vielmehr in den allgemeinen politischen Meinungskampf ohne kommunalen Bezug zu Lasten der Dügida ein.
Dem ist zu widersprechen. Seit Beginn dieses Jahres legen Pegida/Dügida-Anhänger sowie Rechtsextremisten unterschiedlicher Gruppierungen (v.a. ProNRW) den Schwerpunkt ihrer Agitation auf Düsseldorf. So fand bereits Anfang Dezember in Düsseldorf die „Auftaktveranstaltung von Pegida NRW“ statt. Es stellt ein legitimes Interesse des Oberbürgermeisters dar, kritisch dazu Stellung zu nehmen, dass die Landeshauptstadt Düsseldorf zum Schauplatz regelmäßiger Aufmärsche von Rechtsextremisten und entsprechenden Gegenreaktionen zu werden droht. Es heißt, bereits jetzt habe Dügida, oder wer auch immer aus der Szene sich dafür ausgeben mag, für das ganze Jahr montags Versammlungen angemeldet. Ein kommunaler Bezug, der über die bloße auf Düsseldorf bezogene Bezeichnung „Dügida“ und den Versammlungsort hinausgeht, liegt mithin vor.
Ergebnis
Das VG Düsseldorf irrt mit seinem Beschluss in zwei zentralen Punkten: Es übersieht die Problematik der Vorwegnahme der Hauptsache im (an sich) einstweiligen Rechtsschutzverfahren und legt folglich einen unzureichenden Prüfungsmaßstab an, der erst durch das OVG korrigiert wird. Ferner verkennt es die Bedeutung des örtlichen Bezugs und überspannt die Neutralitätspflicht kommunaler Verwaltungsträger, während die berechtigten Interessen der Stadt Düsseldorf keine hinreichende Beachtung finden. Wo genau die Grenzen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit in diesem und vergleichbaren Fällen verlaufen, bleibt zu klären. Bis dahin gilt, dass sich selbsternannte Volksbewegungen dem Meinungskampf mit dem von ihnen abgelehnten „Polit-Establishment“ stellen müssen und nicht erwarten können, dass dieser durch Richterspruch „ausgeschaltet“ wird.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Viel Wichtiges und Richtiges hier. Zu politischen Kampfbegriffen wie „rechtsextrem“ und „rechtspopulistisch“ und wo genau die Grenze zwischen beiden liegen könnte, will ich mich hier gar nicht weiter auslassen. Ein paar Knackpunkte in Deiner Argumentation sehe ich aber schon. Als schlagend empfinde ich zunächst die verwaltungsprozessuale Argumentation, sodass ich mich Dir im Ergebnis anschließen und mich auf einige materielle Aspekte beschränken möchte:
Wir wissen ja alle, dass wenn in einem Urteil „entsprechend“ steht, häufig nicht die theoretisch klare Analogie gemeint ist; Die Gerichte meinen häufig schlicht „übertragbar“. Dies insbesondere, wenn das berühmte Parteienprivileg im GG ausdrücklich nur als Verbot der Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch ein anderes Gericht als das BVerfG niedergelegt ist und in seiner materiellen Erscheinung ja selbst für die Parteien nirgendwo glasklar formuliert ist. Anders als bei einer Anspruchsgrundlage kann es dann aber weniger um das Vorliegen einer Regelungslücke i. S. e. gesetzlichen Regelung gehen, wenn eine solche (eigentlich) gar nicht vorliegt. Es geht daher wohl eher um die Frage einer Vergleichbarkeit von politischer Partei und politischer (semi-instutionalisierter) Demonstration.
In dieser Hinsicht kann ich mir nicht vorstellen, dass Gerichte – auch das OVG – annehmen würden, dass alles, was ein OB gegen eine bestimmte, auch wiederkehrende, Demonstration tut oder sagt bereits deswegen (verfassungs-)rechtlich legal und legitim sei, weil es sich NICHT um eine Partei handelt. Ob eine Regelungslücke, i. S. e. Übertragbarkeit vorliegt hätte das VG wohl entscheiden müssen. DARAUS folgt aber noch nicht, dass eine solche nicht vorliegt.
Dementsprechend wäre ich der Ansicht, dass die Frage, ob es dem OB möglich sein MUSS, sich zu einer jeden örtlichen Angelegenheit nicht nur zu äußern, vielmehr zu jeder solchen Angelegenheit ggf. an die Stadt den Befehl „Licht aus!“ zu geben nicht nur daran orientieren, ob es sich um eine örtliche Angelegenheit handelt, sondern danach, ob seine Handlungen als kommunaler Wahlbeamter mit einer (übertragbaren) politischen oder ggf. auch ihn verpflichtenden weltanschaulichen Neutralität vereinbar sind.
Bei allem Verständnis für die Freude über die Verhinderung einer „*gida“-Demonstration (die nun wohl ohnehin seltener werden dürften: Man sollte sich fragen, ob man das alles ähnlich sähe, wenn sich ein Bürgermeister des gleichen Mittels gegen eine Demo etwa für die Ausweitung des Asylrechts bedient hätte. Sähe man die Sache dann genauso, weil diese Demo ja keine Partei wäre? Ich habe meine Zweifel.