Ehegattensplitting auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand

von MICHAEL WRASE

Portrait - Michael Wrase - NEU - swIn der staatsrechtlichen Literatur wird das sogenannte Ehegattensplitting nach § 32a Abs. 5 EStG häufig als verfassungsrechtlich notwendig bezeichnet. Dabei wird auf eine Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1982 Bezug genommen. Allerdings hat sich die Lebenswirklichkeit von Paaren in (Gesamt-)Deutschland in den letzten dreißig Jahren signifikant verändert. Zudem haben sich die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Gleichheitsprüfung weiterentwickelt. Das Ehegattensplitting muss daher erneut auf den verfassungsrechtlichen Prüfungsstand gestellt werden. Die Prüfung führt zu einem überraschenden Ergebnis.

Die Ausgangslage

In der staatsrechtlichen Literatur zur steuerrechtlichen Begünstigung der Ehe dreht sich die Diskussion bislang hauptsächlich darum, ob das sogenannte Ehegattensplitting durch Art. 6 Abs. 1 GG sozusagen verfassungsrechtlich vorgegeben ist oder vom Gesetzgeber auch abgeschafft beziehungsweise eingeschränkt werden könnte. Die Literatur stützt sich vor allem auf eine Entscheidung des Ersten Senats aus dem Jahr 1982 zur steuerlichen Behandlung von Alleinerziehenden, in der das Bundesverfassungsgericht das Ehegattensplitting als eine „an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung“ bezeichnete.

Allerdings hat sich seit 1982 nicht nur die Lebenswirklichkeit von (Ehe-)Paaren in Deutschland, die nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wesentliche Bedeutung hat, grundlegend gewandelt. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat – insbesondere gegenüber der den Richtern des Ersten Senats 1982 vor Augen stehenden „wirtschaftlichen Realität der intakten Durchschnittsehe“ in Westdeutschland – signifikant zugenommen. Auch die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, insbesondere zur Gleichheitsprüfung (Neue Formel), haben sich entscheidend weiterentwickelt. Zudem erweisen sich einzelne Aussagen der früheren Entscheidung als unzutreffend.

Wendet man – jenseits aller gesellschaftspolitisch oder geradezu ideologisch geführten Debatten – die zur Gleichheitsprüfung entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe von heute nüchtern an, so gelangt man – dies ist meine These – zu einem überraschenden, aber eindeutigen Ergebnis:

Die derzeitige Regelung des Ehegattensplittings nach § 32a Abs. 5 EStG ist mit dem Grundgesetz unvereinbar.

Das Ehegattensplitting

Doch zunächst: Worum geht es? Nach dem Einkommenssteuergesetz (EStG) gilt der Grundsatz der Einzelbesteuerung. Das heißt, jeder Steuerpflichtige wird grundsätzlich nach seiner eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert. Eine Ausnahme hiervon macht § 32a Abs. 5 EStG für Ehegatten, die zusammen veranlagt werden. Beim „Splitting-Verfahren“ werden die Einkünfte der Ehepartner zusammengerechnet, das gemeinsam zu versteuernde Einkommen durch zwei geteilt und anschließend die Steuerlast dieses hälftigen Betrags errechnet und verdoppelt. Daraus ergibt sich eine Steuerersparnis gegenüber der Einzelbesteuerung vor allem in Fällen, in denen ein Ehepartner (in der Lebenswirklichkeit in aller Regel der Mann) ein relativ gesehen hohes Einkommen und der andere ein nur geringes oder gar kein Einkommen erzielt (in der Regel die Frau). Das ist auch vom Gesetzgeber klar so beabsichtigt: Wie das Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung ausführt, ist Zweck der Regelung die „besondere Anerkennung der Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“.

Die Ungleichbehandlung

Wendet man nun den Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG an, an dem die Regelung als Ausnahme zum Grundsatz der Einzelbesteuerung zu messen ist, so ist zunächst festzustellen, dass zweifellos eine Ungleichbehandlung vorliegt. Den Steuervorteil genießen nämlich keineswegs alle Ehen (und verfassungsrechtlich zwingend mittlerweile auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften), wie man vor dem Hintergrund des Schutz- und Förderauftrags aus Art. 6 Abs. 1 GG zunächst denken könnte. Vielmehr ergibt sich ein Steuervorteil gegenüber der Einzelbesteuerung nur, wenn die Partner ein unterschiedliches Einkommen erzielen. Je größer die Einkommensdifferenz desto höher die steuerliche Entlastung gegenüber dem Grundsatz der Einzelbesteuerung. Ehepaare (und Lebenspartner), die in etwa gleich viel verdienen, haben keinen oder nur einen sehr geringen Vorteil.

Verfassungsrechtlich liegt daher – hier dürfte unter Verfassungsjuristinnen und –juristen aller couleur wohl Einigkeit bestehen – eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vor. Zudem ist im Bereich des Art. 6 Abs. 1 GG eine über das Willkürverbot hinausgehende Prüfung vorzunehmen; dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluss zum Bayerischen Landeserziehungsgeld vom Februar 2012 entschieden. Maßstab für die Prüfung der Rechtfertigung ist somit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Die Rechtfertigungsprüfung

Der Zweck des § 32a Abs. 5 EStG ist bereits angesprochen worden. Nach dem Bundesverfassungsgericht wird durch das Splitting-Verfahren „die Gleichwertigkeit der Arbeit von Mann und Frau, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um eine Haus- oder Berufsarbeit“ anerkannt. Die Ehegatten bestimmen nämlich in „gleichberechtigter Partnerschaft ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung. Die Aufgabenverteilung in der Ehe unterliegt der freien Entscheidung der Eheleute. (…) In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen ermöglicht das Splitting den Ehegatten die freie Entscheidung, ob einer allein ein möglichst hohes Familieneinkommen erwirtschaften und sich deshalb in seinem Beruf vollständig engagieren soll, während der andere Partner den Haushalt führt, oder ob stattdessen beide Partner sowohl im Haushalt als auch im Beruf tätig sein wollen, so daß beide ihre Berufstätigkeit entsprechend beschränken.“ Diesen Zweck verwirklicht das Ehegattensplitting nach der damaligen Entscheidung, indem es – vereinfacht gesprochen – die Ein- oder Zuverdienerehe von der steuer(progressions-)tariflichen Einordnung her wie eine Doppelverdienerehe behandelt, in der beide Partner das gleiche zu versteuernde Einkommen erzielen.

Die steuerliche Entlastung des alleinverdienenden Ehepartners gegenüber einem Erwerbstätigen, der nicht verheiratet oder verpartnert ist, ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG ein legitimer Zweck. Dies ergibt sich daraus, dass in einer Ein- oder Zuverdienerehe der (Haupt-)Verdiener – traditionell wird auch von Familien-„Ernährer“ gesprochen – in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bereits wegen seiner Unterhaltsverpflichtung nach § 1360 f. BGB gegenüber einem nicht verheirateten Steuerpflichtigen mit gleichem Erwerbseinkommen gemindert ist. Der Ausgleich dieser Minderung entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.

Durchgreifende Bedenken ergeben sich jedoch an der Geeignetheit der Differenzierung. Diese ist zu verneinen, wenn die begünstigte Personengruppe in Bezug auf den mit der Regelung verfolgten Zweck nicht sachgerecht abgegrenzt wird.

Die Entscheidung des Ersten Senats von 1982 übersieht nun Folgendes: Wenn beide Lebenspartner in einer Ehe „ihre Berufstätigkeit entsprechend beschränken“, wie es das Gericht ausdrückt, und dabei ein ähnliches Einkommen erzielen, bleibt ihnen der Splittingvorteil (weitgehend) versagt. Sie sind von der Steuerprivilegierung – und damit auch vom Ausgleich ihrer wirtschaftlichen Einbußen – ausgeschlossen. Die unter ihnen aufgeteilte Haus- und Sorgearbeit wird steuerlich nicht honoriert.

Nehmen wir – vereinfachend – an, dass ein Ehepaar mit drei Kindern sich entschließt, die Erwerbs- und Sorgearbeit völlig gleichberechtigt untereinander aufzuteilen. Die Eheleute sind etwa gleich qualifiziert und erzielen ein ähnliches Einkommen. Sie gehen beide zu 50-Prozent in (Eltern-)Teilzeit. Trotz erheblicher finanzieller Einbußen, die mittlerweile teilweise (für einen begrenzten Zeitraum) gegebenenfalls durch das Elterngeld Plus ausgeglichen werden, ergibt sich für sie kein Splitting-Vorteil. Denn dieser – und das ist die Crux – ergibt sich ja nur bei einer Einkommensdifferenz der Ehepartner. Mit anderen Worten: In dem genannten Fall wird die „Haus- und Sorgearbeit“ der Eheleute nicht durch den Splitting-Vorteil des § 32a Abs. 5 EStG steuerlich „anerkannt“. Die Eheleute werden genauso behandelt wie bei der Einzelveranlagung, mithin so wie wenn sie nicht verheiratet wären. Anders als bei der Einzel- oder Zuverdienerehe wir der gegenseitige Unterhalt (im Sinne von § 1360a BGB), den sie durch Haushalts- und Sorgearbeit erbringen, steuerlich nicht begünstigt. Ihre Ehe bringt ihnen – anders als beim Allein- oder Zuverdienermodell – steuerlich „nichts ein“.

An dieser Stelle müssten eigentlich noch verschiedene, teilweise recht komplexe Fragen – auch anhand von Berechnungsbeispielen und dem reichlich vorhandenen empirischen Material (etwa zu den verschiedenen Progressionsvorteilen, der partnerschaftlichen Verteilung von Berufs- und Sorgearbeit und den negativen Anreizeffekten, die sich aus dem derzeitigen Besteuerungssystem ergeben) – genauer behandelt und beantwortet werden. Das ist im Rahmen des Blogbeitrags nicht möglich.

Festzuhalten jedoch bleibt: Das Splitting-Verfahren nach § 32a Abs. 5 EStG entlastet die Ehe nicht unabhängig von der selbstbestimmt gewählten Aufteilung der Erwerbs- und Sorge-/Hausarbeit der Partner. Ganz im Gegenteil: Die vom Gesetzgeber intendierte Förderung bleibt gerade dann weitgehend oder vollständig aus, wenn die Ehepartner ähnlich verdienen, beide beruflich zurücktreten und die Sorgearbeit gleichberechtigt untereinander aufteilen – sprich: just in dem Fall, der dem verfassungsrechtlichen Leitbild einer gleichberechtigten Partnerschaft (Art. 3 Abs. 2 GG) im Grunde am nächsten kommt.

Eine steuerliche Entlastung der Ehe im Sinne des Schutz- und Förderauftrags nach Art. 6 Abs. 1 GG darf aber nicht so gestaltet sein, dass sie nur bestimmte Formen der ehelichen Arbeitsteilung begünstigt und andere Lebensentwürfe von der Vergünstigung ausschließt. Dies aber tut § 32a Abs. 5 EStG. Mit Blick auf den intendierten Zweck ist die Differenzierung daher nicht sachgerecht und ungeeignet.

Die Rechtsfolge

Sollte das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass § 32a Abs. 5 EStG in seiner heutigen Form gegen Art. 3 Abs. 1 GG (in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG) verstößt, so ist die Unvereinbarkeit der Regelung mit dem Grundgesetz auszusprechen und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung zu verpflichten. Spannend wäre dann vor allem, ob und – wenn ja – welche Anforderungen das Gericht für die Neuregelung aus Art. 6 Abs. 1 und gegebenenfalls Art. 3 Abs. 1, 2 GG ableitet.

Noch aber ist vor dem Bundesverfassungsgericht meines Wissens kein Verfahren anhängig, in welchem das Ehegattensplitting im EStG auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand steht. Es bleibt zu hoffen, dass durch eine finanzgerichtliche Normenkontrollvorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG bald eine verfassungsgerichtliche Überprüfung herbeigeführt wird. Würde die gegenwärtige Regelung tatsächlich für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, so wäre eine Debatte und Neuregelung der ehe- und familienbegünstigenden Regelungen im EStG – gegebenenfalls auch darüber hinaus – unausweichlich.

Ehegattensplitting, Gleichbehandlung, Grundrechte, Michael Wrase, Verfassungsrecht
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Michael Neupert
    2. Oktober 2015 12:31

    Je nun – entfällt bei „gleicher“ Verteilung von Berufs- und Hausarbeit nicht auch der nach Ihrer These durch das Ehegattensplitting auszugleichende Unterhaltsnachteil? Die Unterhaltsberechtigung richtet sich ja nach dem anderweitig nicht zu deckenden Bedarf. Wäre das so, dann würden die Ehen ungleich behandelt, in denen ein Gatte dem anderen konkret Unterhalt schuldet (und diesen wirtschaftlich auch erbringt, ein weiterer Unterschied zu Doppelverdienerehen). Das scheint mir nicht so schwer zu rechtfertigen.

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