von JASPER FINKE
Es ist zum Heulen. Auf der einen Seite ist die Diskussion um die Zukunft Griechenlands in der Euro-Zone geprägt von der Rückkehr nationaler Stereotype, von denen man gehofft hatte, dass sie überwunden seien. Besonders groteske Beispiele sind die Stammtischparolen vom faulen Griechen oder die Aussage Strobls, der Grieche habe lange genug genervt. Auch die Darstellung von Merkel und Schäuble in Naziuniformen ist von bemerkenswerter intellektueller Einfältigkeit. Auf der anderen Seite herrscht hingegen weitgehende Fassungslosigkeit. Außer der Klage, dass die europäische Idee in den Verhandlungen mit Griechenland irreparabel beschädigt worden sei, wird keine wirkliche Gegenposition formuliert. Nur am Rande finden sich einige konkrete Vorschläge, wie es in Zukunft weitergehen soll: eine Wirtschaftsregierung für Europa beispielsweise, um die Konstruktionsfehler der Währungsunion zu kitten, oder eine Erhöhung des Soli für Griechenland, um den Transfercharakter eines dritten Hilfspakets für Griechenland deutlich zu machen.
Demokratie, Highlander-Prinzip und Bail-Out Verbot
Beide Vorschläge verdeutlichen jedoch ein grundlegendes Problem, das in der Emotionalität der aktuellen Diskussion unterzugehen droht. Denn der eigentliche Konstruktionsfehler ist nicht die Ausgestaltung der Währungsunion, sondern unser Verständnis von Demokratie auf Unionsebene. Getreu dem Highlander-Prinzip, dass es nur einen geben kann, denken wir Demokratie immer noch in der Exklusivität von Staat, Volk und Souveränität – ein Zusammenhang, den Joseph Weiler zurecht als unholy trinity bezeichnet hat. Mag die ausschließlich durch die nationalen Parlamente vermittelte demokratische Legitimation in den ersten Jahrzehnten europäischer Integration noch ausgereicht habe, so hat sich spätestens in der Staatsschuldenkrise gezeigt, dass diese Konstruktion eine nur begrenze Tragfähigkeit hat, weil sie im Kern nicht europäisch, sondern nationalstaatlich ist.
Um Missverständnissen vorzubeugen: demokratische Legitimation durch die Rückkoppelung von Entscheidungen auf Unionsebene an die mitgliedstaatlichen Parlamente ist an sich nicht zu kritisieren. Wir dürfen uns jedoch keine Illusionen darüber machen, worauf sich die Legitimation bezieht. Es geht zunächst nur darum, ob z.B. das finnische Parlament bereit ist, Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket auf Basis der bisher erzielten Verhandlungsergebnisse mitzutragen. Dasselbe gilt für die Entscheidung des griechischen Parlaments oder des deutschen Bundestages. Mit anderen Worten: die Abstimmungen in den Mitgliedstaaten sind Ausdruck und Resultat eines nationalen Kompromisses, der die intergouvernemental ausgehandelten Lösungsansätze der Staats- und Regierungschefs billigt oder ablehnt. Die gesamte Auseinandersetzung wird also sowohl sprachlich als auch konzeptionell durch eine nationalstaatliche Brille wahrgenommen. Die europäische Idee entpuppt sich damit als Leerformel, da sie von der Kongruenz mitgliedstaatlicher Interessen abhängig ist.
Diese Vorstellung von Demokratie zeigt sich letztlich auch im Streit um die Reichweite des Bail-Out Verbots und des Verbots der monetären Haushaltsfinanzierung. Dabei handelt es sich nämlich nicht nur um wesentliche Elemente der Währungsunion. Vielmehr werden sie durch das Prinzip der Budgethoheit und der haushaltspolitischen Verantwortung des Bundestages, die in den ESM- und EFSF-Verfahren eine so wichtige Rolle spielten, demokratisch aufgeladen. So wird in der Auseinandersetzung um die konkrete Bedeutung dieser beiden Prinzipien immer wieder vor einer Transferunion und der Vergemeinschaftung von Staatsschulden gewarnt. Eine Schulden- und Haftungsunion führt wiederum dazu, dass die Mitgliedstaaten keine unmittelbare Kontrolle mehr über den Umfang der von ihnen eingegangenen finanziellen Verpflichtungen besitzen. Die Parlamente würden ihrer Budgethoheit beraubt und könnten ihre haushaltspolitische Verantwortung nicht mehr wahrnehmen. Diese Perspektive führt also geradezu zwangsläufig zu einem extensiven Verständnis des Bail-Out Verbots und des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung.
Europäischer Kompromiss
Allerdings ist mittlerweile auch klar, dass Griechenland, um als Staat handlungsfähig zu bleiben, umfassend finanziell unterstützt werden muss. Während es sich bei den ersten Krediten für Griechenland der Sache nach um ein Rettungspaket für deutsche und französische Banken handelte, geht es nun tatsächlich um die Frage, ob „wir“ Griechenland bzw. den Menschen in Griechenland helfen wollen. Diese Entscheidung (und der ihr zu Grunde liegende Kompromiss) berühren daher Aspekte einer europäischen Identität, die sich nicht allein durch die Rückkopplung an die mitgliedstaatlichen Parlamente demokratisch legitimieren lässt. Vielmehr bedürfte es einer unmittelbaren demokratischen Legitimation auf genau der Ebene, auf der der Kompromiss gefunden wird – und das ist nun einmal die europäische. Der eigentliche Konstruktionsfehler liegt also darin, dass genuin europäische Kompromisse nicht unmittelbar, sondern lediglich mittelbar über die Mitgliedstaaten demokratisch legitimiert werden. Mit anderen Worten: es besteht gar keine andere Möglichkeit als sich der Unterstützung Griechenlands sprachlich und gedanklich aus Perspektive der jeweils anderen Mitgliedstaaten zu nähern. Wir bleiben in einer nationalstaatlichen Sichtweise verhaftet, obwohl es um eine im Kern genuin europäische Frage geht.
Trennung von Demokratie und Staatlichkeit
Um dieses Dilemma zu überwinden, muss demokratische Legitimation und Staatlichkeit konzeptionell voneinander getrennt und die unholy trinity von Staat, Volk und Souveränität aufgebrochen werden. So ist die Staatsqualität der EU unmittelbar mit der Frage verknüpft, wie viele Kompetenzen die Mitgliedstaaten der EU übertragen haben, während die Möglichkeit unmittelbarer demokratischer Legitimation auf Unionsebene von der Ausgestaltung des Europäischen Parlaments abhängt. In der derzeitigen Form kann es diese Funktion nicht erfüllen. Es müsste vielmehr grundlegend umgestaltet werden: Gesetzesinitiativrecht, Budgetverantwortlichkeit und die Reform des Wahlrechts. Außerdem müsste der EU die Möglichkeit gegeben werden, sich in einem begrenzten Rahmen unmittelbar selbst zu finanzieren und über die Verwendung der eingenommenen Mittel eigenverantwortlich zu entscheiden. Es geht mithin nicht um ein Mehr an Kompetenzen für die EU, sondern um die Ausgestaltung der ohnehin schon übertragenen Befugnisse.
Ein europäisches Volk!
Bleibt als letztes der Einwand, dass es auf Unionsebene mangels gemeinsamer Sprache, Kultur und Geschichte nun einmal kein Volk gäbe; Demokratie also denknotwendig ausgeschlossen sei. Es ist jedoch nicht einzusehen, dass heutige Demokratiekonzepte immer noch an romantisch verklärten und aus dem 19. Jahrhundert stammenden Homogenitätsvorstellungen und Exklusivitätsansprüchen gemessen werden. Der Begriff „Volk“ beschreibt letztlich nichts anderes als die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Warum soll es undenkbar sein, Mitglied mehrerer Gemeinschaften zu sein? Zwar mag die Intensität der Zugehörigkeit unterschiedlich stark ausgeprägt sein, was sich wiederum in den rechtlichen Folgen der Zugehörigkeit widerspiegelt (Unionsbürgerschaft statt Staatsangehörigkeit). Dabei handelt es sich jedoch nur um graduelle und nicht um prinzipielle Unterschiede. Dementsprechend ist es auch möglich, von einem europäischen Volk zu sprechen, das durch Wahlen zum Europäischen Parlament die auf Unionsebene ausgeübte Herrschaftsgewalt unmittelbar demokratisch legitimieren kann. Dies gilt trotz des Umstandes, dass der EUV, z.B. in Art. 1 Abs. 2, den Begriff „Völker Europas“ verwendet. Denn das europäische Volk tritt nicht an die Stelle der Völker Europas, sondern ergänzt diese um eine weitere Ebene der Zugehörigkeit und Gemeinschaft.
Was nun?
Der die aktuelle Diskussion dominierende intergouvernementale Ansatz erscheint „alternativlos“: wichtige Entscheidungen werden an den Grenzen oder jenseits des institutionellen Gefüges des EU getroffen. Das Europäische Parlament spielt keine entscheidende Rolle und kann in seiner derzeitigen Zusammensetzung keine unmittelbare demokratische Legitimation vermitteln. Die Auseinandersetzung bleibt in nationalstaatlichen Kategorien und Denkmustern verhaftet. Wenn man sich die Positionen der politischen Parteien anschaut, wird sich daran so schnell auch nichts ändern. Wollen wir jedoch nicht nur fassungslos und kopfschüttelnd die Auflösung der europäischen Idee beklagen, so bleibt nur eine europäische Bewegung – entweder als europäische außerparlamentarische Initiative oder besser gleich in Form einer europäischen Partei. Politisches Ziel ist nicht die Staatlichkeit Europas, sondern die tatsächliche Demokratisierung der EU.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ist das nicht nur ein frommer Wunsch? Vorraussetzung eines europaeischen Volkes waere eine europaeische Oeffentlichkeit, die die Europaeer aber ueberfordern wuerde.Wer kann schon ungarisch und kennt die ungarische Verfassung wirklich. Was wissen wir ueber Frankreich? Ist nicht vielleicht gerade umgekehrt weniger Regulierung mehr? Gerade Griechenland zeigt, dass man das Politische nicht vergessen sollte. Im Zweifel waren die Regeln, wie jedenfalls gesagt wird, nichts wert.
Wunsch denken – „ein“ europäisches Volk – schöne Gedanken und sicher sollte die Betonung auf der Demokratisierung Europas liegen, mehr Partizipation wagen, d.h. aber auch mehr zu differenzieren und gleichzeitig Stereotypen zwischen den Nationen ab zu bauen und Fragen zu beantworten, wie: was ist identitätsstiftend, eine gemeinsame Währung – eine gemeinsame Regierung – ein starkes europäisches Parlament – ein europäisches Freiheits-Manifest? Das aber alles setzt Vertrauen voraus und davon gibt es in Europa unter den Ländern immer weniger. Mit Argusaugen beäugen sich die Länder, jeder fürchtet zu kurz zu kommen und fürchtet die Dominanz Deutschlands – Europa wird erst wirklich funktionieren, wenn das Vereinigte Königreich aufhört eine extra Geige zu spielen und Russland in diesem Gefüge keine Statistenrolle zugeteilt wird – aber worüber rede ich – das alles ist eine Utopie die den Nährboden des Vertrauens braucht – der aber fehlt.