von JUANA REMUS und VALÉRIE SUHR
Nach der Volksabstimmung in Irland im Mai dieses Jahres waren die Erwartungen hoch. Dass der Supreme Court wenig später die gleichgeschlechtliche Ehe in allen U.S.-Bundesstaaten legalisierte, befeuerte die Debatte erneut. War Deutschland einst ein Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung für gleichgeschlechtliche Paare, fällt es momentan immer weiter hinter anderen Staaten zurück. Daran ändert auch der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung nichts, sondern führt vor Augen, welche Defizite noch immer bestehen und Diskriminierungen fortgeschrieben werden.
Die politische Diskussion
Obwohl die aktuelle Debatte unter dem Titel „Ehe für alle“ in der Tagesordnung zum 15. Oktober auftauchte, wurde über einen Gesetzesentwurf, der eine Öffnung der Ehe unabhängig vom Geschlecht der Eheschließenden vorsieht, gerade nicht verhandelt. Die Regierung setzte mit ihrem aktuellen Gesetzesentwurf lediglich ihre Verpflichtung aus dem Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode um, wonach sich die CDU, CSU und SPD zur Beendigung der Schlechterstellung von lesbischen und schwulen Paaren verpflichtet haben. Auf Seite 105 heißt es dort: „Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen“. Entsprechend stellt auch der aktuelle Gesetzesentwurf selbst fest, dass es sich bei ihm „im Wesentlichen um redaktionelle Änderungen von Vorschriften von geringerer praktischer Bedeutung“ handelt. Betroffen sein soll die gesamte Rechtsordnung: so soll nun etwa auch die „doppelte Lebenspartnerschaft“ nach § 172 StGB strafbar werden; im Verwaltungsverfahrensgesetz soll klargestellt werden, dass zu den im Verwaltungsverfahren ausgeschlossenen Personen nach § 20 VwVfG nicht nur „Verlobte“ sondern auch solche Personen zählen, die eine Lebenspartnerschaft anstreben; die Drittwiderspruchsklage des Ehegatten nach § 774 ZPO sollen künftig auch Lebenspartner_innen erheben können. Die geplanten Änderungen führen also zu einer weiteren graduellen Annäherung von Ehe und Lebenspartnerschaft. Der Bundesrat hat im Juni in einem Beschluss eine solche bloße graduelle Annäherung aber gerade nicht für ausreichend erachtete und es stattdessen für geboten angesehen, dass die zivilrechtliche Ehe für Paare unabhängig von ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität zu öffnen sei, um alle bestehenden rechtlichen und symbolischen Diskriminierungen zu beenden. Obwohl sich auch die Mehrheit der Sachverständigen des Rechtsausschusses in der Anhörung am 28.9.2015 für die Eheöffnung aussprach und zu deren Umsetzung keine Notwendigkeit für eine Verfassungsänderung sah, empfahl der Rechtsausschuss die Annahme des Regierungsentwurfes.
Kein verfassungsrechtliches Problem
Gegen eine solche Öffnung der Ehe werden immer wieder verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Doch ungeachtet der Tatsache, dass Art. 6 I Grundgesetz nicht unabänderlich ist, ist eine Änderung des Grundgesetzes nicht nötig. Zu diesem Ergebnis ist jüngst auch Friederike Wapler in ihrem von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Gutachten gekommen. Der Ehebegriff hat sich mit der Zeit bereits in vielfältiger Weise geändert; so zeigt nicht nur ein Blick in andere Staaten, dass eine Ehe nicht zwingend auf eine Mann-Frau-Konstellation beschränkt sein muss, was bereits Auswirkungen auch auf die Alltagssprache hat. Auch die „klassische“ heterosexuelle Ehe in Deutschland hat sich – vor allem in Hinblick auf ihre anfangs sehr patriarchalen Strukturen – weiterentwickelt: so wurde sich etwa von dem Recht des Mannes über die Erwerbstätigkeit der Frau zu entscheiden und sein Letztentscheidungsrecht in Bezug auf Fragen der Kindererziehung verabschiedet. Nach Ansicht Waplers ist es nicht von der Hand zu weisen, dass eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare verfassungsrechtlich erforderlich ist: Die Ehe ist eine auf Dauer angelegte Verantwortungs- und Solidargemeinschaft und erfüllt als solche für Paare unabhängig von ihrem Geschlecht dieselbe Funktion. Ausdrücklich verweist auch das Bundesverfassungsgericht darauf, dass Ungleichbehandlungen aufgrund der sexuellen Orientierung ein vergleichbares hohes Schutzniveau wie die Merkmale des Art. 3 III GG besitzen. Entsprechend kann eine solche Diskriminierung nur aus wichtigen Gründen und nicht mit dem „Bauchgefühl“ einzelner gerechtfertigt werden, wie auch Mangold jüngst argumentiert. Ob solche Gründe vorliegen, erscheint aber sehr fragwürdig.
Gleichgeschlechtliche Elternschaft
Besonders diskriminierend ist die derzeitige Verfasstheit des Rechts für gleichgeschlechtliche Lebenspartner_innen mit Kinderwunsch – weder steht ihnen die Möglichkeit der gemeinsamen Adoption noch die diversen Technologien der Reproduktionsmedizin wie etwa eine heterologe Insemination offen. Mit der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes 2001 war zwar eine Einzeladoption nach § 1741 II 1 BGB durch eine Lebenspartnerin bzw. einen Lebenspartner möglich. Dies führte zu real gelebten Familien mit gleichgeschlechtlichen Elternteilen, beinhaltete aber rechtliche Nachteile für das Kind und dem nicht rechtlich anerkannten Elternteil im Vergleich zu einer gemeinsamen Adoption bspw. im Erbrecht und im Personensorgerecht. Nach einer Änderung des Lebenspartnerschaftsgesetzes 2005 wurde daher auch die Stiefkindadoption geregelt und im Jahr 2013 durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht die Sukzessivadoption für Lebenspartnerschaften möglich gemacht. Somit können gleichgeschlechtliche Paare über den „Umweg“ der Sukzessivadoption– wenn auch zeitlich nacheinander – gemeinschaftlich adoptieren und so rechtlich gleichberechtigte Eltern sein. Bereits die geltende Rechtslage erkennt also im Kern eine gleichgeschlechtliche Elternschaft an, die auch nicht gegen das Kindeswohl verstößt wie teilweise immer noch befürchtet wird. Es stellt sich somit als eine unlogische und nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung dar, Lebenspartnerschaften die gemeinschaftliche Adoption zu verwehren. Auch im Vergleich mit Nachbarstaaten und unter Beachtung der EMRK (vgl. auch Beitrag von Emmanuel Manolas) erscheint eine solche Ungleichbehandlung fragwürdig. Hier hebt sich der gescheiterte Antrag der Grünen ab, der auf eine tatsächliche rechtliche Gleichstellung von Ehe und Partnerschaft abzielte und die gemeinschaftliche Adoption beinhaltet hätte.
Unzureichend sind jedoch alle Anträge bezogen auf weitere Möglichkeiten zur Verwirklichung des Kindeswunsches. Aktuell besteht kein rechtlicher Zugang zu Reproduktionstechnologien für gleichgeschlechtliche Paare, während Ehepaare sich ggf. sogar die Kosten für eine künstliche Befruchtung von der Krankenkasse erstatten lassen können (§ 27a SGB V). Problematisch ist zudem, dass dennoch im Wege der Samenspende gezeugte Kinder (beispielsweise im Ausland oder mit Hilfe einer Samenspende von Bekannten ohne ärztliche Assistenz) sich rechtlich in einer unsichereren Situation befinden. So gilt die Fiktion des § 1592 Nr. 1 BGB, wonach der Ehemann der Mutter der Vater des Kindes ist, nicht für die Lebenspartnerschaft und die Co-Mutter, so dass die Co-Mutter trotz sozialer Elternschaft keine Elternstellung mit der Geburt erlangen kann und den Umweg über eine Stiefkindadoption gehen muss. Dabei wäre es denkbar, die zukünftigen Elternteile gleich auf Antrag oder über eine Fiktionslösung in die Geburtsurkunde einzutragen, wie dies etwa in Schweden auch bei gleichgeschlechtlichen Ehepaaren der Fall ist. Zudem bedarf es einer Einschränkung der Anfechtungsberechtigung in § 1600 BGB, so dass auch der private Samenspender von der Vaterschaftsanfechtung ausgeschlossen ist, sofern das Kind mit Einwilligung der Co-Mutter gezeugt wurde. Des Weiteren wäre es denkbar, Mehrelternschaften zuzulassen, um solche Familien rechtlich abzusichern, die beispielsweise aus einem lesbischen Paar und einem schwulen Mann bestehen, in denen die Vaterrolle des Mannes von allen Seiten erwünscht ist. Erst 2013 ist Kanada mit guten Beispiel bereits voran gegangen: bis zu vier Elternteile können dort eine rechtliche Stellung einnehmen – eine Regelung, die auch sogenannten Patchworkfamilien entgegen kommen könnte.
Von all solchen Regelungen sind die Gesetzesentwürfe der hiesigen Debatte weit entfernt, es schient kein Raum für Visionen zu geben. Dabei wird der größere Bedarf an einer Modernisierung im Familienrecht auch in anderen europäischen Ländern gesehen, wie etwa das Gutachten von Ingeborg Schwenzer bezüglich der Schweiz zeigt.
Fazit
Es bleibt festzuhalten, dass gegen die Öffnung der Ehe auch ohne eine Grundgesetzänderung aus verfassungsrechtlicher Perspektive nichts spricht, diese vielmehr sogar geboten ist. Sie wäre ein erster Schritt zu einem moderneren Familienrecht, das sich an gelebten Familienkonstellationen ausrichtet und dem gewandelten Verständnis in der Gesellschaft gerecht wird. Nur so kann echte Gleichberechtigung – sowohl für gleichgeschlechtliche Lebensweisen als auch für Familien abseits der bürgerlichen Kleinfamilie – gelingen.