Von MARIUS KÜHNE
Ab dem 01. Februar müssen soziale Netzwerke strafbare Inhalte ihrer User an das BKA übermitteln – doch Facebook, Youtube und Co. wehren sich gegen diese Pflicht. Die staatliche Bekämpfung von Hassrede im Netz hat mit technischen und rechtlichen Hürden zu kämpfen. Neue Impulse kommen derweil von der europäischen Ebene.
Das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität sollte der große Wurf sein, der den eher moderaten Löschpflichten des Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von 2017 mehr Wirkung verleiht. Nach einigen Korrekturschleifen, die im Wesentlichen mit zwischenzeitlich ergangenen Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts zur Bestandsdatenauskunft zusammenhingen, traten die Neuregelungen schließlich überwiegend zum 01.07.2021 in Kraft. Einzig die wohl größte Veränderung soll erst ab dem 01.02.2022 gelten. Dann sind soziale Netzwerke verpflichtet, bestimmte strafbare Inhalte ihrer User – nach vorheriger Prüfung durch eigenes Personal – an das Bundeskriminalamt (BKA) zu übermitteln. Gegen diese Verpflichtung haben u.a. die zum Meta-Konzern gehörende Netzwerke Instagram und Facebook sowie die Plattform YouTube und deren Dachorganisation Google bereits im Juli 2021 vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln Klage erhoben und einstweilige Anordnungen beantragt.
Unternehmen zweifeln an Rechtmäßigkeit
Die Reform bezweckt, dass soziale Netzwerke strafbare Inhalte nicht nur löschen, sondern auch eine effektive Strafverfolgung der Urheber:innen dieser Inhalte ermöglichen. Von Usern gemeldete Inhalte sollen zukünftig zunächst von Mitarbeiter:innen der sozialen Medien auf ihre Strafbarkeit hin überprüft werden. Sind nach deren Ansicht bestimmte Straftatbestände, beispielsweise der Volksverhetzung oder Bedrohung, erfüllt, muss die Plattform den Inhalt und die verwendete IP-Adresse an das BKA weiterleiten (§ 3a Abs. 2 NetzDG).
Die Sozialen Netzwerke halten diese Praxis für einen unverhältnismäßigen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ihrer User. Sie argumentieren, dass der Bundestag im Gesetzgebungsverfahren selbst davon ausgegangen sei, dass in rund 40% der Fälle der Datenübermittlung an das BKA tatsächlich kein strafbarer Inhalt vorliege. Somit würden in erheblichem Umfang die Daten von Nutzer:innen gespeichert, die sich rechtmäßig verhalten haben. Auch könne die Vorgabe, User erst nach vier Wochen über die Weitergabe zu informieren, deren Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aushebeln.
Darüber hinaus bemängeln die Sozialen Netzwerke, dass die Prüfung der Inhalte hinsichtlich der Strafbarkeit ihrer Urheber:innen auf private Unternehmen abgewälzt würden. Obwohl die Klagen an sich keine aufschiebende Wirkung haben, hat das Bundesjustizministerium in einer „Stillhaltezusage“ zugesichert, bis zum Abschluss des Verfahrens nicht auf eine Befolgung der Meldepflicht zu bestehen.
Behörde im Wartestand
Neben den genannten rechtlichen Fragestellungen birgt die NetzDG-Meldepflicht erhebliche Herausforderungen in ihrer praktischen Umsetzung. Das BKA rechnet damit, jährlich etwa 250.000 Meldungen über durch die Betreiberinnen sozialer Netzwerke übermittelt bekommen könnte, die in 150.000 Strafverfahren münden könnten. Für die überwiegende Anzahl der übermittlungspflichtigen Straftatbestände fehlt dem BKA jedoch die Zuständigkeit zur Strafverfolgung. Lediglich in den vermutlich äußerst seltenen Fällen der §§ 129a, 129b StGB ist das BKA für die Strafverfolgung zuständig (§ 4 BKAG). Zudem erscheint denkbar, dass die Behörde in den Meldungen Anhaltspunkte für Gefahrenabwehrsachverhalte in Hinblick auf eine bevorstehende terroristische Gewalttat (§ 5 Abs. 1 BKAG) oder zum Schutz der Mitglieder von Verfassungsorganen (§ 6 BKAG) erkennt. In den übrigen Fällen kann das Amt lediglich im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion gem. § 10 BKAG die Identität der User und damit die örtlich zuständigen Behörden im Wege der Bestandsdatenauskunft ermitteln, sofern es den Verdacht einer Straftat bejaht.
Um die schiere Masse an NetzDG-Meldungen bearbeiten zu können, zählt die im BKA eingerichtete „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“ rund 200 Beamt:innen. Denkbar ist auch, die übermittelten Inhalte, deren Strafbarkeit bisher nur durch Personal des sozialen Netzwerks begutachtet wurde, automatisiert auszuwerten. In Betracht kommt dabei jedoch lediglich eine technische Unterstützung der zuständigen Sachbearbeiter:innen. Eine vollautomatisierte Einleitung eines Strafverfahrens würde die Beschuldigten zum Objekt staatlichen Handelns machen und dürfte daher nicht mit Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes vereinbar sein. Zudem würde eine solche automatisierte Einzelentscheidung eine eigenständige Rechtsgrundlage voraussetzen (§ 54 Abs. 1 BDSG).
Neuigkeiten aus Brüssel
Auch nach Inkraftreten der NetzDG-Meldepflicht sind weitere Reformen der Bekämpfung von Hassrede im Internet zu erwarten. Bereits jetzt bestehen Zweifel, ob die NetzDG-Übermittlungspflicht unionsrechtskonform ist. Auch wird im Schrifttum inzwischen überwiegend angenommen, dem Bund fehle die für das NetzDG notwendige Gesetzgebungskompetenz, während sich die Gegenansicht auf den Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft (Art. 74Nr. 11, teilweise i.Vm. Art. 72 Abs. 2 GG) stützt. Möglicherweise könnten sich diese Fragen jedoch durch eine Neuregelung auf EU-Ebene erledigen
Das Europäische Parlament hat Ende Januar seine Position zum Kommissionsvorschlag eines Digital Service Act (DSA) beschlossen und beginnt nun mit Rat und Kommission die sog. Trilog-Verhandlungen über die geplante EU-Verordnung. Der DSA soll einige Regelungen der europäischen E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 in die Rechtsform einer unmittelbar anwendbaren Verordnung überführen und schafft darüber hinaus neue Vorschriften zur Regulierung von Online-Plattformen.
Art. 14 DSA regelt ähnlich wie § 3 NetzDG ein sog. „Melde- und Abhilfeverfahren“, mit dem User gegen (vermeintlich) rechtswidrige Beiträge vorgehen können. Anders als das NetzDG, das bestimmte Strafnormen in § 1 Abs. 3 als rechtswidrige Inhalte definiert und für einen Teil davon zukünftig eine Meldung an das BKA vorsieht (§ 3a Abs. 2), operiert der DSA mit dem sehr weit-gefassten Begriff der „illegalen Inhalte“ (Art. 2 lit. g). Ein solcher liegt bei jedem Verstoß gegen europäisches oder mitgliedstaatliches Recht vor, also auch bei Verstößen gegen beispielsweise das Ehrschutz- oder Urheberrecht. Eine Differenzierung in strafbare und anderweitig rechtswidrige Inhalte wurde im Europäischen Parlament zwar diskutiert, konnte sich aber (bisher) nicht durchsetzen.
Einzelheiten des geplanten DSA sind heftig umstritten und werden auch zwischen den Rechtssetzungsorganen der EU noch für Diskussionen sorgen. Kritiker:innen befürchten durch den weit-gefassten Begriff der „illegalen Inhalte“ ein Overblocking durch die Sozialen Netzwerke – nicht zuletzt, weil der DSA bei Nicht-Löschung mit Entzug des Providerprivilegs, allgemein nicht für die Inhalte auf der eigenen Plattform zu haften, droht. Nach aktuellem Stand des Gesetzgebungsverfahren könnte es aber sein, dass der DSA zu einer Vollharmonisierung der Regulierung Sozialer Netzwerke hinsichtlich rechtswidriger Inhalte führen und wegen des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs das NetzDG diesbezüglich wohl verdrängen würde.
Auf europäischer Ebene wird offenbar angestrebt, den Digital Service Act unter französischer Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte zu verabschieden. Wann mit einer Entscheidung des VG Kölns zur NetzDG gerechnet werden kann, ist zurzeit noch nicht abzusehen. Unabhängig vom Ausgang beider Verfahren kann und sollte gegen einzelne Fälle von strafbarer Hassrede im Internet Strafanzeige erstattet werden – in der Hoffnung, dass Polizei und Justiz den Vorwürfen entschlossen nachgehen.
Zitiervorschlag: Marius Kühne, Bitte melden! Rechtliche und praktische Tücken der NetzDG-Meldepflicht, JuWissBlog Nr. 9/2022 v. 31.1.2022, https://www.juwiss.de/9-2022/.
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[…] Inhalte“, als ihn das deutsche NetzDG hatte. Positiv ist auch, dass die EU-Verordnung auf das unions- und verfassungsrechtlich umstrittene Übermittlungsverfahren strafbarer Inhalte an das BKA verzichtet. Ob sich die Gefahren des weit gefassten Begriffs […]