von SVENJA BONNECKE
Das Gutachten OC-32/25 des Interamerikanischen Gerichtshofs zeigt, dass auch unverbindliche Klimaentscheidungen auf internationaler Ebene etwas bewegen können. Sie führt das Recht auf ein sicheres Klima als Menschenrecht ein. Sie anerkennt die Natur als Rechtssubjekt und verpflichtet Staaten zum Umweltschutz. Trotz fehlender Bindungswirkung hat sie Potenzial, nationale Rechtsprechung zu prägen, insbesondere durch den Schutz von Aktivistinnen und Aktivisten und die Betonung staatlicher Pflichten gegen Desinformation.
In einer Zeit, in der es scheint, dass der Klimawandel in der politischen Diskussion an Relevanz abgenommen hat, haben jüngst sowohl der Internationalen Gerichtshofs als auch des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte Gutachten vorgelegt, die den Zusammenhang zwischen Klimawandel, Menschenrechten und Staatenverantwortlichkeit betonen. Sie setzen damit ein klares Signal, den Klimaschutz trotz politischer Schwerpunktverschiebungen wieder ins Zentrum der internationalen Agenda zu rücken. Der Beitrag zeigt, dass selbst rechtlich unverbindliche Entscheidungen auf internationaler Ebene Wirkung entfalten können: Sie fördern den Dialog zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft und stärken deren Anliegen im völkerrechtlichen Diskurs und beeinflussen langfristig die Entwicklung des internationalen Umweltrechts. Bemerkenswert ist, dass beim Interamerikanischen Gerichtshof auch Nichtregierungsorganisationen angehört wurden, was eine stärkere Einbeziehung unterschiedlicher Gruppen der Zivilgesellschaft und damit eine breitere Perspektive auf die rechtlichen und sozialen Herausforderungen des Klimawandels ermöglicht. Beide Gutachten weisen trotz unterschiedlicher Inklusion von Stimmen in dieselbe Richtung. Schon 2023 hatte der Internationale Seegerichtshof in einem Gutachten für die Kommission der Kleinen Inselstaaten klargestellt, dass Staaten nach dem Seerechtsübereinkommen due diligence-Pflichten zur Reduktion von Treibhausgasemissionen haben und geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, wenn diese die Meeresumwelt beeinträchtigen.
Weiterentwicklung der Rechtsprechung
In diese Reihe fügt sich das Gutachten des Interamerikanischen Gerichtshofs ein, die am 3. Juli 2025 an Chile und Kolumbien offiziell übermittelt wurde. Diese hatten am 9. Januar 2023 eine Anfrage zur Klärung des Menschenrechts auf eine gesunde Umwelt im Kontext der Klimakrise gestellt.
Die Entwicklung des Gerichtshofs verdeutlicht die wachsende Relevanz solcher, wenngleich unverbindlicher, Stellungnahmen: Obwohl die Amerikanische Menschenrechtskonvention kein ausdrückliches Recht auf eine saubere Umwelt kennt, betont der Gerichtshof zunehmend, dass Menschenrechte wie Leben, Gesundheit, Privatsphäre und Eigentum nur bei gleichzeitiger Wahrung des Umweltschutzes gesichert werden können. Aus diesen Rechten leitet er staatliche Pflichten zu präventiven und schützenden Maßnahmen im Umwelt- und Klimabereich ab. In der Stellungnahme im Jahr 2017 bezog sich der Gerichtshof das erste Mal auf ein Recht auf eine gesunde Umwelt, das implizit durch die Amerikanische Menschenrechtskonvention geschützt wird, abgeleitet aus den Artikeln 4 (Recht auf Leben) und 26 (progressive Entwicklung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte). Diese evolutive Auslegung liegt nach meiner Auffassung im richterlichen Ermessensspielraum und trägt zur Fortentwicklung des interamerikanischen Menschenrechtsschutzes bei. Im Jahr 2020 verband der Gerichtshof in seinem Urteil Lhaka Honhat vs. Argentinien die Rechte der indigenen Gemeinschaften mit der staatlichen Pflicht zum Umweltschutz. Auch wenn das aktuelle Gutachten unverbindlich ist, könnte es zukünftige verbindliche Entscheidungen beeinflussen und als Teil eines Dialogs mit dem Internationalen Gerichtshof verstanden werden.
Dialog mit nationalen Rechtssystemen
Das aktuelle Gutachten des Gerichtshofs ist in vielerlei Hinsicht wegweisend. Zwar erkennen einige lateinamerikanische Verfassungen, etwa in Ecuador und Bolivien, die Natur als Rechtssubjekt an, doch verleiht der Gerichtshof dieser Rechtssubjektivität nun regionale Geltung (Randnummer 279 ff. des Gutachtens) und stärkt damit diesen Ansatz. Zudem erkennt er ein eigenständiges Menschenrecht auf ein gesundes Klima an (Randnummer 300 des Gutachtens), das er aus dem bereits 2017 anerkannten Recht auf eine gesunde Umwelt ableitet. Er betont die Dringlichkeit und Komplexität der erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des globalen Klimasystems und grenzt die staatlichen Klimaschutzpflichten klarer ab. Zugleich ordnet er diese Anerkennung in eine breitere internationale Entwicklung ein, in der UN-Organe wie der Kinderrechtsausschuss (General Comment Nr. 26) oder der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt Klimaschutz als Menschenrechtspflicht betonen (vgl. Randnummer 300 f. des Gutachtens).
Der Gerichtshof schafft mit dieser Argumentation eine eigenständige Rechtsgrundlage, auf deren Basis die Klimaverpflichtungen der Staaten klar definiert und im interamerikanischen Menschenrechtssystems einklagbar werden, ohne auf allgemeine Umweltpflichten zurückzugreifen.
Zudem erklärt er den Klimanotstand und betont nationale und lokale Klimapläne als zentrale Instrumente (beispielsweise Randummer 230 des Gutachtens). Diese Pläne sollen nicht bloß unverbindliche Programme sein, die je nach Regierung geändert und in der Praxis nicht umgesetzt werden, sondern durch ihre Anbindung an internationales Recht neue rechtliche und politische Bedeutung erhalten. Das Gutachten kann von Gerichten, Gesetzgebern und Verwaltungen bei der Entwicklung, Anpassung und Umsetzung der Pläne berücksichtigt werden und entfaltet so faktisch normative Kraft, obwohl es formal nicht bindend ist.
Darüber hinaus kann dieses Gutachten auf mehreren nationalen Ebenen Wirkung entfalten. Es kann in Gerichtsverfahren zur Untermauerung staatlicher Klimapflichten herangezogen werden, als Orientierung für Gesetzgebung und politische Leitlinien dienen und regionale Kooperation sowie Standardsetzung fördern, etwa bei der Anpassung von Umweltprüfungsregeln und als Referenz für die Umsetzung des Abkommens von Escazú, auch in Staaten, die das Abkommen noch nicht ratifiziert haben, wodurch internationale Standards de facto übernommen werden.
Schutz von Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten
Die nicht verbindliche Stellungnahme kann Aufmerksamkeit auf bisher politisch zögerlich behandelte Themen lenken. Denn aufgrund der Verfolgung verschiedener Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten in der Region und wahrscheinlich auch als Resultat der Teilnahme der Nichtregierungsorganisationen im Verfahren, hebt der Gerichtshof hervor, dass die Staaten die Pflicht haben, diese Aktivistinnen und Aktivisten zu schützen und gezielte Klagen gegen sie zu verhindern (Randnummer 566 des Gutachtens). Das Gutachten betont, dass Aktivistinnen und Aktivisten die Demokratie und den Rechtsstaat stärken (Randnummer 563 des Gutachtens), weshalb Staaten gezielt Maßnahmen gegen Stigmatisierung, Bedrohung, Kriminalisierung, Einschüchterung und Gewalt ergreifen müssen. Angriffe, wie etwa sog. SLAPP-Klagen, sollen zügig und gründlich untersucht, verfolgt und bestraft werden (Randnummer 568 f. des Gutachtens). Außerdem müssen die Staaten den Zugang zu effektiven Schutzmechanismen und Rechtsmitteln gewährleisten. Das Gutachten nutzt das Abkommen von Escazú mit seinem regionalen Standard zum Schutz von Umweltverteidigerinnen und -verteidigern als Interpretationsrahmen, der auch Staaten außerhalb der Ratifizierung als de facto bindend empfohlen wird. Dies verdeutlicht erneut, wie unverbindliche Entscheidungen konkrete Schutzmechanismen stärken können.
Kampf gegen Desinformation
Spannend ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Gerichtshof seine Argumentation auf verschiedene wissenschaftlliche Studien stützt und die Bekämpfung der Desinformation im Bereich des Klimawandels entschieden hervorhebt. Diese Pflicht leitet er aus der völkerrechtlichen Schutzverantwortung ab, nach der Staaten öffentliche Debatten und Entscheidungen auf wissenschaftlich verlässlicher Grundlage sicherstellen müssen (Randnummer 525 f. des Gutachtens). So sollen Regelungen geschaffen werden, die gezielte Falschinformationen verhindern, die die politische Debatte verzerren. Angesichts der aktuellen weltweiten politischen Lage scheint es wichtig, diese staatliche Verpflichtung erneut zu betonen und damit ein klares Zeichen gegen Desinformation und für die wissenschaftsbasierte Diskussion zu setzen.
Auch wenn die Stellungnahmen der internationalen Gerichte nicht bindend und allgemeine Auffassungen zur Interpretation der Konventionen darstellen, können sie durch Rezeption von Juristinnen und Juristen, Politikerinnen und Politikern, Umweltschützerinnen und Umweltschützern und Akademikerinnen und Akademikern in den jeweiligen Ländern Teil der nationalen Rechtspraxis werden, sodass die Staaten letztendlich eine Verpflichtung zur Umsetzung sehen, die entscheidend für den Klimaschutz sein kann. Somit zeigt sich, dass unverbindliche Entscheidungen, obwohl nicht rechtlich bindend, politische, rechtliche und gesellschaftliche Wirkung entfalten.
Zitiervorschlag: Bonnecke, Svenja, Völkerrechtliche Entwicklungen im Umweltschutz: Der Interamerikanische Gerichtshof und die Stellungnahme OC-32/25, JuWissBlog Nr. 93/2025 v. 09.10.2025, https:/www.juwiss.de/93-2025/
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