von THOMAS SENDKE
Klimawandel, Umweltverschmutzung, soziale Ungleichheit: Die Menschheit steht vor großen Herausforderungen, die wegweisende Entscheidungen erforderlich machen. Dabei steht immer wieder ein Rechtsgebiet im Fokus, in dem viele intuitiv wohl nicht nach Lösungsansätzen für die großen Herausforderungen unserer Zeit suchen würden: das Steuerrecht. Doch ist es dem Gesetzgeber möglich, auf das Steuerrecht zurückzugreifen? Und ist das Steuerrecht überhaupt die geeignete Materie zur Lösung dieser Probleme? Mit diesen grundlegenden Fragestellungen soll sich der folgende Beitrag beschäftigen.
Steuerrecht in aller Munde
An komplexen Problemen mangelt es derzeit nicht. Besonders die globale Klima- und Umweltpolitik steht spätestens seit „Fridays for Future“ ganz oben auf der politischen Agenda. Antworten sucht man dabei auch im Steuerrecht. Es gibt kaum eine neue Steuer, die in den vergangenen Monaten nicht zumindest angedacht worden wäre. Zur Erreichung der Klimaziele könnte bald eine CO2-Steuer eingeführt werden, für mehr Tierwohl wird eine Fleischsteuer diskutiert, gegen die voranschreitende Verschmutzung der Ozeane hilft eine Plastiksteuer und ungesunde Ernährung könnte durch eine Zuckersteuer eingeschränkt werden.
Neu ist der Einsatz des Steuerrechts als Lenkungsinstrument gerade im Bereich der Umweltpolitik nicht. Bereits in den 1990er-Jahren gab es eine sog. ökologische Steuerreform bestehend aus der Einführung einer Stromsteuer und der Erhöhung der Mineralölsteuer. Doch sind derartige Steuern mit dem Sinn und Zweck von Besteuerung vereinbar?
Der Zweck der Besteuerung
Hauptzweck der Besteuerung ist die Finanzierung staatlicher Aufgaben. Das kommt in § 3 Abs. 1 HS. 1 der Abgabenordnung (AO) zum Ausdruck, in dem es heißt, Steuern seien Geldleistungen, die allen durch ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen „zur Erzielung von Einnahmen“ auferlegt werden. Die meisten Normen in den materiellen Steuergesetzen dienen diesem Einnahmeerzielungszweck und werden daher als Fiskalzwecknormen bezeichnet.
Das moderne Steuerrecht ist allerdings multifunktional, wie sich auch aus § 3 Abs. 1 HS. 2 AO ergibt. Darin heißt es, „die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein“. Die damit angesprochenen sog. Sozialzwecknormen können unterschiedliche Zielrichtungen haben, beispielsweise sozial-, kultur- oder umweltpolitische Zwecke. Soweit das Steuerrecht dabei als Lenkungsinstrument eingesetzt wird, spricht man von Lenkungsnormen als Unterkategorie der Sozialzwecknormen. Der Zielkonflikt zwischen Einnahmeerzielung und Lenkungserfolg wird bewusst vom Gesetzgeber in Kauf genommen.
Verfassungsrechtliche Vorgaben
Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt die Lenkungsfunktion des Steuerrechts in ständiger Rechtsprechung an. Sinnbildlich heißt es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1980, dass „die Steuer in der modernen Industriegesellschaft zwangsläufig auch zum zentralen Lenkungsinstrument aktiver staatlicher Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik geworden ist“ (BVerfGE 55, 274, 299). Als Maßstab einer gerechten Besteuerung kommt dabei – anders als bei Fiskalzwecknormen – in erster Linie nicht das Leistungsfähigkeitsprinzip in Betracht. Stattdessen lassen sich Sozialzwecknormen durch „Gründe des Gemeinwohls“ rechtfertigen (BVerfGE 138, 136, 181 f.). Dabei verfügt der Gesetzgeber über einen großen Spielraum, welche Ziele er für förderungswürdig hält. Die Grenze bildet das Willkürverbot.
Für einige der diskutierten Lenkungssteuern ist außerdem zu beachten, dass das BVerfG in seiner Entscheidung zur Kernbrennstoffsteuer klargestellt hat, dass es kein über den Katalog des Art. 106 GG hinausgehendes „Steuererfindungsrecht“ des Bundes gibt (BVerfGE 145, 171).
Was für Lenkungssteuern spricht
Der Staat hat verschiedene Optionen zur Steuerung gesellschaftlichen Verhaltens. Lenkungssteuern haben den Vorteil, dass sie dem Steuerpflichtigen eine gewisse Entscheidungsfreiheit belassen. Es handelt sich um eine bloß mittelbare Verhaltenslenkung, ohne dass der Staat von eingriffsintensiveren Ordnungsmaßnahmen wie Verboten Gebrauch macht. Umgekehrt geht die Lenkungssteuer über freiwillige Selbstverpflichtungen hinaus, die in der Vergangenheit selten den gewünschten Erfolg brachten. Lenkungssteuern bilden insofern einen angemessenen Kompromiss zwischen Freiwilligkeit und Verbot.
Auch die ökonomische Rationalität spricht für den Rückgriff auf Lenkungssteuern. Unser Wirtschaftssystem ist eher auf kurzfristige Gewinne und weniger auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Würde man dagegen beispielsweise die zukünftigen Kosten des Klimawandels einpreisen, käme man zu anderen Ergebnissen. Da die zukünftigen Kosten des Klimawandels von der Allgemeinheit – also dem Steuerzahler – getragen werden müssen, erscheint eine Besteuerung der Verursacher ökonomisch sinnvoll. Außerdem liegt es nahe, in einer marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaft nach systemimmanenten Lösungen zu suchen. Die Verteuerung allgemeinheitsschädlicher Güter gehört hierzu.
Schließlich hat die Vergangenheit gezeigt, dass Lenkungssteuern Erfolg haben können. So hat die 2004 eingeführte Alkopopsteuer unmittelbar nach ihrer Einführung zu einem starken Konsumrückgang bei Alkopops geführt, der sich auch in wesentlich geringeren Steuereinnahmen niedergeschlagen hat. Konsequenterweise sollte der Staat eine Lenkungssteuer aber auch wieder abschaffen, wenn sich der gewünschte Lenkungserfolg nicht einstellt.
Was gegen Lenkungssteuern spricht
Ein gesellschaftliches Umdenken kann und sollte nicht gegen den Willen der Gesellschaft durchgesetzt werden. Dem Steuerrecht als klassischem Eingriffsrecht fehlt dabei häufig eine breite Akzeptanz. Zugleich droht eine gefährliche Vermischung von Moral und Steuer. Derjenige, der sich sozial unerwünscht verhält, wird auch steuerlich höher belastet. In der steuerlichen Sonderbelastung manifestiert sich ein kontraproduktives Schamgefühl, etwas sozial Unerwünschtes zu tun. Andererseits sieht ein Großteil der Bevölkerung dringenden Handlungsbedarf. Darauf aufbauend lässt sich die Akzeptanz einer Lenkungssteuer dadurch erhöhen, dass die hieraus erzielten Mehreinnahmen unter Beachtung des Gesamtdeckungsprinzips zweckgerichtet z.B. zum Schutz des Klimas oder zur Verringerung sozialer Ungleichheit verwendet werden.
Der Lenkungszweck wird im Übrigen dann nicht erfüllt, wenn es keine gleichwertige Handlungsalternative für den Steuerpflichtigen gibt. Wer beispielsweise für den Weg zur Arbeit auf sein Auto angewiesen ist, wird sein Verhalten trotz erhöhter Besteuerung nicht umstellen können. Zwar lässt sich eine Besteuerung immer noch durch die erhöhte Schadstoffverursachung rechtfertigen. Um das eigentliche Lenkungsziel zu erreichen bedarf es aber eines übergreifenden, abgestimmten Systems, z.B. durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes.
Schließlich wird gerade den Lenkungsnormen entgegengehalten, sie würden zu einer Verkomplizierung des Steuerrechts führen. Komplizierte Normen sind häufig aber nur das Spiegelbild der Komplexität der Probleme. Für elementare Probleme werden sich keine vermeintlich einfachen – zumal gerechten – Lösungen finden lassen. Außerdem resultiert die Komplexität des Steuerrechts überwiegend aus der verfehlten Berücksichtigung von Individual- und Gruppeninteressen (erinnert sei nur an den ermäßigten Umsatzsteuersatz für Hotelübernachtungen), um die es bei Lenkungssteuern gerade nicht gehen sollte.
Fazit
Der Einsatz des Steuerrechts als Lenkungsinstrument ist innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen ein probates Mittel zur Steuerung gesellschaftlichen Verhaltens. Das Steuerrecht beschränkt sich in einem modernen Staat nicht nur auf den Zweck der Einnahmeerzielung, sondern ist multifunktional. Es kann auch Aufgaben des Ordnungsrechts übernehmen, ohne zugleich dessen Eingriffsintensität zu erreichen. Zugleich ist das Steuerrecht kein Allheilmittel. Die gewünschte Lenkungsfunktion wird nur dann eintreten, wenn die Steuer durch weitere Maßnahmen flankiert wird und der Staat gleichwertige Handlungsalternativen für den Steuerpflichtigen schafft. In erster Linie bedarf es einer Versachlichung der Debatte, die gegenwärtig in Politik, Gesellschaft und Medien noch ideologisiert geführt wird.
Zitiervorschlag: Sendke, Mit dem Steuerrecht die Welt retten?, JuWissBlog Nr. 87/2019 v. 11.9.2019, https://www.juwiss.de/87-2019/
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