von NIKLAS WOLF
Mit der immer dramatischeren Entwicklung der Corona-Lage sah sich der Bund gezwungen, seine Strategie zu ändern. Die zwischenzeitlich kostenpflichtigen Corona-Bürgertests sind seit einigen Wochen wieder kostenlos, um auch Geimpfte dazu anzuregen, sich wieder regelmäßig testen zu lassen. Doch kostenlos sind die Tests nicht für alle. Nur diejenigen, die einen Wohnsitz im Inland haben, können sicher sein, an jeder Teststation tatsächlich kostenlos getestet zu werden. Ist das europarechtskonform?
Traurige Berühmtheit erlangte vor einigen Jahren die „Ausländermaut“. Damals scheiterte Deutschland vor dem EuGH auch, weil die geplante Regel gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV verstieß (EuGH NZV 2019, 636, Leitsatz). Anders als heute war die Unterscheidung damals weniger offensichtlich. Bezahlen mussten alle. Nur Menschen, die ihren PKW im Inland zugelassen hatten, sollten über die KFZ-Steuer entlastet werden.
Die Bürgertestung im Alltag
Mit den Schnelltests stellt sich die Situation anders dar. Besucht ein EU-Bürger oder eine EU-Bürgerin mit deutschem Wohnsitz eine Apotheke für eine Bürgertestung, so ist der Bürgertest, also ein Antigen-Schnelltest, der bei symptomlosen Personen durchgeführt wird, kostenlos. Personen ohne Wohnsitz in Deutschland bezahlen nach Auskunft einer örtlichen Apotheke 14,90 €. Einige Apotheken stellen für diese Personengruppe keinen Nachweis aus.
In einem konkreten Fall, den ich bezeugen musste und der Anlass für meine Auseinandersetzung mit der Thematik ist, hatte dieser Umstand auch Folgen für einen französischen Durchreisenden. Dieser benötigte wegen 3G in Bus und Bahn zwar ein Testzertifikat, einen sogenannten „Türöffner-Test“ (Rapidtest), jedenfalls bei der aufgesuchten Apotheke bekam er allerdings kein Zertifikat ausgestellt. Ob der Herr schlussendlich einfach darauf gehofft hat, einer Kontrolle zu entgehen, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Sicher ist jedoch, dass das Testen insbesondere für Durchreisende (Stichwort: Freizügigkeit) damit nicht attraktiver wird. Mit Blick auf das EU-Recht wirft diese Konstellation auch rechtliche Fragen auf.
Doch nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht bleiben nach weitergehender Recherche einige Fragezeichen zurück. So lässt sich feststellen, dass es auch Teststationen gibt, die jeden Menschen testen. Wer wen testet, lässt sich aber oft nur mittels der überwiegend ausschließlich auf deutsch abgefassten FAQs von Teststationen ermitteln. In kleineren Städten mit begrenztem Testangebot wird das zu einem echten Problem.
Die Rechtsgrundlage für die Bürgertestung
Rechtliche Grundlage für die Corona-Bürgertests bildet § 4a Corona-Testverordnung (TestVO). An den Wohnsitz oder die Staatsangehörigkeit knüpft die TestVO zumindest auf den ersten Blick nicht an. Einen weiteren Anhaltspunkt liefert § 7 I TestVO, der die Abrechnung mit der Kassenärztlichen Vereinigung vorschreibt. Die Beantwortung der Frage wer Anspruchsinhaber ist, ist damit vermeintlich naheliegend. Wenn die Abrechnung über nationale Krankenkassen erfolgt, dann können nur Versicherte gemeint sein, die Mitglied einer deutschen Krankenversicherung sind.
Also ein Fall von Ausländerdiskriminierung?
Nein. Auch mit Blick auf die Verordnungsermächtigung in § 20i III 2 SGB V wird schnell deutlich, dass die faktische Lage kein Fall von Ausländerdiskriminierung ist, sondern Folge rechtlicher Unkenntnis. Zwar wird im Rahmen der Testung etwa am Apothekenschalter für jedermann sichtbar zwischen EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern mit und ohne Wohnsitz in Deutschland unterschieden, dennoch liegt kein Fall einer in der TestVO verankerten, allenfalls mittelbaren Ausländerdiskriminierung (Art. 18 AEUV) vor. Eine unmittelbare Diskriminierung scheidet in jedem Fall aus, weil dafür Voraussetzung wäre, dass die TestVO offen an der Staatsangehörigkeit anknüpft. Die TestVO knüpft hinsichtlich des Anspruchs in § 1 I TestVO aber tatsächlich am Bestehen eines inländischen Krankenversicherungsschutzes an. Doch § 1 II TestVO erklärt auch Nichtversicherte zu Anspruchsberechtigten. Damit sind nicht nur Privatversicherte gemeint, sondern alle, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung sind, also auch solche Personen, die im Ausland krankenversichert sind (KassKomm/Schifferdecker, 114. EL Mai 2021, SGB V § 20i Rn. 18g). Es hat im Ergebnis also jeder Mensch einen Anspruch auf einen kostenlosen Bürgertest.
Systemfremde Verortung der Verordnungsermächtigung
Die TestVO hat ihre Grundlage in der in § 20i III 2 SGB V festgeschriebenen Verordnungsermächtigung. Grund für die Erstreckung auf Nichtversicherte ist aus Public-Health-Perspektive, dass nur etwa 90 % der Gesamtbevölkerung gesetzlich versichert sind (Kießling, SGb 2021, 730ff (732)). Im Gesetzgebungsverfahren wurde unter anderem auf den Ausschluss von privatversicherten oder sich illegal im Land aufhaltenden Menschen hingewiesen (Deutscher Caritasverband e.V., S.10f), weshalb sich der Gesetzgeber entschied, diesen Zusatz in die Verordnungsermächtigung aufzunehmen. In einer früheren Fassung fand sich in § 6 II Nr. 4 TestVO-E zudem eine Anspruchsvoraussetzung, die an den Wohnsitz des oder der Testwilligen anknüpfte (TestVO-E). Eine solche Regelung hätte darüber hinaus Wohnungslose von den Testungen ausgeschlossen.
Damit wird auch ein möglicher Grund für die teils vorherrschende Unkenntnis ersichtlich. Die Verordnungsermächtigung ist systematisch im Versichertenrecht verortet. Grund dafür war wohl eine finanzielle Überforderung der kommunalen Gesundheitsämter, weshalb der Gesetzgeber den Weg über § 19 ISfG in das Versichertenrecht wählte, um die Abrechnung über die gesetzliche Krankenversicherung zu ermöglichen (Kießling, SGb 2021, 730ff (735)). Aufgrund dessen, dass die durch § 20i III 2 SGB V ermöglichten Verordnungen überwiegend bevölkerungsbezogene und individuelle Ziele verfolgen, die nicht Teil der Aufgaben von Krankenversicherungen sind, ist die Verortung schlicht systemfremd (Kießling, SGb 2021, 730ff (735)). Möglicherweise ist dies aber gerade der Grund, warum einige Teststationen der Ansicht sind, dass nur inländisch Versicherte einen Anspruch auf eine kostenlose Testung hätten. Warum dann dennoch an den Wohnsitz der oder des Testwilligen angeknüpft wird, ist mehr als verwunderlich. Der Wohnsitz selbst sagt, insbesondere im Grenzgebiet, über die Mitgliedschaft in einer nationalen Krankenkasse wenig aus, vgl. z.B. § 5 I Nr. 1 SGB V, der die Versicherungspflicht an den Ort des Arbeitsplatzes, nicht etwa an den individuellen Wohnort knüpft.
Ein dennoch wünschenswertes und richtiges Endergebnis
Die eingangs vorgebrachte Überlegung, die möglicherweise auch Anlass für das Vorgehen einiger Teststationen ist, dass nur denen, die in die Krankenversicherung einzahlen, kostenlose Schnelltests gewährt werden sollen, ist trotz alledem nur auf den ersten Blick naheliegend. Dies folgt nicht nur aus dem öffentlichen Interesse an einer frühzeitigen Erkennung und Durchbrechung von Infektionsketten (Kießling, SGb 2021, 730 ff (734), sondern ist auch eine Errungenschaft der Europäischen Union. Denn unter besonderen Umständen sind auch EU-Bürger und EU-Bürgerinnen ohne nationale Krankenversicherung im Inland zu behandeln. Insbesondere bei unerwarteter Erkrankung, aber auch bei Behandlung von chronischen Krankheiten (YourEurope). Entscheidend ist die hohe Bedeutung der Behandlung für den oder die Betroffene, die eine Belastung der nationalen Krankenkasse rechtfertigt. Angesichts der einerseits hohen Bedeutung eines solchen Tests für das Individuum, insbesondere hinsichtlich von Reisen mit Bus und Bahn (3G) und des Zugangs zu verschiedensten Einrichtungen (2G+) sowie mit Blick auf den Schutz nahestehender Kontaktpersonen und andererseits der verhältnismäßig niedrigen Belastung für die Solidargemeinschaft, liegt eine ähnlich intensive Tatsachenlage vor, die eine Abweichung von allgemeinen krankenversicherungsrechtlichen Grundsätzen rechtfertigt, die der Gesetzgeber bei genauerem Hinsehen auch wollte. Dieses Vorhaben konterkariert er bedauerlicherweise durch eine missverständliche Verortung der Vorschrift.
Fazit
Zusammenfassend ist also zu sagen, dass die Corona-Bürgertests selbstverständlich europarechtskonform sind, weil sie eben für alle kostenlos sind. Der Gesetzgeber hat auf das geplante Wohnsitzerfordernis verzichtet und ermöglicht damit allen eine kostenlose Testung. Dramatisch ist allerdings, dass diese Information vielen Teststationen fehlt. Grund für die Verwirrung ist möglicherweise der im Kern pragmatische Ansatz, die Abrechnung der Tests über die Krankenkassen abzuwickeln. Im Hinblick auf den Zweck der Bürgertestung, nämlich eine möglichst effektive und flächendeckende Testung von Personen, die am öffentlichen Leben teilnehmen, ist es dennoch dringend geboten, den Irrtum hinsichtlich der Anspruchsberechtigung aufzuklären.
Zitiervorschlag: Niklas Wolf, Sind die kostenlosen Corona-Bürgertests nach § 4a Coronavirus-Testverordnung europarechtskonform?, JuWissBlog Nr. 1/2022 v. 7.1.2022, https://www.juwiss.de/1-2022/.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.