Von THERESA NEUMANN
Welche Auswirkungen das hessische Kommunalrecht aufgrund der Pandemielage durch das SARS-COV-2 Virus zu erwarten hat und wie sich das Verhältnis kommunaler Gemeindeorgane in einer Ausnahmesituation gestaltet, wird in diesem Beitrag näher untersucht. Der Fokus liegt auf der kommunalrechtlichen Ebene in Hessen.
Aufgrund der Krisensituation infolge des neuartigen Corona-Virus wurde in Hessen zunächst die Durchführung von Versammlungen von mehr als 100 Personen untersagt (Dritte Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus v. 14. März 2020). Kurz darauf wurde die maximale Teilnehmerzahl auf sechs Personen korrigiert (Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus v. 20. März 2020). Mittlerweile sind „Aufenthalte im öffentlichen Raum (…) nur alleine, mit einer weiteren nicht im eigenen Haushalt lebenden Person oder im Kreise der Angehörigen des eigenen Hausstandes gestattet“ (Verordnung zur Beschränkung sozialer Kontakte und zur Anpassung von Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus v. 22. März 2020).
Keine explizite Erwähnung findet meist das Zusammentreffen kommunaler politischer Gremien. Die Verordnung vom 22. März enthält nun eine Ausnahmeregelung für Sitzungen und Gerichtsverhandlungen. Gleichwohl gibt es Auswirkungen auf die Arbeit der politischen Gremien in den Kommunen. Aus präventiven Gründen werden Sitzungen der Gemeindevertretung (in Städten „Stadtverordnetenversammlung“), der Ausschüsse, der Ortsbeiräte und des Gemeindevorstands (in Städten „Magistrat“) verschoben oder abgesagt. Zu beobachten ist ebenfalls die Einrichtung von kommunalen Krisenstäben. Sind Gemeindevertretung und Gemeindevorstand derzeit handlungsfähig? Welche Entscheidungsbefugnisse besitzen kommunale Krisenstäbe? Tritt ein drittes Entscheidungsgremium neben Gemeindevertretung und Gemeindevorstand hinzu? Wie sind Krisenstäbe rechtlich einzuordnen? Enthält die Hessische Gemeindeordnung (HGO)[1] diesbezüglich Regelungen?
Gemeindevertretung und Gemeindevorstand in Zeiten der Krise
In Hessen ist die „unechte Magistratsverfassung“ durch das Miteinander zweier Gemeindeorgane geprägt: Gemeindevertretung und Gemeindevorstand. Die Gemeindevertretung beschließt gem. § 50 Abs.1 S.1 HGO „über die Angelegenheiten der Gemeinde, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.“ Im Einklang mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz fasst die Gemeindevertretung Beschlüsse in öffentlichen Sitzungen. Es besteht die Option, die Öffentlichkeit für einzelne Tagesordnungspunkte auszuschließen (§ 52 Abs.1 S.2 HGO), jedoch nicht für ganze Sitzungen. Es verbieten sich demnach Umlaufbeschlüsse (z.B. per E-Mail) oder interne Videokonferenzen. Ein Ausschuss mit geringerer Teilnehmerzahl kann gebildet werden. Auch dieser ist an den Öffentlichkeitsgrundsatz gebunden. Wenn die Sitzungen stattfinden sollen, müsste das Öffentlichkeitsprinzip und die persönliche Anwesenheit der Gemeindevertreter/innen gewahrt werden. Das erscheint derzeit aus Gründen des Gesundheitsschutzes wenig sinnvoll. Eine Neuregelung (Entwurf für ein Gesetz zur Sicherung der kommunalen Entscheidungsfähigkeit und zur Verschiebung der Bürgermeisterwahlen) sieht nun u.a. ein Eilentscheidungsrecht für den Finanzausschuss (oder einen besonderen Ausschuss) über dringende Angelegenheiten der Gemeindevertretung vor. Sie erlaubt dringliche Entscheidungen ggf. in einer nicht-öffentlichen Sitzung oder per Umlaufverfahren zu treffen. Die Neuregelung (§ 51a HGO), welche am 24.3.2020 vom hessischen Landtag in erster Lesung angenommen wurde und auf ein Jahr befristet ist, soll die Handlungsfähigkeit der Gemeindevertretung erhöhen.
Anders gestaltet sich die rechtliche Lage bezüglich des Gemeindevorstandes. Dieser kann gem. § 67 Abs.1 S.2 HGO in einfachen Angelegenheiten im Umlaufverfahren entscheiden, wenn kein Mitglied widerspricht. Eine Entscheidungsfindung des Gemeindevorstandes per Umlaufverfahren wäre denkbar. Wäre die Entscheidungsfindung per Videokonferenz, eine Abstimmung mit virtueller Präsenz, zulässig? Die HGO schweigt diesbezüglich. Sie verbietet jedoch geheime Abstimmungen im Gemeindevorstand, § 67 Abs.2 HGO. Es muss gewährleistet sein, dass jedes Gemeindevorstandsmitglied an der Sitzung teilnehmen und auch als solches identifiziert werden kann. Der Gemeindevorstand besteht gem. § 65 Abs.1 HGO aus dem Bürgermeister (bei mehr als 50 000 Einwohnern „Oberbürgermeister“), dem ersten Beigeordneten und weiteren Beigeordneten. Der Gemeindevorstand agiert als Verwaltungsbehörde der Gemeinde und besorgt gem. § 66 Abs.1 S.2 HGO „nach den Beschlüssen der Gemeindevertretung im Rahmen der bereitgestellten Mittel die laufende Verwaltung der Gemeinde“. Mit Hilfe von Umlaufverfahren und ggf. Videokonferenzen kann der Gemeindevorstand in Zeiten der Krise handlungsfähig bleiben.
Kommunaler Krisenstab vs. Gemeindevorstand?
Viele Städte und Gemeinden richten derzeit einen kommunalen Krisenstab ein, um besser reagieren zu können. Oftmals dienen Krisenstäbe als internes Verwaltungsgremium zur effektiveren Koordination. Teilweise werden sie auch als Informations- und Koordinierungsgremium eingesetzt, dem sowohl Verwaltungsmitarbeiter/innen, Mitglieder des Gemeindevorstands, Teilnehmer/innen aus öffentlichen oder privaten Einrichtungen angehören. Es gibt somit keine einheitliche Definition des Krisenstabes auf kommunaler Ebene.
Festzuhalten ist, dass die HGO keine ausdrückliche Regelung bezüglich der Einrichtung eines kommunalen Krisenstabes kennt. Welche Entscheidungen der Krisenstab auf kommunaler Ebene fällen kann, hängt davon ab, wie er sich zusammensetzt und welche Aufgaben er wahrnimmt. Nehmen Mitglieder des Gemeindevorstandes teil, könnte die vereinfachte Verfahrensregelung zur Entscheidungsfindung des Gemeindevorstands relevant werden. § 70 Abs.3 HGO regelt, dass der Bürgermeister „(…) in dringenden Fällen, wenn die vorherige Entscheidung des Gemeindevorstands nicht eingeholt werden kann, die erforderlichen Maßnahmen von sich aus anordnen“ kann. Er hat jedoch gem. Satz 2 „unverzüglich dem Gemeindevorstand darüber zu berichten“. Somit kann der Bürgermeister/die Bürgermeisterin dringende Aufgaben des Gemeindevorstandes ohne vorherige Absprache anordnen. Die Formulierung „in dringenden Fällen“ spricht jedoch für eine Einzelfallentscheidung.
Um einen Aufgabenbereich des Gemeindevorstands wahrzunehmen, könnte eine Kommission als Krisenstab eingesetzt werden. Eine Kommission kann gem. § 72 Abs.1 HGO vom Gemeindevorstand „zur dauernden Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Geschäftsbereiche sowie zur Erledigung vorübergehender Aufträge (…)“ gebildet werden. Sie besteht gem. § 72 Abs.2 S.1 HGO „aus dem Bürgermeister, weiteren Mitgliedern des Gemeindevorstands, Mitgliedern der Gemeindevertretung und, falls dies tunlich erscheint, aus sachkundigen Einwohnern.“ Für die eingerichtete Kommission gelten gem. § 72 Abs.4 S.2 HGO die Regeln zur Beschlussfassung von Entscheidungen, Beschlussfähigkeit und Einberufung des Gemeindevorstands entsprechend, falls keine abweichenden Bestimmungen getroffen werden. Notwendig ist ein klar definierter Aufgabenbereich der laufenden Verwaltung. Somit könnte eine Krisenkommission Entscheidungen für den ihr übertragenen Bereich fällen. Es bleibt die Frage, ob das Einrichten einer Kommission die Reaktionsmöglichkeiten des Gemeindevorstands nicht eher verkompliziert.
Fazit
Die Einrichtung eines kommunalen Krisenstabes ist möglich. Zu Beginn stehen die Fragen, zu welchem Zweck ein solcher eingerichtet wird und welche Aufgaben er wahrnehmen soll. Wenn er allein der Koordination und dem Austausch von Informationen dient, sind freie Gestaltungsmöglichkeiten gegeben. Sobald Mitglieder des Gemeindevorstands in ihrer Funktion an einem kommunalen Krisenstab teilnehmen, gelten die Vorschriften der HGO. Wenn sie wichtige Verwaltungsangelegenheiten wahrnehmen bzw. wichtige Fragen der Gemeindeverwaltung betroffen sind, greift die Informationspflicht des Gemeindevorstandes gegenüber Bürger/innen und Gemeindevertreter/innen. Auch das Fragerecht der Gemeindevertreter/innen bleibt bestehen. Die HGO kennt hierfür keine Ausnahmeregelung. Soll der Krisenstab ganze Aufgabenbereiche des Gemeindevorstandes wahrnehmen, wäre die Einrichtung einer „Krisenkommission“ denkbar, die ebenfalls an die HGO gebunden wäre.
Trotz kommunalen Krisenstabs bleiben Gemeindevertretung und Gemeindevorstand weiter in der Pflicht. Beide können nicht durch einen Krisenstab ersetzt werden. Der Gemeindevorstand kann z.B. durch die Möglichkeit der Entscheidungsfindung per Umlaufverfahren agieren. Die Handlungsfähigkeit kommunaler Gemeindeorgane muss gewährleistet sein, denn Rechte und Pflichten nach der HGO bestehen auch in Zeiten der Krise weiter.
[1] Die Bestimmungen der HGO sind einsehbar z.B. auf der Internetseite des Bürgerservice Hessenrecht, https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/jlr-GemOHE2005rahmen.
Zitiervorschlag: Theresa Neumann, Handlungs(un)fähig? Kommunale Gemeindeorgane in einer Ausnahmesituation, JuWissBlog Nr. 41/2020 v. 30.3.2020, https://www.juwiss.de/41-2020/
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Mich würde eure Einschätzung folgender Konstellation interessieren: Eine Reihe von Gemeindevertretern (zumeist Angehörige der Risikogruppe „Alter“) möchte unbedingt wieder eine Sitzung abhalten. An einem Verfahren nach § 51a HGO besteht kein Interesse, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Vorsitzende der Gemeindevertretung alsbald zu einer Sitzung einladen könnte. Hätten andere Gemeindevertreter, die einen wirksamen Infektionsschutz für unverzichtbar halten, eine Chance, die Sitzung der Gemeindevertretung zu verhindern und unaufschiebbare Angelegenheiten dem Finanzausschuss zuleiten zu lassen? Anders gefragt: Ist derzeit eine Sitzung der Gemeindevertretung im Lichte des § 1 I der Dritten VO zur Bekämpfung des Corona-Virus idF d VO v. 22.3.2020 sowie des 51a HGO überhaupt vorstellbar?