von LAMIA AMHAOUACH
Die NRW-Landesregierung hat am Montag einen Gesetzentwurf für ein Epidemiegesetz (Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19 Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie) vorgelegt, das bereits heute im Landtag beraten werden soll. Es sieht neben der Änderung anderer Gesetze die Einführung eines Regelungswerks zum Krisenmanagement bei (auch künftigen) Epidemien von nationaler oder landesweiter Tragweite vor, genannt Infektionsschutz- und Befugnisgesetz (IfSBG-NRW, ab S. 3). Das Gesetz sieht weitreichende Befugnisse der Landesregierung und der zuständigen Behörden vor; es soll beispielsweise Zugriff auf Materialien und medizinische Geräte sowie medizinisches Personal ermöglichen.
Zweck des IfSGB-NRW ist die bessere Handhabe von Epidemien von landesweiter Tragweite. Diese sogenannten „epidemischen Lagen von landesweiter Tragweite“ würden gem. § 11 IfSBG-NRW-E vom Bundestag nach § 5 Abs. 1 IfSG (eine nationale Tragweite würde die landesweite Tragweite selbstverständlich erfassen) oder vom Landtag (im Falle einer bloß landesweiten Tragweite – insofern solch eine Epidemie in Landesgrenzen überhaupt möglich sein kann) festgestellt und ausgerufen werden. Bis diese Lage wieder aufgehoben wird, würde das vorliegende Gesetz gelten.
Die Regelungen im Einzelnen
Gem. § 12 IfSBG-NRW-E könnte das für Gesundheit zuständige Ministerium gegenüber Krankenhausträgern zahlreiche Anordnungen treffen über beispielsweise die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten, die Verschiebung elektiver (also nicht zwingend notwendiger) Eingriffe bis hin zur Änderung des Versorgungsauftrag eines Krankenhauses.
Eine Nichtbefolgung einer solchen Anordnung soll gem. § 18 IfSGB-NRW-E eine Ordnungswidrigkeit im Sinne dieses Gesetzes darstellen, welche mit Geldbuße von bis zu 500.000 € geahndet werden kann.
In § 14 IfSGB-NRW-E sind weitreichende Einschnitte in die Privatautonomie vorgesehen. Hier wird erstmals deutlich, wie intensiv die Eingriffe bei gleichzeitiger Unbestimmtheit und Ausgestaltungsbedürftigkeit der Voraussetzungen sind.
Für medizinische Geräte und Material gilt, dass die nach § 3 IfSBG-NRW-E zuständigen Behörden (also bspw. Städte und Gemeinden) Geräte, Material und zugehörige Rohstoffe sicherstellen dürften, soweit dies zur Aufrechterhaltung der notwendigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung dringend erforderlich wäre, vgl. § 14 IfSBG-NRW-E. Die näher zu bezeichnenden Geräte und Materialien sollen sodann einem absoluten Verfügungsverbot gem. § 134 BGB unterliegen.
Darüber hinaus wird in § 14 Abs. 2 IfSBG-NRW-E eine Rechtsgrundlage für Verkaufsverbote von inhaltlich klar bestimmten Materialien geschaffen. Diese Verpflichtungsverbote können erlassen werden, soweit dies zur Aufrechterhaltung der notwendigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung erforderlich ist.
Im Gegensatz zu Abs. 1 (Sicherstellung von Geräten/Materialien) fordert Abs. 2 (Verkaufsverbote für Materialien) also keine dringende Erforderlichkeit. Dies dürfte dem intensiveren Grundrechtseingriff durch die Sicherstellung von Geräten oder Materialien im Vergleich zu Verkaufsverboten geschuldet sein.
Die zuständige Behörde könnte demnach außerdem anordnen, dass die o.g. von Verpflichtungs- bzw. Verfügungsverboten betroffenen Materialien an das Land, eine Kommune oder eine andere juristische oder private Person zu einem handelsüblichen Preis (maßgeblich ist der Zeitpunkt vor Beginn des Infektionsgeschehens) verkauft werden müssen, vgl. § 14 Abs. 3 IfSBG-NRW-E. Dies ist, wie auch die Entschädigungsregelung, laut Gesetzesbegründung ein Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, deswegen wird auch ausdrücklich der Gegenwert der Güter nach dem Verkehrswert vor der Infektionswelle bemessen.
Abs. 4 führt eine Meldepflicht bzgl. Material, Materialgruppen oder medizinischen Geräten ein. Wenn eine zuständige Behörde bekannt macht, dass inhaltlich eindeutig bestimmte Mengen eines Materials, einer Materialgruppe oder von medizinischen Geräten benötigt werden, so haben sich Privatpersonen, Unternehmen, Institutionen und sonstige juristische Personen in Textform bei der Behörde zu melden, wenn ein Vorrat, der über die Bedarfsdeckung für ein Jahr bzw. für 3 Monate hinausgeht, besteht. Weitergehende Meldepflichten sollen gem. Abs. 5 durch Rechtsverordnungen des zuständigen Ministeriums kurzfristig möglich sein.
Die Maßnahmen zu den medizinisch relevanten Gütern werden allesamt mit den bisherigen Erfahrungen der Covid-19-Pandemie begründet. Diese hätten gezeigt, dass „aufgrund der internationalen Verflechtungen der Produktions- und Lieferbeziehungen schnell Lieferketten wegbrechen und ein erheblicher Mangel dringend erforderlicher Materialien entsteht“ (Gesetzentwurf, S. 33).
Ein Verstoß gegen die gebotenen Handlungen des § 14 IfSGB-NRW-E kann gem. § 18 IfSGB-NRW-E mit Geldbuße von bis zu 500.000 € geahndet werden. Die Höhe der Bußgelder wird im Gesetzentwurf damit begründet, dass „die Nichtbefolgung der Anordnungen unter Umständen (z.B. Explosion der Preise für dringend benötigtes Material mit entsprechenden Gewinnmöglichkeiten) für Unternehmen etc. von erheblichem wirtschaftlichen Interesse sein kann“ (Gesetzentwurf, S. 35). Dem soll durch die Anordnung empfindlicher Bußgeldhöhen entgegengewirkt werden.
Erhebliche Eingriffe in die Berufsfreiheit folgen in § 15 InfSBG-NRW-E. Erfasst sind die Angehörigen medizinisch relevanter Berufsgruppen (Heilkunde, Ausbildungen im Bereich Pflege, Rettungsdienst, andere Gesundheitsberufe). Die Angehörigen dieser Berufsgruppen können zur Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen verpflichtet werden, soweit dies zur Bewältigung der epidemischen Lage dringend erforderlich und angemessen ist. Die Abs. 6 und 7 bereiten dazu die Grundlage, da demnach Institutionen wie die Feuerwehr, Hilfsorganisationen, die Freie Wohlfahrtspflege sowie die Ärztekammer oder die Kassenärztliche Vereinigung zur Herausgabe von personenbezogenen Daten der Mitglieder mit Berufsausbildung in einem der medizinisch relevanten Berufe verpflichtet werden können.
Hierbei handelt es sich um eine Zwangsverpflichtung des betroffenen Personals, die verfassungsrechtlich kaum haltbar sein kann. Die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme ist jedenfalls wegen ihres drastischen Charakters höchst fragwürdig. Abgesehen davon, dass dieser denkbar intensivste Eingriff in die Berufsfreiheit durch das Gesetz zeitlich nicht beschränkt wird, bietet auch der Adressatenkreis dieser Regelung mit „Angehörige anderer Gesundheitsberufe“ ein höchst unbestimmtes Einfallstor für zahlreiche Ausweitungen. Das Gleiche gilt für die konkrete Verpflichtung selbst. Das könnte dazu führen, dass in der Praxis nicht ausreichend geschultes Personal im Ernstfall Behandlungen vornehmen müsste, für das es nicht ausgebildet ist. Damit würde der ursprüngliche Zweck, der Schutz der Bevölkerungsgesundheit, wiederum ausgehöhlt werden.
Die Bekämpfung der epidemischen Lage wird dieser Tage durchgängig als Rechtfertigung, quasi als das Allheilmittel schlechthin, für verfassungsrechtliche Verfehlungen angeführt. Doch heiligt der Zweck auch verfassungsrechtlich die Mittel? Das muss entschieden verneint werden. Auch wenn den Staat eine Schutzpflicht bezüglich der Bevölkerungsgesundheit als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut trifft, kann der jeweils vermeintlich notwendige Schutz dieses Gutes nicht pauschal jede verfassungsmäßig defizitäre Maßnahme heilen.
Selbstermächtigung der Landesregierung
Bei zahlreichen Ermächtigungsgrundlagen in diesem Gesetzentwurf (§§ 12, 13, 14, 15 IfSGB-NRW-E) ist zu beachten, dass sämtliche notwendige Vorabentscheidungen ohne Beteiligung des Landtages getroffen werden sollen. Die Kompetenzen sollen entweder bei der Landesregierung oder beim Gesundheitsministerium liegen. Eine erhebliche Kompetenzausweitung der Landesregierung ist die Folge. Diese Selbstermächtigung scheint analog zu den Entwicklungen auf Bundesebene; auch bei den jüngsten Änderungen des IfSG (siehe dazu etwa hier und hier) fanden sich Kompetenzausweitungen der Exekutive im Gesetzentwurf. Teilweise ist sogar von einer Parlamentarischen Selbstentmächtigung die Rede.
Die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie scheint jedoch auch in NRW nicht derart gefährdet, als dass dies solch ein Vorgehen rechtfertigen könnte. Die derartige Umgehung des Landesparlaments bei Entscheidungen von einer solchen Grundrechtsrelevanz wie hier ist deswegen vielmehr verfassungswidrig.
Fazit
Die vom Gesetzesentwurf vorgesehenen Änderungen sind aufgrund der vielen unbestimmten Rechtsbegriffe einerseits und der sehr weitreichenden Grundrechtseingriffe andererseits allesamt entweder zumindest kritisch oder sogar als verfassungswidrig zu betrachten. Gerade die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der konkreten Maßnahmen dürfte bei der Würdigung vor dem Hintergrund der derzeitigen medizinischen Erkenntnisse ganz erhebliche Probleme aufwerfen.
Darüber hinaus sind derzeit keine sinnvollen Gründe für die intensive Machtausweitung der Landesregierung ohne jeweilige Beteiligung des Landesparlamentes ersichtlich. Auch politisch betrachtet birgt diese Strategie der Landesregierung einigen Diskussionsstoff.
Gerade NRW hatte in der Epidemiebekämpfung bisher – im Gegensatz etwa zu Bayern oder Berlin – auf weichere Maßnahmen wie Kontaktverbote statt Ausgangsbeschränkungen gesetzt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dieses grundrechtsschonende Vorgehen nun durch sehr grundrechtsintensive Maßnahmen aus diesem Gesetzesentwurf „aufgeholt“ wird.
Zitiervorschlag: Lamia Amhaouach, Im Kampf gegen Covid-19: Neues Epidemiegesetz für NRW, JuWissBlog Nr. 46/2020 v. 01.04.2020, https://www.juwiss.de/46-2020/
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