von MARKUS LEHNSHACK
Der Sommer ist vorbei und mit den sinkenden Temperaturen verstummen auch die Debatten über Überflutungen, Dürren und Hitzewellen. Doch gerade in ruhigeren Monaten bietet sich die Gelegenheit, die Erfahrungen der letzten Jahre zu reflektieren und eine sachliche Diskussion über den künftigen Umgang mit unseren Wasserressourcen zu führen. Einen zentralen Impuls dafür liefert die im Juni 2025 von der Europäischen Kommission vorgestellte Wasserresilienzstrategie, die den Schutz und die nachhaltige Nutzung des Wassers in Europa auf eine neue Grundlage stellen soll.
Bedrohungen unserer Trinkwasserversorgung
Auch die Trinkwasserversorgung in Deutschland steht zunehmend unter Druck. Längere Trockenperioden führen zu sinkenden Grundwasserständen, während Starkregenereignisse das Risiko mikrobiologischer Verunreinigungen erhöhen. In die Jahre gekommene Infrastrukturen begünstigen Wasserverluste durch Leckagen und steigende Temperaturen fördern die Vermehrung schädlicher Mikroorganismen in Leitungsnetzen und Speicheranlagen.
Die Folgen dieser Bedrohungen werden immer deutlicher. In mehreren Regionen wurden in den vergangenen Sommern einschränkende Maßnahmen erlassen, die das Befüllen von Pools, die Bewässerung von Gärten oder sogar die Wassernutzung zu bestimmten Tageszeiten untersagten. Solche Eingriffe machen deutlich, dass der Schutz der Trinkwasserversorgung längst zu einer gesamtgesellschaftlichen und rechtlichen Problematik geworden ist. Die Sicherung der Wasserqualität wird damit zunehmend nicht nur eine Frage der Hygiene, sondern auch der Resilienz der gesamten Wasserversorgungsstruktur.
System des aktuellen Rechtsrahmens
Das deutsche Trinkwasserrecht basiert maßgeblich auf der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und ist zentral in der (bundesrechtlichen) Trinkwasserverordnung (TrinkwV) geregelt. Die Ermächtigungsgrundlage der TrinkwV befindet sich in § 38 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Bereits daran wird deutlich, dass die TrinkwV vorrangig dem Schutz der menschlichen Gesundheit dient. Das zeigt sich auch an ihren Inhalten: Ihre Anforderungen und Rechtsfolgen beziehen sich fast ausschließlich auf die Vermeidung von Gesundheitsrisiken. Beispielsweise statuiert § 49 TrinkwV ein Abgabeverbot für Wasser, welches bestimmte mikrobiologische oder chemische Parameter überschreitet. Um die Einhaltung der Anforderungen zu gewährleisten, sind umfassende Risikomanagementsysteme einzurichten. Seit der Neufassung der TrinkwV im Jahr 2023 sind bei dieser Risikobeurteilung nicht nur „klassische“ Verunreinigungen einzubeziehen, sondern gemäß § 35 Abs. 2 Nr. 3 TrinkwV auch systematischere Aspekte wie die Folgen des Klimawandels hinsichtlich Beschaffenheit des Trinkwassers, Wasserverlusten und undichten Rohrleitungen.
Neue Leitlinien der EU
Die Europäische Wasserresilienzstrategie knüpft an die in der TrinkwV bereits teilweise adressierten systemischen Risiken an, geht in ihrer Zielrichtung jedoch weit darüber hinaus. Sie verfolgt eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Wasserkreislaufs und richtet den Blick auf die langfristige Funktionsfähigkeit der gesamten Wasserinfrastruktur. Im Mittelpunkt stehen drei übergeordnete Ziele:
- die Wiederherstellung und der Schutz des Wasserkreislaufs,
- der Aufbau einer wassersparenden Wirtschaft,
- die Gewährleistung einer sauberen, erschwinglichen und widerstandsfähigen Wasserversorgung.
Diese Ziele gehen deutlich über den bislang im deutschen Trinkwasserrecht vorrangigen Gesundheitsschutz hinaus. Hintergrund ist auch der umfassendere Anwendungsbereich der Strategie, gleichwohl werden ihre Vorgaben mittelbar erhebliche Auswirkungen auf das Trinkwassermanagement haben.
Besonders hervorgehoben wird die Einführung des „Efficiency first“-Prinzips für den Wassersektor. Es verpflichtet Wirtschaft und Bevölkerung, vorhandene Wasserressourcen so effizient wie möglich zu nutzen. Eine entsprechende Empfehlung der Kommission soll spätestens 2026 vorgelegt werden. Ergänzend sieht die Strategie Maßnahmen wie die Entwicklung von Indikatoren für Wasserknappheit, die verstärkte Nutzung dezentraler Speicher sowie die Digitalisierung wasserwirtschaftlicher Infrastrukturen vor. Damit verschiebt sich der Schwerpunkt des europäischen Wasserrechts zunehmend von der reinen Qualitätskontrolle hin zu einer ressourcen- und systemorientierten Steuerung der Wasserversorgung.
Herausforderungen für das Trinkwasserrecht
Die Agenda der EU in praxisnahe Regelungen zu überführen, wird kein leichtes Unterfangen. Das Trinkwasserrecht kann künftig nicht mehr isoliert als Instrument des Gesundheitsschutzes betrachtet werden. Es wird zunehmend Teil eines komplexen Regulierungsgeflechts, das Ressourceneffizienz, Daseinsvorsorge und den Schutz kritischer Infrastrukturen miteinander verbindet. Die Kommission beschreibt diese neue Dynamik als Chance: Die Wasserresilienzstrategie soll Synergien mit der EU-Gebäuderichtlinie und dem Programm des „Neuen Europäischen Bauhauses“ schaffen, indem Wasserresilienz und Energieeffizienz stärker miteinander verknüpft werden.
Diese Verbindung birgt Potenzial, wirft aber zugleich rechtliche und naturwissenschaftliche Spannungsfelder auf, die bisher kaum systematisch adressiert wurden. Ein zentraler Konflikt besteht zwischen Ressourceneffizienz und Hygiene. Maßnahmen zur Wasserwiederverwendung oder zur Energieeinsparung können infolge von Temperaturabsenkungen das Risiko mikrobiologischen Wachstums erhöhen. Hier müssen interdisziplinäre Ansätze definieren, wo die Grenze zwischen ökologischer Effizienz und hygienischer Sicherheit verläuft.
Ein weiteres Problemfeld liegt in der Verbindung von Dezentralisierung und Überwachung. Je stärker auf kleine, flexible Wasserspeicher und dezentrale Infrastrukturen gesetzt wird, desto höher wird der Bedarf an Kontrolle und Überwachung. Digitale Systeme können hier Abhilfe schaffen, werfen jedoch wiederum Fragen des Datenschutzes und der Cybersicherheit auf. In diesem Kontext werden auch die bestehenden Vorgaben der TrinkwV auf ihre technologische Anpassungsfähigkeit hin zu prüfen sein.
Schließlich stellen sich Governance-Herausforderungen. Risikopläne für die Wassernutzung müssen künftig mit Klimaanpassungs-, Hitzeschutz- und Hochwasserschutzstrategien verknüpft werden. Dies wird nicht nur materiellrechtlich komplex, sondern verschärft auch Zuständigkeits- und Koordinationsfragen zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen.
Ausblick
Die Wasserresilienzstrategie verschiebt den Fokus des Trinkwasserrechts: vom reinen Gesundheitsschutz hin zu Systemstabilität und Ressourceneffizienz. Damit wird Resilienz zu einem rechtlichen Leitprinzip, das künftig stärker mit Hygiene- und Einsparzielen in Einklang zu bringen sein wird. Für Gesetzgebung und Praxis besteht die Herausforderung darin, ein robustes, aber flexibles Regelwerk zu schaffen, das Sicherheit und Anpassungsfähigkeit gleichermaßen gewährleistet.
Zititervorschlag: Lehnshack, Markus, Wasserrecht im Fluss: Resilienz als neues Leitprinzip, JuWissBlog No. 101/2025, 04.11.2025, https://www.juwiss.de/101-2025/
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