,,Katastrophale Fehlentscheidung“ dürfte wohl der Ausdruck sein, der Leser*innen und Presse am besten im Gedächtnis geblieben ist. Das Urteil des Amtsgerichts Weimar vom 11.01.2021 hat aber auch sonst nachhaltig Eindruck hinterlassen. Denn nicht nur, dass die Corona-Politik der Bundesregierung in der Luft zerrissen wird, sondern es werden auch die im erstmaligen wie gegenwärtigen Lockdown statuierten Kontaktverbote für verfassungswidrig erklärt. Grund genug, um sich mit der Entscheidung ausführlicher auseinanderzusetzen.
Das Urteil hatte als Ausgangspunkt den Bußgeldbescheid eines Mannes zum Gegenstand, der gegen die im April geltenden Kontaktbeschränkungen verstoßen hatte. Er war in einem Hinterhof Besucher einer Geburtstagsfeier gewesen, bei der auch Angehörige sechs weiterer Haushalte zugegen waren. Das Gericht sprach den Betroffenen jedoch frei, indem sie die thüringische Grundlage für die Kontaktverbote sowohl für formell als auch materiell verfassungswidrig erklärte.
Wesentlichkeitstheorie
Hinsichtlich der Form wurde Bezug auf die Tragweite der in der Rechtsverordnung niedergelegten Verbote genommen. Dabei knüpfte das Gericht an die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts an, nach der alle wesentlichen Entscheidungen vom parlamentarischen Gesetzgeber erlassen werden müssen. Die Exekutive hingegen darf bei Konstellationen mit hoher Grundrechtsrelevanz aufgrund dieser Ausformung des Demokratieprinzips nicht ohne vorhergehende Regelung durch den Gesetzgeber handeln. Bei Kontaktbeschränkungen liegt die Annahme einer solch essentiellen Entscheidung derweil nahe, werden schließlich Zusammenkünfte und Kontakte fast vollständig untersagt und damit u.a. die Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG in schwerwiegendem Maße beschränkt. Das Gericht trifft insofern einen Nerv, der bereits vielfach aufgegriffen wurde. In Zeiten der Pandemie mutet es an, als ob die Exekutive ohne jedwede parlamentarische Mitbestimmung Maßnahmen ergreift. Ein Eindruck, der sich aufgrund der immer länger andauernden Situation zu verstärken vermag.
Die Rechtsprechung erkannte zunächst wegen der durch Corona ausgelösten, unvorhergesehenen Entwicklungen einen ,,Überbrückungszeitraum“ an, in dem – um gravierende Regelungslücken zu vermeiden – auch eingriffsintensive Maßnahmen auf Generalklauseln gestützt werden konnten. Die Frage, die sich somit grundsätzlich zu Recht stellt, ist, ob diese ,,Notlösungen“ nicht nach dem Ablauf einer gewissen Zeit konkretisiert werden müssen. Diesen Bedenken ist der Gesetzgeber jedoch durch die Einführung des Maßnahmenkataloges in § 28a IfSG beigekommen.
Unabhängig davon ist diese Gesetzesmodifizierung jedoch für die hier relevanten Kontaktbeschränkungen im April nicht entscheidend. Schließlich fallen sie in den soeben benannten ,,Überbrückungszeitraum“. Deswegen ging das Amtsgericht Weimar auch einen Schritt weiter und verneint, dass dessen notwendige Voraussetzung – eine unvorhergesehene Notsituation – jemals bestand (Rn. 36). Dabei erstaunt, mit welcher Sicherheit das Gericht das Nichtbestehen einer epidemischen Notfalllage (damals wie heute) feststellt. Wie auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Rn. 36) betont, besitzt kein/e Richter*in bei einer so vielschichtigen Thematik eine hinreichende virologische Expertise, die eine eigenständige Einschätzung ohne die Hinzuziehung eines/r Sachverständigen erlaubt. Die autonom durchgeführten Rückschlüsse des AG Weimar kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass bereits vor dem Lockdown die Fallzahlen rückläufig waren, ergo keine Gefahr für das Gesundheitssystem bestand und die Maßnahmen nicht auf eine Generalklausel gestützt werden konnten.
Verletzung der Menschenwürde?
Doch auch abseits der Bewertung der epidemischen Lage mutet dieses Urteil mehr als fragwürdig an. Vor allem dann, wenn eine Verletzung der Menschenwürde durch die Kontaktbeschränkungen erörtert wird. Das Gericht legt dar, dass aufgrund der Suspendierung der freien Entscheidung bzgl. Kontaktpersonen die Bürger*innen vom Staat in ihren grundlegendsten Freiheiten eingeschränkt werden. Die freie Begegnung sei essentiell für eine Gesellschaft, sodass der Staat hier grundsätzlich jedes zielgerichtete regulierende und beschränkende Eingreifen zu unterlassen habe. Durch die Reduzierung des Einzelnen auf seine Eigenschaft als potentieller ,,Gefährder“ bzw. ,,Überträger“ werde er zum bloßen Objekt degradiert (Rn. 40).
Diesen Erwägungen ist aus mehrfacher Hinsicht zu widersprechen: Denn nach diesem Verständnis der Menschwürde wird sie schlicht mit der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen – welches zwar u.a. aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird, aber unter dem Vorbehalt der Schrankentrias aus Art. 2 Abs. 1 GG steht – gleichgesetzt. Wenn es für eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG genügen würde, dass das freie Subjekt in einer Situation nicht mehr selbstbestimmt entscheiden kann, so wäre in der Folge jedwede belastende staatliche Maßnahme per se unzulässig. Es muss sich vielmehr die Negierung des sozialen Wert- und Achtungsanspruchs in dem Hoheitsakt manifestieren.
Dafür genügt es nicht, dass behauptet wird, die Bürger*innen werden nur noch als ,,Gefährder“ betrachtet. Die Kontaktbeschränkungen ergehen schließlich auch zum Schutz der betroffenen Personen selbst bzw. sollen öffentliche Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge vor Überlastung bewahren und damit final eine Versorgung des Einzelnen gewährleisten. Die Maßnahmen sind damit gerade Ausdruck der Anerkennung der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens, die unabhängig der Eigenschaften, der Leistungen und des sozialen Status des Einzelnen besteht. Auch wenn die Maßnahmen vornehmlich auf den Schutz von Risikogruppen zielen, soll durch die Instandhaltung einer medizinischen Infrastruktur letztendlich jedem eine würdige und angemessene Behandlung zugesichert werden. Damit wird u.a. bezweckt, die im starken Spannungsverhältnis mit der Menschenwürde stehende Triage zu verhindern. Es ist damit nicht erkennbar, warum mit den Kontaktbeschränkungen eine Negierung des Wert- und Achtungsanspruchs der Bürger*innen durch den Staat einhergehen soll.
Das Gericht verkennt somit die Reichweite der Menschenwürde. Die aufgeführten Erwägungen legen ,,nur“ dar, wie schwerwiegend der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG wiegt.
Verhältnismäßigkeit und politische Bewertung
Auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sind Teile der Argumentation nicht nachvollziehbar. Nach einer langen Auflistung von (zutreffenden) Negativeffektiven des Lockdowns – von gesundheitlichen über ideelle bis finanzielle Auswirkungen – kommt die Prüfung (aufgrund des Nichtvorliegens einer pandemischen Notlage) zu dem Ergebnis, dass die Kontaktbeschränkungen weder erforderlich noch angemessen waren. Allerdings überzeugt die Argumentation hier schon deshalb nicht, weil entgegenstehende Sichtweisen außen vorgelassen werden bzw. nicht die Annahme berücksichtigt wird, dass der Lockdown selbst für die geringe Auslastung der Intensivbetten verantwortlich gewesen sein könnte, was auch der Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (Rn. 36) an der Entscheidung stark kritisierte. Die Argumentation gipfelt in der These des Gerichts, dass der Lockdown ohne Zweifel (sic!) ein Vielfaches mehr an Toten gefordert habe, als er Leben gerettet hätte (Rn. 104). Der Beweis für diese hoch spekulative Einschätzung wird freilich nicht erbracht. Unterstellte man, dass ohne die Kontaktbeschränkungen die Infektionszahlen nur zweifach so hoch ausgefallen wären, müsste der Lockdown nach dieser Auffassung somit mehr als 50.000 Tote verursacht haben. Die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme kann – unter Anerkennung der massiven Einschnitte, die ein Lockdown verursacht – als niedrig eingestuft werden.
Die Argumentation des Urteils schließt mit der Einschätzung, dass das Vorgehen der Bundesregierung eine politische Fehlentscheidung gewesen sei. Dabei ist die Frage, wie ein Gericht die politische Tragweite der Corona-Maßnahmen einstuft, nicht nur irrelevant, sondern legt nahe, dass es dem Gericht gerade aus politischen Gründen wichtig war, das Vorliegen einer epidemischen Lage sowie die Vereinbarkeit der Maßnahmen mit Art. 1 Abs. 1 GG zu negieren.
Somit spricht das Gericht im Ergebnis zwar tatsächlich bestehende Problempunkte der gegenwärtigen Corona-Maßnahmen an, wie die Wesentlichkeitstheorie oder die Verhältnismäßigkeit, gelangt dabei jedoch zu schwerlich vertretbaren Ergebnissen. Weder die Einstufung der epidemischen Lage im Frühjahr als nicht gefährlich noch die Begründung einer Verletzung der Menschenwürde vermögen zu überzeugen. Dadurch kann das Urteil als das bezeichnet werden, was es selbst bei anderen Entscheidungsträgern ausfindig macht: Eine Fehlentscheidung.
Zitiervorschlag: Oliver Pieper, ,,Fehlentscheidung“ in der Tat – Urteil des Amtsgerichts Weimar vom 11.01.2021, JuWissBlog Nr. 11/2021 v. 29.01.2021, https://www.juwiss.de/12-2021/.
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Möglicherweise bestehen zwischen dem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren und einer amtsgerichtlichen Bußgeldsache, neben der Tatsache, dass das VG Kammerentscheidungen trifft, während das AG dies nicht tut, noch weitere Unterschiede, die das Verdikt eines Fehlurteils hier als Fehlurteil etscheinen lassen könnten. So ist die Frage offen geblieben, warum ein von der Exekutive sachlich unabhängiger Amtsrichter im Sinne der Exekutive urteilen sollte, wenn er sich von ihrer tatsächlichen Sicht nicht hat überzeugen können. Aus Para. 4 IfSG ergibt sich das nicht.
Liebe(r) Leser*in,
Sie haben mit dem Begriff ,,Kammer“ vollkommen recht. In dem Bußgeldverfahren hat ein Einzelrichter entschieden. Dieser Fehler wird korrigiert. Aus dieser unrichtigen Verwendung des Terminus jedoch zu schließen, dass die sonstigen Erwägungen meinerseits falsch sind, ohne hierfür ein inhaltliches Argument aufzuführen, kann ich bisher nicht nachvollziehen.
Der Richter soll natürlich nicht einfach im Sinne der Exekutive urteilen. Er ist in seiner Entscheidungsfindung – wie Sie selbst schreiben – frei und unabhängig. Dies bedeutet in der Sache jedoch gleichwohl nicht, dass ein Richter sich einseitig Informationen heranzieht, die alleine seine Argumentation stützen. Gegensätzliche Studien wurden z.B. hier gänzlich außen vor gelassen und es wurde nicht erötert bzw. berücksichtigt, inwiefern der Lockdown auch selbst Infektionszahlen und Todesraten gedrückt hat. Ein Urteil besteht aber – vor allem bei Themen mit solcher Komplexität und vielen verschiedenen Ansichten/Herangehensweisen – darin, dass der Richter alle Ansätze berücksichtigt und plausibel begründet, warum er der einen oder anderen Meinung folgt. Je mehr die Materie wiederum Spezialkenntnisse erfordert, umso mehr ist der Richter wiederum auf Sachexpertise angewiesen. Oder würden Sie einem Richter die Kompetenz zusprechen, die Fehlerhaftigkeit einer OP-Ausführung eigenständig zu beurteilen?
Der Kritikpunkt besteht also in der Art der Findung des Urteils nicht in seinem Ergebnis selbst.
Wenn Sie mir noch kurz erläutern würden, warum Sie hier auf § 4 IfSG eingehen oder keine Verletzung der Menschenwürde annehmen, würde ich hier ebenfalls Stellung dazu beziehen.
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Gerne vielleicht nur so viel: Darüber, ob die Interpretation des Amtsrichters einseitig und falsch oder doch eher zutreffend ist, lässt sich ebenso diskutieren, wie darüber, ob die Interpretationen/Computersimulationen unserer Regierungen ausgewogen und zutreffend sind.
Aber:
Es wird stets die nicht näher begründete Behauptung in den Raum gestellt, das AG habe mit seiner Verneinung einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite einen Beurteilungsspielraum der Regierung verletzt. Das stimmt so jedoch m.E. nicht.
Der Amtsrichter hat nur die in seinen Kompetenzbereich fallende Rechtsfrage geprüft (und verneint), ob die Verordnungsregelungen sich in Entsprechung mit der Wesentlichkeitsdoktrin auf § 28 I 2 IfSG stützen lassen. Dabei war er zur Behandlung der Fragen tatsächlicher Art (die nicht – wie aber die Tatfrage – dem Strengbeweis unterliegen) in der nun vielfach kritisierten Form doch nur darum genötigt, weil die Verwaltungsgerichte in ihren Eilverfahren eine Relativierung der Wesentlichkeitsdoktrin für eine Übergangszeit bei gewissen tatsächlichen Voraussetzungen annehmen, die sie in ihren Eilverfahren ohne weiteres unter Berufung auf das RKI (§ 4 IfSG) bejaht haben; das RKI sei nach § 4 IfSG zur Feststellung pandemischer Lagen berufen, heißt es dort mehr oder weniger apodiktisch; eine Sachprüfung dazu existiert aber bis heute nicht. Der Amtsrichter hatte dagegen aber ein Hauptsacheverfahren zu beurteilen, und da geht es, wenn endgültig über Sanktionen entschieden werden soll, schlicht nicht an, eine nicht in ihren wesentlichen Voraussetzungen bestimmte Schutzmaßnahme mit Strafe oder Bußgeld zu sanktionieren. D.h. der als verletzt behauptete Beurteilungsspielraum resultiert erst und alleine aus der verwaltungsgerichtlichen Behauptung, einstweilen müsse es die Regierung mit den wesentlichen Voraussetzungen ihrer Schutzmaßnahmen nicht so genau nehmen. Insofern bleibt es dabei, dass der Amtsrichter an eine gegenläufige Einschätzung der Exekutive nicht gebunden und zu einer unabhängigen Entscheidung berufen war, die er geliefert hat.
Daher erscheint mir das allgegenwärtige Verdikt des Fehlurteils (auch außerhalb dieses Blogs) tendenziell auf die so urteilenden Kritiker zurückzufallen; eine etwas gelassenere Betrachtung wäre allgemein angezeigt. In diesem Sinne: Nichts für ungut.
Liebe(r) Leser*in,
vielen Dank für Ihre erneute Rückmeldung. Ich selbst habe nicht darauf abgestellt, dass die Einschätzungspräogative des Gesetzgebers verletzt worden ist. Eine solche wird man dem Gesetzgeber jedoch grundsätzlich – wie auch Herr Schnetter hier kundtut – bei sich stetig wandelnden Sachverhalten zusprechen müssen. Andernfalls wäre ein gesetzgeberisches Handeln in Krisenzeiten massiv erschwert.
Wenn Sie nun das grundsätzliche Gewähren eines Überbrückungszeitraumes kritisieren und strengere Maßstäbe bezogen auf die Wesentlichkeitstheorie von vornherein fordern, so haben Sie einige gute Argumente auf Ihrer Seite. Hierauf können wir uns auf jeden Fall verständigen.
Hat man jedoch einmal den Weg beschritten und vertritt die Ansicht, dass eine Ausnahme von der Wesentlichkeitstheorie in Krisenzeiten einschlägig ist, so entfällt eine solche Ausnahme nicht in einem Hauptsacheverfahren. Der Überbrückungszeitraum besteht für den Erlasszeitraum auch bei deutlich späteren Rechtsstreitigkeiten. Lediglich (und das können Sie auch berechtigt kritisieren) die Subsumtion erfolgt im einstweiligen Rechtsschutz verkürzt aufgrund einer summarischen Prüfung sowie damaliger noch beschränkt vorhandener Erkenntnisse. Ausführungen bei aktuellen (Hauptsache-)Verfahren können somit deutlich fundierter erfolgen und sich auf mehr Zahlen und Studien stützen.
Das Amtsgericht Weimar hat derweil die von der Rspr. eingeführte Ausnahme von der Wesentlichkeitstheorie zugrundegelegt (Rn. 23), verneinte aber das Vorliegen von dessen Voraussetzungen. Diese Subsumtion und die dortige Urteilsfindung wird meinerseits kritisiert (das konkrete Ergebnis außen vor gelassen). Würde man dagegen darlegen, dass eine Notsituation bestand (inkl. der Bejahung des Überbrückungszeitraums) steht die Verordnung schlicht mit der Verfassung in Einklang. Sie entfaltet Rechtskraft und ein Verstoß gegen sie wird in der Folge geahndet.
Und erneut: Der Richter muss niemanden folgen. Ich habe nichts dergleichen auch nur angedeutet. Doch fehlt es bei diesem Urteil schlicht an einer Auseinandersetzung mit allen wesentlichen Überlegungen (die vor allem ein gegenteiliges Ergebnis stützen könnten). Zu der fehlenden Expertise habe ich ja schon bereits Stellung bezogen, siehe oben.
Ob man jedoch in einem ersten Schritt den Überbrückungszeitraum als Ausnahme verneint oder bei dem jetztigen zweiten Lockdown § 28a IfSG nicht als eine der Wesentlichkeitstheorie genügende Vorschrift einstuft (auf den Überbrückungszeitraum wird man sich wohl schwerlich noch berufen können), ist eine andere sowie umstrittene Frage. Ihrer Prämisse folgend, wäre die Person dann natürlich nicht zu sanktionieren.
Unabhängig davon, offenbart das Urteil jedoch noch an ganz anderen Stellen kritikwürdige Punkte. Stichwort Menschenwürde und Verhältnismäßigkeit. Demnach lässt sich meine Betitelung ,,Fehlentscheidung“ auf mehrere Aspekte stützen und ist nicht aus der Luft gegriffen. Mit der Bezeichnung geht aber freilich kein Vorwurf der Rechtsbeugung und gar der Verfassungsfeindlichkeit einher. Sie stellt lediglich meine (!) Einschätzung hervor, dass juristisch schwer vertretbar argumentiert wurde.
Zur Gelassenheit: Diese sollte aber doch nicht dazuführen, etwas nicht zu kritiseren, was man für fragwürdig hält (das Gleiche haben Sie ja auch in Bezug auf meinem Blogbeitrag getan (begrüßenswert!)). Man muss nicht in Panik verfallen, wohl wahr, aber dennoch halte ich den ständigen Verweis auf Art. 1 GG bei fast jedweder staatlichen Maßnahme für bedenklich. Die Menschenwürde ist zwar der Ausgangspunkt aller Grundrechte, aber die ausschweifende Berufung auf dessen absoluten Charakter ist weder angebracht noch notwendig. Sie wird der essenziellen Bedeutung dieses Verfassungsgutes gerade nicht gerecht. Die anderen Grundrechte als Ausprägung der Menschenwürde haben schließlich ihren eigenständigen Schutzbereich und sind in der Folge bei einem Lockdown auch in schwerwiegendem Maß tangiert. Eine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist demententsprechend erforderlich, die dabei niemals (!) pauschal zu Gunsten des Gesundheitsschutzes ausfällt!
Aber es ist doch nach den allgemeinen Lehren der Verwaltungsrechtswissenschaft unstreitig anerkannt, dass dem Verordnungsgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum in tatsächlicher Hinsicht zusteht, den auch ein „sachlich unabhängiger Amtsrichter“ nicht nur einfach deswegen ungeachtet lassen kann, weil ihn die Exekutive „nicht hat überzeugen können“. Dieser Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum muss umso mehr gelten und weiter reichen, wenn es sich um besonders dynamische Sachverhalte mit ungesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisgrundlage handelt, die zudem noch geeignet sind, Rechtsgüter von verfassungsrechtlichen Höchstrang einschneidend zu schädigen (s. dazu auch nur Kluckert, Das neue Infektionsschutzrecht, 2020, § 2 Rn. 117-120). Ich kann nicht erkennen, dass der Beitrag diese Frage unbeantwortet ließe.
Und dass sich aus § 4 IfSG in dieser Hinsicht nichts ergibt, verwundert mich nicht. Es handelt sich schließlich um eine Norm über die Aufgaben des RKI; die für unsere Frage relevante EGL findet sich in §§ 32, 28 IfSG.
Die im folgenden zitierten Äußerungen sowie die zusammenfassende Bewertung bedürfen einer Kommentierung:
1. Zur Anmaßung einer virologische Expertise:
„Dabei erstaunt, mit welcher Sicherheit das Gericht das Nichtbestehen einer epidemischen Notfalllage (damals wie heute) feststellt. Wie auch der Bay VGH (Rn. 36) betont, besitzt kein/e Richter*in bei einer so vielschichtigen Thematik eine hinreichende virologische Expertise, die eine eigenständige Einschätzung ohne die Hinzuziehung eines/r Sachverständigen erlaubt.“
Dies trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu; insbesondere im Hinblick auf die Nrn. 28 bis 31 des Urteils. Hier wird ausschließlich auf Grundlage des seinerzeit veröffentlichten Zahlenwerks des RKI argumentiert und dies unter Berücksichtigung der zu dieser Zeit für maßgeblich angesehenen Erkenntnisse zum R-Wert und der Positivenquote der PCR-Tests.
Hierzu ist folgendes anzumerken:
Mit Datum vom 15.04.2020 hat das RKI u.a. folgendes zur sog. Reproduktionszahl veröffentlicht:
„Die R-Schätzung ergibt für Anfang März Werte im Bereich von R = 3, die danach absinken, und sich etwa seit dem 22. März um R = 1 stabilisieren (s. Abb. 4). Am 9. April lag der Wert von R bei 0,9 (95%-PI: 0,8– 1,1).“
(Die zitierte Grafik ist hier nicht darstellbar.)
(https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/17_20_SARS-CoV2_vorab.pdf?__blob=publicationFile)
Hier fällt auf, dass der deutliche Rückgang der Reproduktionszahl – wie ihn insbesondere die veröffentlichte Abbildung verdeutlicht – bereits vor den Restriktionsmaßnahmen stattgefunden hat, so dass eine Verursachung dieses Rückgangs durch die Maßnahmen ausscheidet. Weiter ist bemerkenswert, dass die Reproduktionszahl nach Beginn der Maßnahmen am 23.03. nicht weiter zurückgeht, sondern auf einem eher stabilen Niveau mit leichten Schwankungen verharrte, obwohl angesichts von deren Art und Ausmaß und insbesondere der kommunizierten Zielsetzung ein deutlicher Rückgang des Infektionsgeschehens beabsichtigt war. Unter der Voraussetzung der Wirksamkeit der Maßnahmen wäre ein solcher Rückgang auch zu erwarten gewesen. Insoweit ist der Schluss naheliegend, dass diese Voraussetzung nicht zutreffend war.
Hinzu kommt, dass mit der aktualisierten Schätzung der Reproduktionszahl von R ~ 0,9 mit Datenstand vom 24.04.2020 der gleichbleibende Trend fortgesetzt wird, ohne dass sich Auswirkungen der Restriktionsmaßnahmen darstellen ließen. Auch die mit dem Stand vom 03.05.2020 angegebene Zahl R~0,74 bestätigt günstigstenfalls den leichten Abwärtstrend. Daher kann der Eindruck entstehen, dass sich, gemessen an der Reproduktionszahl, die bereits vor dem 23.03.2020 unter 1 lag, seit dem Wirksamwerden der Restriktionen keine wesentliche Änderung des Infektionsgeschehens herleiten lässt. Angesichts dieses stagnierenden Trends ist zu fragen, in welchem Verhältnis diese Entwicklung zu den weitreichenden Grundrechtseinschränkungen vom 23.03.2020 steht.
Den ersten Zweifeln an der Wirksamkeit des sog. „Lockdown“ wurde entgegengehalten, dass die Behörden schon vor dem 23. März – der als Stichtag des „Lockdowns“ gilt – Maßnahmen ergriffen haben, um die Ausbreitung des Coronavirus zu beschränken. Bereits am 8. März habe Gesundheitsminister Spahn empfohlen, Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern abzusagen. In den Tagen darauf seien Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg dieser Empfehlung nachgekommen. Am 16. März veröffentlichten Bund und Länder gemeinsame Leitlinien: Bars, Kultur- und andere Freizeiteinrichtungen sowie den Sportbetrieb sollten schließen und Zusammenkünfte, zum Beispiel in Kirchen und Moscheen, verboten werden. Weiter wird argumentiert, dass schon nach dem 16. März nicht nur Bars, Kinos, Clubs, Schwimmbäder und Museen geschlossen hätten. Auch viele Läden des Einzelhandels hätten schließen müssen. Übernachtungen in Hotels seien für Touristen ebenso nicht mehr möglich gewesen.
Diese Argumentation führt allerdings in ein Dilemma: Unter der Annahme, dass bereits diese (frühen) Ereignisse zu einem spürbaren Rückgang des Infektionsgeschehens führten, stellt sich in verstärktem Maß die Frage nach der Erforderlichkeit der Maßnahmen, die ab dem 23.03.2020 ergriffen wurden. Wird – um die Erforderlichkeit des Lockdowns zu stützen – demgegenüber angenommen, dass diese frühen Ereignisse keinen Einfluss hatten, würde nicht nur für diesen Zeitraum, sondern generell die Annahme nahe liegen, dass gesellschaftliches Verhalten – freiwillig oder verordnet – keinen Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben könnte.
Wenn der Bay VGH weiter ausführt, das AG stelle vielfach keine Überlegungen zu Kausalitäteten bzw. Koinzidenzien ab, so wären hier weiterführende Ausführungen des AG, wie sie soeben nur angedeutet werden konnten, möglicherweise hilfreich gewesen.
Weiter wird dem AG vorgeworfen, die vom Bay VGH als naheliegend bezeichnete Annahme, dass gerade die als unverhältnismäßig angesehenen Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2020 dazu geführten haben könnten, dass es im ersten Halbjahr 2020 zu einer vergleichsweise niedrigen Übersterblichkeit und zu einer vergleichsweise geringen Auslastung der Intensivbettenkapazitäten kam, werde soweit ersichtlich vollkommen ausgespart.
Ungeachtet dessen, dass das zitierte Urteil in den Nrn: 28 – 31 Ausführungen enthält, die gerade gegen diese Annahme sprechen, könnte hier eine Betrachtung der Definition von Kausalität weiterführend sein. Kausalität (von lateinisch causa, „Ursache“, und causalis, „ursächlich, kausal“) ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Sie betrifft die Abfolge von Ereignissen und Zuständen, die aufeinander bezogen sind. Demnach ist A die Ursache für die Wirkung B, wenn B von A herbeigeführt wird. Es bedarf also einer Bedingung als eine besondere Art der Ursache, nämlich eine zeitlich streng vor der Wirkung liegende und in irgendeiner Weise besonders herausragende Voraussetzung, ohne die eine entsprechende Wirkung nicht eintritt. Liegt also die hier angenommene Ursache (die Restriktionsmaßnahmen) zeitlich nach der angenommenen Wirkung, kann die Annahme einer Kausalität nicht zutreffend sein.
2. Zur Außerachtlassung entgegenstehender Sichtweisen und der Auslastung der Intensivbetten:
„Allerdings überzeugt die Argumentation hier schon deshalb nicht, weil entgegenstehende Sichtweisen außen vorgelassen werden bzw. nicht die Annahme berücksichtigt wird, dass der Lockdown selbst für die geringe Auslastung der Intensivbetten verantwortlich gewesen sein könnte, was auch der Bay VGH an der Entscheidung stark kritisierte.“
Seine Einschätzung zur epidemischen Notlage begründet das Gericht in den Rdnrn. 28 ff. aus den veröffentlichten Daten des Robert Koch-Instituts.
Insoweit kann zum einen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Zum anderen liegt ein Blick auf die vom DIVI-Intensivregister veröffentlichten Zahlen nahe:
(https://www.intensivregister.de/#/intensivregister)
Hier fällt auf, dass sich die Gesamtzahl der belegten Intensivbetten seit Anfang August auf einem gleichbleibenden Niveau (um 21.000) stabilisiert hat. Der Zuwachs des Anteils der COVID-19 Intensivpatienten wird kompensiert von einem gleichzeitigen und gleichmäßigen Rückgang der nicht als COVID-19 Intensivpatienten Patienten. Dies lässt den Schluss zu, dass die gesamte Auslastung der Intensivkapazität wegen und trotz des Anstiegs der Zahl der COVID-19 Intensivpatienten nicht angestiegen ist. Damit kann zumindest für den dargestellten Zeitraum nicht davon ausgegangen werden, dass die Entwicklung der COVID-19-Fälle einen Einfluss auf die Auslastung der Kapazitäten hatte.
Dies führt zu dem Schluss, dass diese Parameter für das Vorliegen einer Notlage entweder als Kennzahl nicht relevant und damit nicht geeignet sind, oder – ihre Eignung unterstellt – nur den Schluss zulassen, dass ein gesteigertes Aufkommen von Corona-Patienten keine Auswirkungen auf die Auslastung der Intensivkapazitäten hatte.
3. Zur verfassungsrechtlichen bzw. einfachgesetzlichen Argumentation:
Hier kann sicherlich vertreten werden, dass die Annahme eines Verstoßes gegen die Menschenwürde und die Wesentlichkeitstheorie hinterfragt werden kann.
Allerdings sind die Maßnahmen schon aus einfachgesetzlicher Sicht angreifbar.
Es stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit des PCR-Tests als Kriterium für das Vorliegen von Infektionen i.S.d IfSG:
Dies gilt in besonderem Maße angesichts der folgenden Veröffentlichung des CDC vom 13.07.2020:
„Der Nachweis von viraler RNA zeigt möglicherweise nicht das Vorhandensein eines infektiösen Virus an oder dass 2019-nCoV Erreger für klinische Symptome ist. Die Leistungsfähigkeit dieses Tests für die Überwachung der Behandlung von 2019-nCoV Infektionen wurde nicht ermittelt. Dieser Test kann Krankheiten, die durch andere bakterielle oder virale Krankheitserreger verursacht werden, nicht ausschließen.
(https://www.fda.gov/media/134922/download , S.38)
Dieser Test wurde nur zum Nachweis von Nukleinsäuren aus SARS CoV-2 zugelassen, nicht für alle anderen Viren oder Krankheitserreger“.
(a.a.O. S. 10)
Auch das schweizerische BAG stellt bereits mit Stand vom 20.05.2020 fest:
„Die PCR (Polymerase-Kettenreaktion) ist eine NAT (Nucleic Acid Amplification Technology)- Methode der modernen Molekularbiologie um in einer Probe vorhandene Nukleinsäure (RNA oder DNA) in vitro zu vervielfältigen und danach mit geeigneten Detektionssystemen nachzuweisen. Der Nachweis der Nukleinsäure gibt jedoch keinen Rückschluss auf das Vorhandensein eines infektiösen Erregers. Dies kann nur mittels eines Virusnachweises und einer Vermehrung in der Zellkultur erfolgen.“
(file:///C:/Users/mssch/Downloads/Merkblatt_COVID-Testung_Swissmedic_BAG_final_de.pdf)
Legt man darüber hinaus die Antwort des Berliner Senats auf eine parlamentarische Anfrage zu Grunde, kann der PCR-Test keine Infektionen im Sinne des IfSG nachweisen. Daraus folgt, dass sämtliche Feststellungen zu Infektionszahlen, Inzidenzen, Todesfällen und (Intensiv-) Patienten unrichtig und daher als Grundlage für grundrechtseinschränkende Maßnahmen nicht geeignet sind.
Im Einzelnen:
Gesetzliche Grundlage für sämtliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ist nach § 28a IfSG die Anzahl der Neuinfektionen.
In diesem Zusammenhang von besonderem Interesse ist die weitgehend ohne publizistische Resonanz gebliebene Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe an den Berliner Senat vom 05. Oktober2020 zum Thema :Rechtliche und tatsächliche Voraussetzungen der sogenannten „Corona-Verordnungen“ und die Antwort vom 30.10.2020
(https://www.docdroid.net/1wRVhhj/s18-25212-pdf#page=3)
„4. Soweit es auf das Vorhandensein „vermehrungsfähiger Viren“ ankommt: ist ein sogenannter PCR-Test in der Lage, zwischen einem „vermehrungsfähigen“ und einem „nicht-vermehrungsfähigen“ Virus zu unterscheiden?
Zu 4.: Nein.
……
8. Kann der Senat ausschließen, dass die der Krankheit zu 7) zugeordneten Symptome andere Ursachen haben? Falls nein, welche Ursachen kommen in Betracht?
Zu 8.:Nein, die einzelnen Symptome können wie bei allen Erkrankungen auch andere Ursachen haben. Solche differenzialdiagnostischen Betrachtungen sind als Bestandteil der Individu-almedizin Aufgabe der behandelnden Ärztin / des behandelnden Arztes.“
Diese sicherlich frappierende Aussagen lenken den Blich auf das IfSG:
Nach der Legaldefinition von § 2 IfSG ist
– Kranker eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist,
– Krankheitsverdächtiger eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen,
– Ausscheider eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein,
– Ansteckungsverdächtiger eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.
Ein übertragbare Krankheit ist nach dieser Vorschrift eine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden, verursachte Krankheit.
Krankheitserreger ist ein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann.
Infektion ist die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus.
Demnach setzt die Annahme einer Infektion den Nachweis eines vermehrungsfähigen Agens voraus.
Auch das RKI definiert eine Infektion in seiner Publikation „Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie Fachwörter – Definitionen – Interpretationen“ von 2015 wie folgt:
„Vorgang des Eindringens und der Entwicklung oder Vermehrung eines infektiösen Agens in einen Organismus mit der Folge einer symptomatischen oder asymptomatischen (aber nachweisbaren) Reaktion.“
(RKI-Fachwörterbuch Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie, S. 67)
§ 28 Abs. 1 S. 1 IfSG bestimmt:
„Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Absatz 1 und in den §§ 29 bis 31 genannten,soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; ….“
§ 28a Abs. 3 Satz 4 IfSG bestimmt:
„Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen.“
Weiter heißt es dort:
„Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 35 Neuinfektion. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind breit angelegte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen. Unterhalb eines Schwellenwertes von 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen kommen insbesondere Schutzmaßnahmen in Betracht, die die Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen.“
Wenn somit der PCR-Test mangels der erforderlichen Unterscheidungsfähigjkeit nicht in der Lage ist, eine Infektion im Sinne des IfSG nachzuweisen, kann beim Vorliegen eines positiven PCR-Testes ohne weitergehende Untersuchungen/Ermittlungen nicht von einer Infektion ausgegangen werden. Die Feststellung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern auf dieser Grundlage ist unzulässig.
Das bedeutet:
1. Die Feststellung einer bestimmten Inzidenz auf der alleinigen Basis von PCR-Tests ist unzulässig/gesetzwidrig.
2. Die Feststellung der Anzahl der an, mit bzw. im Zusammenhang mit Corona Verstorbenen auf der Basis dieser Tests ist nicht zulässig, da nicht ohne weiteres vom Vorhandensein einer Infektion ausgegangen werden kann. In diesem Zusammenhang ist es zumindest zu begrüßen, dass das RKI nur von Todesfällen „im Zusammenhang“ und nicht „durch“ Corona spricht.
3. Gleiches gilt für die Anzahl von positiv getesteten Krankenhaus(intensiv-)patienten, ebenso wie für die Feststellung von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern i.S.v. § 28 IfSG.
Daraus lassen sich schon auf einfachgesetzlicher Grundlage zumindest erhebliche Zweifel daran begründen, dass die durch Verordnungen der Länder verhängten Maßnahmen der gesetzlichen Grundlage entsprechen.
Zusammenfassend lässt sich – auch ohne virologische Expertise – feststellen, dass seit Beginn des Auftretens des C-Virus Maßnahmen getroffen wurden und werden, deren empirische Grundlage (der PCR-Test) ungeeignet ist und jedenfalls ein wesentlicher Teil der Maßnahmen nicht nur ohne Wirkung, sondern rechtswidrig war.
Allerdings wurden die als maßgeblich angesehenen Kriterien stets dann durch andere ersetzt, wenn sie nicht mehr geeignet waren, die Restriktionen zu begründen:
Verdoppelungsrate > R-Wert > Infektionszahlen > Inzidenzwert > Mutationen.
Es können daher sicherlich bestimmte Teile des Urteils als angreifbar bzw. nicht überzeugend angegriffen werden. Eine Qualifizierung als Fehlentscheidung ist vom Ergebnis her jedoch nicht gerechtfertigt.
Es ist befremdlich in welcher lapidaren Form der Kommentator hier GG§1 mit §2 gleichzusetzen versucht . Der Unterschied ist absolut . Die Menschenwürde steht über allem und darf durch keinerlei Massnahmen jemals verletzt werden . Darum haben wir keine Folter, gute Haftanstalten etc. . Einschränkbar sind Grundrechte auch nur in einem extrem engen Rahmen, (Wesensgehalt) und das ist gewiss überschritten, wenn per Verordnung Kindern pauschal das Spielen verboten wird. Wieter zu der Menschenwürde . Diese ist des Wesenskern des Leben . vgl. BVGU . Der Kern des Menschseins ist es aber nun mal Kontakte zu pflegen und frei zu leben . Die Verbote dieses Menschseins sind Verbote die die Menschenwürde belasten . Damit sind sie für freie, unschuldige Menschen unstrittig Rechtswidrig .
Sehr geehrte(r) Leser*in,
zu Ihren Ausführungen: Erstens versuche ich nicht Art. 1 GG und Art. 2 GG gleichzusetzen, sondern werfe dies vielmehr dem Gericht selbst vor. Dort wird eine hier vorliegende Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit in eine Verletzung der Menschenwürde umgemünzt. Runtergebrochen: Die bloße Einstufung als Gefährder – was ich als solches schon in Frage stelle – reicht nicht für das Vorliegen der Verletzung der Menschenwürde aus. Andernfalls müssten Sie in der Konsequenz jedwede polizeiliche Maßnahme als verfassungswidrig deklarieren. Dass die hier thematisierten Maßnahmen starke Einschitte bedeuten, steht außer Frage, weswegen in einer umfassenden Abwägung die betroffenen Güter (hier u.a. Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber Art. 2 Abs. 2 GG) in Einklag gebracht werden müssen.
Das massive gesetzgeberische Handeln mittels Verordnung ist in der Tat bedenklich. Darauf weise am Schluss meines Beitrags hin. Hätte das Gericht unter Berufung auf die Wesentlichkeitstheorie eine formell-gesetzliche Grundlage (vor allem für den zweiten Lockdown) gefordert, wäre von meiner Seite aus nicht viel zu kritisieren gewesen. Jedoch akzeptiert das Gericht vielmehr selbst eine Ausnahme von der Wesentlichkeitstheorie, verneint aber das Vorliegen einer dafür erforderlichen Ausnahmesituation. Dabei ist die Urteilsfindung nicht das Ergbenis als solches kritikwürdig. Denn mit der Ansicht vieler anderer Wissenschaftler*innen wurde sich erst gar nicht auseinandergesetzt. Die Frage, woher das Gericht die Kompetenz zieht, eine so hoch komplexe Materie selbst einzuordnen, steht damit ebenfalls im Raum.
Sehr geehrter Herr Schatta,
Sie haben im Gegensatz zu Herrn Pieper „Ihre Hausaufgaben“ gemacht und das Urteil des AG Weimar auch komplett gelesen und analysiert. Die von Ihnen, wie auch im Urteil umfänglich eingebrachten, evidenz- und nachweisliche erbrachte Argumentation fehlt Herrn Pieper leider gänzlich. Seine Einwände und Gegendarstellungen habe ich bereits kurz nach der Veröfftlichung des Weimaerer Urteil in verschiedenen Quellen so ähnlich gelesen. Der Richter erbringt in seinem Urteil über ca. 20 Seiten fundierte und belegte Quellen des RKI, des DIVI und nicht zuletzt Forschungsergebnisse nahmhafter Experten,die den lockdown und die Kontaktbeschränkungen als wirkingslos und unsinnig und vor Allem Menschenverachtend ist. Ein Richter im Amtsgericht hat sehr wohl eine bedeutende Expertise, die von ihm vorgebrachten Argumente fundiert zu analysieren und daraus ein Urteilsspruch zu begründen. Ein Richter muss nicht einen Mord begehen, um einen Mörder nach Sichtung aller Fakten zu verurteilen.
Was hier Herr Pieper macht ist leider eine oberflächliche Meinungsdarstellung der von ihm nicht eingebrachter Gegenthesen zum mutigen Weimerer Urteil. Herr Pieper hat im Wesentlichen von der og. Gegendarstellung des Bayerische Verwaltungsgerichtshof abgeschrieben. Jedes Urteil ist sicherlich angreifbar oder ausbaubar aber unbrauchbar gar eine „Fehlentscheidung“ ist es mit Sicherheit nicht, sonst hätte es in den Mainstreammedien einen lauten Aufschrei und ein Affront gegeben. Gab es aber nicht. Aber über das vielschichtige, angebliche Versagen der verantwortlichen Politik(er) wird es hoffentlich in naher Zukunft mehr Urteile zu Fehlentscheidungen durch weitere mutige Richter geben, die die menschenrechtsverachtende, zu keinem Zeitpunkt verhälltnismäßigen, sog. Schutz- und Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen ad absurdum führen werden.
Sehr geehrter Leser,
entgegen Ihrem Vorwurf: Ich habe das Urteil mehrfach gelesen. Des Weiteren zeigen Ihre Ausführungen, dass Sie meinen Beitrag nicht verstanden haben. Ich selbst beurteile die epidemische Lage hier nicht, sondern sage nur, dass die Urteilsfindung, also die Art der Argumentation, so nicht tragfähig ist. Das Ergebnis, die Negierung einer Ausnahmesitaution, sei dahingestellt. Es geht darum, dass sich ein Richter ohne einschlägige Expertise nicht Zahlen zusammensuchen suchen soll, diese selbst virologisch einordnet und dann ein Urteil fällt. Denn manche Materien sind so komplex und – da werden wir uns sicher einig sein – vielschichtig, dass sie gänzlich unterschiedlich bewertet werden. Grund genug, dass sich Menschen mit der nötigen Fachexpertise und mit ggf. unterschiedlichen Ansichten dazu äußern. Ich verweise hier gerne auf meinen Vergleich im obigen Kommentar bzgl. der Richtigkeit einer Operation.
Zu Ihrer Mordmetapher: Ob ein Mord i.S.d. § 211 StGB vorliegt, ist eine juristische Einschätzung, also ja, das sollte ein(e) Richter*in beurteilen können. Die Kompetenz zur Beurteilung, ob eine pandemische Lage vorlag, wurde bisher jedoch noch nicht an einer juristischen Fakultät gelehrt.
Zu der Oberflächlichkeit meines Beitrags: Sie selbst haben in Ihrem Kommentar gegen keine meiner juristischen Ausführungen argumentiert oder versucht, diese zu entkräften. Der bloße Verweis auf die angebliche Mainstreamangehörigkeit meinerseits ist weder Gegenargument noch relevant für die juristische Bewertung des Urteils. Erstaunlicherweise darf auch die Mehrheit (genauso wie die Minderheit) einen Richtspruch kritisieren. Die bloße Bündelung einer gemeinsamen Ansicht kann doch nicht zur Folge haben, dass sie nicht mehr vertretbar ist.
Zuletzt widersprechen Sie sich in Ihrem Kommentar leider selbst, indem Sie darlegen, dass Sie meine Ausführungen in ähnlicherweise bereits mehrfach gelsen haben, dann aber wiederum behaupten, es wäre über das Urteil und dessen kritikwürdige Argumentation nicht berichtet worden. Dies ist sowohl in Zeitungen als auch Fachbeiträgen geschehen.
Und von Abschreiben kann hier nicht die Rede sein. Ich habe das Urteil schließlich selbst zitiert. Ich teile somit einfach die Einschätzung. Zu der Verletzung der Menschenwürde hatte sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof derweil nicht geäußert.
Sehr geehrter Herr Pieper,
Ihren Urteilskommentar lese ich mit großem Erstaunen. Obschon einige der Aussagen in diesem Urteil höchst fragwürdig sind und darin meiner Ansicht nach auch nichts zu suchen haben, ist es immerhin bemerkenswert, dass Sie dem Richter das vorwerfen, was Sie eigentlich dem Verordnungsgeber entgegenhalten müssten, nämlich die Tatsache, dass keine anderen Meinungen berücksichtigt werden. In der Tat ist es falsch, sich nur diejenigen Meinungen zu eigen zu machen, welche die eigene Ansicht untermauern, gleichwohl halte ich das Urteil für sehr wichtig, da es den Verordnungsgeber daran erinnert, sich vermehrt mit Kosten-Nutzen-Abwägungen und möglichen Kollateralschäden auseinanderzusetzen. Wenngleich eine Verletzung der Menschenwürde durch Kontaktverbote wohl kaum begründet werden kann, so darf doch immerhin über deren Nutzen diskutiert werden. Problematisch muss vor diesem Hintergrund vor allem erscheinen, dass die überwiegende Last des Infektionsschutzes Privatpersonen, privaten Haushalten auferlegt wird. Da sich die Maßnahmen gegen alle Bürger richten, sind davon denklogisch notwendig immer auch Nichtstörer betroffen. Das Prinzip der korrekten Störerauswahl ist gerade Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Polizei- und Ordnungsrecht, zu dem das IfSG unstreitig gehört. Dass man davon in einem Übergangszeitraum davon abweichen darf, kann wohl kaum ernstlich bezweifelt werden. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit darf dieser Zeitraum allerdings nicht überdehnt werden, wie es derzeit geschieht, zumal der Gesetzgeber trotz der vorliegenden Informationen des RKI über Jahre hinweg untätig geblieben ist. Vor diesem Hintergrund sind pauschale Kontaktverbote aus meiner Sicht nicht zu rechtfertigen, da ein ganzer Katalog von Maßnahmen und Verhaltensregeln existiert, die auch ein Zusammentreffen von größeren Menschenansammlungen ohne Infektionsgefahr ermöglichen, wie Abstand halten, korrektes Masketragen, Handhygiene, Luftfilteranlagen usw.
„Das Prinzip der korrekten Störerauswahl ist gerade Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Polizei- und Ordnungsrecht, zu dem das IfSG unstreitig gehört. Dass man davon in einem Übergangszeitraum davon abweichen darf, kann wohl kaum ernstlich bezweifelt werden. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit darf dieser Zeitraum allerdings nicht überdehnt werden“. Die allgemeinen Regeln der Störerauswahl aus dem PolR lassen sich aber nicht bruchlos auf die Gefahren durch Seuchen übertragen, wenn eine zuverlässige Unterscheidung zwischen Störer und Nichtstörer bei hoher Durchseuchung der Bevölkerung nur noch bedingt möglich ist (Vgl. dazu Martini/Thiessen/Ganter, NJOZ 2020, 929 (932) m.w.N.). Vllt kommen wir bald wieder an einen Punkt, an dem sich durch intensives Testen Maßnahmen treffen lassen, die nur Störer (Infizierte) treffen und in soweit das mildere Mittel gegenüber Pauschalmaßnahmen darstellen, die auch Nichtstörer treffen. Bis dahin halte ich aber Maßnahmen, die auch Nichtstörer treffen, durchaus für erforderlich.
Sehe ich und zum Glück das OLG und Verwaltungsgericht in NRW anders. Er hat Recht und das Ausland zeigt, wie es richtig geht!