von ANNE WINTER
Blaise Compaorés Aufstieg an die Spitze des Landes gelang am 15. Oktober 1987 durch einen Putsch und die Ermordung Thomas Sankaras. 27 Jahre regierte Compaoré Burkina Faso, ignorierte die Bevölkerung, fühlte sich unangreifbar und unersetzbar. Doch die Verfassung sah vor, dass spätestens im November 2015 Schluss sein sollte, eine weitere Amtszeit nicht möglich sei. Die geplante Verfassungsreform sollte das ändern. Mit diesem Reformvorhaben überspannte Compaoré den Bogen und rechnete nicht damit, dass die Bevölkerung aufstand und ihm die Stirn bot. Über die Verfassungsreform des Artikels 37 stürzte er.
Verfassungsreformen zur Machtsicherung
Artikel 37 der Verfassung Burkina Fasos regelt die Amtszeit des Staatspräsidenten. Es ist der am häufigsten geänderte Teil in der burkinischen Verfassung von 1991.Anfangs normierte man eine Amtszeit von sieben Jahren mit maximal zwei Mandaten; 1997 ermöglichte man die unbegrenzte Wiederwahl. Nach politischen Unruhen ruderte man 2000 zurück auf eine Amtszeit von fünf Jahren bei wiederum maximal einer Wiederwahl. Als Compaoré im Jahr 2005 erneut kandierte, hatte er bereits zwei Amtszeiten absolviert, weshalb seine Gegner vor dem Verfassungsgericht klagten. Dieses wies die Beschwerde zurück, weil die Änderung keine Rückwirkung entfalte (Entscheidung N° 2005-007/CC/EPF, 14.10.2005). Zwei erneute Amtszeiten Compaorés wurden damit ermöglicht. Für die anstehenden Präsidentschaftswahlen im Herbst 2015 war allerdings klar, dass keine Auslegung der Verfassung denkbar wäre, die Compaoré noch einmal kandidieren ließe.
Eine Reform stand daher seit langem im Raum. Im Zuge einer größeren Verfassungsänderung im Juni 2012 konnte man sich noch nicht auf eine Neuregelung des Artikels 37 einigen, obwohl dem damaligen Reformprozess nachgesagt wurde, dass er den Machterhalt Compaorés sichern sollte. Große Proteste begleiteten fortan die Regierungspolitik. Zu Beginn des Jahres traten ehemalige Vertraute Compaorés aus der Regierungspartei aus, gründeten eine neue Partei und eine Bürgerbewegung gegen ihn bekam stetig Aufwind.Allerdings nicht genug, um zu erreichen, dass er freiwillig den Präsidentenpalast räumen würde.
Die gescheiterte Verfassungsreform
Mitte Oktober ging es dann ganz schnell. In einer außerordentlichen Sitzung verabschiedete die Regierung am 22. Oktober einen Gesetzesvorschlag zur Änderung der Verfassung. Für den 29. Oktober war die Abstimmung in der Nationalversammlung angesetzt (Artikel 163). Wenn nicht ¾ der Abgeordneten zugestimmt hätten, wäre nach Artikel 164 ein Referendum zwingend gewesen. Der Änderungsentwurf sah vor, dass Artikel 37 dahingehend geändert werden sollte, dass der Staatspräsident bei einer Amtszeit von fünf Jahren nunmehr zwei Mal wiedergewählt werden könnte. Zudem sollte in die Ewigkeitsgarantie des Artikels 165 auch der Artikel 37 aufgenommen werden. Auf eine Erklärung zur Rückwirkung der neuen Regelung wurde verzichtet und so hielt man entsprechend der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts drei neue Amtszeiten Compaorés für möglich.
Bereits in der antiken Demokratie waren Mandatsbeschränkungen Mittel zur Machtrotation. Heute verfügen nicht nur die USA und Frankreich über solche Regelungen, sondern auch zwei Drittel der afrikanischen Verfassungen. In 16 afrikanischen Ländern wurde bis 2011 versucht sie abzuschaffen; zehn Mal gelang dies. Insbesondere in präsidialen Regierungssystemen mit einem schwachen Parlament kann eine Beschränkung auf zwei Amtszeiten eine Möglichkeit sein, regelmäßige Machtwechsel zu garantieren und die Demokratie zu konsolidieren. Die Beschränkungen sind jedoch nicht die alleinige Lösung gegen ewig regierende Machthaber. Den Weg einer erfolgreichen Abwahl in Westafrika zeigt jüngstes Beispiel aus Senegal unter Macky Sall auf.
Die Bevölkerung wollte nicht bis zu den Wahlen 2015 warten, um Compaoré loszuwerden. Nach immer stärker werdenden Protesten seit Bekanntwerden des Gesetzesvorschlags stürmten Demonstranten am Morgen der Abstimmung das Parlament. Das Militär zog sich zurück und die Abstimmung wurde ausgesetzt. Der Präsident wollte, so seine veröffentlichte Äußerung, die Signale verstanden haben, rief allerdings den Notstand aus (Artikel 59) und löste die Regierung auf (Artikel 46, 69). Es war der Versuch die eigene Machtposition vorerst zu retten. Doch die Revolution der Straße, auch schwarzer Frühling genannt, sah sich durch den ersten Erfolg bestätigt und wollte mehr. Die Rufe wurden gehört: am 30. Oktober erklärte Compaoré offiziell seinen Rücktritt. Da hatte das Militär bereits die Vakanz verlauten lassen und verfassungswidrig die Nationalversammlung aufgelöst.
Die verfassungsrechtliche Nachfolgeregelung
Was seitdem folgt ist eine politisch und verfassungsrechtlich diffuse Situation, eine „confusion constitutionnelle“. Die Vakanz des Staatspräsidenten kann das Verfassungsgericht nach Anrufung durch die Regierung bestätigen (Artikel 43 I). Die Amtsgeschäfte würden dann durch den Präsidenten des Senats übernommen (II). Im Zeitraum von 60 bis 90 Tagen müssten Neuwahlen stattfinden (III). Da die Regierung bereits aufgelöst war, als der Präsident seinen Rücktritt verkündete, könnte das Verfassungsgericht ex officio die Vakanz feststellen (Artikel 157). Der Senat konstituierte sich bislang nicht, sodass grundsätzlich der Präsident der Nationalversammlung die Lücke schließen könnte. Im Falle des Notstands dürfte diese auch nicht aufgelöst werden (Artikel 50, 59). Alternativ obläge es dem Verfassungsgerichtdie Macht in andere Hände zu legen und eine Person oder ein Kollegium zu finden, das den Übergang begleiten könnte. Der Maßstab dafür ist jedoch nicht klar geregelt. Ein Konsens aller Kräfte wäre wohl notwendig. Maximal 90 Tage später müssten jedenfalls Neuwahlen stattfinden.
Die Suche nach einem Interimspräsidenten
Ehe das Verfassungsgericht sich auch nur rühren konnte, riss das Militär die Macht an sich und setzte die Verfassung außer Kraft. Seit 1960 spielte es bei allen Machtwechseln in Burkina Faso eine entscheidende Rolle. Der aktuelle Aufstand ging jedoch nicht vom Militär, sondern von der Bevölkerung aus. Er war Zeichen des Widerstands gegen eine ewig regierende Garde willkürlicher Machthaber, gegen mangelnden Fortschritt, Repressionen, Korruption und ein lauter Ruf nach mehr Demokratie. Dass eine Revolution, die gegen die Änderung eines Artikels der Verfassung begann, mit der Erklärung der Ungültigkeit der gesamten Verfassung durch das Militär enden sollte, entsprach nicht dem Ziel der Bevölkerung. So wurden die Forderungen lauter, die Übergangsphase in zivile Hände zu legen und eine Nationalkonferenz bestehend aus Vertretern von Parteien, Zivilgesellschaft, religiösen und traditionellen Führern sowie dem Militär setzte sich zusammen. Nach zähem Ringen hob man die Suspendierung der Verfassung auf, verabschiedete eine zusätzliche Charta für den Übergang und kürte Michel Kafando, langjährigen Botschafter Burkina Fasos bei den Vereinten Nationen, zum Interimspräsidenten. Der Conseil national de transition soll als legislatives Organ fortan die Aufgaben der Nationalversammlung übernehmen. Als Kompromiss mit den Streitkräften wurde Zida zum Premierminister ernannt. Nach maximal zwölf Monaten sollen Wahlen stattfinden (Artikel 20 Charta). Weder Kafando noch Zida dürfen dann kandidieren (Artikel 4, 16 Charta).
Dornröschenschlaf statt Unterstützung eines legitimen Neuanfangs
Die Machtübernahme durch das Militär wurde von Beginn an in der Bevölkerung nicht akzeptiert und sowohl die Suspendierung der Verfassung als auch die Auflösung der Nationalversammlung waren verfassungswidrig. Doch die Bevölkerung hätte den Präsidenten der Nationalversammlung als verfassungsgemäßen Interimspräsidenten aufgrund dessen Nähe zu Compaoré nicht anerkannt. Die Nationalkonferenz war deshalb vielleicht tatsächlich ein opportunes politisches Mittel. Eine verfassungsrechtliche Grundlage fehlt ihr allerdings, weshalb sie formaljuristisch illegal ist (Artikel 167). Dass die Charta zudem generell Vorrang gegenüber der wieder geltenden Verfassung haben soll (Artikel 25 Charta), zeigt die Schwäche des Neuanfangs.
Von einem Akteur hörte man lange nichts, obwohl ihm in den betreffenden Artikeln der Verfassung immer wieder Macht und Kompetenzen zugeschrieben werden, um die verfassungsgemäßen Abläufe zu sichern: dem Verfassungsgericht. Es schien die Revolution zu verschlafen. Erst als die Nationalkonferenz längst tagte, bestätigte es einen „Volksaufstand“ und führte Kafando feierlich in sein Amt ein. Eine inhaltliche Äußerung zu den Abläufen oder der neuen Charta blieben aus. Es hätte seine Rolle wahrnehmen, die Vakanz des Staatspräsidenten frühzeitig bestätigen, baldige Neuwahlen ankündigen und durch eine Auslegung der Verfassung dem Übergang wieder verfassungsrechtlichen Charakter zukommen lassen sollen. Dies hätte auch der Nationalkonferenz zu Legitimität verholfen. Das Verfassungsgericht galt in der Vergangenheit oftmals als instrumentalisiert, zaghaft, entwaffnet und ratlos. Die aktuelle Lage ist die Chance, ein anderes Bild zu zeigen und zu bestätigen, dass es vermag, den Rechtsstaat und die Demokratie in Burkina Faso zu sichern. Diese Chance hat es bislang vertan.