von RALPH JANIK
Vor mittlerweile über 40 Jahren veröffentlichte die ZEIT Karl Poppers „Plädoyer für intellektuelle Redlichkeit“, eine vehemente Kritik am damaligen Zustand des Diskurses in gewissen philosophischen Zirkeln. Popper ging mit einigen Angehörigen dieser Zunft hart ins Gericht, schrieb vom „Schwulst der Neodialektiker“, von einer „Anmaßung des dreiviertel Gebildeten“, dem „Phrasendreschen“ und „Vorgeben einer Weisheit, die wir nicht besitzen.“
Poppers in diesem Zusammenhang geäußerte fundamentale Einsicht, dass, „[w]er’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann“, lässt sich auch auf den Juristen von heute übertragen. Denn gerade der Jurist, egal, ob als Anwender oder als Theoretiker, muss sich seit jeher den Vorwurf gefallen lassen, hinter Schulen, Theorien und Auslegungsmöglichkeiten sein Versteck zu suchen und dadurch oftmals den Blick auf das Wesentliche entweder zu verlieren oder gar nicht erst gehabt zu haben. Ein altes Problem, dass in Zeiten der zunehmenden Verrechtlichung und der nach wie vor ungeklärten Finalitätsdebatte eine neue Dimension bekommen hat. (Aktuelles Beispiel gefällig? Allein die 2011 erfolgte Neuregelung des österreichischen Investmentfondsgesetzes brachte ein Anwachsen von 39 auf über 200 Paragraphen.)
Worüber reden wir eigentlich?
In aller Deutlichkeit tritt dieses Problem wohl in Form der alten Begriffselefanten zutage, die in jedem von Staats-, Europa- und Völkerrechtler_innen gesäumten Raum stehen. So wird gerne von Unabhängigkeit, Staatlichkeit oder Souveränität gesprochen, nicht aber über eben diese. Unwissenheit oder unausgesprochene Uneinigkeit hinsichtlich des Inhalts gerade dermaßen strittiger Konzepte kann in weiterer Folge nur zu Verwirrung darüber führen, ob sie überhaupt noch zeitgemäß sind oder wer heute als ihr Träger bezeichnet werden kann – ein Missstand, der vom Elfenbeinturm aus in weiterer Folge auch auf die Wahlurnen ausstrahlt. Spätestens dann zeigt sich eine gefährliche Dichotomie zwischen den „Wissenden“, die lieber gar nicht erst allzu viel und allzu offen über diese oftmals als anachronistisch empfundenen Begriffe sprechen und jenen, die dieses seltsame Schweigen als bedrohlich wahrnehmen, eben weil sie mit Staatlichkeit, Souveränität oder Unabhängigkeit zwar nicht notwendigerweise Namen wie Bodin, Hegel oder Habermas, wohl aber positive Gefühle und Emotionen verbinden. Insofern ist Poppers oben zitierter fundamentaler Einsicht hinzuzufügen, dass viele Juristen gewisse Dinge zwar oft klar formulieren und aussprechen könnten, es aber aus rechtspolitischen Gründen schlichtweg nicht möchten. Denn dem Postulat der postnationalen Konstellation zum trotz besteht auch und gerade in Zeiten der Interdependenz und der Globalisierung (und ja, auch bei dieser handelt es sich um einen Begriffselefanten!) nach wie vor ein tief verankertes und weit verbreitetes nationalstaatliches Bewusstsein.
Klarheit schaffen
Insofern ist der Jurist aufgerufen, gerade die zentralen und unvermeidlich komplexen Rechtsfragen unserer Zeit inter alia auf ihre Quintessenz herunterzubrechen anstatt klassischerweise auf deren „Vielschichtigkeit“ zu verweisen, ja, sich auf diese richtiggehend auszureden. Auch wenn es oft in der Tat „darauf ankommt“, stehen hinter den meisten Problemen letztlich eindeutige Interessenslagen und gravierende Auffassungsunterschiede. Die Welt mag nicht schwarz und weiß sein und war es nie, aber so kompliziert, dass es keine Möglichkeit für eindeutige Aussagen gäbe, ist sie auch wieder nicht. Daraus folgt die Notwendigkeit, unsere tägliche Spielwiese, das juristische Begriffsfeld, ohne Scheuklappen zu beackern und in Abhandlungen und Diskussionen wenigstens klare Definitionen voranzustellen. Es gilt, Klarheit darüber zu schaffen, worüber denn nun eigentlich gesprochen wird, selbst wenn es noch so mühsam ist. Nicht nur für den Elfenbeinturm, sondern auch für das vielgerühmte Laienpublikum, das oftmals mehr versteht, als viele wahrhaben möchten. Denn erst wenn man sich auf einen Namen geeinigt hat, kann man das Kind auch bei diesem nennen, ohne es zugleich mit dem Bade auszuschütten.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank, lieber Ralph, ich stimme dem Beitrag hundertprozentig zu.
Allein schon die Rede davon, Staaten müssten „mehr Souverӓnitӓt abgeben“ ist m. E. seit langem eine contradictio in adiecto. Aber solange man noch von Souverӓnitӓt spricht, muss sie ja auch noch existieren, nicht wahr?