Eine Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU v. 24.2.2025 erhitzt zurzeit die Gemüter. Dass Kleine Anfragen als legitimes Instrument der parlamentarischen Opposition genutzt werden, um zuzuspitzen und die Politik der Regierungsfraktionen anzugreifen, ist an sich kein neuer oder gar kritikwürdiger Vorgang. Warum fühlen sich dann aber mittlerweile 2080 Wissenschaftler*innen zur Unterschrift unter einem auf dem Verfassungsblog veröffentlichten Offenen Brief bemüßigt, ihrer großen Besorgnis Ausdruck zu verleihen?
Mit der Kleinen Anfrage möchte die Unionsfraktion in einem 551 Fragen umfassenden Katalog geklärt wissen, ob es regierungsseitige Einflussnahmen auf zivilgesellschaftliche Organisationen gab, um CDU-kritische Demonstrationen im Wahlkampf zu provozieren. Es geht der Anfrage damit – und das kritisiert der Offene Brief scharf – um den Vorwurf, zivilgesellschaftliche Organisationen seien staatlich gelenkt und Instrument der Regierungsparteien, Opposition zu diskreditieren.
Dieses Narrativ ist bisher eher von antidemokratischen Kräften bekannt: Hier wird insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk regelmäßig als staatlich gelenkter Staatsfunk zu diskreditieren versucht (s. Bovermann/Stowasser). Die Anfrage bedient sich dieses vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekannten Narrativs einer Staatsfinanzierung und möchte ergründen, ob eine staatliche Steuerung der Zivilgesellschaft zulasten oppositioneller Positionen stattfindet. Dafür werden zum einen die steuerrechtliche Begünstigung als gemeinnützig, zum anderen die Berücksichtigung zivilgesellschaftlicher Organisationen im Rahmen staatlicher Förderlinien als mögliche Orte unzulässiger regierungspolitischer Einflussnahme identifiziert.
Regelungsstruktur des Gemeinnützigkeitsrechts status quo
Der Staat unterstützt die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke (s. näher § 52 AO) durch das Steuerrecht; zugleich sieht er aber auch die Gefahr eines Missbrauchs zu parteipolitischen Zwecken. 2019 hat der BFH einer zu weitreichenden Politisierung des Gemeinnützigkeitsrechts einen Riegel vorgeschoben: Danach ist es gemeinnützigen Organisationen verwehrt, sich parteipolitisch zu engagieren; sie müssen sich parteipolitisch neutral verhalten und dürfen nicht etwa parteipolitische „Farbe bekennen“. Ihnen ist es aber nicht verwehrt, im Rahmen ihres Betätigungsfeldes politisch zu agieren, also Stellung zu politischen Positionen im Betätigungsfeld zu beziehen (BFH vom 10.01.2019 Az. V R 60/17 Rn. 22), soweit dies nicht hauptsächlicher Gegenstand ihrer Tätigkeit ist. Schließlich darf die gemeinnützige Körperschaft ihre Mittel weder für die unmittelbare noch für die mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwenden (sog. Selbstlosigkeit, § 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 AO); hiervon erfasst werden nach im Schrifttum vertretener Auffassung auch Aktionen wie Demos, die einseitig Ziele nur einer politischen Partei unterstützen. Im Anwendungserlass zur Abgabenordnung findet sich die Weitung, dass eine gemeinnützige Organisation außerhalb der satzungsgemäßen Zwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen darf. Die Regelungsstruktur ist Ausfluss der Spannungslage aus zivilgesellschaftlicher Arbeit, die sich nicht im politischen Vakuum bewegt, sondern von Staatsbürger*innen getragen wird, und der Verhinderung genau dessen, was die Unionsfraktion in ihrer Kleinen Anfrage als Schreckgespenst umreißt: einer parteipolitischen Einflussnahme unter dem Deckmantel gemeinnützigen zivilgesellschaftlichen Engagements.
Mögliche Ableitungen aus der Kleinen Anfrage
Was soll nun aber aus der Anfrage folgen, wenn das Gemeinnützigkeitsrecht eine solche Einflussnahme bereits verbietet?
Negativ gewendet geht es den Fragestellern um eine Delegitimierung der Zivilgesellschaft unter Rückgriff auf antidemokratische Narrative: Die in der Anfrage anklingende Erzählung eines von NGOs vermeintlich getragenen „Deep States“ stößt deshalb auf breite Kritik, weil sie Gefahr läuft, zivilgesellschaftliche Positionsnahme als illegitime, regierungsseitig gelenkte Parteinahme zu diskreditieren.
Konstruktiv gewendet möchte die Anfrage die Grundlagen entweder für ein finanzbehördliches Vorgehen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen oder für eine Verschärfung des Gemeinnützigkeitsrechts legen. Die insofern denkbare Vorgabe einer strikten politischen Neutralität im Gemeinnützigkeitsrecht verkennt jedoch dessen grundlegendes Anliegen, nämlich gerade eine Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements: Eine gänzliche Entpolitisierung der Förderung der in § 52 Abs. 2 AO genannten gemeinnützigen Zwecke würde auch dann eine Beschäftigung mit politischen Vorgängen verhindern, wenn diese im Rahmen dessen liegt, was das Eintreten für die satzungsmäßigen Ziele und deren Verwirklichung erfordert. Eine solchermaßen verstandene Neutralität erschiene lebensfremd und würde zivilgesellschaftlichen Organisationen ein konstituierendes, den demokratischen Prozess gerade bereicherndes Element nehmen.
Finanzielle Förderung zwischen Neutralitätsgebot und Gestaltungsauftrag
Der zweite Fragenbereich adressiert die finanzielle Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen durch die öffentliche Hand. Dazu ist rechtsnormativ zunächst festzuhalten, dass ministeriell bewilligte Förderlinien ein legitimes Instrument regierungsseitiger Politikgestaltung darstellen: Mit Förderlinien gibt die Politik Impulse in die Gesellschaft, welche Dinge sie für unterstützenswert erachtet. Verfassungsrechtlich ist der Regierung hier ein weiter Spielraum im Bereich der gewährenden Verwaltung einzuräumen: Die Regierung darf also durchaus Schwerpunkte in Bereichen ihr wichtiger Regierungspolitik setzen und Förderschwerpunkte auch unter politisch neuen Vorzeichen verschieben. Grenzen setzt das Gebot der Chancengleichheit der politischen Parteien, nachdem Förderentscheidungen nicht zu einer Verfälschung der politischen Wettbewerbslage führen dürfen. Besondere Legitimität genießen daher auf Überparteilichkeit zielende Förderprogramme wie das Programm „Demokratie leben!“. Gerade diesem wirft die Unionsfraktion in ihrer Kleinen Anfrage jedoch eine Verfehlung seines Zwecks vor, weil in ihm geförderte Initiativen an Demonstrationen beteiligt waren, die die gemeinsame Abstimmung der Unionsfraktion mit der Fraktion der AfD als demokratischen Tabubruch kritisierten.
Förderbedingungen und Meinungsfreiheit
Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive wirft diese Kritik die aktuell drängende normative Frage auf, welche Bedingungen an staatliche Förderung geknüpft werden können. Dabei spielt nicht nur die in der Kleinen Anfrage zum Ausdruck kommende Befürchtung parteipolitischer Einflussnahme auf Geförderte eine Rolle, sondern auch der umgekehrte Fall einer bewussten Effektivierung von Förderregimen zur Durchsetzung politischer Zielsetzungen (wie die Debatte um auch von der Union geforderte förderrechtliche Antisemitismusklauseln zeigt). Aber dürften Geförderte überhaupt auf (partei-)politische Neutralität verpflichtet werden?
Chancengleichheit der Parteien
Selbstverständlich wäre eine Förderung, die an die Bedingung parteipolitischer Parteinahme geknüpft wäre, unzulässig (BVerfG, Finanzierung Desiderius-Erasmus-Stiftung, Rn. 177). Umstritten ist aber, ob auch ein generelles Verbot parteipolitischer Stellungnahme zulässig wäre (befürwortend Gersdorf, ablehnend Deyda). Noch weiter gingen Förderbedingungen, die eine vollständige politische Neutralität forderten. Das verfassungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit der Parteien dürfte nach der Rechtsprechung des BVerfG ein solches generelles Neutralitätsgebot nicht tragen: Bei der Vergabe öffentlicher Finanzmittel an Dritte kann – auch wenn der vorgesehene Verwendungszweck dieser Mittel politische Bezüge aufweist – nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass durch die Zuweisung dieser Mittel in das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit eingegriffen wird. Dies gilt insbesondere, wenn die Mittel Institutionen zugewendet werden, die von den Parteien rechtlich und tatsächlich unabhängig sind, ihre Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahrnehmen und auch in der Praxis Distanz zu den jeweiligen Parteien wahren (BVerfG, Finanzierung Desiderius-Erasmus-Stiftung, Rn. 177). Während dies für politische Stiftungen nicht der Fall ist, dürfte die engagierte Zivilgesellschaft gerade von dieser Umschreibung erfasst sein. Eine durch Förderzusagen auf Neutralität verpflichtete Zivilgesellschaft geriete zudem in den Verdacht, die Geldmittel sollten dazu dienen, Kritik an der Regierungspolitik zu unterdrücken. Ein Neutralitätsgebot beförderte damit gerade das, was die Kleine Anfrage als Gefahr markiert: Einen unzulässigen Übergriff der Regierung auf die öffentliche Meinungsbildung. Zweifelhaft ist schließlich, wie sich ein Gebot politischer Neutralität mit einer Antisemitismusklausel vereinbaren ließe, die ja gerade kontrovers diskutiert wird, weil sie eine politische Stellungnahme verbindlich macht und darüber in Konflikt mit Art. 5 Abs. 1 GG gerät (s. etwa Ambos et. al.).
Harmonisierung von Gemeinnützigkeits- und Zuwendungsrecht
Strenge Neutralitätspflichten als Förderbedingung erscheinen danach kontraproduktiv und verfassungsrechtlich fragwürdig; vielmehr erscheint eine Harmonisierung von förderrechtlichem und gemeinnützigkeitsrechtlichem Rahmen angezeigt: Förderung darf nicht mit parteipolitischer Parteinahme gekoppelt sein, sollte aber zugleich nicht den Raum verschließen, sich mit parteipolitischen Positionen (sowohl kritisch als auch befürwortend) auseinanderzusetzen.
Das schon 2014 angeregte, im alten Bundestag aber nicht mehr realisierte Demokratiefördergesetz könnte in der kommenden Legislaturperiode der Ort sein, zivilgesellschaftliches Engagement vor in der Kleinen Anfrage befürchteter politischer Beeinflussung abzusichern, ohne die Zivilgesellschaft dabei mundtot zu machen.
Zitiervorschlag: Eisentraut, Nikolas, Politische Neutralität und zivilgesellschaftliches Engagement, JuWissBlog Nr. 30/2025 v. 12.03.2025, https://www.juwiss.de/30-2025/
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