von FRANZISKA BRACHTHÄUSER
Im Jahr 2011 hat das Bundesverfassungsgericht die Vorschrift aus dem TSG kassiert, nach der Trans*Personen für eine Änderung ihres Personenstandes zu einer operativen Geschlechtsumwandlung verpflichtet waren, die zu einer Fortpflanzungsunfähigkeit führen sollte. Der Beschluss verbessert die rechtliche Situation von Trans*Personen allerdings nur bedingt, denn nach wie vor knüpft das TSG eine Geschlechtseintragsänderung an erhebliche Bedingungen. Die notwendige umfassende Gesetzesreform lässt auf sich warten.
Transgeschlechtlichkeit im deutschen Recht
Die Kategorie „Geschlecht“ wird im deutschen Recht mittlerweile hauptsächlich zu Zwecken des Diskriminierungsschutzes verwandt. Nicht erfasst vom rechtlichen „Geschlecht“ und den entsprechenden Schutzmechanismen ist die „Geschlechtsidentität“, die das individuelle Geschlechtszugehörigkeitsempfinden beschreibt. Das „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen – Transsexuellengesetz“ soll „Lösungen“ für den Fall bieten, dass die empfundene Geschlechtsidentität von der körperlich indizierten abweicht.
Das TSG fußt auf einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1978 – zwei Jahre, bevor es letztlich durch den Gesetzgeber verabschiedet wurde. Für das Jahr 1980 fortschrittlich, erscheint die damalige Gesetzesfassung aus heutiger Sicht katastrophal: So waren beispielsweise eine Altersgrenze von 25 Jahren sowie Ehelosigkeit Erfordernisse für eine Geschlechtsänderung. In der Folgezeit wurde das Gesetz daher in sechs Entscheidungen vor dem Bundesverfassungsgericht als Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und somit für verfassungswidrig erklärt. Die Gesetzesgrundlage ist im Grunde noch ein Kind von 1980, denn der Gesetzgeber ging mit seinen Neuerungen über das Mindestmaß der verfassungsgerichtlichen Aufträge nicht hinaus. Allein Begriffe wie „transsexuelle Prägung“ und „Transsexualismus“ in der aktuellen Gesetzesfassung machen das deutlich.
In seinem vorerst letzten Beschluss revidierte das Gericht endlich die auf der Sexualforschung der 1970er Jahre beruhende Annahme, dass ein „wahrer Transsexueller“ notwendigerweise körperliche Angleichungsmaßnahmen vornehmen wolle. § 8 Abs. 1 Nr. 3,4 TSG ist damit vorerst nicht mehr anwendbar – wieder einmal ist der Gesetzgeber ist am Zuge.
Das TSG heute: Trans*Personen unter Zwang
Zwar sind nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts die Voraussetzungen für eine rechtliche Geschlechtsänderung so gering wie nie zuvor – einfach wird eine rechtliche Geschlechtsanpassung dadurch aber keineswegs. Nach dem TSG stehen Trans*Personen wegen ihrer Geschlechtsidentität auf staatlichem Prüfstand.
Gemäß § 4 TSG sind Gerichte in die Position gerückt, über Änderungsanträge zu urteilen. § 4 Abs. 3 TSG sieht vor, dass es zur gerichtlichen Feststellung einer „transsexuellen Prägung“ zweier Gutachten von Sachverständigen bedarf, die „auf Grund ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Erfahrung mit den besonderen Problemen des Transsexualismus ausreichend vertraut sind.“ Insbesondere ist dazu Stellung zu nehmen, ob sich das Geschlecht der antragsstellenden Person mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird. § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG macht es außerdem zur Voraussetzung bereits für eine Änderung des Vornamens, dass die antragsstellende Person seit mindestens drei Jahren „unter dem Zwang steht“, in dem empfundenen Geschlecht zu leben.
Die Regelungen machen deutlich, dass das TSG in seiner aktuellen Fassung nicht den Schutzinteressen von Trans*Personen, sondern vor allem einer staatlichen Ordnungspolitik verpflichtet ist. Das zeigt allein der Zwang für Trans*Personen, sich einer Begutachtung durch öffentliche Stellen zu unterziehen, um die Glaubhaftigkeit ihrer Geschlechtsidentität zu beweisen. Die Verfahren sind kostenintensiv (etwa 2000 Euro pro Gutachten), langwierig und bergen darüber hinaus die Gefahr einer fachlichen Willkürentscheidung. Die Bedingung, drei Jahre auch vor einer Vornamensänderung im empfundenen Geschlecht zu leben, ist für die Antragsstellenden eine kaum nachvollziehbare Zumutung. Trans*Personen unterliegen in dieser Zeit einer Beweislast für ihre geschlechtliche Identität, deren Voraussetzungen und Härte mit dem verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht wohl kaum vereinbar sind.
Die Struktur des TSG: Warum nicht ein Schutzgesetz?
Die Struktur des TSG hat sich seit 1980 nicht verändert. Als Ordnungsgesetz trägt es zwar der Erkenntnis Rechnung, dass Transgeschlechtlichkeit existiert, räumt darüber hinaus aber kein Recht auf eine solche ein. Damit stellen sich grundlegende strukturelle Fragen für eine Reform des TSG.
Im internationalen Vergleich ist Deutschland mit seiner Gesetzeslage zu Transidentität in weitestgehend schlechter Gesellschaft: Vier EU-Mitgliedstaaten kennen nicht einmal Vorschriften für eine rechtliche Geschlechtsänderung und die meisten EU-Länder haben die Pflicht zur operativen Geschlechtsumwandlung noch nicht aufgehoben. Allerdings verfügen Schweden, die Niederlande und Portugal bereits über weniger restriktive Vorgaben als Deutschland.
Allein Argentinien hat mit dem „Ley de Identitdad de Género“ (Identitätsgesetz, vgl. die englische Übersetzung) von 2012 eine wirklich progressive Regelung getroffen. Es beruht auf dem im argentinischen Recht verankerten Grundrecht auf Identität. Nach dem Gesetz soll es jedem Menschen auf einfachen Antrag möglich sein, Vorname und Geschlecht schnell und unkompliziert zu wechseln. Darüber hinaus garantiert es Trans*Personen auf Grundlage eines staatlichen Versorgungsplans den sicheren Zugang zu medizinischer Versorgung. Im Gegensatz zu anderen Gesetzen zu Transgeschlechtlichkeit begreift sich das argentinische „Ley de Identitdad de Género“ als Schutzgesetz.
Der argentinische Ansatz wird von deutschen Politiker_innen als Utopie gelesen, denn ein Grundrecht auf Geschlechtsidentität kenne das deutsche Recht nicht. Dieser Schluss stimmt so nicht. In seinem letzten Beschluss zu Transgeschlechtlichkeit liest das Bundesverfassungsgericht das „Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität“ als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Schutzvorschriften kennt das deutsche Recht darüber hinaus vor allem in Bezug auf die Kategorie „Geschlecht“. Eine Verbindung von „Geschlecht“ und „Geschlechtsidentität“ wird bisweilen abgelehnt – auch das Bundesverfassungsgericht stützt seine Rechtsprechung zum TSG stets auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und greift dabei nie auf das Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts zurück. Insbesondere Laura Adamietz führt dagegen aus, dass Benachteiligungen und Begünstigungen im Anwendungsbereich des TSG davon abhängig gemacht werden, ob Menschen die Erwartung des ihnen bei der Geburt zugeschriebenen Geschlechts erfüllen oder nicht. Damit wird eine nonkonforme Geschlechtsperformance dem notwendigen Diskriminierungsschutz entzogen. Dieser Diskriminierungsschutz ist notwendigerweise an die Kategorie „Geschlecht“ gebunden. Unter dieser Prämisse sind die Anforderungen des TSG eine Geschlechtsdiskriminierung, die aber nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässig ist.
Ausblick auf politische Kämpfe
Das TSG steht vor einer erneuten Gesetzesanpassung. Zwar verspricht der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, die besondere Situation von Trans*Personen in den Fokus zu nehmen, eine gesetzgeberische Priorität ist dies für den Moment aber nicht.
Politischer Handlungsdruck zeichnet sich allerdings von außen ab: 2014 wird der nächste Staatenbericht der Bundesrepublik an den CEDAW-Ausschuss (Frauenrechtskonvention) der Vereinten Nationen fällig. Das eignet sich als Anlass, um in einem Schattenbericht auf die Situation von Trans*Menschen in Deutschland aufmerksam zu machen. Was für eine politische Wirkkraft ein solcher haben kann, zeigt der Parallelbericht zur Umsetzung der VN-Antifolterkonvention aus dem Jahr 2011, der auf die Situation intergeschlechtlicher minderjähriger Kinder in Deutschland aufmerksam macht. Aus der Debatte zu Intergeschlechtlichkeit heraus ist der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung von § 22 Abs. 3 PStG zumindest tätig geworden. Der politische Kampf ist in diesem Fall aber ebenso wenig wie im Fall von Transgeschlechtlichkeit beendet.
Für eine tatsächliche Veränderung müssen Fragen über „Geschlecht“ und „Identität“ Teil eines kritischen Alltagsbewusstseins werden.
Franziska Brachthäuser ist Studentin der Rechtswissenschaft an der Humboldt Universität.