In drei NGO-Berichten wird die US-amerikanische Drohnenpraxis analysiert und kritisiert

von ROBERT FRAU

Robert FrauIn dieser Woche haben sich gleich drei prominente Organisationen mit Kritik an der US-amerikanischen Drohnenkriegführung an die Öffentlichkeit gewandt. Human Rights Watch (HRW) hat die Lage im Jemen völkerrechtlich und politisch bewertet, während Amnesty International (AI) die Angriffe in Pakistan von Januar 2012 bis August 2013 untersucht. Aus deutscher Sicht besonders interessant hat das European Center for Constitutional and Human Rights aus Berlin (ECCHR) eine Einstellungsverfügung vom Sommer 2013 kritisch hinterfragt (wegen der Tötung des deutschen Staatsangehörigen Bünyamin E. am 4. Oktober 2010 in Mir Ali/Pakistan). So umstritten der Einsatz von Drohnen auch ist – Einsätze wie in Pakistan oder im Jemen werden nicht so bald enden. Es lohnt sich daher, die drei Berichte genauer zu beleuchten.

Die Situation im Jemen

Der erste bekannte Drohnenangriff der US-Amerikaner fand 2002 im Jemen statt. Seitdem haben die USA Drohnenangriffe vor allem in Pakistan durchgeführt, wohin der Blick der Öffentlichkeit gefolgt ist. Die 81 gezielten Tötungen im Jemen seit der Wiederaufnahme des dortigen Drohnenprogramms nach der ersten Tötung 2002 im Jahre 2009 sind bislang wenig thematisiert worden.

Einen großen Teil des jemenitischen Staatsgebietes hat die Zentralregierung nicht unter Kontrolle. Dort musste sie in den letzten Jahren mit sezessionistischen Bestrebungen, unterschiedlichen Stammesinteressen und einer Revolte umgehen. Terroristische Vereinigungen, allen voran Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP), konnten sich somit ebenfalls dem bewaffneten Kampf gegen die bereits geschwächte Regierung widmen. AQAP kontrolliert seitdem einige Landesteile, hält dort eine Ordnung aufrecht, sorgt aber auch für eine Grundversorgung der lokalen Bevölkerung, die die Zentralregierung nicht leisten konnte. Damit, so HRW, erfülle der Konflikt zwischen der jemenitischen Regierung und AQAP die Kriterien, die das humanitäre Völkerrecht, so zum Beispiel Art. 1 Abs. 1 ZP II, an einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt stelle.

Das humanitäre Völkerrecht sei nämlich nur anwendbar, wenn Feindseligkeiten eine gewisse Intensität erreichten und nichtstaatliche Gruppen, also nichtstaatliche „Streitkräfte“, eine Konfliktseite ausmachten. Nichtstaatliche „Streitkräfte“ erforderten eine gewisse Kommandostruktur und die Fähigkeit, konzertierte Kampfhandlungen durchzuführen. Deutlich betont HRW, dass die subjektive Einschätzung der Konfliktparteien keine Rolle spielte – allein die Tatsachen seien entscheidend.

HRW verdient Respekt dafür, sich mit der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auseinandergesetzt zu haben. Nicht nur handelt es sich bei der Bestimmung des Begriffs des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts um ein schwieriges Thema, auch die Feststellung der Tatsachen und die Subsumtion erfordern sorgfältige Arbeit. Da HRW diese leistet, kann der Bericht im Ergebnis klar festhalten, dass im Jemen ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt.

Unverständlich und widersprüchlich ist dann aber, warum die Konfliktbeteiligung der USA von HRW in Zweifel gezogen wird. Die offiziellen Stellungnahmen der USA, wonach man im Jemen nicht in den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt eingreife, sondern allein US-Interessen verfolge, können schon nach den von HRW identifizierten Kriterien nicht entscheidend sein. Darüber hinaus führt HRW an, dass die Praxis im Jemen der neuen US-Drohnenpolitik widerspreche (Rede von Barack Obama, Wuschka, Die „neue“ US-Drohnenstrategie aus völkerrechtlicher Sicht). Die neue Drohnenstrategie ist aber kein rechtlicher Maßstab, sondern ein ausdrücklich politisches Programm für militärische Operationen. Ein „Verstoß“ dagegen spielt völkerrechtlich keine Rolle.

Bei einigen Drohnenangriffen, exemplarisch untersucht HRSW sechs Fälle, erkennt HRW einen Verstoß gegen das humanitär-völkerrechtliche Verbot der Verursachung exzessiver Kollateralschäden, das gewohnheitsrechtlich gilt und in Art. 51 Abs. 5 lit. b) ZP I kodifiziert ist. HRW begründet seine Einschätzung, dass durch diese Einsätze das humanitäre Völkerrecht verletzt wurde, mit dem hohen Anteil von mehr als 57 toten Zivilisten bei nicht mehr als 25 getöteten feindlichen Kämpfern. HRW legt hier dar, warum die angegriffenen Personen entweder keine Zielpersonen im Sinne des humanitären Völkerrechts waren oder warum eine unzulässig hohe Zahl an zivilen Opfern zu beklagen ist – lohnenswert ist die Lektüre aus akademischer Sicht allemal.

Falls das humanitäre Völkerrecht nicht anwendbar ist, gelten friedensvölkerrechtliche Regelungen, allen voran die Menschenrechte. Die Menschenrechte erlauben die Tötung eines Menschen nur, wenn von ihm eine unmittelbare Gefahr für andere Menschenleben ausgeht. Über die genauen Voraussetzungen einer nach menschenrechtlichen Standards zulässigen Tötung, insbesondere über den genauen Inhalt der Verhältnismäßigkeit, kann freilich gestritten werden. Was HRW leider verpasst, ist zu begründen, warum menschenrechtliche Standards für die USA im Jemen überhaupt gelten sollen. Dies ist schwerer zu begründen, als es zunächst den Anschein hat, ist doch Voraussetzung der extraterritorialen Anwendbarkeit der meisten menschenrechtlichen Verträge, dass der entsprechende Staat Jurisdiktion, also effektive Kontrolle, ausübt. Nach Art. 2 IPBPR ist ein Staat nur zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet, wenn sich Personen in seinem Gebiet befinden und seiner Herrschaftsgewalt unterstehen. In der Literatur finden sich dazu zwar viele Behauptungen, aber nur wenige Analysen, die anhand der Vertragstexte und der Rechtsprechung eine Begründung bieten (vgl. die Beiträge bei Groningen Journal of International Law). Leider verpasst HRW die Chance, eine gut argumentierte Begründung zu liefern, und behauptet eine Anwendbarkeit der Menschenrechte nur.

Die Situation in Pakistan

Amnestys Bericht schafft es leider nicht, den hohen Standard des HRW-Berichtes zu erreichen, denn in Einzelheiten ist der Bericht zurückhaltender und tendenziöser. Dies beginnt schon vor der ersten Seite des Berichts, nämlich auf dem Titelblatt. Während HRW die Zerstörung durch einen Drohnenangriff auf dem Titel abbildet, den Bericht mit „Between a Drone and Al-Qaeda“ überschreibt und damit einen eindringlichen, aber objektiven Einstieg wählt – immerhin stehen zwischen Drohne und Al-Qaida das nationale und internationale Recht –, geht es AI um die Erzeugung von Aufmerksamkeit mit zumindest fraglichen Mitteln. Das Titelblatt zeigt die achtjährige Enkelin einer durch einen Drohnenangriff getöteten Frau. Wäre die Überschrift „Will I be next?“ noch etwas größer gesetzt, könnte man den Bericht fast für eine Boulevardzeitung halten. Im Ernst: Es tut der Sache nicht gut, wenn auf solche Art Aufmerksamkeit erregt werden muss, für ein Thema, das diese Aufmerksamkeit durchaus verdient hat. Dass es auch seriöser, aber genauso eindringlich geht, haben HRW und der Living Under Drones-Report der Universitäten New York und Stanford vorgemacht.

Weiter deutlich geschmälert wird der Respekt, den der Leser vor dem AI-Bericht hat, durch ein Zueigenmachen des Drohnen-Urteils des Peshawar High Court vom April 2013 durch AI. Die Richter haben in ihrem Urteil nicht nur bewiesen, keine Ahnung vom Völkerrecht, insbesondere dem humanitären Völkerrecht sowie den Menschenrechten, zu haben, sondern auch bizarre Forderungen an die pakistanische Regierung gestellt. Die Regierung wurde verpflichtet, den UN-Sicherheitsrat anzurufen, beim UN-Generalsekretär ein unabhängiges Kriegsverbrechertribunal zu verlangen und im Zweifelsfall alle Beziehungen zu den USA zu kappen. Diese klare aktivistische Haltung der Richter ist allein durch den Zeitpunkt des Urteilsspruchs, Tage vor den pakistanischen Parlamentswahlen, erkennbar (vgl. Frau, Drone Strikes as a “War Crime” – The Peshawar High Court embarrasses itself). Dass AI nunmehr dieses Urteil als „landmark judgment“ bezeichnet und sich dessen Forderungen teilweise zu eigen macht, ist traurig.

Aber was ist substantiell an dem Bericht dran? Sieht man einmal davon ab, dass AI keine eindeutige Aussage zum Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes in Pakistan abgibt, ist der Bericht besser, als es der Titel erwarten lässt. Genau wie HRW betont auch AI, dass die Verwendung von Drohnen allein die rechtliche Analyse nicht ändert. Und ebenso wie HRW prüft AI die Rechtmäßigkeit der Angriffe nach dem humanitären Völkerrecht und nach den Menschenrechten, leider fehlt auch bei AI die genaue Begründung, warum Menschenrechte anwendbar sein sollen.

Die pakistanische Regierung bzw. der pakistanische Staat scheint zumindest zu dulden, dass die US-Amerikaner Drohneneinsätze in pakistanischem Luftraum durchführen. Dies wird zwar von pakistanischen Spitzenpolitikern in Details bestritten, aber von anderen Quellen durchaus bestätigt. Damit fehlt einem Vorwurf, die USA verletzten die pakistanische Souveränität, eine tatsächliche Grundlage.

Pakistan: Die Tötung von Bünyamin E.

Letzteres, also die Tatsachengrundlage, ist im dritten Bericht Kernpunkt der Debatte. Gestritten wird über die Rechtmäßigkeit der Tötung des deutschen Staatsangehörigen Bünyamin E., der bei einem Drohnenangriff in Pakistan zusammen mit vier weiteren Personen getötet wurde. Das Ermittlungsverfahren hat der Generalbundesanwalt (GBA) im Juli 2013 eingestellt.

Gegen diese Einstellung streitet nun das Gutachten des ECCHR, das vor allem eine unzureichende Ermittlung des GBA beklagt – wie bereits im Fall der Luftangriffe von Kunduz 2009 (Kaleck/Schüller/Steiger, Tarnen und Täuschen, KJ 2010, S. 270). Im vorliegenden Falle sei, so das ECCHR, nicht einmal ein Rechtshilfeersuchen an Pakistan gestellt worden. Daneben kritisiert das ECCHR, dass sowohl die beiden in der Region stattfindenden nicht-internationalen bewaffneten Konflikte (in Afghanistan und in Pakistan) – wenn man überhaupt vom Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes in Pakistan überzeugt ist – als auch die daran beteiligten nichtstaatlichen Parteien nicht auseinandergehalten wurden. Faktisch falsch sei, dass E. ein „Terrorgruppen-Hopping“ betrieben und von der einen zur anderen militanten Gruppe gewechselt habe. Im Kern sind GBA und ECCHR in der rechtlichen Bewertung nicht zu weit voneinander entfernt, auch wenn im Detail unterschiedliche Ansichten vertreten werden, zum Beispiel zur Qualifizierung von Konflikten mit so genannten spill-over-Effekten.

Desweiteren sei nicht richtig, dass CIA-Angehörige als mögliche Täter durch das Kombattantenprivileg geschützt seien. Dies sei schon durch den „Gegenseitigkeitsgrundsatz“ ausgeschlossen, der erfordere, dass sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Kämpfer als solche erkennbar seien. Überzeugend ist der Ausschluss des Kombattantenprivilegs (wenn es denn im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt existiert) aufgrund eines wie auch immer gearteten „Gegenseitigkeitsgrundsatzes“ nicht. Dennoch wirft das ECCHR hier den Schwachpunkt der Argumentation auf: Wenn CIA-Mitarbeiter nicht als Angehörige der US-Streitkräfte gelten, dann genießen sie in keinem Fall das Kombattantenprivileg und eine Strafbarkeit nach deutschem Recht kommt in Frage (näher dazu Frau, Deutschlands Drohnenopfer).

Zusammenfassung

Die (humanitär-)völkerrechtlichen Fragen der Drohnenkriegführung liegen offen zutage. Zu den offenen Fragen gehört vor allem, ob Menschenrechte außerhalb des bewaffneten Konflikts anwendbar sind, wenn ein Staat extraterritorial Hoheitsgewalt ausübt. Die Ermittlung der konkreten Tatsachen ist überdies so schwierig, dass die Tatsachengrundlage sowohl allgemeiner Berichte als auch von Gutachten zu konkreten Fällen immer etwas unsicher bleiben wird.

 

Amnesty International, Drohnen, ECCHR, Human Rights Watch, Humanitäres Völkerrecht, Menschenrechte, Robert Frau, Völkerrecht
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