Transparenz erforderlich – Was die Bundesregierung nicht schafft, holt der Generalbundesanwalt nach
von ROBERT FRAU
Anfang Juli hat der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren wegen der Tötung des Deutschen Bünyamin E. mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Vor einem Jahr war unter großer öffentlicher Anteilnahme ein Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet worden, das den gewaltsamen Tod des jungen Mannes aufklären sollte. Unklar waren die meisten Fakten und der rechtliche Maßstab, eines hingegen war schon zu Beginn sicher: E. war das erste deutsche Opfer eines Drohnenangriffs in Pakistan. Mit ihm zusammen starben vier weitere Personen.
Der Generalbundesanwalt (GBA) kam als Strafverfolgungsbehörde nicht umhin, zahlreiche Rechtsfragen zu beantworten und Farbe zu bekennen. Schon seine Zuständigkeit musste der GBA ausführlich begründen. Diese ist gegeben, wenn ein Verdacht von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch vorliegt, also vor allem bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Kriegsverbrechen setzen das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts voraus. Gerade diese Frage ist aber bzgl. der Situation in Pakistan hoch umstritten und hoch politisiert. Die unüberschaubare und gefährliche Situation vor Ort muss ein Alptraum für einen deutschen Staatsanwalt sein, der geordnete schwäbische Beweiserhebungsverhältnisse und, wenn überhaupt, internationale Fälle mit nicht explosiver Bedeutung gewöhnt ist. Trotz aller tatsächlichen, rechtlichen und politischen Schwierigkeiten gibt der GBA eine mutige – und richtige – Einschätzung der Lage ab. Dabei identifiziert er zwei nicht-international bewaffnete Konflikte.
Zunächst ist er der Auffassung, dass die innerpakistanische Situation zwischen der Regierung und den Aufständischen die Schwelle zum nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, also zum Bürgerkrieg, überschritten hat. Voraussetzungen dafür seien, so der GBA, „neben einer gewissen Intensität und Dauer der gewaltsamen Auseinandersetzung auch ein bestimmter Organisationsgrad der beteiligten Konfliktparteien, der sie dazu befähigt, auf der Basis militärischer Disziplin und faktischer Autorität an- haltende und konzentrierte militärische Operationen zu planen und durchzuführen. Als Indizien hierfür werden beispielsweise die Existenz von Hauptquartieren sowie die Fähigkeit, eigene Kämpfer zu rekrutieren, auszubilden und mit Waffen zu versorgen, angesehen.“ Es ist durchaus umstritten, ob die aufständischen Gruppen diese Kriterien erfüllen (vgl. die Beiträge von Alexander Schwarz und Tassilo Singer). Der GBA beruft sich in seiner Verfügung auf zwei Gutachten des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung sowie der Stiftung Wissenschaft und Politik, die beide leider nicht öffentlich erhältlich sind. Im Ergebnis sieht der GBA diese Voraussetzungen als erfüllt an – in Pakistan wird diese Feststellung auf wenig Gegenliebe stoßen.
Des weiteren qualifiziert der GBA den Konflikt zwischen der Regierung Afghanistans und afghanischen Aufständischen in Pakistan trotz Grenzüberschreitung als nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. Diese Einschätzung hat Bedeutung, ist doch die Einstufung eines solchen Konfliktes mit spill-over-Effekten umstritten. Richtigerweise entscheidet sich die Frage, ob ein Konflikt international oder nicht-international ist, an den beteiligten Konfliktparteien und nicht am Gebiet, auf dem die Feindseligkeiten ausgetragen werden. Die richtige Entscheidung des GBAs stellt deutsche Staatspraxis dar, die für die Präzisierung und Weiterentwicklung von Gewohnheitsrecht eine Rolle spielt und zur Klärung dieser Rechtsfrage beiträgt.
Steht damit fest, dass humanitäres Völkerrecht anwendbar ist, stellt sich dann die Frage, ob die Tötung von Bünyamin E. einen Straftatbestand erfüllt. Dabei scheidet ein Kriegsverbrechen aus, wenn die Tötung von E. völkerrechtsmäßig ist. Entscheidend für die Völkerrechtmäßigkeit der Tötung ist, welchen Status E. hatte. Ein Angehöriger der nichtstaatlichen Konfliktpartei, oder in den Worten des humanitären Völkerrechts, einer organisierten bewaffneten Gruppe, kann immer und überall angegriffen werden. Zivilpersonen sind hingegen vor direkten Angriffen immer und überall geschützt – mit einer Ausnahme. Wenn eine Zivilperson unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnimmt, verliert sie diesen Schutz. Der GBA hält E. aufgrund von Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung von E. für ein Mitglied einer organisierten bewaffneten Gruppe. Es bestünden keine Zweifel daran, dass E. nicht nur am Kampftraining teilgenommen hat, sondern auch für ein Selbstmordattentat vorgesehen war, dessen Termin bereits feststand. In seiner rechtlichen Bewertung folgt der GBA dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das in einer Studie von 2009 feststellt, dass eine Person dann Angehöriger einer nichtstaatlichen Konfliktpartei werde, wenn diese Person eine fortgesetzte Kampffunktion habe (continuous combat function). Dieser Ansatz wird in der wissenschaftlichen Diskussion kritisiert. Der GBA hat die Kriterien des IKRK bereits in seiner Kunduz-Verfügung von 2010 genutzt. Damit stärkt Deutschland die Ansicht des IKRK. Dies ist durchaus nachvollziehbar, denn die Kritiker der Studie haben keinen geeigneten Alternativvorschlag.
Nicht nachvollziehbar ist hingegen, dass der GBA für die Rechtmäßigkeit des Angriffs auf E. das Prinzip der militärischen Notwendigkeit zugrundelegt. Der GBA meint, dass nach diesem Grundsatz nur „der Grad und Umfang an Gewaltanwendung erlaubt [ist], der erforderlich ist, um das angestrebte militärische Ziel zu erreichen. Im Fall der Anwendung gezielter tödlicher Gewalt bedeutet dies gegebenenfalls einen Vorrang der Festnahme vor der Tötung, sofern hiermit keine zusätzlichen Risiken für die handelnden Militäreinheiten oder die Zivilbevölkerung verbunden sind.“ Jedoch gelte dieses Prinzip nur in Fällen, „in denen die handelnde Konfliktpartei die effektive territoriale Kontrolle über das fragliche Gebiet der Militäroperation ausübt“, was um die Stadt Mir Ali in Nordwaziristan im fraglichen Zeitraum nicht der Fall war. Dabei verkennt der GBA, dass ein solches Verhältnismäßigkeitsprinzip im humanitären Völkerrecht in Bezug auf feindliche Kämpfer nicht existiert. Für Kombattanten oder, wie es im Recht des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts heißt, feindliche Kämpfer gibt es keine Begrenzung durch ein Verhältnismäßigkeitsprinzip. Den Grundsatz „Gefangennahme vor Tötung“ kennen weder Völkervertrags- noch Völkergewohnheitsrecht. Vielmehr gilt ein auf exzessive Schäden beschränktes Verhältnismäßigkeitsprinzip nur in Bezug auf Zivilpersonen und zivile Objekte. Mit der Einführung eines solchen Prinzips benachteiligt der GBA die Angehörigen fremder Streitkräfte, denn in der neuen Zentralen Dienstvorschrift 15/2 des Bundesministeriums der Verteidigung, die die Anwendung des humanitären Völkerrechts durch deutsche Soldaten regelt, findet sich diese Vorgabe nicht. Deutsche Soldaten haben daher in Kampfhandlungen den Grundsatz „Gefangennahme vor Tötung“ nicht zu beachten. Damit stellt sich auch das Problem, dass die deutsche Praxis in dieser umstrittenen Frage uneinheitlich ist.
Nachdem der GBA ein Kriegsverbrechen in Bezug auf E. zu Recht ablehnt, wenn man der Beweisführung folgt, lehnt der GBA eine Strafbarkeit nach deutschem Recht ab. Dabei beruft er sich darauf, dass Drohneneinsätze per se weder verboten sind noch im Regelfall rechtswidrig eingesetzt werden. Vor allem aber fragt er sich, ob die Täter berechtigt waren, Feindseligkeiten vorzunehmen. Dies ist richtig. Denn allein die Tatsache, dass E. Angehöriger einer organisierten bewaffneten Gruppe war, macht ihn nicht vogelfrei. Das Völkerrecht gibt nicht jeder Person das Recht, Aufständische zu töten, sondern privilegiert nur ausgewählte Personengruppen. Das humanitäre Völkerrecht „rechtfertigt“ die Tötung eines feindlichen Kämpfers nämlich nur, soweit eine Person berechtigt ist, an den Feindseligkeiten teilzunehmen. Der GBA vermutet, dass Mitarbeiter der CIA den Drohnenangriff durchgeführt haben. Diese werden als Angehörige der staatlichen Konfliktpartei eingeordnet, was sie zu der Teilnahme an den Feindseligkeiten berechtigt. Eine Kombattantenimmunität ist vor allem im Recht des internationalen bewaffneten Konflikts bekannt. Im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ist sie umstritten und privilegiert, wenn überhaupt, nur die Angehörigen der staatlichen Konfliktpartei. Die herrschende Auffassung spricht nur solchen Personen Immunität zu, die zu den Streitkräften eines Staates oder zu anderen staatlichen organisierten bewaffneten Gruppen gehören, die sich durch das Tragen von Uniformen oder besonderen Abzeichen von der Zivilbevölkerung unterscheiden und als Kämpfer erkennbar sind. Es spielt keine Rolle, ob die Kämpfer gesehen werden, entscheidend ist vielmehr, ob sie als Kämpfer erkannt werden, falls sie gesehen werden. Dies übersieht der GBA, wenn er auf das Erfordernis einer sichtbaren Unterscheidung verzichtet.
Der GBA scheint von seiner eigenen Einordnung der CIA-Mitarbeiter nicht voll überzeugt, wenn er danach prüft, wie CIA-Mitarbeiter als Zivilisten zu behandeln wären. Sein obiter dictum „Hält sich der an Feindseligkeiten teilnehmende Zivilist jedoch an die für ihn geltenden Regeln der Kriegsführung, was wie oben ausgeführt angesichts der Beachtung des Unterscheidungsgebots vorliegend der Fall ist, so stellt seine Teilnahme an Kampfhandlungen keinen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht dar“, das eine Straflosigkeit von Zivilisten zur Folge hat, missachtet das humanitäre Völkerrecht.
Tatsächlich existiert kein Verbot für Zivilisten, an den Feindseligkeiten teilzunehmen. Die unmittelbare Teilnahme hat aber, wie der GBA ausführt, sowohl den zeitweisen Verlust der Schutzstatus als auch „die Nichtgewährung von Immunität vor staatlicher Strafverfolgung, wie sie Angehörigen staatlicher Streitkräfte im allgemeinen gewährt wird“ zur Folge. Was der GBA übersieht, ist, dass diese Nichtgewährung umfassend ist: Der strafrechtliche Rechtfertigungsgrund der humanitär-Völkerrechtsmäßigkeit der in Frage stehenden Handlung steht Personen ohne Berechtigung zur Teilnahme an den Feindseligkeiten gerade nicht zu. Es existiert für Zivilpersonen kein Verbot – aber auch keine Erlaubnis. Einzig diese positive Erlaubnis rechtfertigt Handlungen, die nach jedem Strafrechtssystem der Welt Straftaten sind. Folgte man dem GBA, so erweiterte man den Kreis der privilegierten Kämpfer auf solche Personen, die aus eigenem Antrieb am Krieg teilnehmen und sich an die Vorgaben des humanitären Völkerrechts halten. Privilegiert wären auch gelangweilte Studenten, die sich, wie in Libyen 2011 geschehen, dem Kampf gegen Baschar al-Assad anschließen.
Im Ergebnis legt der GBA damit eine rechtlich gut begründete Einstellungsverfügung vor, auch wenn die obiter dicta so nicht haltbar sind. Bei dem zweiten einschlägigen Verfahren, das bereits läuft, sollte der GBA darauf verzichten.
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Hallo Robert,
hab‘ vielen Dank dafür, dass Du Dich der Einstellungsverfügung vom GBA angenommen und so schön und klar Stellung bezogen hast. Sehr gelungen!
Ich stimme mit Dir auch in vielen wesentlichen Fragen überein. Nur habe ich zwei Fragen (über eine Sache hatten wir annährend schon mal diskutiert ;-)). Du hast geschrieben:
„Für Kombattanten oder, wie es im Recht des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts heißt, feindliche Kämpfer gibt es keine Begrenzung durch ein Verhältnismäßigkeitsprinzip. Den Grundsatz ‚Gefangennahme vor Tötung‘ kennen weder Völkervertrags- noch Völkergewohnheitsrecht.“
1. Du sagst also, dass es den Grundsatz „Gefangennahme vor Tötung“ im nichtinternational bewaffneten Konflikt nicht gibt. Gibt es diesen Grundsatz denn im internationalen bewaffneten Konflikt? Wenn ja, voraus ist dieser ableitbar?
2. Du hast bei Deiner Analyse aufgezeigt, dass das Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrecht keinen Grundsatz „Gefangennahme vor Tötung“ enthält. Dies ist meiner Meinung nach eine zu positivistisch geprägte Sichtweise. Dein Ergebnis vernachlässigt Elemente einer naturrechtlichen Sichtweise, die zweifellos auch Eingang in das ius in bello gefunden hat. Als Beispiel dient hier das Prinzip der Humanität, das auch Kombattanten/feindlichen Kämpfern zuteil werden muss.
Hierzu folgendes Szenario: Einem Trupp militärischer Gegner begegnet ein einsamer Kombattant/feindlicher Kämpfer. Dieser ist kampffähig, kampfwillig und offensichtlich auf dem Weg zurück zu seiner Kompanie o. ä. Allerdings ist er unbewaffnet, weshalb von ihm aktuell keine Gefahr ausgeht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein internationales Gericht hier keinen Verstoß gegen das Völkerrecht erkennen würde, wenn dieser Kombattant/feindlicher Kämpfer einfach erschossen würde und nicht nur gefangengenommen würde. Ob ein feindlicher Kämpfer/Soldaten gefangengenommen wird, kann und darf nicht so weit in der Dispositionssphäre einer Konfliktpartei liegen.
Mit den besten Grüßen aus Trier
Lieber Oliver,
danke für Deinen netten Kommentar und das Lob. Und ich erinnere mich an unsere Diskussion in Bremerhaven (http://www.lto.de/recht/studium-referendariat/s/bundesmarine-seminar-legad-seekriegsrecht-voelkerrecht-heintschel-heinegg/).
Zu Deinen Fragen:
1. Der Grundsatz ist meiner Meinung nach weder aus dem Vertragsrecht noch aus der Staatenpraxis bzw. dem Gewohnheitsrecht ableitbar, weder für den internationalen noch den nicht-internationalen Konflikt.
2. Ich fürchte, hier missverstehst Du mich. Wir sind uns nämlich einig, dass das Prinzip der Humanität Eingang in das humanitäre Völkerrecht gefunden hat. Das gesamte humanitäre Völkerrecht schafft ja einen Ausgleich zwischen der Humanität und der militärischen Notwendigkeit. Beide Prinzipien befinden sich aber nicht im leeren Raum, sondern sind ins positiven Recht integriert und in einen Ausgleich gebracht worden. Das Prinzip der Humanität kann nicht das geltende Recht ändern, weil es bereits Eingang in die Konventionen etc. gefunden hat, es ist in Art. 48 ff. ZP I usw. enthalten. Dass das Prinzip nicht als „Überprinzip“ genutzt werden kann, mag politisch nicht wünschenswert sein, rechtlich ist es aber meiner Meinung nach nicht anders möglich, eben weil weder das Vertragsrecht noch die Staatenpraxis einen solchen rechtsverbindlichen Grundsatz „Gefangennahme vor Tötung“ enthalten. Im Gegenteil, die Staaten, die in der Praxis so vorgehen, betonen, dass dies aus rein taktischen und politischen Gründen erfolgt und nicht, weil sie rechtlich dazu verpflichtet sind. Auf Ihr positives Recht bestehen sie.
Zurück auf die Ebene der Prinzipien: Wenn man das Prinzip der Humanität außerhalb des positiven Rechts verankert sieht, dann öffnet man der Gegenseite Tür und Tor. Und diese Gegenseite beruft sich auf das zweite Interesse, namentlich auf die Erfordernisse der militärischen Notwendigkeit. In der Folge könnten also auch dieses Prinzip herangezogen werden, um am positiven Recht rumzudeuteln. Diesmal aber nicht für den Menschen, sondern gegen die Menschen: Militärische Notwendigkeit rechtfertigt einen Verstoß gegen das positive Recht. Die vollständige Hegung der militärischen Notwendigkeit durch das humanitäre Völkerrecht ist aber einer der großen Verdienste des humanitären Völkerrechts.
Dein Szenario hört sich eher nach hors de combat an, also darf die Person nicht getötet werden. Dass der Kombattant keine Gefahr darstellt ist kein Argument, wenn er denn trotzdem kämpft. Das humanitäre Völkerrecht ist eben (noch?) kein Gefahrenabwehrrecht/Polizeirecht.
Noch eine kurze Bemerkung: Karlsruhe liegt in Baden, nicht in Schwaben. Ich bitte das Versehen zu entschuldigen!
Beste Grüße
Robert
Hey Robert,
ja genau, naturrechtliche Elemente (wie das Prinzip der Humanität) haben ihren Weg in das HVR gefunden. Dabei kann es sogar vorkommen, dass naturrechtliche Elemente von den Staaten aufgegriffen werden und sogar durch Vertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht in das HVR aufgenommen werden. Die naturrechtlichen Elemente erfahren dann, so könnte man sagen, eine positiv-rechtliche Bestätigung.
Darüber hinaus können naturrechtliche Elemente aber auch ohne eine positiv-rechtliche Bestätigung Eingang in das HVR finden, weshalb die Konfliktparteien nur aufgrund naturrechtlicher Elemente gebunden sind. Denn das ist Wesen einer naturrechtlichen Auffassung: Es gibt extra-legale Faktoren, an denen sich das positive Recht messen lassen muss. In letzter Konsequenz bedeutet dies sogar, dass Staaten ohne bzw. gegen ihren Willen konkret gebunden sein können, weil sich ein naturrechtliches Element nicht im positiven Recht wiederfinden lässt.
Eine Konfliktpartei ist nach Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht nicht an einen Grundsatz „Gefangennahme vor Tötung“ gebunden, weil es ihn dort nicht gibt. Hier stimme ich mit Dir überein. Zugegeben, der Grundsatz „Gefangennahme vor Tötung“ findet bisher nicht genügend Anklang, um als ein gestandenes allgemeines Prinzip des HVR zu gelten. Ich denke aber, dass ein solcher Grundsatz durchaus als ein allgemeines Prinzip des HVR zu diskutieren ist. Ein internationales Gericht müsste es in einem vergleichbaren konkreten Fall jedenfalls.
Mein Beispiel soll gerade solche Soldaten/feindliche Kämpfer erfassen, die nicht hors de combat (bspw. gem. Art. 41 ZP I) sind.
Beste Grüße
Sehr geehrter Herr Dr. Frau,
vielen Dank für Ihren lesenswerten Beitrag.
Ich würde daher gern folgenden Problembereich zur Diskussion stellen:
Wenn ich die Einstellungsverfügung des GBA richtig interpretiere, sind die USA nicht selbst Konfliktpartei im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt.
Daher kann es bei der Frage, ob es sich bei CIA Mitarbeitern um Streitkräfte handelt, nicht darauf ankommen, dass sie „als Teil der Streitkräfte der USA im Sinne des Art. 43 Abs. 1 ZP I anzusehen (Einstellungsverfügung, S. 34) sind.
Vielmehr kommt es darauf an, ob sie als Angehörige der Streitkräfte einer Konfliktpartei – in diesem Falle Pakistan – angesehen werden können.
Hierauf scheint der GBA jedenfalls implizit auch abzustellen, wenn er ausführt, dass „Dritte, die mit Ermächtigung und im Auftrag eines Staates unmittelbar an Feindseligkeiten teilgenommen haben, gemäß dem humanitären Völkerrecht schon immer als Angehörige der Streitkräfte und nicht als Zivilpersonen angesehen wurden.“ (GBA Verfügung, S. 34 mit Nachweisen in FN 140).
Es müsste dann jedoch auch zwingend darauf ankommen, ob eine Ermächtigung oder Auftrag seitens Pakistans vorliegt. Der GBA scheint davon auszugehen: „der Einsatz von Kampfdrohnen der USA auf pakistanischem Hoheitsgebiet erfolgte im hier relevanten Zeitraum mit stillschweigender Billigung der pakistanischen Regierung und ihrer Armeeführung“ (GBA S. 11).
Eigentlich hätte geprüft werden müssen, ob eine „stillschweigende Billigung“ im humanitären Völkerrecht ausreicht.
Sollte dies der Fall sein, hätte dies weitreichende Konsequenzen, auch bspw. für die Einordnung der Mitarbeiter privater Militär- und Sicherheitsfirmen.
Meiner Ansicht nach ist dies jedoch nicht der Fall, die Voraussetzungen der Zugehörigkeit Dritter zu Streitkräften ist nach meinem Kenntnisstand (insbesondere auch im nicht-internationalen Konflikt) umstritten. Eine formale Eingliederung in die Streitkräfte ist wohl nicht zwingend erforderlich, jedoch kenne ich auch keine Auffassung, die eine „stillschweigende Billigung“ der Aktivitäten ausreichen lässt.
Im Ergebnis würde dies dazu führen, dass die Mitarbeiter der CIA in diesem Konflikt in der Tat als Zivilisten zu qualifizieren wären.
Mit freundlichen Grüßen
Bertrand Laronnet
Sehr geehrter Herr Laronnet,
es freut mich, dass Ihnen der Beitrag gefallen hat und weiteren Diskussionsstoff bietet!
Den Einstellungsvermerk lese ich etwas anders als Sie und komme daher zu einem anderen Ergebnis. Danach unterstützen die USA Pakistan bei dem innerpakistanischen Konflikt gegen die Aufständischen. Der Konflikt bleibt damit ein nicht-internationaler Konflikt, mit zwei staatlichen Konfliktparteien, die aber miteinander und nicht gegeneinander kämpfen auf der einen und den Aufständischen auf der anderen Seite (GBA S. 21).
Ihre Bedenken, dass eine bloße stillschweigende Duldung nicht zur Einordnung als Angehörige der Streitkräfte führen kann, teile ich. Nur für den vorliegende Fall halte ich das Schweigen Pakistans für relevant auf einer anderen Ebene. Die Duldung der pakistanischen Regierung ist auf der ius-contra-bellum-Ebene relevant. Demnach liegt eben kein Verstoß der USA gegen die territoriale Souveränität Pakistans vor. Eine Adoption der CIA-Mitarbeiter durch pakistanisches Schweigen dürfte weder passiert noch rechtlich zulässig sein, insofern stimme ich Ihnen zu.
Mit den besten Grüßen
Robert Frau
Sehr geehrter Herr Dr. Frau,
vielen Dank für Ihre Antwort.
Bei genauerer Lektüre der Einstellungsverfügung halte ich Ihre Interpretation für zutreffend. Ich war lediglich von der Wortwahl in der Einstellungsverfügung etwas verwirrt. Die USA werden durchgängig schlüssig als eigenständige staatliche Konfliktpartei (mit eigener Agenda) neben Pakistan behandelt.
So auch bspw. auf S. 20 „Die USA verfolgen mit ihrer Unterstützung der pakistanischen Regierungstruppen bei der Aufstandsbekämpfung in den FATA in der Regel zugleich ihre militärischen Ziele und Sicherheitsinteressen in Afghanistan.“
Für die Qualifizierung als nicht-internationaler Konflikts gebe jedoch zu Bedenken, dass es strenggenommen auf eine „Billigung“ gar nicht ankommen darf, weil das dazu führen würde, dass die Anwendbarkeit des HVR wieder dem Willen der Parteien unterstellt wird, was gerade vermieden werden sollte. Interessanterweise ist es anscheinend so, dass zwar das Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes nicht nach dem Willen der Konfliktparteien entschieden wird, aber diese anscheinend darüber entscheiden können, ob ein internationaler oder nicht-internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt. Das halte ich für äußerst bedenklich und ich hätte es vorgezogen, wenn dies in der Einstellungsverfügung klargestellt worden wäre. Anders formuliert kommt es darauf an, ob die Parteien „objektiv“ gegen einen nicht-staatlichen Akteur oder gegeneinander kämpfen und nicht, ob sie das Verhalten des anderen (stillschweigend) billigen. Ebensowenig kommt es darauf an, ob sie sich gegenseitig unterstützen, oder nicht.
Mit bestem Dank und Grüßen
BL