Von ANNA-LENA HOLLO
„Corona“ bestimmt derzeit das Leben. Das gilt auch für die Medien, sei es in den Druckerzeugnissen, im Fernsehen, im Rundfunk oder in den Onlinemedien. Dabei werden – leider – nicht nur sachliche Informationen verbreitet, sondern auch überzogene und nur halb, schlecht oder gar nicht recherchierte Beiträge, die die bereits grassierende Panik befeuern könnten oder dort Panik anzufachen drohen, wo noch keine ist. Die Pressefreiheit, heutzutage passender „Medienfreiheit“ genannt, macht dies scheinbar möglich – doch dieses Recht bringt auch eine große Verantwortung mit sich.
Die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte und von einem Zensurverbot flankierte Pressefreiheit besitzt einen hohen Rang. So verlangt das Bundesverfassungsgericht eine Medienordnung, in der die Medien grundsätzlich unabhängig von staatlichem Einfluss organisiert sind (sogenannte Staatsfreiheit). Das Mediensystem besteht aus vier Elementen: den Printmedien (Zeitungen und Zeitschriften), den Onlinemedien, den Rundfunkanstalten und den Privatsendern. Die Pressefreiheit ist – in Abgrenzung zu der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. GG – immer dann einschlägig, wenn es „um die einzelne Meinungsäußerungen übersteigende Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung“ geht (BVerfGE 85, 1, 12 – Bayer-Aktionäre; 97, 391, 400). Für die Anwendbarkeit der Pressefreiheit spielt der Inhalt grundsätzlich keine Rolle. Deshalb sind auch als gemeinhin wenig wertvoll einzustufende Produkte wie Skandal- und Sensationsblätter vom Schutzbereich der Pressefreiheit umfasst (BVerfGE 34, 269, 283 – Soraya; 66, 116, 134 – Springer). Eine freie Presse ist „für die moderne Demokratie unentbehrlich“ (BVerfGE 52, 283, 296; 66, 116, 133). Andererseits ist der „hohe Rang“ der Pressefreiheit kein Selbstzweck. Der Grund dafür ist vielmehr, dass sie „konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung“ ist (BVerfGE 107, 299, 329; 117, 244, 258). Die Aufgabe der Presse ist es, „umfassende Information zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben, selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten“ (BVerfGE 52, 283, 296; 113, 63, 76).
Gesellschaftliche Verantwortung als Grund und Grenze der Medienfreiheit
Soweit, so gut. Von vornherein vom Schutzbereich ausgenommen sind damit (nur) falsche Tatsachenbehauptungen, die bewusst oder im Zeitpunkt ihrer Erstellung offenkundig unwahr sind. Damit nehmen – unabhängig von Corona, aber natürlich auch in diesem Zusammenhang – bewusst oder offenkundig unwahre „Fake News“ am Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG weder unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit noch unter demjenigen der Pressefreiheit teil. Was aber ist mit überzogenen, schlecht recherchierten und/oder aufgebauschten Panik- und Angstmeldungen unterhalb dieser Schwelle? Nach der oben genannten Schutzbereichsumschreibung sind sie vom Schutz der Medienfreiheit erfasst. Aber ist das ein genereller „Freifahrtschein“ für ihre Verbreitung? Muss hier nicht über die Frage nach dem rein rechtlichen Dürfen hinausgegangen werden? In diesem Zusammenhang sollte man sich den Grundgedanken und Hintergrund der Pressefreiheit noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Das ist die große Bedeutung der Medien für die öffentliche Bildung von Meinungen und damit für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Die moderne demokratische Gesellschaft soll eine Kommunikationsgemeinschaft gleichberechtigter und mündiger Menschen sein. Der Ausgleich widerstreitender Interessen soll dabei als offener und fairer Streit erfolgen. Das notwendige Wissen und die Befähigung zu Argumentation und Diskussion beziehen wir vor allem aus den Massenmedien. Sie haben dadurch die Aufgabe, eine öffentlich zugängliche Sprache für eine hochkomplexe Welt und die darin auftretenden Probleme und Konflikte zu finden. Wollen die Medien ihrer „öffentlichen Aufgabe“ gerecht werden, sollten sie sich auch so verantwortungsvoll verhalten, dass dieses Ziel zu erreichen ist.
(Selbst-)Begrenzung durch die Medienethik
Um die Grenzen der Medienfreiheit zu bestimmen, ist ein Mittelweg zu finden, der nicht nur das Interesse der Medien an freier Berichterstattung, sondern auch das berechtigte Informationsinteresse des Publikums und die Schutzinteressen möglicher von der Berichterstattung Betroffener angemessen berücksichtigt. In rechtlicher Hinsicht lassen sich hier nun kollidierende Grundrechte gegeneinander abwägen. Doch nicht jeder Medienbericht, der entgegengesetzten Grundrechten im Ergebnis nicht unterliegt, stellt damit automatisch guten und verantwortungsvollen Journalismus dar. Freilich, wir haben gesehen: Rechtlich ist auch „schlechter“ Journalismus bis zu gewissen (weiten) Grenzen geschützt. Doch bringt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vor dem Hintergrund seines Grundgedankens nicht nur ein Recht, sondern auch eine große öffentliche Verantwortung mit sich. Zugegeben, wir befinden uns hier jenseits des Medienrechts. Vielmehr handelt es sich um den Bereich der Medienethik. Die Medienethik beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Bedingungen verantwortlichen Medienhandelns und vermittelt der Branche entsprechende Verhaltensregeln und Standards. Es handelt sich hierbei um eine Art der Selbstregulierung. Gerade in aufgewühlten Zeiten wie den derzeitigen sollte der Medienethik und der sich in diesem Bereich stellenden Frage danach, was – jenseits von staatlicher oder sonst wie gearteter Zensur – verantwortungsvolle Berichterstattung ist, eine ebenso große Bedeutung zukommen wie dem Medienrecht.
Presserat, Pressekodex und Rundfunkstaatsvertrag
Institutionell wird die Selbstregulierung der Presse vom Deutschen Presserat verkörpert, der seine Funktion darin sieht, für die Einhaltung ethischer Standards und Verantwortung im Journalismus sowie für die Wahrung des Ansehens der Presse einzutreten. Dafür hat er in einem Pressekodex Richtlinien für die journalistische Arbeit im Sinne einer Berufsethik festgelegt. In der Präambel heißt es: „Verleger, Herausgeber und Journalisten müssen sich bei ihrer Arbeit der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und ihrer Verpflichtung für das Ansehen der Presse bewusst sein.“ Nach Ziffer 2 ist Recherche ein „unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt“. Alle Informationen sind vor ihrer Veröffentlichung „mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen“. Ziffer 11 beinhaltet einen expliziten Verzicht auf „eine unangemessen sensationelle Darstellung“. Der Pressekodex orientiert sich an der großen Bedeutung und Verantwortung der Medien und ist vor diesem Hintergrund ernst zu nehmen. Denn die öffentliche Meinungsbildung ist von der Berichterstattung abhängig und von ihr mehr denn je geprägt. Dies gibt der Presse eine ungemeine Macht und Beeinflussungsmöglichkeit. Durch die bewusste oder unbewusste Auswahl der Nachrichten und nicht minder auch durch die Art und Weise der Aufbereitung lenkt und steuert sie die Meinungsbildung und den Informationsstand der Bevölkerung, kann für sachliche und unaufgeregte Informierung sorgen oder eben für Panikmache und Halb- oder Falschwissen. Je größer das Beeinflussungspotential der Presse ist, desto größer ist auch ihre Verantwortung, jedenfalls im ethisch-moralischen Sinne. Es gibt viele Medien, die gründlich recherchierte Beiträge veröffentlichen und dadurch zeigen, dass sie den Pressekodex ernst nehmen. Doch nicht alle Presseunternehmen sind sich dieser Verantwortung bewusst. So werden derzeit Zahlen über Todes- und Infektionsraten veröffentlicht, ohne dass dabei die Herkunft und die Hintergründe dieser Zahlen genannt werden. Es wird beispielsweise teilweise nicht erwähnt, dass Zahlen über Corona-Infizierte in Italien und China auf anders gelagerten Erhebungen basieren als in Deutschland und dass viele unentdeckte Fälle die Statistiken verfälschen. Oder es werden Zusammenhänge zwischen Ibuprofen und Covid-19 behauptet, ohne dass darauf hingewiesen wird, dass es darüber keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Solche Hintergrundinformationen sind aber wichtig, um eine richtige Einordnung der Nachrichten zu gewährleisten.
Gewisse Regeln aus dem Pressekodex sind mittlerweile auch im Rundfunkstaatsvertrag (RStV) kodifiziert. So normieren §§ 10 und 54 RStV für den Rundfunk und die Telemedien Sorgfaltspflichten bei der Berichterstattung. Doch Verstöße gegen diese Sorgfaltspflichten sind von den Ordnungswidrigkeitstatbeständen des § 49 RStV nicht umfasst; zudem unterliegen die Telemedien ohnehin nicht der Aufsicht durch die Landesmedienanstalten. Es bleibt daher nur der Appell an die Selbstverpflichtung der Medien gegenüber ihrer Berufsethik.
Ein abschließender Appell
Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Zwar kann die Medienlandschaft rechtlich über gewisse äußerste Grenzen hinaus nicht verpflichtet werden, verantwortungsvoll von ihrem besonderen Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Gebrauch zu machen. Sie sollte sich aber, gleichsam einem Berufsethos, ethisch und moralisch selbst dazu verpflichtet fühlen, ihre bedeutende Rolle und Funktion verantwortungs- und maßvoll wahrzunehmen und damit ihren Beitrag zur Bewältigung aufgeregter Zeiten zu leisten. Denn aus dem (Hinter-)Grund für die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Medienfreiheit folgt zumindest eine ethische und moralische Pflicht, die übertragene Verantwortung bewusst und gewissenhaft wahrzunehmen. Alle Vertreter der Medien müssen sich ihrer Wirkung bewusst sein und gerade in der derzeitigen aufgewühlten Zeit ihre Verantwortung ernst nehmen.
Zitiervorschlag: Anna-Lena Hollo, Medienfreiheit – Ein Grundrecht mit ethischer Verantwortung? Ein Appell an die Medienlandschaft, JuWissBlog Nr. 32/2020 v. 24.3.2020, https://www.juwiss.de/32-2020/
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