VON ERIK TUCHTFELD
Die Aufforderung des US-amerikanischen Präsidenten – verkündet in gewohnt unorthodoxer Art und Weise–, Deutschland und andere EU-Staaten müssten gefangene IS-Kämpfer aufnehmen, verbunden mit der Ankündigung der ansonsten vorzunehmenden Freilassung, hat in den letzten Wochen zu einer heftigen Debatte rund um die Aufnahme deutscher IS-Angehöriger geführt.
Als Lösung wurde erkannt: Deutschen, die für den Islamischen Staat kämpfen, soll die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden. Hinter diesem Vorschlag steckt eine zweifelhafte Logik: Dem Problem krimineller Staatsangehöriger begegnet man am besten, in dem man das Problem der Staatsangehörigkeit löst.
Die Zahlen
Derzeit geht das Bundesinnenministerium von einer größeren zweistelligen Anzahl an Männern, Frauen und Kindern aus, die sich in kurdischer Haft befinden und deshalb kurzfristig an Deutschland überstellt werden könnten. Insgesamt haben sich wohl etwa 1050 Menschen aus Deutschland kommend dem IS im Irak und Syrien angeschlossen. Davon besitzen etwa ein Drittel keine deutsche Staatsangehörigkeit, sodass sie in der aktuellen Debatte nicht von Bedeutung sind. Ein weiteres Drittel ist bereits zurückgekehrt. Etwa 200 Personen sind ums Leben gekommen.
Summiert man diese Zahlen, kommt man auf etwa 200 Deutsche, die sich noch im Irak und Syrien befinden. Hierzu gehören auch Mütter mit ihren Kindern, die einen beträchtlichen Anteil der Deutschen vor Ort ausmachen dürften.
Diese Zahlen machen deutlich, dass die Anzahl der männlichen IS-Kämpfer – um die die politische Debatte vor allen Dingen kreist –, die sich noch im Irak und Syrien aufhalten, kaum eine zweistellige Zahl übersteigen dürfte. Das Bundeskriminalamt geht dabei davon aus, dass knapp die Hälfte (44 %) der in Richtung IS ausreisenden Deutschen eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen.
Die Rechtslage
Unstreitig ist, dass einem deutschen Staatsbürger bzw. einer deutschen Staatsbürgerin die Einreise in die Bundesrepublik nicht verwehrt werden darf. Dies ergibt sich zum einen aus Art. 11 Abs. 1 GG, aber auch aus der allgemeinen völkerrechtlichen Pflicht zur Aufnahme eigener Staatsbürgerinnen und Staatsbürger (siehe menschenrechtlich nur Art. 13 Abs. 2 AEMR und Art. 12 Abs. 4 IPbpR sowie zwischenstaatlich u. a. eine Vielzahl an Readmission Agreements, welche die EU mit Drittstaaten geschlossen hat und die im Wesentlichen die Formalitäten der Umsetzung dieses Völkergewohnheitsrechts definieren).
Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG darf ein Verlust der Staatsangehörigkeit (gegen den Willen des Betroffenen) nur dann erfolgen, wenn der Betroffene hierdurch nicht staatenlos wird. Dieses Gebot gilt – mit der einzigen Ausnahme der Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung– absolut (BVerfG, Rn. 78). Folglich ist der Aberkennung der Staatsbürgerschaft von Angehörigen des IS, die ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Insoweit in der politischen Debatte auf § 28 StAG, der als Grund für den Verlust an den Eintritt in die Streitkräfte eines anderen Staates anknüpft, verwiesen wird, ist dies mehr als abenteuerlich. Sinn und Zweck der Norm ist die Sanktionierung der Abwendung eines Deutschen von der BRD, verbunden mit der gleichzeitigen Zuwendung zu einem anderen Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Ein Deutsch-Iraker, der sich dem IS anschließt, wendet sich aber gerade nicht dem irakischen Staat, sondern einer terroristischen Vereinigung zu. Für Angehörige des IS einschlägige Verlusttatbestände kennt das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht schlicht nicht.
Dies scheint auch die Rechtsauffassung der Innenministerinnen und -minister der Länder (siehe Beschluss Nr. 1, Punkt 11) sowie der Bundesregierung zu sein, weshalb im Koalitionsvertrag (Rn. 6021 ff.) vereinbart wurde, einen weiteren Verlusttatbestand für Deutsche mit doppelter Staatsangehörigkeit, die an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland teilnehmen, zu schaffen. Nach dem Streit der letzten Wochen (und ernsthaften rechtlichen Bedenken, die einem Entwurf des Innenministeriums entgegengebracht wurden) hat sich die Regierungskoalition nun auf einen Kompromiss geeinigt.
Dieser ist wohl jedenfalls mit Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar, da eine – absolut verbotene – Entziehung nur dann vorliegt, wenn die Aberkennung der Staatsbürgerschaft an Gründe geknüpft ist, die der Betroffene nicht beeinflussen kann (BVerfG, Rn. 49 ff.). Dies ist bei Angehörigen des IS, die sich diesem freiwillig angeschlossen haben, augenscheinlich nicht der Fall. Trotzdem stellen sich Fragen der Verhältnismäßigkeit. Schließlich ist die Ausweisung „faktischer Inländer“, die den größten Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht haben, aber keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, nur unter strenger Beachtung der persönlichen Lebensumstände zulässig (BVerfG, Rn. 29 ff.). Hierzu gehört unter anderem auch die Bindung zu Deutschland bzw. zum Aufnahmestaat. Ein pauschaler Verlust der Staatsangehörigkeit durch Gesetz, ohne Würdigung der Umstände des Einzelfalles, welcher faktisch vergleichbare Auswirkungen auf die betroffene Person haben dürfte wie die Abschiebung in ein weitgehend unbekanntes Land, ist nur schwerlich verhältnismäßig. Inwiefern der von der Regierungskoalition vereinbarte Kompromiss mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wird intensiv zu prüfen sein, sobald er im Wortlaut vorliegt.
Sinn und Unsinn
Sinnvoll ist er dagegen nicht. Zum einen ist der Anwendungsbereich der Norm äußerst beschränkt. Da es auf die Teilnahme an Kampfhandlungen ankommt, dürften nahezu ausschließlich deutsche Männer mit doppelter Staatsbürgerschaft betroffen sein. Auf Basis der derzeit von offizieller Seite veröffentlichten, oben dargestellten Zahlen dürfte es sich dabei um wenige Dutzend Menschen handeln (man fühlt sich an politisch höchst aufgeladene, praktisch bedeutungslose Rücknahmeabkommen erinnert). Ferner ist das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot zu beachten, welches dazu führt, dass das Gesetz nur bei zukünftigen Kampfhandlungen Wirkung entfalten könnte, also gerade nicht bei den bereits von den Kurden inhaftierten Angehörigen des IS, um die sich die aktuelle Debatte dreht
Zum anderen lohnt es sich, die beiden Hauptargumente für eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft einer intensiveren Betrachtung zu unterziehen:
- Eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft ist notwendig, um die Einreise gefährlicher Personen nach Deutschland zu verhindern
Ein sehr simples, aber auch äußerst verantwortungsloses Argument. Denn was bedeutet es in letzter Konsequenz? Die entsprechenden Personen sollen für Deutschland zu gefährlich sein, in einer der instabilsten Regionen der Welt soll ihre Gefährlichkeit aber ausreichend kontrolliert werden können. Gerade die letzten Jahre sollten eins gelehrt haben: In einer globalisierten Welt hat die Krise des einen immer auch Auswirkungen auf den anderen. Deutschland hat aus humanistischen, aber auch aus äußerst eigennützigen Gründen ein Interesse an einem möglichst stabilen, friedvollen Nahen Osten. Dies kann nicht erreicht werden, indem Menschen, die für Krieg und Leid sorgen, aus dem eigenen Staatsgebiet – frei nach dem Motto: „Aus den Augen, aus dem Sinn“ – exportiert werden.
- Eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft ist notwendig, weil für eine Strafbarkeit vor deutschen Gerichten nicht ausreichend Beweise gesammelt werden können
Es ist zunächst festzuhalten, dass die Unschuldsvermutung ad absurdum geführt wird, wenn die Strafbarkeit (in der politischen Debatte) bereits zweifelsfrei angenommen wird und diese „nur“ an der – elementaren – Frage der Beweisbarkeit scheitert. Das Argument vermag aber auch im Übrigen kaum zu überzeugen: Zwar mag es zutreffend sein, dass die Beweissicherung im (umkämpften) Ausland für ein rechtsstaatliches Verfahren in Deutschland eine Herausforderung darstellt, aber auch bei einer Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts müsste schließlich nach allen vorliegenden Entwürfen eine Teilnahme an Kampfhandlungen nachgewiesen werden. Dieser Sachverhalt muss, im Falle der gerichtlichen Überprüfung, vom Verwaltungsgericht nicht nur für möglich, sondern als feststehend erachtet werden (BVerwG, Rn. 11). Es bleibt unklar, wie ein solcher Nachweis gelingen soll, der Nachweis der bloßen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§§ 129b, 129a StGB, mit einer Strafandrohung von bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug) aber nicht.
Die Verantwortung Deutschlands
Deutschland muss seine Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft anerkennen. Dazu gehört auch die Pflicht zum Umgang mit den Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und nun als deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger schwerste Straftaten begangen haben. Es ist zu hoffen, dass sich die Politik zeitnah wieder auf tatsächlich wirksame Maßnahmen der Bekämpfung des Extremismus konzentriert: auf die Förderung der Sozial- und Integrationsarbeit.
Zitiervorschlag: Tuchtfeld, There is no such thing as a German ISIS fighter?, JuWissBlog Nr. 36/2019 v. 6.3.2019, https://www.juwiss.de/36-2019/
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