von TIMO SCHWANDER
Haben Sie gedient? Seit dem Wochenende diskutiert die Bundesrepublik wieder über die Wehrpflicht. Die Debatte weist einige Charakteristika eines Sommerloch-Themas auf, könnte aber auch darüber hinausgehen, denn die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer will die Wiedereinführung einer Dienstpflicht zu einem Baustein des nächsten Grundsatzprogramms der Union machen.
Um die „gute alte“ Wehrpflicht, wie sie in der Bundesrepublik bis 2011 bestand, geht es aber nicht: Gefordert wird ein „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“, das breiter aufgestellt werden soll, auch Frauen einschließt und nicht nur mit sicherheitspolitischen Argumenten begründet wird, sondern dem vor allem eine gesellschaftlich integrative Wirkung zukommen soll.
Nun ist die Wehrpflicht nie abgeschafft worden; der Gesetzgeber hat sie lediglich ausgesetzt, indem er die Geltung des Wehrpflichtgesetzes auf den Spannungs- und Verteidigungsfall begrenzt hat (§ 2 WPflG). Eine Wiedereinführung im alten Gewand dürfte verfassungsrechtlich möglich sein – insbesondere muss der Gesetzgeber wohl nur das Wie, aber nicht das Ob der Wehrpflicht unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten begründen –, aber geplant ist etwas anderes. Fragt sich nur, was das Grundgesetz zu diesen Vorschlägen sagt.
1. Für wen?
Eine Dienstpflicht greift in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG – genauer: die Freiheit von Arbeitszwang und Zwangsarbeit aus Art. 12 Abs. 2-3 GG, die nach wohl überwiegender Auffassung ein eigenes Grundrecht darstellt – ein; je nach Ausgestaltung kann sie darüber hinaus in weitere Grundrechte eingreifen. Zur Einführung der Wehrpflicht erfolgte eine Verfassungsänderung, deren Ergebnis Art. 12a GG ist. Art. 12a ist lex specialis zu Art. 12 Abs. 2 GG, welcher die Verpflichtung zu herkömmlichen, allgemeinen Dienstleistungen ermöglicht – etwa die kommunalen Hand- und Spanndienste oder die Feuerwehrpflicht. Eine derart weitreichende Dienstverpflichtung wie die Wehrpflicht ist davon dagegen wohl nicht abgedeckt – jedenfalls verdrängt Art. 12a in seinem Anwendungsbereich den allgemeineren Art. 12 Abs. 2 GG. Dies hat praktische Konsequenzen: Während Art. 12 Abs. 2 GG die gleiche Heranziehung zur Dienstleistungspflicht – und damit die Gleichbehandlung der Geschlechter bei der Heranziehung – verlangt, greift die in Art. 12a Abs. 1 GG ermöglichte Wehrpflicht ausdrücklich nur für Männer (von der Zivildienstpflicht für Frauen im Verteidigungsfall, Art. 12a Abs. 4 GG, einmal abgesehen). Mit anderen Worten: Eine Feuerwehrpflicht muss auch Frauen umfassen, eine Wehrpflicht darf keine Frauen umfassen (so ausdrücklich auch Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG). Diese Rechtslage kann zwar nicht an Art. 3 Abs. 2 GG gemessen werden – weil die Normen auf der gleichen Rangstufe stehen –, zeugt aber von einem archaischen Geschlechterverständnis (wenn sie auch wohl nicht unionsrechtswidrig ist). Sie führt gleichwohl dazu, dass die Einführung einer geschlechtsunabhängigen Wehrpflicht nur durch Verfassungsänderung möglich wäre.
2. Was?
Beabsichtigt ist aber auch keine reine Wehrpflicht zur Sicherung der Landesverteidigung, sondern eine Dienstpflicht, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und wahlweise in der Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen absolviert werden soll. Auch eine solche Dienstpflicht greift in das Grundrecht des Art. 12 Abs. 2 GG ein: Zwar spricht dieses vom Zwang zu einer „bestimmten Arbeit“, während eine allgemeine Dienstpflicht den Pflichtigen wohl eine gewisse Wahlfreiheit hinsichtlich der konkreten Arbeitsstelle lassen dürfte. Die Beschränkung auf eine „bestimmte Arbeit“ sollte aber lediglich die Frage einer allgemeinen Arbeitspflicht, wie sie in Art. 163 WRV enthalten war, offenlassen. Die Festlegung auf die Bundeswehr oder soziale Einrichtungen sowie die Festlegung weiterer Rahmenbedingungen dürfte hingegen bereits hinreichend bestimmt sein.
Im Gegensatz zum geplanten Wahlrecht zwischen militärischer und sozialer Dienstpflicht stellte der „alte“ Zivildienst gem. Art. 12a Abs. 2 GG keine wählbare Alternative zum Kriegsdienst, sondern nur ein „Auffangbecken“ bei Gewissensverweigerung (Art. 4 Abs. 3 GG) dar, auch wenn die große Mehrheit der Dienstpflichtigen letztlich diesen Weg wählte. Das „Postkartenverfahren“, das Kriegsdienstverweigerern in den späten 70er-Jahren eine Verweigerung ohne weitere Begründung ermöglichte, wurde vom Bundesverfassungsgericht daher gekippt (mit der Folge, dass von Wehrdienstpflichtigen zwar keine Anhörungen vor Spruchkörpern, aber weiterhin Gesinnungsaufsätze verlangt wurden). Hinzu kommt, dass Karlsruhe die Wehrpflicht primär mit dem Schutz und der Verteidigung höchstrangiger Rechtsgüter begründete.
Eine einem völlig anderen Zweck dienende Pflicht dürfte vom Anwendungsbereich des Art. 12a GG nicht gedeckt sein und kann mangels „Herkömmlichkeit“ auch nicht auf Art. 12 Abs. 2 GG gestützt werden. Wer also eine gesellschaftspolitisch begründete Dienstpflicht einführen will, die wahlweise Kriegs- oder Zivildienst umfasst, kommt auch aus diesem Grund um eine Verfassungsänderung nicht herum.
3. Warum?
Geht man einmal von der Vereinbarkeit einer solchen Verfassungsänderung mit Art. 4 Abs. 2 EMRK aus, so stellt sich keine rechtliche Frage mehr, sondern eine rechtspolitische: Sollte man das tun? Vorgebracht werden – wohl neben der stillschweigenden Absicht, auf diese Weise die Personalnot im Pflegesektor lindern zu können – hehre Ziele: Es gehe um eine Identifikation mit dem Staat, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, um ein Bekenntnis zum Land. Außerdem tue so ein Jahr gemeinnützige Arbeit den jungen Leuten doch gut. Von einer Pflicht, sich zum Staat zu bekennen, sieht das Grundgesetz aber gerade ab. Auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt wiederum muss eine freiheitliche Demokratie tatsächlich bauen können, sie kann und soll ihn fördern, aber es steht ihr – frei nach Böckenförde – nicht gut an, ihn durch Grundrechtseingriffe erzwingen zu wollen. Noch weniger sollte sie erwachsene Menschen zu einer Dienstpflicht zwingen, nur weil sie ihnen gut tun könnte.
Zitiervorschlag: Schwander, Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht – ein Treppenwitz aus dem Sommerloch, JuWissBlog Nr. 73/2018 v. 8.8.2018, https://www.juwiss.de/73-2018/
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank für den Beitrag.
Rechtspolitisch muss ich dann aber doch stark widersprechen. Politisch könnte man eine solche Dienstpflicht ja auch durchaus als eine Art Sozialpraktikum als Anschluss an die Schule verstehen. Da zwingen wir auch Kinder zu etwas, weil es ihnen wohl gut tun wird. Es geht ja zudem nicht nur um Personalnot im Pflegesektor, sondern darum, dass viele Menschen gar keinen Kontakt mehr zu Bundeswehr, DLRG, THW, Feuerwehr etc. bekommen und dort entsprechende Personalsorgen und geringe soziale Durchmischung herrschen. Ebenso fände ich es gar nicht so schlecht, wenn eine solche Dienstpflicht dem Überhand nehmenden Elendstourismus namens „FSJ im Ausland“ einen Riegel verschiebt.
Die steigenden Zahlen von BFD und FSJ sprechen ja tatsächlich eher für den Bedarf, nach der Schule noch ein Jahr zur Orientierung zu haben.
Ebenfalls vielen Dank für die Anmerkungen! Der entscheidende Unterschied zur Schulpflicht – dazu dürften auch schulbezogene Sozialpraktika gehören – liegt in meinen Augen darin, dass sie mit der Volljährigkeit endet. Eine Schulpflicht für Erwachsene hielte ich für genauso verfehlt wie eine Dienstpflicht. Und was die steigende Nachfrage nach BFD und FSJ angeht: Wenn sie tatsächlich steigt – ich habe dazu keine Zahlen, glaube das aber gerne -, spricht das doch letztlich eher für Freiwilligkeit und gegen Zwang.
Moin Timo,
einen schönen, knackigen Beitrag hast Du da verfasst, den ich gerne gelesen habe.
Ich stimme mit Deinem Punkt 1 („Wen“) überein, dass das GG hier nur die Pflicht bzgl. der Männer begründet (wobei unterdessen die Kategorisierung der vom BVerfG anerkannten Menschen sein dürfte, die weder einzig männlich oder weiblich sind).
Zu Deinem 2. Punkt („Was?“) hast Du geschrieben, dass „der ‚alte‘ Zivildienst gem. Art. 12a Abs. 2 GG keine wählbare Alternative zum Kriegsdienst, sondern nur ein ‚Auffangbecken'“ darstelle. Da bin ich anderer Ansicht: Faktisch als auch verfassungsrechtlich hatten die Verpflichteten doch eine Wahlfreiheit zwischen Kriegs- und Zivildienst bzw. Ersatzdienst. Gewissensentscheidungen schließen m. E. Wahlmöglichkeiten nicht kategorisch aus. Sonst hätte es das GG ja verboten, dass jemand, der aus Gewissensgründen den Dienst an der Waffe nicht leisten wollte, diesen auch leisten durfte (ungeachtet der Wahrscheinlichkeit in der Realität). Diese Ergebnis ist dem GG aber nicht zu entnehmen. Auch ist die Ableistung des Zivildienstes durchaus rechtspolitisch gewollt gewesen, wie die Nachfolger „Bufti“ etc. verdeutlichen.
Viele Grüße aus Hamburg/Kiel
Oliver
Lieber Oliver,
vielen Dank. Zum Wahlrecht: Faktisch (und rechtspolitisch gewollt) bestand ein solches natürlich, weil die Prüfungsdichte der Gewissensverweigerung nicht mehr wirklich intensiv war. Auch die Inanspruchnahme der Verweigerung nach Art. 4 Abs. 3 GG war natürlich immer mit einer Entscheidung verbunden, das Grundrecht in Anspruch zu nehmen – wie du sagst, war es natürlich nicht verboten, trotz gewissensbegründeter Ablehnung nicht zu verweigern 🙂 Was ich aber mit dem Begriff des Auffangbeckens ausdrücken wollte: Das BVerfG (E 48, 127, 170 f.) hat relativ deutlich klargestellt, dass es verfassungsrechtlich unzulässig wäre, ein Wahlrecht zwischen Wehrdienst und Zivildienst ohne Gewissensbegründung zuzulassen. Den Zivildienst auch rechtlich als Wahlalternative zum Wehrdienst auszugestalten, ist demnach ausdrücklich verfassungswidrig – Zivildienst darf nur leisten, wer Gewissensgründe gegen den Wehrdienst vorbringen kann. Ich halte das selber eher für Quatsch – warum sollte Art. 4 Abs. 3 GG es verbieten, auch Nicht-Gewissens-Verweigerer verweigern zu lassen? Grundrechte enthalten keine Abstandsgebote. Außerdem ist die Vorstellung einer Gewissenskontrolle ohnehin eine reine Fiktion.
Viele Grüße aus Berlin
Timo