Konsequenzen aus dem BND-Urteil – das Ende der Kooperation?

Von CHRISTIAN BENZ

Der Beitrag beschäftigt sich mit einem Teilaspekt der BND-Entscheidung des BVerfG (Urteil vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2835/17). Unter Einbeziehung der persönlichen Eindrücke, die der Autor während der mündlichen Verhandlung im Januar 2020 gesammelt hat, soll ein genauer Blick auf die vom Gericht geforderte „gerichtsähnlichen Kontrolle“ geworfen werden, der die strategische Fernmeldeaufklärung des BND (u.a.) unterliegen soll. Das BVerfG versucht, sowohl das Interesse des BND an einer umfassenden Aufklärung als auch das öffentliche Interesse an einer wirksamen (gerichtlichen) Kontrolle in Einklang zu bringen.

Wovon schon im Vorfeld viele überzeugt waren und was sich während der mündlichen Verhandlung geradezu aufdrängte, ist nun für Recht befunden worden. Große Teile des BNDG sind – man ist geneigt zu sagen: offensichtlich – verfassungswidrig. Weder die Normen zur strategischen Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung (§§ 6, 7 sowie 19 Abs. 1 BNDG), noch die zur Übermittlung an andere Behörden (§ 24 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 BNDG), noch die zur Kooperation mit ausländischen Diensten (§§ 13 bis 15 BNDG), noch die zur Kontrolle der Aufklärungstätigkeit des BND, hielten einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Und weil die in Frage stehenden Normen an einer so großen Zahl materieller Mängel leiden (vom formellen Fehler des nicht beachteten Zitiergebots gem. Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG abgesehen), beschränkt sich das Gericht sogar darauf, nur die „zentralen Defizite“ (Rn. 301) zu erwähnen. Getragen werden die Erwägungen freilich von der Aussage, dass die Grundrechte auch den BND binden und zwar unabhängig davon, ob er im Inland Deutsche oder im Ausland Ausländer überwacht (Rn. 87, siehe dazu hier oder hier).

Neben der Frage der Grundrechtsbindung des BND bei Tätigkeiten im Ausland war in der mündlichen Verhandlung die Rolle des unabhängigen Gremiums (§ 16 BNDG) umfassend thematisiert worden. Das unabhängige Gremium soll eine objektivrechtliche Kontrolle der Tätigkeit des BND gewährleisten und entscheidet zu diesem Zweck etwa über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung. Beim Lesen der Entscheidung fällt auf, welch wichtige Rolle das Gericht – zurecht – einer objektivrechtlichen „gerichtsähnlichen“ Kontrolle zuspricht (Rn. 265 ff.). Dabei drängt sich die Frage auf, inwiefern sich eine gerichtsähnliche aber überhaupt von einer richterlichen Kontrolle unterscheidet? Diese Frage kann, die Forderungen des Gerichts zugrunde gelegt, mit „kaum“ beantwortet werden (siehe unten) und führt zu einer zweiten Frage: Warum denn dann eigentlich keine richterliche Kontrolle? Die Antwort: wegen der sog. „Third Party Rule“.

Die „Third Party Rule“

Würden die Nachrichtendienste jeweils für sich agieren und nicht mit anderen Diensten zusammenarbeiten, hätte das Gericht – diese These sei gewagt – keine gerichtsähnliche, sondern eine richterliche Kontrolle für die Überwachungstätigkeiten des BND verlangt. Nachrichtendienste arbeiten allerdings nicht allein, sondern sie kooperieren miteinander. Dafür schließen sie Kooperationsvereinbarungen ab, die – vereinfacht gesagt – die Ziele, Inhalte und Dauer der Kooperation beinhalten (geregelt in den §§ 13 bis 15 BNDG, welche ebenfalls verfassungswidrig sind). Gewissermaßen „Geschäftsgrundlage“ solcher Kooperationen ist die „Third Party Rule“ (näher dazu Rn. 293 oder auch hier). Danach ist es den kooperierenden Diensten untersagt, Informationen, die vom Partnerdienst erhalten werden, einer dritten Partei ohne Zustimmung des Partnerdienstes zur Verfügung zu stellen. Dritte sind in diesem Kontext vor allem Repräsentanten der Judikative sowie der Legislative; aber auch Organe der Exekutive wie der Bundesdatenschutzbeauftragte (Rn. 32 und 51) können als Dritte begriffen werden. Doch dies heißt natürlich auch, dass diejenigen, die zur Kontrolle über den Dienst bestellt sind, eben jene Kontrolle nicht uneingeschränkt ausüben können. Die ehemalige Vorsitzende des unabhängigen Gremiums Gabriele Cirener sprach in der mündlichen Verhandlung davon, geschwärzte Texte zu erhalten. Dass auf diese Weise der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung (dazu hier, Rn. 119 ff.) der Betroffenen gewahrt wird, kann nicht ernsthaft behauptet werden.

Auf der anderen Seite sprach der Präsident des Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl in der mündlichen Verhandlung davon, dass ein Urteil, das den Dienst verpflichte, unter die „Third Party Rule“ fallende Informationen gar einer parlamentarischen Kontrolle zugänglich zu machen, das Ende jeder Kooperation mit ausländischen Diensten bedeute. Das Dilemma ist damit perfekt und dem Gericht offenbarte sich eine knifflige Frage: Wie kann es einen Weg finden, dass Informationen, die der BND von anderen Diensten erhält und damit der „Third Party Rule“ unterfallen, einerseits (gerichtlich) auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfbar gemacht werden, ohne dass andererseits ausländische Dienste die „Third Party Rule“ als vom BND nicht mehr gewahrt ansehen (wobei die Prämisse gesetzt werden muss, dass das Gericht sich von dieser Verwaltungspraktik überhaupt beeindrucken lässt).

Die Lösung des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht versucht einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden und besticht bei seiner Lösung mit Einfallsreichtum. Inspirationsquelle für die Idee des Gerichts könnte das britische Investigatory Powers Commissioner’s Office (IPCO) gewesen sein, wurde doch Dr. Tom Hickman, Standing Counsel beim IPCO, in der mündlichen Verhandlung ausführlich vom Senat befragt. Es fordert statt einer richterlichen Kontrolle, die unter die „Third Party Rule“ fiele, eine gerichtsähnliche Kontrolle. Dafür soll eine Institution eingerichtet werden, die aus mehreren Spruchkörpern besteht, Personal- und Budgethoheit besitzt, abschließend entscheiden kann und generell „materiell und verfahrensmäßig einer gerichtlichen Kontrolle gleichwertig, insbesondere mindestens ebenso wirkungsvoll“ (Rn. 275) sein muss. Gleichzeitig müssen die Spruchkörper mit Personen besetzt sein, die richterliche Unabhängigkeit genießen. In der Zusammensetzung muss der richterlichen Perspektive weiterhin „maßgebliches Gewicht“ (Rn. 286) zukommen. Dies alles klingt stark nach der Errichtung einer gerichtlichen Kontrollinstanz; gerichtsähnlich ist sie allein deshalb, weil der Gesetzgeber sie organisatorisch so auszugestalten hat, dass ihr die „Third Party Rule“ nicht entgegengehalten werden kann. Damit dürfte wohl gemeint sein, dass diese Kontrolle in der Exekutive angesiedelt und damit eben lediglich gerichtsähnlich sein wird.

Fazit

Das Bundesverfassungsgericht fordert im Ergebnis eine gerichtliche Kontrolle innerhalb der Exekutive und versucht, dies mit den Worten der „gerichtsähnlichen Kontrolle“ zu tarnen. Die Gerichtsähnlichkeit dürfte allerdings formal, also im Sinne der Zuordnung zu den klassischen drei Gewalten, und nicht inhaltlich zu verstehen sein. De facto fordert das Gericht eine richterliche Überprüfung der strategischen Fernmeldeaufklärung des BND, was in der Sache volle Unterstützung verdient. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass ausländische Dienste sich leicht täuschen lassen. Zwar drängte sich während der mündlichen Verhandlung der Eindruck auf, dass die „Third Party Rule“ einer solchen Regelung nicht prinzipiell entgegenstünde. Die Partnerdienste werden aber auf die bis zum 31.12.2021 zu erlassene Neuregelung des BNDG ein besonderes Augenmerk legen, sodass der Gesetzgeber hier ganz besonders präzise wird arbeiten müssen. Sicher ist, dass sich die ausländischen Dienste nicht ohne Weiteres damit abfinden werden, dass den Kontrollinstanzen von nun an die „Third Party Rule“ nicht mehr entgegengehalten werden kann (Rn. 292).

 

Zitiervorschlag: Benz, Christian, Konsequenzen aus dem BND-Urteil – das Ende der Kooperation?, JuWissBlog Nr. 77/2020 v. 29.05.2020, https://www.juwiss.de/77-2020/.

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BND, BVerfG, Christian Benz, Geheimdienste, Grundrechte, third-party-rule
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