Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Verfahren erneut die Möglichkeit erhalten, sich zur sogenannten Schmähkritik im Rahmen der Meinungsfreiheit zu äußern. Im Falle eines Vorliegens einer Schmähkritik geht das BVerfG davon aus, dass eine Abwägung entbehrlich ist, da die Meinungsfreiheit dann regelmäßig hinter den Persönlichkeitsschutz tritt. Dass dies problematisch sein kann, verdeutlicht nicht nur der gegenwärtige Sachverhalt. Die Rechtsfigur der Schmähkritik sollte daher aufgegeben werden.
Die Entscheidung
Der Beschwerdeführer war Kläger in einem Zivilrechtsstreit. Dabei stellte er Antrag auf Befangenheit gegen die Richterin mit der Argumentation, ihn erinnere die Art und Weise der Führung der Verhandlung „stark an einschlägige Gerichtsverhandlungen vor ehemaligen nationalsozialistischen Sondergerichten“. Weiter führte er aus, die Verhandlungsführung erinnere „eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren“.
Nachdem der Präsident des Amtsgerichts daraufhin Strafantrag stellte, wurde der Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Während sich das Amtsgericht wohl noch nicht dazu äußerte, ob in der Äußerung eine Schmähkritik zu sehen ist, sondern lediglich feststellte, dass die Äußerungen „ohne Zweifel“ § 185 StGB erfüllten, kam das Berufungsgericht zu dem Schluss, dass diese so diffamierend seien, dass eine Schmähkritik vorliegen würde. Dementsprechend sei eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz nicht erforderlich, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter letzteren zurücktritt. Nachdem das OLG die Revision verwarf, erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde, der das Gericht nun stattgab.
Das BVerfG bestätigte in seinem Beschluss seine restriktive Haltung zur Schmähkritik und kam zu dem Ergebnis, dass eine solche in diesem Falle nicht gegeben sei. Für das Vorliegen einer Schmähkritik sei der sachliche Bezug entscheidend, insbesondere müssen Anlass und Kontext der Äußerung berücksichtigt werden. Im gegebenen Sachverhalt wurden die Äußerung jedoch im Zusammenhang mit der Verhandlungsführung getätigt. Dadurch werde gerade nicht auf die Person der Richterin als solcher gezielt. Dementsprechend gelangt das Gericht zu der Ansicht, dass eine Schmähkritik in einem solchen Fall nicht vorliege.
Voraussetzungen der Schmähkritik und deren Rechtsfolgen
Grundsätzlich legt das BVerfG den Begriff der Schmähkritik sehr eng aus. So stellt eine überzogene oder polemische Äußerung noch keine Schmähkritik dar. Eine solche soll nur dann vorliegen, wenn es bei der Äußerung nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern vielmehr die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Deshalb entschied das Gericht im gegenwärtigen Sachverhalt auch, dass eine Schmähkritik gerade nicht gegeben ist.
Liegt eine Schmähkritik jedoch vor, so bedarf es von vornherein keiner Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsschutz. Die Meinungsfreiheit tritt dann automatisch hinter letzterem zurück. Nimmt ein Instanzengericht dagegen eine Schmähkritik an, obwohl diese tatsächlich nicht vorliegt, so wird der Grundrechtsträger bereits dadurch in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt. Dementsprechend verweist das BVerfG dann den Fall an die Instanzgerichte zurück.
Das Vorliegen einer Schmähkritik führt also regelmäßig dazu, dass eine Beleidigung iSd § 185 StGB vorliegt, umgekehrt bedeutet dies jedoch keinesfalls, dass eine Äußerung erlaubt ist, vielmehr bedarf es dann nur einer Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz. So hat auch das BVerfG bei diesem Sachverhalt nicht festgestellt, dass die Äußerung nicht unter § 185 StGB fallen dürfe (teilweise wurde dies wohl anders interpretiert), sondern lediglich, dass nicht auszuschließen sei, „dass das Landgericht bei Befassung im Rahmen seiner Abwägung zu einer anderen Entscheidung kommen wird“ (Rn. 21).
Rechtliche Einordnung der Schmähkritik
Die Rechtsfigur der Schmähkritik lässt sich dogmatisch nur schwer einordnen. Zum Teil wird angenommen, entsprechende Äußerungen fallen bereits aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Wenn das BVerfG aber sagt, dass im Falle des Vorliegens einer Schmähkritik die Meinungsfreiheit hinter den Persönlichkeitsschutz tritt, dann bedeutet dies ebenso implizit, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit auch die Schmähkritik umfasst. Allerdings hat sich das Gericht in früheren Entscheidungen teilweise sehr unklar geäußert, wenn es etwa meinte, die Einordnung einer Aussage als Schmähkritik würde den Schutz der Meinungsfreiheit verdrängen. Vergegenwärtigt man sich jedoch, dass das BVerfG im Wunsiedelbeschluss festgestellt hat, der Schutzbereich der Meinungsfreiheit sei sehr weit zu fassen, dann ist auch die Schmähkritik in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einzubeziehen. Schutzbereichsausnahmen oder -verengungen wie bei der Berufs- oder Versammlungsfreiheit soll es hier also gerade nicht geben.
Führt das BVerfG allerdings aus, im Falle einer Schmähkritik trete die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Persönlichkeitsschutz zurück und eine Abwägung sei dementsprechend entbehrlich, dann sieht es für die Schmähkritik zumindest eine dogmatische Sonderrolle vor. Letztlich ist wohl die Einordnung einer Aussage als Schmähkritik bereits eine Art Vorabwägung. In jedem Fall kann sie das normale Ausmaß einer Abwägung jedoch nicht einnehmen, andernfalls würde der explizite Verweis auf eine verzichtbare Abwägung keinen Sinn ergeben.
Der Sachverhalt verdeutlicht wieder einmal, welche praktischen Komplikationen die Figur der Schmähkritik hervorrufen kann. Trotz der mittlerweile klaren Rechtsprechung des BVerfG bleibt es für die Instanzgerichte oft schwierig, Äußerungen korrekt einzuordnen. Immer wieder war das BVerfG anderer Ansicht, und verneinte anders als die Instanzgerichte das Vorliegen einer Schmähkritik. Bekannt wurde unter anderem der Fall der „durchgeknallten Staatsanwältin“, bei dem das BVerfG anders als die Instanzgerichte ebenfalls eine Schmähkritik verneinte. Da eine solche falsche Einordnung bereits das Recht auf Meinungsfreiheit verletzt, bleibt dem BVerfG nichts anderes übrig, als die entsprechenden Verfahren an die Instanzgerichte zurückzuverweisen. Prozessökonomie sieht anders aus.
Dementsprechend könnte es empfehlenswert sein, eine Schmähkritik nicht verfrüht anzunehmen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es stets schwierig sein wird, eine Äußerung korrekt einzuordnen. Berücksichtigt man ferner die oben genannten erheblichen Rechtsfolgen, sollte man sich von der Rechtsfigur der Schmähkritik verabschieden. Zu überzeugenderen Ergebnissen gelangt man, wenn man stets die Meinungsfreiheit mit dem Persönlichkeitsschutz abwägt, egal ob eine Äußerung rein diffamierenden Charakter aufweist oder zumindest auch sachbezogen ist. Die derzeitige Problematik würde deutlich entschärft werden: Eine Rückverweisung an die Instanzgerichte könnte nicht mehr stattfinden, da jedes Gericht eine Abwägung durchführen würde.
Diese kann freilich auch zu einem falschen Ergebnis führen, die Fehlerquote dürfte hier jedoch deutlich niedriger ausfallen, Keinesfalls würde dies dagegen eine Verschiebung der Gewichtung der verfassungsrechtlichen Schutzgüter bedeuten. Der Persönlichkeitsschutz würde bei diffamierenden Äußerungen regelmäßig der Meinungsfreiheit vorgehen. Am Ergebnis würde sich letztlich also nichts ändern. Die schwierige Einordnung von Äußerungen als Schmähkritik wäre jedoch überflüssig. Der Verzicht auf die Schmähkritik wäre daher ein lohnenswerter Schritt.
Zitiervorschlag: Camillo Gaul, Lob der Abwägung! Warum die Rechtsfigur der Schmähkritik beerdigt werden sollte, JuWissBlog Nr. 79/2019 v. 1.8.2019, https://www.juwiss.de/79-2019/
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Der Autor meint wohl BVerfG, B. v. 14.6.2019 – 1 BvR 2433/17, auch wenn er es nicht sagt.