von KATRIN KAPPLER
Anfang Februar hat die Expertengruppe des UN-Menschenrechtsrat „Working Group on Arbitrary Detention“ (WGAD) den Aufenthalt von Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London als willkürliche Inhaftierung eingestuft. Diese neuen Entwicklungen befeuern die zuletzt ruhiger gewordenen Diskussionen um den Wikileaks-Gründer. Assange erklärte nach Bekanntwerden der Einschätzungen der WGAD, dass er sofort seinen Reisepass zurückerwarte. Sowohl die schwedische Regierung als auch das britische Außenministerium wiesen die Forderung umgehend zurück, da Assange sich freiwillig in der Botschaft aufhalte und er schon deshalb nicht willkürlich inhaftiert sein könne.
Das Gutachten der WGAD ist weder rechtlich verbindlich noch gibt es einen Durchsetzungsmechanismus. Dies heißt aber nicht denknotwendig, dass das Gutachten gar keine Auswirkungen hat. Es wäre nicht der erste Fall, in dem ein Gutachten der WGAD den politischen Diskurs beeinflusst und zu der Freilassung des willkürlich Inhaftierten beiträgt. Welchen Einfluss ein Gutachten der WGAD im Einzelfall hat, ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig: Bekanntheitsgrad und Medienpräsenz des Inhaftierten, Haftbedingungen, beteiligte Staaten und natürlich nicht zuletzt die Überzeugungskraft der rechtlichen Argumentation des Gutachtens.
Fakten und Hintergrund
Der Wikileaks-Gründer Julian Assange wird seit Ende 2010 mit einem europäischen Haftbefehl gesucht. Assange werden Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und Nötigung zweier schwedischer Frauen vorgeworfen. Noch im Dezember 2010 wird Assange in Großbritannien festgenommen, kurz darauf aber gegen Kaution freigelassen. Im Juni 2012 flüchtet Assange in die ecuadorianische Botschaft und stellt dort einen Asylantrag, den er damit begründet, dass er befürchte, von Schweden in die USA ausgeliefert zu werden, wo ihm aufgrund der Veröffentlichungen auf Wikileaks eine lange Haftstrafe drohen würde. Ecuador gibt diesem Antrag schließlich im August 2012 statt. Nun beurteilt die WGAD die Zeit in der Botschaft als willkürliche Inhaftierung, weil Assange die Botschaft nicht verlassen kann, ohne sofort festgenommen zu werden.
Der Ausschuss begründet die Einordnung mit Verstößen gegen die Art. 9, 10 AEMR und der Art.7, Art.9 Abs. 1, 3 – 4, Art. 10 und Art. 14 IPbpR. Aufgrund der Verstöße gegen den Grundsatz auf ein faires Verfahren liegt nach Ansicht des Ausschusses eine willkürliche Inhaftierung nach den von der WGAD aufgestellten Kriterien (Gruppe III) vor.
Die Expertengruppe forderte abschließend Schweden und Großbritannien auf, die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit sowie Assanges persönliche Freiheit zu gewährleisten. Darüber hinaus solle Assange für die die Zeit, in der er in der ecuadorianischen Botschaft willkürlich inhaftiert wurde, entschädigt werden.
Ungewöhnlich ist, dass die Entscheidung des Ausschusses nicht einstimmig angenommen wurde. Leigh Toomey enthielt sich ihrer Stimme, weil sie wie Assange aus Australien stammt. Wladimir Toschilowski sprach sich explizit gegen die Entscheidung aus und verwies darauf, dass Assange die Botschaft als sicheren Hafen nutzt.
Damit berücksichtigt er als einziger der UN-Expertengruppe das entscheidende Kriterium: Julian Assange hat sich freiwillig in die Botschaft begeben. Er hat gegen seine Kautionsauflagen verstoßen und entzieht sich durch den Aufenthalt in der Botschaft einer Festnahme. Er wird dort auch nicht gegen seinen Willen festgehalten, kann er die Botschaft doch jederzeit verlassen. Das scheint in der Bewertung der WGAD keine Berücksichtigung gefunden zu haben.
Darüber hinaus verkennt die Expertengruppe, dass Schweden und Großbritannien nicht verpflichtet sind, das von Ecuador gewährte diplomatische Asyl anzuerkennen. Weder Schweden noch Großbritannien sind Vertragsparteien der Konvention über diplomatisches Asyl. Ein Völkergewohnheitsrecht hat sich bisher nicht herausgebildet, da außerhalb Lateinamerikas die große Mehrzahl der Staaten das diplomatische Asyl als Rechtsinstitut ablehnen.
Sicherheit in der Botschaft
Solange Julian Assange sich in der ecuadorianischen Botschaft aufhält, ist er vor einer Festnahme der britischen Polizei sicher. Dies liegt an dem umfassenden Schutz der Räumlichkeiten der Botschaft. Das ecuadorianische Botschaftsgebäude zählt zwar zum Staatsgebiet Großbritanniens, sie ist aber durch Art. 22 Abs. 1 S. 1 WÜD umfassend geschützt. Ohne die Erlaubnis Ecuadors sind die britischen Polizisten nicht befugt, das Botschaftsgebäude zu betreten. Selbst wenn Ecuador durch die Gewährung von Asyl gegen geltendes Völkerrecht verstoßen und die Botschaft dadurch zweckentfremdet hätte, müsste Assange nicht damit rechnen, in der Botschaft festgenommen zu werden. Als self-contained-Regime kann gegen Verstöße gegen die WÜD auch nur mit den Mitteln aus der WÜD selbst reagiert werden. Ein Polizeieinsatz in der Botschaft und eine Festnahme Julian Assanges sind in der WÜD nicht vorgesehen und wären damit völkerrechtswidrig.
UN-Gutachten als Katalysator in der politischen Auseinandersetzung
Ob Julian Assange nun nach dem UN-Gutachten auch außerhalb der Botschaft vor einer Festnahme sicher ist, hängt damit mangels Verbindlichkeit und Durchsetzungsmechanismen von dem weiteren Verlauf der politischen Auseinandersetzung ab.
Trotz der rechtlichen Unverbindlichkeit könnte die Beurteilung der WGAD einen positiven Einfluss für Assange auf die politischen und diplomatischen Verhandlungen mit Großbritannien und Schweden haben. Immerhin untersucht die Expertengruppe Einzelfälle von Inhaftierungen und untersucht, ob diese mit den international anerkannten Menschenrechten, insbesondere der AEMR und dem IPbpR vereinbar sind.
Dies hat in der Vergangenheit mehrfach dazu geführt, dass andere internationale Organisationen sich mit dem Fall des Inhaftierten beschäftigt und politischen Druck auf die Staaten ausgeübt haben (sog. „shaming and blaming“). Zudem zeigen die früheren Fälle, dass auch die Medien eine entscheidende Rolle spielen, die über die Inhaftierten und die Stellungnahmen der WGAD berichten, die Freilassung der Inhaftierten fordern und damit den gesellschaftspolitischen Diskurs nochmals verstärken. Es wäre damit nicht das erste Mal, dass ein solches Gutachten die weiteren Entwicklungen maßgeblich beeinflusst und zur Freilassung des willkürlich Inhaftierten beiträgt.
So war die WGAD beispielsweise im Falle des amerikanischen Journalisten Jason Rezaian, involviert, der der Spionage verdächtigt und im Iran inhaftiert wurde. Nach monatelangem Ringen um seine Freilassung, welches auch durch ein Gutachten der WGAD beeinflusst wurde, wurde Rezaian letztlich nach 544 Tagen Haft entlassen und zurück in die USA gebracht. Zudem trugen Gutachten der WGAD auch in den Fällen Ayub Masih und Dr. Nguyen Dan Que maßgeblich zur Freilassung der Inhaftierten bei.
Im Fall von Julian Assange ist die Situation aber eine andere: Assange ist zwar präsent in den Medien und kann sich im weiteren Verlauf der Verhandlungen auf die Autorität der WGAD berufen, allerdings ist die Argumentation des Gutachtens lückenhaft und auch juristisch zumindest nicht unumstritten. Daher ist nicht davon auszugehen, dass die Staaten sich in den weiteren Verhandlungen durch das Gutachten beeindrucken lassen. Zudem drängen auch die Medien bisher keineswegs auf eine Freilassung Assanges. So hat sogar der Guardian, der die Enthüllungen von Wikileaks unterstützt und veröffentlicht hat, das Gutachten scharf kritisiert und darauf verwiesen, dass Assange sich in der Botschaft versteckt hat und nicht etwa willkürlich inhaftiert wurde.
Auch ein „shaming and blaming“ ist bisher nicht ersichtlich, auch wenn Assange und seine Unterstützer das Gutachten als Erfolg für sich verbuchen. Große Aufmerksamkeit konnten sie damit bisher jedenfalls nicht erreichen.
Fazit: keine Freiheit für Julian Assange
Und obwohl die Gutachten der WGAD grundsätzlich geeignet sind, die Verhandlungspositionen der Inhaftierten zu verbessern, scheint das Gutachten im Fall Assange auch nicht zu einer baldigen „Freilassung“ zu führen. Assange scheint den Bogen durch die Flucht in Botschaft und die Behauptung, er sei willkürlich inhaftiert worden, überspannt zu haben.
Schwer wiegt insoweit auch die einseitige Argumentation der WGAD, die nicht berücksichtigt, dass Julian Assange sich freiwillig in der Botschaft aufhält und sich durch den Aufenthalt einer Festnahme entzieht. Auch die Bewertung des diplomatischen Asyls kann nicht überzeugen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Staaten sich von dem Gutachten der WGAD distanzieren und bereits haben verlauten lassen, dass sie sich nicht gebunden fühlen.
Das Ergebnis lautet daher für den Moment: keine Freiheit für Julian Assange trotz UN-Gutachten. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht und die nächsten Entwicklungen in der Odyssee um den Wikileaks-Gründer bleiben abzuwarten.