Zwischen Pragmatismus und Gesetzesbindung – § 8 GastG und die Corona-Pandemie

von MARTIN LEIßING

Gastronomiebetriebe und insbesondere Diskotheken leiden besonders unter den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Jetzt droht auch noch gaststättenrechtlicher Ärger, denn ihre Konzession droht zu erlöschen. Einige Kommunen reagieren darauf sehr pragmatisch, teilweise will man dabei aber bedenklich weit gehen.

März 2020: Die sich ausweitende Corona-Pandemie veranlasst die Landesregierungen, den drohenden Gefahren durch Verordnungen zu begegnen. Hauptziel ist die Reduzierung von Kontakten, um eine das Gesundheitssystem überfordernde Ausbreitung des Virus zu verhindern. Unter anderem wird die Schließung von Restaurants und Diskotheken verfügt. Viele Inhaber befinden sich dadurch inzwischen in existenziellen Schwierigkeiten. Doch aktuell ergibt sich noch ein neues Problem. Denn eine Gaststätte darf nur betreiben, wer eine entsprechende Konzession hat – und diese erlischt nach § 8 S. 1 GastG, wenn der Inhaber den Betrieb (verschuldensunabhängig!) „seit einem Jahr nicht mehr ausgeübt hat“ (ähnliche Regelungen existieren etwa auch im ProstSchG, dem ApothekenG oder der GewO). Etwas anderes gilt nur in den Ländern, die ein eigenes Landesgaststättengesetz erlassen und darin auf einen Erlaubnisvorbehalt verzichtet haben. Die ersten Schließungen wurden schon am 14. März in Berlin verfügt (Überblick zur Chronologie), sodass mindestens teilweise die Jahresfrist bereits abgelaufen ist. Eine Nichtanrechnung oder Nichtberücksichtigung des Schließungszeitraumes für die Dauer der Schließungsanordnungen erschiene problematisch. Denn auch eine (rechtmäßige) behördlich verordnete Schließung reicht nach überwiegender Ansicht für das als rein tatsächlicher Umstand zu verstehende Nichtausüben aus. Von besonderer Bedeutung ist das Problem für Diskotheken, da eine Öffnung im Sommer hier nicht möglich war. Doch auch bei anderen Gaststätten kann eine solche Situation auftreten.

Die Möglichkeit zur Fristverlängerung – von Amts wegen?

Nun kennt das GastG in § 8 S. 2 die Möglichkeit, die Frist aus wichtigem Grund zu verlängern. Dabei erfolgt die Fristverlängerung jedoch nicht kraft Gesetzes, sondern kraft behördlicher Entscheidung. Es wird kaum zu bestreiten sein, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, also die Schließungsanordnungen, einen solchen wichtigen Grund darstellen. Insofern dürfte bezüglich des „Ob“ der Verlängerung das Ermessen der zuständigen Behörde sogar auf Null reduziert sein. Aber was passiert, wenn ein entsprechender Antrag nicht gestellt wird? Einige Kommunen reagieren hierauf sehr pragmatisch: Sie ordnen per Allgemeinverfügung die Verlängerung der Frist aus § 8 GastG an (bspw. Düsseldorf, Heidelberg oder auch die ADD Rheinland-Pfalz). Tatsächlich darf die Behörde nach § 22 S. 1 VwVfG ein Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen eröffnen. Doch schränkt § 22 S. 2 Nr. 2 VwVfG diese Befugnis ein, wenn Rechtsvorschriften bestimmen, dass die Behörde nur auf Antrag tätig werden darf. Die Begründungen der Allgemeinverfügungen geben, soweit sie die Frage adressieren, in der Sache an, dass § 8 GastG eine solche Bestimmung nicht treffe und daher der Weg zu einem Erlass einer Allgemeinverfügung von Amts wegen eröffnet sei.

In der Tat ist dessen Wortlaut offen für eine solche Auslegung, da nicht explizit von einem Antragserfordernis die Rede ist. Auch der Gesetzgeber stellt maßgeblich auf das Vorliegen von „Gegengründen“ ab und nicht etwa auf ein nötiges Tätigwerden des Betreibers. Allerdings ist eine wichtige Indizwirkung bei der Abgrenzung von Antrags- und Amtsverfahren, ob der zu erlassende Verwaltungsakt im Interesse eines einzelnen (Indiz für Antragsverfahren) oder auch im öffentlichen Interesse (Indiz für Amtsverfahren) liegt (VG Kassel, Rn. 20). Dabei ist nicht auf das Regelwerk insgesamt (hier also das GastG) abzustellen – insofern dient das Gesetz sicherlich auch öffentlichen Interessen – sondern auf die konkrete Norm (VG Kassel, Rn. 17). Die Möglichkeit der Gestattung einer Fristverlängerung nach § 8 S. 2 GastG dient jedoch zumindest weit überwiegend privaten Interessen. Allein die Unsicherheit über eventuell erloschene Konzessionen dürfte als öffentliches Interesse nicht ausreichen. Allenfalls die Akzessorietät zu § 8 S. 1 GastG könnte hierfür herangezogen werden.

Auch ohne Antrag kommt man zum Ziel

Somit spricht jedenfalls einiges dafür, dass die Verlängerung der Frist nach § 8 S. 2 GastG einen Antrag voraussetzt. Und doch zeugt das Handeln der Behörden von einem Pragmatismus, der gerade den als „Bedenkenträger“ gescholtenen Juristen in der Pandemie oft abgesprochen wird. Hierfür ist zunächst festzustellen, dass die erlassenen Allgemeinverfügungen kaum an einem so schweren Mangel leiden, dass sie gem. § 44 VwVfG nichtig sind. Eine solche Fehlerfolge kommt wohl nur in Betracht, wenn die persönliche Mitwirkung absolut unabdingbar ist. Der aufgrund des fehlenden Antrags vorliegende Verfahrensfehler ist nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG heilbar. Und selbst materiell-rechtlich wäre die fehlende Antragstellung kein größeres Problem: Sofern man die Notwendigkeit überhaupt annimmt und weiterhin nicht schon von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgeht, könnte der Betreiber zumindest nachträglich zustimmen, was ähnlich wie bei § 184 BGB möglich ist.

Insofern lässt sich also die für viele Gastronomen gefährliche Folge des Erlöschens ihrer Gaststättenerlaubnis (das Betreiben ohne Konzession ist eine Ordnungswidrigkeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 GastG) auf diesem Wege verhindern.

Aber: Fristablauf bleibt Fristablauf

Soweit die Wirtschaftsministerin Baden-Württembergs ankündigt, dies unter gewissen Voraussetzungen auch nach Ablauf der Jahresfrist zu ermöglichen, begegnet das allerdings Bedenken bezüglich der rechtssicheren Umsetzbarkeit. Dabei soll auch hier der dahinterstehende Pragmatismus nicht geringgeschätzt werden, doch kommt es an dieser Stelle zu deutlichen Problemen mit der in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Gesetzesbindung der Verwaltung. Das Erlöschen der Erlaubnis tritt nach einem Jahr kraft Gesetzes ein. Somit ist danach keine Gaststättenerlaubnis mehr existent, für die eine Verlängerung beantragt werden kann. Über diese klare gesetzliche Anordnung kann sich eine Allgemeinverfügung nicht hinwegsetzen. Insofern kämen auch Versuche wie eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 32 VwVfG) wohl nicht in Betracht. Eine von einer Behörde gesetzte Frist kann nach § 37 Abs. 7 S. 2 VwVfG auch rückwirkend verlängert werden, doch handelt es sich bei der Frist des § 8 S. 1 GastG um eine gesetzliche, nicht eine behördliche Frist. Die Lösung dieses Problems bedarf daher jedenfalls größerem Argumentations- oder gegebenenfalls Rechtsetzungsaufwand. Das Problem des besonderen Aufwands einer Rechtsänderung ergibt sich daraus, dass das Gaststättenrecht seit der Föderalismusreform I der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegt, sodass das GastG des Bundes gem. Art. 125a Abs. 1 GG als Bundesrecht fortgilt (einzig Bremen hat einen landesgesetzlichen Erlaubnisvorbehalt; in Baden-Württemberg gilt das GastG kraft landesgesetzlicher Regelung). Die Länder können das bisherige Recht allerdings ersetzen. Keine „Ersetzung“ und daher unzulässig ist es jedoch nach Ansicht des BVerfG (Rn. 105), wenn nur einzelne Vorschriften geändert werden. Ob eine solche Änderung unter die z.T. erkannte verbleibende Änderungsbefugnis des Bundesgesetzgebers fällt, erscheint ebenfalls zweifelhaft. Die betroffenen Länder müssten nach dem BVerfG daher jedenfalls einen „abgrenzbaren Teilbereich“ des GastG eigenständig regeln – was, bei politischem Willen, freilich auch durch einen Verzicht auf die Erlaubnispflicht insgesamt möglich wäre.

Fazit: Wer will, findet Wege

Das Problem des Erlöschens wegen Fristablauf zeigt exemplarisch die kleinen Probleme, die im Rahmen des großen Komplexes der Pandemiebekämpfung in Vergessenheit zu geraten drohen. Insofern sind zumeist die Entscheider vor Ort gefragt, zur Not auch unkonventionelle Wege zu gehen, um nicht am Ende vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Wichtig ist dabei, derartige Probleme möglichst frühzeitig zu erkennen, um auch noch genügend Zeit zu haben, nachzusteuern. Der jetzige Vorstoß macht aber Hoffnung, dass dies gelingen kann.

 

Zitiervorschlag: Martin Leißing, Zwischen Pragmatismus und Gesetzesbindung – § 8 GastG und die Corona-Pandemie, JuWissBlog Nr. 29/2021 v. 26.03.2021, https://www.juwiss.de/29-2021/.

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Antragsverfahren, COVID-19, Fristablauf, GastG, Gaststättenerlaubnis
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