Der Europäische „Schlammspringer“ – Wes Wesens er ist, entscheidet sich in Schottland

von MORITZ VON ROCHOW

Moritz-von-Rochow_formatiertBleibt ein unabhängiges Schottland Mitglied der EU? Die Antwort hängt nicht zuletzt vom Selbstverständnis der Union als ein dem „Schlammspringer“ vergleichbares Zwitterwesen zwischen Bundesstaat und Staatenbund ab. Zwischen schottischer Unabhängigkeit und Europäischer Integration besteht eine Interdependenz, die dazu führt, dass – so paradox es klingen mag – die Wiedergeburt eines souveränen Schottlands das Entstehen eines europäischen Volksverbundes bestätigt.

Stellen wir uns einmal vor, die Einwohner des mit reichen Erdgasvorkommen vor der Küste gesegneten politisch konservativ dominierten Vorpommerns begehrten nach Art. 29 VIII GG die Sezession vom mehrheitlich sozialdemokratischen Mecklenburg. Dabei soll den selbstbewussten Ostseeinseln innerhalb des neuen Bundeslandes weitgehende Autonomie gewährt werden. Für dieses (noch) fiktive Eingangsbeispiel lässt sich aus Art. 29 GG und der Gesetzgebung im Vorfeld zweier erfolgreicher Referenden in Schaumburg-Lippe und Oldenburg 1975 folgender nahezu banaler Verfassungsgrundsatz herleiten: Wenn sich ein Teil eines Bundeslandes von diesem abspaltet, berührt dies nicht die Zugehörigkeit des Sezedenten zum Bunde (im Folgenden: Verbleibegrundsatz).

Von Greifswald nach Glasgow – ein europäischer Verbleibegrundsatz?

Wofür ist diese Erkenntnis relevant? Während Vorpommern trotz seiner Gasvorkommen weit davon entfernt ist, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen, traut sich das ebenfalls mit Gas und auf den Orkneys und Shetlands eigensinnigen Inselbewohnern gesegnete Schottland genau dies zu und stellt sich hierbei die Frage eines Verbleibes in der EU. Die Frage des Verbleibes Schottlands in der EU hat jedoch einen bislang kaum beachteten Subtext, der das Wesen der EU insgesamt betrifft.

Den Verfassungen der föderalen Staaten innerhalb und außerhalb der EU, sowie jenen, die nur die Verwaltung dezentral gliedern, kann der Verbleibegrundsatz implizit entnommen werden (siehe die verfassungsvergleichende Übersicht im Kasten am Ende). Demgegenüber sind internationale Organisationen den völkerrechtlichen Prinzipien der Staatennachfolge unterworfen, die eine automatische Nachfolge neu entstandener Staaten grundsätzlich nicht kennen (Diskontinuität). Ob Schottland im Falle einer erfolgreichen Sezession von Großbritannien in der EU verbleibt, berührt also die tiefer gehende Frage, ob die EU als Staaten- oder Verfassungsverbund in einer wesensmäßigen Grauzone eher einem Bundesstaat oder einem Staatenbund zuneigt. In diesem Sinne ist sie vergleichbar mit Periophthalmus barbarus, vulgo „Schlammspringer“, einem vornehmlich an Land lebenden Fisch, der sich seiner Wesensart anscheinend ebenso wenig bewusst ist wie unser Staatenverbund – eben eine Gattung sui generis.

Was ist der Europäische „Schlammspringer“?

Nach Hans Kelsens Allgemeiner Staatslehre gibt es nur Bundesstaaten und Staatenbünde. Während schon das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und erst recht die EU diese Schwarz-Weiß-Sicht widerlegen, ist Kelsens Methode der Negativabgrenzung praktikabel zur Annäherung an das Problem. Sofern sich nämlich die EU wesensmäßig hinreichend von einer Internationalen Organisation unterscheidet, kann der völkerrechtliche Diskontinuitätsgrundsatz nicht mehr ohne weiteres angewandt werden und der aus Bundesstaaten bekannte Verbleibegrundsatz nimmt dessen Platz ein.

Die EU und Internationale Organisationen unterscheiden sich unter anderem durch das Institut der Unionsbürgerschaft sowie des Unmittelbarkeitsverhältnisses zwischen Bürgern und Union, z.B. hinsichtlich der Direktwahl des Parlamentes und der unmittelbaren Wirkung von Verordnungen und Beschlüssen. Ebenso wie die zukünftig mögliche schottische Sezession waren schon häufig vertraglich nicht vorgesehene Ereignisse die Wegscheiden, an welchen sich die EU von klassischen Internationalen Organisationen wesensmäßig entfernte. Die vielleicht bekanntesten dieser Wegscheiden waren die Entwicklung einer unmittelbaren Geltung des Unionsrechts und dessen Anwendungsvorrang in den EuGH-Entscheidungen „Van Gend en Loos“ und „Costa /ENEL“. Auch das Zutage treten eines europäischen Solidaritätsprinzips zur Bewältigung der Währungskrise kann als eine solche Wegmarke verstanden werden.

Neben den rechtlichen Unterschieden gibt es faktische Aspekte, die für die Selbsteinordnung des „Schlammspringers“ EU entscheidend sind und somit quasi als „Tatbestandsmerkmale“ eine rechtliche Wirkung entfalten. Ein solches „Tatbestandsmerkmal“ ist das Vorhandensein eines Volkes, welches nach der Drei-Elementen-Lehre als zwingend für den Bestand eines Staates erachtet wird, Internationalen Organisationen hingegen wesensfremd ist.

Kein “Highlandergrundsatz

Der Annahme eines Europäischen Volkes könnte entgegnet werden, dass durch die Entstehung eines solchen die Mitgliedsstaaten ihre Staatsqualität verlören, da Staatlichkeit nicht teilbar sei. Darüber hinaus erwähnt Art. 2 II EUV sowie die Präambel des EUV bereits die Zusammensetzung der Union aus den Völkern Europas, was ein Unionsvolk prima facie als vertragswidrig erscheinen lässt.

Diese Ansicht greift jedoch zu kurz, indem sie realitätsfern voraussetzt, ein Mensch könne nur einem Gemeinwesen zugehörig sein. Ein Volk ist jedoch kein „Highlander“ mit Singularitätsanspruch. Bereits Cicero erkannte zwischen der engsten Familie, Stadt, Staat und schließlich dem gesamten Menschengeschlecht verschiedene parallele Grade menschlicher Gemeinschaft an. Warum soll es also neben den Staatsvölkern keine im wahrsten Sinne des Wortes supra-nationale Gemeinschaftsebene geben, einen paneuropäischen Volksverbund, der die EU einem Drei-Elemente-Staat im Jellinekschen Sinne derart annähert, dass der völkerrechtliche Diskontinuitätsgrundsatz schlicht nicht mehr passt? Dass ein solcher Dualismus der Volksebenen im System der EU angelegt ist, bestätigen Art. 10 II, 14 II 1 EUV und ganz besonders deutlich die ebenfalls parallel zu nationalen Staatsangehörigkeiten geschaffene Unionsbürgerschaft gem. Art. 20 I 2, 3 AEUV.

Dies setzt allerdings voraus, dass Volk, bzw. um diesen staatsakzessorisch besetzten Begriff zu vermeiden, der Volksverbund, losgelöst vom Staat betrachtet werden kann. Ein formaljuristisches Volksverständnis, wonach Volk nur „im Staat und durch den Staat“ existiert, ist aufgrund seiner Zirkelschlüssigkeit hier wenig zielführend.

Sachdienlicher ist insofern eine eher soziologische Volksdefinition. Im Völkerrecht beispielsweise ist ein Verständnis herrschend, das objektiv-nationale Elemente wie räumliche Geschlossenheit, gemeinsame Abstammung, Sprache, kulturelle Tradition, Geschichte, besondere psychische Wesensart mit einem subjektiven „Wir-Gefühl“ und einer entsprechenden Opferbereitschaft verbindet (so Christian Hillgruber in einem Sammelband m.w.N.). Während in Europa ein auf griechisch-römischer Antike, Christentum und Aufklärung basierender Kulturraum existiert und die gemeinsame Geschichte weit älter ist als jene der meisten Nationalstaaten, lässt besonders die fehlende Sprache viele Menschen an einem europäischen Volk zweifeln. Indem ein auf Sprache basierendes Volksverständnis jedoch von namhaften Historikern und Soziologen widerlegt wurde, kann es auch juristisch nicht mehr überzeugen.

Ohne Sprache keine Competition?

Während die Schweiz und nahezu alle afrikanischen Staaten tagtäglich beweisen, dass Volk auch ohne gemeinsamen Sprache denkbar ist, lässt sich heute auf dem Balkan live beobachten, wie willkürlich die meisten europäischen Sprachen, so auch Deutsch, Französisch und ganz besonders plakativ Neunorwegisch entstanden sind. Die einst einheitliche, lediglich in Dialekten nuancierte Sprache Serbokroatisch wurde erst nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens durch neue Grammatik- und Orthographieregeln unterteilt in Bosnisch, Montenegrinisch, Serbisch und Kroatisch, um so aus künstlichen Staatsvölkern Nationen zu schmieden.

An dieser Künstlichkeit wird deutlich, dass „Volk“ juristisch nutzbar letztendlich nur so verstanden werden kann, wie dies bereits Wilhelm von Alton im 13. Jhd. tat: „Ein Volk ist, […] was ein Volk sein will und sich ein gemeinsames Gesetz auferlegt“. Ein Verständnis, das mit Blick auf Cicero sogar noch ältere Wurzeln hat: „Volk aber ist nicht jede beliebig zusammengewürfelte Anhäufung von Menschen, sondern der Zusammenschluss einer größeren Zahl, die durch eine einheitliche Rechtsordnung und ein gemeinsames Ziel zu einer Gesellschaft wird.“ Indem die Europäischen Verträge eine autonome Rechtsordnung begründen und eine parallele Selbstidentifikation als Europäer vorliegt, werden die Staatsvölker durch eine weitere Gemeinschaftsebene ergänzt.

Mit einem solchen Volksverbund und einem abgrenzbaren Territorium ausgestattet, trennt die EU von der vollständigen Staatswerdung letztlich nur noch das Element der Staatsgewalt. Auch in dieser Hinsicht tut sie laut Armin v. Bogdandy jedoch bereits derart viele Dinge, die bislang den Staaten vorbehalten waren, dass, von einem funktionellen Staatsverständnis ausgehend auch hier eine erstaunliche Staatsähnlichkeit vorliegt. Dass die Nabelschnur zu den völkerrechtlichen Ursprüngen letztendlich noch nicht durchtrennt wurde, liegt einzig daran, dass „von souveräner Staatsgewalt […] gesprochen werden [kann], wenn ein Herrschaftsverband eine grundsätzlich unbegrenzte Gesetzgebungskompetenz, die Kompetenz-Kompetenz besitzt.“ (Udo di Fabio, Der Staat, 1993, 201)

Bundesstaatlicher Verbleibegrundsatz für die EU – trotz völkerrechtlicher Ursprünge

Der Schlammspringer ist ein durch Kiemen atmender Fisch. Er fühlt sich jedoch an Land so wohl, dass er, vor der Flut zurückweichend, sich den Gesetzen des Landlebens unterwirft. Desgleichen ist auch die EU ihrem Ursprung nach ein völkerrechtlicher Staatenbund, der allerdings weit mehr einem Bundesstaat ähnelt, sodass der bundesstaatliche Verbleibegrundsatz gegenüber dem völkerrechtlichen Diskontinuitätsgrundsatz vorzugswürdig ist.

Im Umkehrschluss hätte ein Hinauswurf von Bravehearts Erben Konsequenzen über den schottischen Tellerrand hinaus. Er würde das Selbstverständnis der Union in einer Weise verändern, dass sich diese wesensmäßig wieder mehr einer Internationalen Organisation annäherte – eine Vervölkerrechtlichung, die mit Blick auf die währungskrisenbedingte Intergouvernementalisierung der EU zu Lasten ihrer unmittelbar demokratischen Elemente gar nicht verwunderlich wäre. Die Verfassungen der föderalen Mitgliedstaaten sehen bei einer inneren Neugliederung eine Beteiligung des Bundes vor. Auch über den Verbleib Schottlands wird letztlich die EU als Ganzes in der ein- oder anderen Weise befinden müssen – eine historische Wegscheide, welche die Union im Bewusstsein der gesamteuropäischen Bedeutung richtungsweisend nutzen könnte.

 

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Verfassungsvergleichung zum Verbleibegrundsatz:

Art. 3 Verfassung Österreichs, sowie Peter Perntaler/Anna Gamper, Stellungnahme zur Beseitigung der paktierten Verfassungsgesetzgebung gem. Art. 3 Abs. 2 B-VG.;

Art. 143 (1) Verfassung Spaniens;

Art. 4 und 5 Verfassung Belgiens;

Art. 53 Schweizer Verfassung;

Art. 3 Verfassung Indiens;

Art. 47 (2, 3) Verfassung Äthiopiens,

Art. 132, 133 Verfassung Italiens;

Art. 15, 16 Verfassung Polens;

Art. 72, 72-1, 73 Verfassung Frankreichs;

Art. 134 Verfassung Kroatiens;

Anders die US-amerikanische Verfassung, die in Art. 4 (3) die innerstaatliche Sezession explizit verbietet.

 

Weiterführende Literatur:

Thomas v. Danwitz (Hrsg.), Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, Boorberg 1993.

Patrick J. Geary, The Myth of Nations: The Medieval Origin of Europe, Princeton UP 2003.

Jürgen Habermas, Die Krise der Europäischen Union im Lichte einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts, ZaöRV 2012, 31 ff.

Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus: Mythos und Realität seit 1780, Campus, 2005.

Hans Kristoferitsch, Vom Staatenbund zum Bundesstaat? Die Europäische Union im Vergleich mit den USA, Deutschland und der Schweiz, Springer 2007.

Allgemeine Informationen zum Referendum von der Schottischen Regierung unter Scotland’s Future – Your Guide to an independent Scotland.

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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Christoph Smets
    31. März 2014 12:25

    Müsste nicht auf völkerrechtlicher Ebene noch eine ganz andere Frage gestellt werden: Müsste man nicht – in Anbetracht der enormen Devolution mit eigenen Parlamenten und Exekutiven für Wales, Nordirland, Schottland und England, einerseits, den drei getrennten Jurisdiktionen zwischen Nordirland, Wales und England sowie Schottland andererseits und der dann eintretenden vollständigen Abspaltung Schottlands – sogar von einer Dismembration des Vereinigten (!) Königreichs sprechen, mit der Folge, dass nicht nur Schottland, sondern auch Irland, England und Wales nicht mehr EU-Mitglieder wären?
    Ich weiß, dass das de facto nicht so gehandhabt werden wird, aber wenn wir völkerrechtsdogmatisch bleiben?

    Antworten
  • Lieber Christoph Smets,
    In der Tat wird diese Sichtweise vertreten. vgl. zu den drei möglichen Bewertungen der schottischen Sezession z.B. Max Steinbeis und Almut Peters im Verfassungsblog: http://www.verfassungsblog.de/de/wird-schottland-das-28-eumitglied/#.Uzlr1eLzx6Y
    http://www.verfassungsblog.de/de/warum-eu-und-mitgliedsstaaten-verpflichtet-sind-eine-schottische-eu-mitgliedschaft-zu-foerdern/#.UzltqeLzx6Y
    Der im Kommentar zum Ausdruck kommende Vorwurf der Umetikettierung einer faktischen Dismembration zur Sezession aus Gründen politischer und völkerrechtlicher Opportunität wäre überdies nicht ohne Vorläufer mit Blick auf den Zerfall der Sowjetunion, welche um eine Vakanz des Sicherheitsratssitzes und eine Herrenlosigkeit der Atomsprengköpfe zu vermeiden in diverse Sezessionen umgedeutet wurde.
    Auch das UK würde bei einer Dismembration seine UN-Mitgliedschaft und damit seinen permanenten Sicherheitsratssitz verlieren, was gem. Art. 108 UN-Charta eine Änderung der Charta erfordern würde, da das UK in Art. 23 I UNC als ständiges Mitglied explizit genannt wird. Die Staatenpraxis ist bezüglich der Unterscheidung zwischen Sezession und Dismembration uneinheitlich. Während man mit Blick auf den Zerfall der Tschechoslowakei und Jugoslawiens (str.) von einer Dismembration ausgeht, werden z.B. beide Aufspaltungen des indischen Subkontinents (1947 und 1974) und auch die Unabhängigkeit Irlands (1921) als Sezessionen gedeutet. Auch Indien hatte aufgrund seiner bundesstaatlichen Struktur eigene Parlamente und Exekutiven in den Bundesstaaten, was gegen den Einwand spricht, es müsse sich allein deshalb um eine Dismembration handeln. Darüber hinaus würde ich in der Tat von einer Sezession ausgehen, denn 1. Behält der Rest Großbritanniens 92 % seiner Bevölkerung und 68 % der Fläche.
    2. Handelt es sich nur um die Abspaltung eines Teilgebiets und nicht um den Komplettzerfall eines Bundestaates, wie im jugoslawischen Beispiel.
    3. Ist bei der Bewertung zu berücksichtigen, dass der Zerfall eines ständigen Sicherheitsratsmitglieds mit der Folge der Vakanz von dessen Sitz zu nicht unerheblichen Problemen führen würde, sodass der Übergang von der Sowjetunion zu Russland durchaus als Blaupause dienen kann. Es erscheint daher geboten eine Dismembration Großbritanniens unter allen Umständen zu vermeiden.
    Von diesem zugegebenermaßen sehr pragmatischen und undogmatischen Argument abgesehen, spricht aber auch faktisch m.E. mehr für eine Sezession, denn eine Dismembration
    4. Ich halte es für gänzlich fernliegend, dass sich Rest-UK nach der Loslösung Schottlands an keine völkerrechtlichen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs mehr gebunden fühlen wird. Ich halte es überdies für unwahrscheinlich, dass die Organe in London ihre Arbeit einstellen werden, dass Gesetze ihre Gültigkeit verlieren, geschweige denn dass durch die Eigenständigkeit Schottlands die komplette britische Rechtsordnung zu existieren aufhört.
    Zudem gilt 5. Eine Vermutung zu Gunsten der Kontinuität. Von einer Dismembration wäre erst dann zu sprechen, wenn alle Elemente der Staatlichkeit einen derart signifikanten Wandel erfahren, dass der Rest Großbritanniens nicht mehr als Fortführung des Vereinigten Königreiches betrachtet werden kann. Ich bezweifle jedoch, dass durch die Unabhängigkeit Schottlands Regierung und Parlament ihre effektive Staatsgewalt auch über den verbliebenen Rest der Inseln verlieren.
    Letztendlich würde nach weiteren Devolutionen und Sezessionen der Name „Vereinigtes“ Königreich tatsächlich ein wenig anachronistisch wirken. Eine bloße Namensänderung ist jedoch noch kein Zeugnis einer Identitätsänderung, sodass die Worte des Schotten James Thomson „Rule Britannia“ wohl auch weiterhin zur Last Night of the Proms erklingen werden.

    Antworten
  • Christoph Smets
    1. April 2014 11:58

    Ich wollte beileibe keinen Vorwurf erheben. Ich sehe nur im UK eine starke Tendenz zur immer weiteren Rechten der Teilstaaten (so muss man es ja mittlerweile fast nennen), der in der evtl. Abspaltung Schottlands einen vorläufigen Höhepunkt erreichen würde. Zwar zeichnen sich momentan kein parallelen Entwicklungen in Wales und Nordirland ab, aber man fragt sich schon, wann die britische Sollbruchstelle erreicht wäre.

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