JuWiss-Schwerpunktwoche zu Familie und Diversität
In den letzten Jahrzehnten hat sich in Österreich ein merklicher Wertewandel in gesellschaftspolitischen Fragestellungen zum Thema Familie vollzogen. Das traditionelle Familienbild hat sich durch die Lebensrealität von Scheidungen, Patchworkfamilien und gleichgeschlechtlichen Elternpaaren stark verschoben. Parallel dazu kam es auch legistisch zu wichtigen Änderungen wie beispielsweise der Schaffung der eingetragenen Partnerschaft für homosexuelle Paare, die durch das VfGH-Erkenntnis zur Ehe für alle erst vor kurzem eine bedeutsame Weiterentwicklung erfuhr.
Doch wo steht die österreichische Bevölkerung in Bezug auf familienpolitische Fragen tatsächlich? Antworten darauf liefern die Ergebnisse der Europäischen Wertestudie. Hierbei handelt es sich um eine breit angelegte sozialwissenschaftliche Untersuchung, welche seit den 1980er Jahren in regelmäßigen Abständen in vielen europäischen Ländern durchgeführt wird. Österreich hat bisher zu vier Erhebungszeitpunkten an der Untersuchung teilgenommen: 1990, 1999, 2008 und 2018. Die befragte Stichprobe ist repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung ab 18 Jahren und bildet somit die in unserem Land vorherrschenden Einstellungen gut ab.
Homosexualität
Bei der Frage der Akzeptanz von Homosexualität sowie der Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare ist es in den vergangenen 30 Jahren zu spürbaren Veränderungen gekommen. Werden Personen etwa gebeten, auf einer zehnstufigen Skala einzuschätzen, für wie in Ordnung sie Homosexualität halten, gaben hier 1990 noch 81 % der Österreicher/innen einen Wert zwischen eins und fünf an, wobei eins für ‚unter keinen Umständen in Ordnung‘ stand. Werte zwischen sechs und zehn (‚in jedem Fall in Ordnung‘) wurden hingegen nur von jedem und jeder Fünften gewählt. Ebenso nannten 1990 43 % homosexuelle Personen als eine Gruppe von Menschen, die sie nicht gerne als ihre Nachbar/innen hätten. Im Jahr 2018 führten diese Fragen zu ganz anderen Ergebnissen. So nannten bei der ersten Frage nur mehr 35 % einen Wert zwischen eins und fünf, 65 % hingegen wählten einen Wert zwischen sechs und zehn. Homosexuelle Personen wurden darüber hinaus nur mehr von 12 % aller Befragten als unliebsame Nachbar/innen angegeben.
2008 wurden die Österreicher/innen zum ersten Mal um ihre Einschätzung gebeten, ob homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen sollten. Zum damaligen Zeitpunkt stimmten 30 % dieser Aussage (sehr) zu, 18 % vertraten keine Meinung und 52 % lehnten (stark) ab. Zehn Jahre später hatte sich das Bild umgekehrt. 2018 erfuhr die Aussage, dass gleichgeschlechtliche Paare genauso gute Eltern wie andere Paare seien, von 56 % der Befragten (starke) Zustimmung. Während 14 % keine Meinung dazu hatten, sprachen sich 30 % (stark) dagegen aus. Es zeigt sich somit, dass die Einführung der Ehe für alle sowie die rechtliche Verankerung der Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare breitere Unterstützung in der österreichischen Bevölkerung genießt als in einem gesellschaftlich doch eher konservativen Land eventuell zu vermuten wäre.
Ehe
Auch bei generellen Fragen zur Ehe lassen sich Veränderungen in der Haltung der Österreicher/innen erkennen. So nannten auf die Frage, für wie in Ordnung sie es finden, wenn Paare sich scheiden lassen, 1990 noch 65 % aller Befragten einen Wert zwischen eins (‚unter keinen Umständen in Ordnung‘) und fünf, während 35 % einen Wert zwischen sechs und zehn (‚in jedem Fall in Ordnung‘) vertraten. 2018 zeigte sich ein umgekehrtes Bild: 29 % wählten nunmehr einen Wert zwischen eins und zehn, während 71 % dieser Aussage mit einem Wert zwischen sechs und zehn zustimmten. Die Einschätzung der Ehe als zeitgemäßes und somit wesentliches Instrument ist zwar in diesem Zeitraum initial zurückgegangen, in der rezenten Befragung aber wieder leicht angestiegen. So stimmten 1990 nur 12 % der Bevölkerung der Aussage ‚Die Ehe ist eine überholte Einrichtung‘ zu, dieser Wert stieg 1999 auf 19 % und 2008 auf 31 % an. Im Jahr 2018 kam es hingegen zu einem leichten Rückgang, da nur 28 % diese Aussage unterstützten. Es zeigt sich somit der weiterhin vorhandene zentrale Stellenwert dieses Rechtsinstituts.
Interessant ist, dass sich in dem hier umrissenen Zeitraum die Anzahl an Eheschließungen und Scheidungen nur geringfügig verändert hat. Im Jahr 1990 wurden 45.212 Ehen geschlossen während 15.814 Scheidungen rechtskräftig wurden. 2017 kam es zu 44.981 Eheschließungen sowie zu 15.398 Scheidungen. Während sich somit quantitativ keine bemerkenswerten Veränderungen erkennen lassen, hat sich die Einstellung der Bevölkerung doch deutlich gewandelt.
Geschlechterrollen
Zu Veränderungen kam es im beobachteten Zeitraum auch hinsichtlich der Einschätzung von Geschlechterrollen, wenngleich die Zahlen hier immer noch starke konservative Tendenzen erkennen lassen. Der Aussage ‚Was Frauen wirklich wollen, ist Heim und Kinder‘ stimmten 1990 62 % der Bevölkerung (stark) zu. Bis zum Jahr 2018 ging dieser Wert zwar deutlich zurück, lag aber immer noch bei 40 %. Ähnliche Veränderungen lassen sich bezüglich der Aussage ‚(Klein-)Kinder leiden (wahrscheinlich), wenn die Mutter berufstätig ist‘erkennen (Die Klammerausdrücke ergeben sich aus leicht abgewandelten Formulierungen in den unterschiedlichen Jahrgängen). Diese fand 1990 bei 83 % der Bevölkerung (starke) Zustimmung, 2018 stimmten mit 53 % immer noch mehr als die Hälfte aller Befragten (stark) zu.
Diese Haltung der Österreicher/innen wirkt sich, neben vielen anderen Faktoren, auf die Gestaltung des Ehe- und Familienlebens aus und beeinflusst die Entscheidung, welcher Elternteil für die Erziehung der Kinder die eigene Erwerbstätigkeit und damit den eigenen finanziellen Verdienst einschränkt. So vertrat 2018 immer noch jede/r Dritte die Meinung, Aufgabe des Mannes sei es, Geld zu verdienen, während die Aufgabe der Frau darin bestünde, sich um das Zuhause und die Familie zu kümmern. Diese Entscheidungen können bei einer Scheidung oder Trennung massive Konsequenzen für die betroffenen Personen haben. Von umso größerer Bedeutung sind rechtliche Rahmenbedingungen, die für den Fall einer Auflösung der Partnerschaft adäquate Instrumente vorsehen, damit speziell Frauen, die für die Erziehung der Kinder auf eigenes Einkommen verzichtet haben, abgesichert sind.
Ein genauerer Blick auf die unterschiedlichen Einstellungen zwischen den Altersgruppen gibt in diesen Fragen dennoch Grund zur Hoffnung: je jünger Menschen sind, desto weniger stimmen sie den angeführten Aussagen zu traditionellen Geschlechterrollen zu. Es bleibt zu hoffen, dass diese Einstellungen mit der Zeit auch in flächendeckend ausgeglichener Aufteilung von Familien- und Hausarbeit erkennbar werden.
Zitiervorschlag: Monika Stempkowski, Zwischen Tradition und Aufgeschlossenheit – Veränderungen in den Wertvorstellungen der Österreicher/innen zu familienbezogenen Fragen seit den 1990er-Jahren, JuWissBlog Nr. 56/2019 v. 30.5.2019, https://www.juwiss.de/56-2019/
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