von CARSTEN HÖRICH
Der aktuelle Stand der rechtlichen Behandlung der Anordnung und Durchführung der Abschiebungshaft ist zu Recht als „Unterwelt des Rechts“ bezeichnet worden. Diese Unterwelt wird durch die bevorstehenden Entscheidung des EuGH in den verbundenen Rechtssachen „Bero“ und „Pham“ zur Vereinbarkeit der Rückführungsrichtlinie und der Durchführung von Abschiebungshaft in Deutschland, zu welcher der Große Senat (!) des EuGH am 8.4.2014 mündlich verhandelte, erhellt werden.
Zunächst ist festzuhalten, dass Abschiebungshaft ausschließlich der Sicherstellung der zwangsweisen Durchsetzung einer Ausreiseverpflichtung dient. Sie beinhaltet einen rein präventiven Zweck und trägt keinerlei Straf- oder Sühnecharakter. Umso bedrückender ist es daher, dass die Richtigkeit der „Unterweltsthese“ durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als zuständige Rechtsbeschwerdeinstanz in den letzten Jahren eindrucksvoll illustriert wurde. Hier mussten solch grundlegende rechtsstaatliche Selbstverständlichkeiten wie bspw. dass ein Haftantrag gewissen Begründungsanforderungen entsprechen und dem Betroffenen vor Beginn einer Haftanhörung eine Ablichtung dieses Antrags – wenn notwendig übersetzt – ausgehändigt werden muss, wiederholt festgestellt werden. Nunmehr richtet sich der Fokus weitergehend auf die Frage, wie Abschiebungshaft tatsächlich vollzogen wird. Kann diese in Justizvollzugsanstalten „mitvollzogen“ werden oder sind hierfür spezielle Abschiebungshaftanstalten notwendig? Würde eine eventuelle Einwilligung des Betroffenen etwas an den Vollzugsmöglichkeiten ändern?
Abschiebungshaft in Justizvollzugsanstalten?
Ausgangspunkt beider Fragen ist § 62a Abs. 1 S. 1 AufenthG, wonach eine Inhaftierung – unter Beachtung des Trennungsgebotes – in Justizvollzugsanstalten immer dann möglich ist, wenn spezielle (Abschiebungs-)Hafteinrichtungen im (Bundes)Land nicht vorhanden sind. Hiergegen steht Art. 16 Abs. 1 S. 2 der sog. Rückführungsrichtlinie, wonach nur dann, wenn solche speziellen Hafteinrichtungen in einem Mitgliedsstaat nicht vorhanden sind, ein Vollzug der Abschiebungshaft in Justizvollzugseinrichtungen möglich ist. Die Rückführungsrichtlinie ist die europäische Vorgabe zur Durchführung des Verfahrens der – notfalls auch zwangsweisen – Aufenthaltsbeendigung eines Drittstaatsangehörigen.
Sollte der EuGH die Vereinbarkeit der Umsetzung in § 62a Abs. 1 AufenthG mit der Rückführungsrichtlinie verneinen, wäre, da es in Deutschland bspw. in Ingelheim spezielle Vollzugsanstalten gibt, jeglicher Vollzug von Abschiebungshaft in Justizvollzugsanstalten unzulässig. Was spricht nun für eine Unvereinbarkeit bzw. Vereinbarkeit?
Für eine Unvereinbarkeit streitet vor allem der klare Wortlautunterschied zwischen Richtlinie und Aufenthaltsgesetz. Allerdings weichen andere Sprachfassungen der Richtlinie dahingehend von der deutschen ab, dass sie nicht auf das „Vorhandensein“ von solchen Einrichtungen abstellen, sondern auf die Möglichkeit, d.h. das „Können“ der Unterbringung in solchen Einrichtungen. Welcher Auslegung zu folgen ist, wird der EuGH zu klären haben.
Als Argument für eine Vereinbarkeit wird insbesondere Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV angeführt, wonach die Europäische Union die föderale Struktur der Mitgliedsstaaten achtet. Allerdings bezieht sich der Artikel 4 Abs. 2 S. 1 EUV auf die Beachtung der föderalen Grundstrukturen, auf die grundsätzlichen Fragen der Strukturierung der Organisation der Selbstverwaltung und des Schutzes der grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen. Sollte das Argument für eine Vereinbarkeit überzeugend sein, müsste man daher die Frage der Durchführung der Abschiebungshaft unter einen der genannten Punkte subsumieren. Eine solche Aufwertung der Abschiebungshaft zur Grundfrage wäre aber – angesichts der bisherigen Beachtung dieses Gebietes – mehr als überraschend.
Wie der EuGH in dieser Sache entscheiden wird, ist – auch aus Sicht von Beobachtern der Verhandlung – offen. Insbesondere ob der EuGH eine vermittelnde Lösung zwischen den beiden skizzierten Ansichten findet, verbleibt zu erwarten. Allerdings haben die Bundesländer bereits auf die Vorlagefrage bzw. auf die Aussetzung von Haft durch die Gerichte aufgrund dieser reagiert. So wird bspw. in Bayern Abschiebungshaft seit Ende November 2013 zentral nur noch in Mühldorf vollzogen.
Einwilligung zur gemeinsamen Unterbringung?
In der verbundenen Rechtssache „Bero“ wird geprüft, ob ein Vollzug der Abschiebungshaft in einer Justizvollzugsanstalt zusammen mit Strafgefangenen zulässig ist, wenn der Abschiebungsgefangene dieser gemeinsamen Unterbringung zustimmt.
Dies ist stark zu bezweifeln. Hierfür spricht neben anderen Argumenten, bspw. der Frage der Disponibilität des Rechtsgutes und dem völligen Fehlen einer solchen Regelung im Wortlaut der Rückführungsrichtlinie, vor allem, dass eine solche Zustimmung einer vorherigen umfassenden Belehrung bedürfte. Aus dieser müsste dem Betroffenenklar ersichtlich werden, dass nur dann, wenn er einer gemeinsamen Unterbringung zustimmt, die Haft tatsächlich vollziehbar wäre. Im Ergebnis müsste der Betroffene dann aber nicht der Art seiner Unterbringung während der Inhaftierung zustimmen, sondern der Inhaftierung an sich. Schon aus praktischen Gesichtsgründen stellt sich die Frage, warum ein Betroffener hier zustimmen sollte.
Weitere Probleme der Unterwelt
Der Vollzug der Abschiebungshaft in Deutschland steht vor grundlegenden Änderungen. Selbst wenn der EuGH die Unterbringung in Justizvollzugsanstalten als mit der Rückführungsrichtlinie vereinbar ansehen sollte, stellt sich dann die Frage, wie ein solcher Vollzug unter Einhaltung des Trennungsgebotes ablaufen soll. Muss diese Trennung vollständig sein oder ist diese durchlässig? Kann eine Unterbringung in einem Gebäude in unterschiedlichen, von einander getrennten Etagen stattfinden? Ungeklärt verbleiben dann auch weiterhin Fragen, welchen Anforderungen – auch spezielle Abschiebungshaftanstalten – erfüllen müssen. Auch hierfür trifft die Rückführungsrichtlinie in Art. 17 Regelungen. Es verbleibt die Vermutung, dass diese Vorlagen nicht die letzten ihrer Art zu Fragen der Abschiebungshaft waren.
Angemerkt sei, dass die Debatte um die Frage der Haft von Drittstaatsangehörigen demnächst durchdas Inkrafttreten der Neufassung des Art. 10 der sog. Aufnahmerichtlinie um eine weitere Facette bereichert wird. Hier sind die Haftbedingungen für eine Haft, während eines laufenden Asylverfahrens, bspw. im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens, geregelt. Dies soll so ausgestaltet sein, dass die Betroffenen getrennt von Abschiebungshäftlingen und – aus dem Trennungsgebot folgend – selbstverständlich auch von Straf- und Untersuchungsgefangenen untergebracht sein müssen. Auch für diese (Asyl)Haft müssten dann spezielle „Asylhaftanstalten“ vorhanden sein.
Insgesamt kann statuiert werden, dass in der „Unterwelt des Rechts“ zumindest ein wenig Licht durch die anstehenden Entscheidungen fallen wird. Hinzutreten sollte aber eine Debatte über die Frage, ob wir eine solche „Unterwelt“ tatsächlich benötigen oder es nicht doch sinnvolle Alternativen zur Abschiebungshaft, wie bspw. die Nutzung von Meldepflichten oder eine verstärkte Einzelfallbetreuung, gibt.