Als Popularkläger vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof
von ERMANO GEUER
Die Popularklage ist ein gerichtliches Verfahren, welches in dieser Form einzigartig ist. In Art. 98 S. 4 Bayerische Verfassung (BV) heißt es:
„Der Verfassungsgerichtshof hat Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken.“
Dies bedeutet kurz gesagt: Jede bayerische Rechtsnorm kann von jedermann vor dem Verfassungsgerichtshof im Popularklageverfahren angegriffen werden. Hierzu muss der Kläger keinen Rechtsweg beschreiten und auch nicht selbst betroffen sein. Dies mag auf den ersten Blick etwas bizarr klingen: Kann ein Hamburger, der Bayern noch nie betreten hat, mit der Popularklage den Bebauungsplan der Stadt Passau zu Fall bringen? Die Antwort lautet: Ja! Die Popularklage dient in vielen Fällen (auch) dem Individualrechtsschutz bei eigenen Grundrechtsverletzungen durch Bayerische Rechtsnormen; es ist aber auch unproblematisch möglich, sich zum Anwalt fremder Rechte zu machen. Prüfungsmaßstab für das Verfahren sind dabei nicht nur die bayerischen Grundrechte, die der Antragsteller zu rügen hat (eine der wenigen Zulässigkeitsvoraussetzungen), sondern die gesamte BV, deren Schutz das Verfahren dient.
Über die Zukunft des Rundfunk„beitrags“ wird in Bayern entschieden
In den meisten Fällen beschränkt sich die Aufmerksamkeit für diese Klagen auf den Freistaat Bayern, da es ja nur um Landesrecht geht. Es gibt jedoch eine Ausnahme, bei der die Auswirkungen einer erfolgreichen Popularklage mittelbar-faktisch auch andere Bundesländer treffen – dann, wenn der Zustimmungsbeschluss des Landtages zu einem Staatsvertrag mit anderen Bundesländern angegriffen wird. Käme der BayVfGH nämlich zu dem Ergebnis, die angegriffenen Normen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RBeitrStV) wären nicht mit der BV vereinbar, dann bekäme die Staatsregierung wohl eine Frist zur Neuaushandlung und müsste im Extremfall den Staatsvertrag kündigen. Somit würde ein solches Urteil unweigerlich einen neuen Gesetzgebungsprozess anstoßen und die Länder würden – nach Maßgabe der Entscheidung des Gerichts – an einem neuen Staatsvertrag arbeiten. Die Regelungen des RBeitrStV wären damit Geschichte.
Meine Argumentation gegen den Rundfunk„beitrag“
Da ich einer von zwei Popularklägern war, die juristisch korrekt allerdings als „Antragsteller“ bezeichnet werden, gibt mir das die Möglichkeit, auch aus persönlicher Perspektive vom Verfahren zu berichten. Während zeitgleich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den Einfluss der Politik auf das ZDF beschnitt, wurde im Münchner Justizpalast über den neuen Rundfunk„beitrag“ verhandelt.
Bei einer Verhandlung vor dem BayVfGH – der Spruchkörper besteht aus neun Richtern – haben zunächst die Antragsteller die Möglichkeit, Ausführungen zu machen, die von den übrigen Beteiligten, die zahlreich erschienen waren, entsprechend erwidert werden. Die Antragsteller (neben mir die Drogerie Rossmann) stellten dabei zunächst im mündlichen Vortrag dar, warum sie die Neuregelung für verfassungswidrig halten. Ich habe mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 118 BV) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) argumentiert. Gerügt habe ich auch die fehlende Gesetzgebungskompetenz der Länder, da es sich dem Wesen nach nicht um einen Beitrag, sondern um eine Steuer auf Wohnraum und Betriebstätten sowie gewerbliche KfZ handelt. Zwar können die Kompetenznormen des Grundgesetzes, nach denen sich dies bemisst (Steuern unterliegen Art. 104a ff. GG), nicht direkt Gegenstand des Verfahrens sein – wird jedoch deutlich gegen diese Aufteilung verstoßen, so stellt dies auch einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 3 BV dar.
Meine Klage enthält auch den Aspekt des Meldedatenabgleichs, der sich vorliegend als verfassungsrechtlich problematisch im Hinblick auf die informationelle Selbstbestimmung (Art. 101 BV iVm Art. 100 BV) darstellt. Außerdem ging ich noch auf die Vermieter- und Verwalterauskunft ein, die die Rundfunkanstalten zwar nicht praktizieren (wollen), welche aber nun einmal im RBeitrStV geregelt ist.
Das Vorbringen der Beitragsbefürworter
Im Anschluss nahmen zunächst der Vertreter des Landtags und die Vertreter der Staatsregierung Stellung. Mit ihnen ist man im Regelfall in jedem Verfahren vor dem BayVfGH konfrontiert, das auf einen Landtagsbeschluss zurückgeht. Des Weiteren waren Vertreter des Bayerischen Rundfunks, des ZDF, des Deutschlandradios und der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien als Beteiligte erschienen.
Ihrer Ansicht nach handelt es sich um einen Beitrag, damit hätten die Länder auch die Kompetenz. Schließlich hätte jeder einen Vorteil, der auch abgeschöpft werden könne. Auch aus Gleichheitsgesichtspunkten gebe es keine verfassungsrechtlichen Probleme: Sowohl der private als auch der gewerbliche Bereich seien von Rundfunkgeräten durchdrungen. Hierzu wurde für den gewerblichen Bereich beispielsweise angeführt, dass auf den Stream des Deutschlandradios vor allem vormittags zugegriffen werde, wo der Mensch in der Regel einer Arbeit nachgehe.
Schlagabtausch über ausgewählte (Un-)Gerechtigkeiten
Hierauf folgte eine zweite Erörterungsrunde. Der Schwerpunkt lag insbesondere darauf, die Ungerechtigkeiten an praktischen Beispielen aufzuzeigen. Wer etwa zwei Wohnungen innehat, zahlt zwei Rundfunkbeiträge, kann den Rundfunk aber auch nur einmal in Anspruch nehmen. Die Drogerie Rossmann müsste, wären alle Mitarbeiter an einem Standort beschäftigt, ca. 38.000 Euro bezahlen. Durch das vorhandene Filialnetz steigt die Abgabelast auf knapp 300.000 Euro an. Bezug genommen wurde auch auf gewerbliche KfZ. Sollten nicht Rundfunkbeitragspflicht und Gerätebesitz entkoppelt werden? Mit Firmenautos werden in der Regel die Mitarbeiter unterwegs sein, für die das Unternehmen ohnehin bereits herangezogen wird. Wieso wird für das Autoradio ein „Beitrag“ verlangt? Ebenfalls kam das Thema fehlende Aufkommensneutralität zur Sprache, was Rossmann nochmals gutachterlich belegte.
Die Beteiligten versuchten an dieser Stelle deutlich zu machen, dass dieses System eingehend geprüft worden und mehr oder minder alternativlos sei. Auch würde die technische Entwicklung dieses System gebieten. Eine Anknüpfung an Geräte sei unzeitgemäß, da die gesamte Öffentlichkeit von Geräten durchdrungen sei, mit denen man letztlich Rundfunk konsumieren könne. Das Gericht hakte an dieser Stelle bei den Beteiligten nach. Unter anderem musste auch die Frage erklärt werden, warum die Regelung für Privatpersonen oder Unternehmen nicht die Möglichkeit des Gegenbeweises enthalte.
Gemäß Art. 22 Abs. 3 S. 3 BayVfGHG haben die Antragsteller das letzte Wort. Hier kam es mir auch darauf an klarzustellen, dass neben den verfassungsrechtlichen Zielen auch das rechtspolitische Ziel der Steigerung in der Akzeptanz in der Bevölkerung verfehlt wurde.
In gespannter Erwartung des Urteils
Als Jurist vor dem BayVfGH zu sein, war in jedem Fall eine spannende Erfahrung gerade für einen jungen Anwalt, der noch am Anfang seines Berufslebens steht. Da man (bayerisches) Verfassungsrecht nur in der Theorie aus dem Uni-Hörsaal kennt, war es lehrreich, dessen praktische Anwendung im Gerichtssaal live mitzuerleben und mitzugestalten. Durch das Verfahren wurde einem selbst und sicher auch vielen Menschen bewusst: Auch bayerisches Verfassungsrecht hat eine hohe praktische Bedeutung und kann in diesem Fall sogar mittelbar für Personen in ganz Deutschland eine Rolle spielen. Neben der Möglichkeit, eine ungerechte Regelung möglicherweise aus dem Weg zu räumen und damit vielen Bürgern einen Gefallen zu tun, bot mir die Klage die Möglichkeit, eine einmalige verfassungsrechtliche Erfahrung zu sammeln.
Als Termin zur Urteilsverkündung wurde der 15. Mai 2014 bestimmt. An diesem Tag wird ganz Deutschland nach München schauen. Man darf gespannt sein!