von FELIX STERN
Eine zentrale Neuerung des Vertrags von Lissabon war die Ausweitung der Gemeinsamen Handelspolitik im Hinblick auf den Dienstleistungshandel, die Handelsaspekte des geistigen Eigentums und auf ausländische Direktinvestitionen. In den folgenden Jahren nutzte die Union ihre hinzugewonnenen Zuständigkeiten, um die bereits 2006 vorgestellte Global-Europe-Strategie weiterzuverfolgen. Diese zielt angesichts des Stockens der multilateralen Doha-Verhandlungsrunde auf den Abschluss bilateraler Wirtschaftsabkommen.
Bereits die Ausweitung der Gemeinsamen Handelspolitik deutet an, dass die sich zwischenzeitlich in unterschiedlichen Stadien vom Entwurf, über die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung, bis hin zur Inkraftsetzung befindlichen Abkommen inhaltlich bis weit „hinter die Grenze“ reichen. Darüber hinaus zeichnet sich die entstehende Generation von „Freihandelsabkommen neuen Typs“ durch neuartige „Governance-Strukturen“ aus. Diese bestehen in unterschiedlich umfangreichen Systemen vertraglich vorgesehener gemeinsamer Ausschüsse der Vertragsparteien. Bekannt sind derartige Gremien bereits aus anderen völkerrechtlichen Abkommen und insbesondere aus zahlreichen Assoziationsabkommen der EU mit einzelnen Drittstaaten (vgl. Nettesheim 2017, insb. S. 13ff; Weiß, EuZW 2016, 286).
Die neue Generation von Freihandelsabkommen unterscheidet sich hiervon allerdings durch die Vielfalt der übertragenen Aufgaben. So zeigt ein Blick in das CETA das enorme Potential einer internationalisierten Rechtsetzung in unterschiedlichsten Politikfeldern, von der Finanzmarktaufsicht (siehe Art. 13.21), über den Gesundheits- und Pflanzenschutz (siehe Art. 5.14), bis hin zu geschützten geografischen Herkunftsangaben (siehe Art. 20.22). Darüber hinaus kann der – für das Abkommen zentrale – Gemischte CETA-Ausschuss das Ausschusssystem umbauen, indem er andere Ausschüsse einsetzt oder aufhebt und Zuständigkeiten zuweist oder an sich zieht (siehe Art. 26.1 Abs. 5). Auch wenn im CETA ausdrücklich vorgesehen ist, dass jedenfalls der Gemischte CETA-Ausschuss einvernehmlich entscheidet (Art. 26.3 Abs. 3), wird demokratische Legitimation entsprechender Gremienbeschlüsse kontrovers – auch unter Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts – diskutiert. Befürchtet wird z.T. eine Gubernalisierungsdynamik, in der die EU-Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten weitreichende Regulierungsentscheidungen treffen können, ohne die jeweiligen Parlamente angemessen zu beteiligen (vgl. Nettesheim 2017; Weiß, in: v. Arnim (Hrsg.), Erosion von Demokratie und Rechtsstaat?, Berlin 2018, S. 21-70; a.A. Grzeszick, NVwZ 2016, 1753).
Die Ausübung von Rechtsetzungsbefugnissen durch ein Mehrebenengeflecht aus nationalen Regierungen, EU-Ministerrat, EU-Kommission und internationalen Ausschüssen, führt zu der Frage nach Forschungsansätzen, die der politischen Funktion unterschiedlicher Befugnisübertragungen nachgehen. Hierbei fällt der Blick auf die Principal-Agent-Theorie, welche, nachdem sie Eingang in die Politikwissenschaft gefunden hatte, vielfach im Rahmen von Untersuchungen der Europäischen Integration weiterentwickelt wurde. Die Grundidee eines Principal-Agent-Ansatzes ist die Zerlegung komplexer sozialer Systeme in hierarchische Beziehungen zwischen jeweils zwei Akteuren: einem Prinzipal und einem durch diesen mit einer Aufgabe betrauten Agenten. Damit ein solches Gedankenexperiment funktioniert, wird vorausgesetzt, dass alle Beteiligten streng nutzenmaximierend ihre Ziele verfolgen. Jede Aufgabenübertragung hat somit eine für den Prinzipal nützliche Funktion. Diese kann insbesondere in der Reduzierung von Transaktionskosten (etwa durch die Koordination und Überwachung der Zusammenarbeit mehrerer Prinzipale bei unvollständiger Information, die Auslegung, Ergänzung und Weiterentwicklung von Vereinbarungen oder geordnetes Agenda-Setting) liegen. Andererseits sind mit der Aufgabenerfüllung durch einen Agenten Risiken verbunden (vgl. einführend: Delreux/Adriaensen, European Political Science 2017, 258; Hall/Taylor, Political Studies 1996, 936; Pollack, International Organization 1997, 99).
Mein Vortrag auf dem JuWissday dient der Vorstellung eines in der Entwicklung befindlichen Forschungsprojekts, dass diese Risiken als juristisch beschreibbare Legitimationsprobleme begreift. Das Ziel ist es, analytische Lösungsansätze für den beschriebenen Konflikt zwischen demokratischer Legitimation und berechtigtem Integrationsinteresse zu entwickeln.
Zitiervorschlag: Felix Stern, Legitimation und Kontrolle von Ausschussgremien in EU-Freihandelsabkommen, JuWissBlog Nr. 66/2019 v. 18.6.2019, https://www.juwiss.de/66-2019/
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