von JAN WINTERHALTER
Der Beitrag zieht anhand Brown‘s „‘The Whiteness of Wealth: how the US tax system impoverishes black Americans – and how we can fix it’” Parallelen zu aktuellen Debatten um die Verfassungsmäßigkeit des Ehegattensplittings und der Erbschaftssteuer, und möchte damit eine neue Perspektive sowie Lösungsmöglichkeiten bzgl. der Diskriminierung von Personengruppen nach Art. 3 III GG bieten.
Whiteness of Wealth: Kernthesen
Das Buch der US-amerikanischen Professorin Dorothy A. Brown „The Whiteness of Wealth“ wird derzeit als „bahnbrechende Lektüre über Rassismus im amerikanischen Steuersystem“ beschrieben, als „wichtige Lektüre für diejenigen, die verstehen wollen, wie Ungleichheit in das Fundament der amerikanischen Gesellschaft eingebaut ist und wie eine gerechtere Zukunft aussehen könnte“.
Ihre Kernthese: Nicht nur haben White Americans das Steuerrecht zu ihren Gunsten verändert, indem sie wiederholt dagegen verstießen. Diese Änderungen des tax code benachteiligen zudem überwiegend Black Americans, sei es in der steuerlichen Behandlung der Ehegemeinschaft, dem Verkauf einer (privaten) Immobilie, Studiendarlehen sowie Arbeitseinkommen.
Denn Steuererleichterungen, so Brown, können nur dann eine Wirkung entfalten, wenn überhaupt ein bestimmtes materielles Kapital erreicht und damit Verluste geltend gemacht werden können – ein Umstand, der in der überwiegend ärmeren schwarzen Bevölkerung nicht vorhanden ist. Zudem zahlen schwarze Ehegemeinschaften im Vergleich zu weißen Ehegemeinschaften bei gleichem Gesamteinkommen signifikant mehr Steuern, da Frauen in schwarzen Ehegemeinschaften überwiegend zum Haushaltseinkommen beitragen, während weiße Ehegemeinschaften eher dem männlichen Alleinverdienerprinzip folgen und damit in den Genuss des US-amerikanischen Ehegattensplittings kommen.
Verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Steuerrecht?
Betrachtet man, wie Brown, Racism and the Infrastructure of Injustice als globales Phänomen (Matthew 2017/Younge 2020/Grünberger et. al. 2021), so könnte sich auch im deutschen Steuerrecht eine derartige Privilegierung und damit auch mittelbare Ungleichbehandlung von Personengruppen entsprechend dem Begriff der “Whiteness“ ergeben.
So konstituiert sich im deutschen Diskurs die „Normalfamilie“ bzw. „Normalehegemeinschaft“ als „weiß“ und „westdeutsch“. Als Abweichung können beispielhaft Menschen mit Migrationshintergrund sowie Menschen mit ostdeutschem Hintergrund genannt werden.
Diese Gruppen entsprechen zwar nur bedingt Brown‘s Begriff der “Whiteness“ – bei Ersteren kann das Merkmal der race eine Rolle spielen, muss es aber nicht; bei Letzteren ist eher das Merkmal der Klasse relevant, wobei deren Diskriminierung nicht mit der von PoC gleichgestellt werden kann. Jedoch weisen sie strukturgleiche Elemente materieller Benachteiligung entsprechend dem Konzept der Intersektionalität (Mauer & Leinius 2021) auf, und können als Abweichung von der Norm als diskriminierte Gruppe angesehen werden. Zudem sind sie die einzigen beiden Gruppen, die überhaupt amtlich statistisch erfasst werden – eine Untersuchung der Ungleichbehandlung käme ansonsten bereits hier schon zu ihrem Ende.
Daher soll anhand dieser Personengruppen eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung untersucht werden am Beispiel des Ehegattensplittings sowie von Steuererleichterungen im Rahmen der Erbschaftssteuer.
Verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Rahmen des Ehegattensplittings
Die Ungleichbehandlung der weißen Ehegemeinschaften und nicht weißen Ehegemeinschaften in den Vorschriften zum Ehegattensplitting könnte eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messende mittelbare Ungleichbehandlung wegen rassistischer Gründe darstellen.
Das EStG ermöglicht Ehegatten, die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer zu wählen (sog. Splittingtarif, siehe §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG). Je größer die Einkommensdifferenz der Partner und je höher der Steuersatz, umso größer der finanzielle Vorteil, der sich aus der Zusammenveranlagung ergibt. Keinen Splittingvorteil gibt es, wenn beide gleich viel verdienen.
Auch wenn die Regelung selbst an den Familienstand anknüpft, könnte die Vorschrift faktisch nur weißen, d.h. nicht migrantischen, Ehegemeinschaften zugutekommen. Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu der Privilegierung der Ehe für heterosexuelle Eheleute nach Art. 6 I GG klarstellte, sind im Fall der Ungleichbehandlung von Personengruppen die Anforderungen an die Rechtfertigung umso strenger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale an die des Art. 3 Abs. 3 GG annähern, das heißt je größer die Gefahr ist, dass die Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt.
Eine solche Gefahr bestände dann, wenn bewiesen werden könnte, dass Eheleute mit Migrationshintergrund weitgehend nicht von dem Anwendungsbereich des Ehegattensplittings umfasst wären. Analog dem Konzept der “Whiteness“ von Brown wäre das zumindest dann der Fall, wenn das Alleinverdienerprinzip bei Ehegemeinschaften mit migrantischen Hintergrund tendenziell weniger stark ausgeprägt wäre als bei weißen Ehegemeinschaften.
Eine Auswertung von Studien der Arbeitsagentur (2021/2019), des Sozio-ökonomischen Panels (2017) oder auf Basis des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes (2019) lässt mangels Daten jedoch kein eindeutiges Ergebnis zu. Migrantinnen sind grundsätzlich nicht mehr erwerbstätig als Nicht-Migrantinnen. Aber männliche und weibliche MigrantInnen müssen auch tendenziell schlechter bezahlte Dienstleistungsarbeiten sowie mehrere Arbeitstätigkeiten verrichten als nicht-MigrantInnen, so dass die Eheleute tendenziell gleich erwerbstätig sind und das Alleinverdienerprinzip keine Anwendung finden dürfte. Zudem dürfte der Anwendungsbereich des Ehegattensplittings auch aus eben diesem Grund zumindest sehr gering sein. Denn wenn beide migrantischen Eheleute nur ein niedriges Einkommen haben, und kaum über den steuerlichen Freibetrag gelangen, dann ist mangels versteuerbaren Einkommens auch kein Ehegattensplitting sinnvoll – belastender sind für diese Haushalte eher die Sozialabgaben.
Eine Ungleichbehandlung zwischen westdeutschen und ostdeutschen Eheleuten könnte sich ebenfalls ergeben. So brachte das Ehegattensplitting aufgrund der “gleichberechtigten“ Teilnahme der Ehefrauen in der DDR nach der Wiedervereinigung kaum Vorteile für Ehegemeinschaften mit ostdeutschem Hintergrund. Schließlich herrschte ganz überwiegend nicht das Alleinverdienerprinzip, sondern eher eine gleichberechtigte und gleich vergütete Teilnahme am Arbeitsleben (mit all seinen Nachteilen in der Fürsorgearbeit). Dies gilt sogar noch immer, obwohl sich über die Jahre die Erwerbsquoten der westdeutschen Mütter an die der ostdeutschen angeglichen haben. Gleichwohl arbeiten letztere immer noch sehr viel häufiger Vollzeit als Mütter im Westen (Barth et. al. 2020).
Dafür Voraussetzung ist jedoch überhaupt die strittige Annahme, der Anwendungsbereich des Art. 3 III GG umfasse auch das Merkmal Ostdeutsch, z.B. i.R.v. “Heimat und Herkunft“, und Art. 3 GG nehme insoweit eine Ungleichbehandlung nach “Klassenunterschieden“ vor.
Ungleichbehandlung im Rahmen der Erbschaftssteuer?
Die Ungleichbehandlung der weißen Erben und nicht weißen Erben in den Vorschriften zum Freibetrag nach § 16 ErbStG oder den Verschonungsregeln der § 13 a,b ErbStG könnte auch eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messende mittelbare Ungleichbehandlung wegen rassistischer Gründe darstellen.
Nach § 16 I ErbStG z.B. bleibt der Erwerb (z.B. das Erben von Immobilien) bei Ehegatten bzw. Kindern in Höhe von 307 000 Euro bzw. 205 000 Euro steuerfrei. Nach den §§ 13a, b ErbStG bleibt das begünstigte Betriebsvermögen von der Steuer „verschont“, wenn die Erben (sog. Erwerber) bestimmte Kriterien (Behaltensfrist, Lohnsumme) in der Zukunft erfüllt.
Diese Freibeträge dürften damit überwiegend Menschen ohne Migrationshintergrund (bzw. mit westdeutschem Hintergrund) privilegieren, können doch die anderen mangels Erbmasse von Grund bzw. Betriebsvermögen diese Freibeträge bzw. Schonregelungen schon nicht nutzen.
So hat das Sozioökonomische Panel 2020 darauf hingewiesen, dass Personen mit Migrationshintergrund im unteren Bereich der Vermögensverteilung deutlich überrepräsentiert sind.
Dies gilt aber auch für Personen mit Wohnsitz in den neuen Bundesländern. Sie sind in der unteren Hälfte der Vermögensverteilung deutlich über- und in der Gruppe der MillionärInnen deutlich unterrepräsentiert.
Fazit, Lösungsansätze, Ausblick
Legt man einer verfassungsrechtlichen Prüfung der Ungleichbehandlung das Konzept der Whiteness zu Grunde, so ergeben sich Anhaltspunkte für eine normative Privilegierung zugunsten des Normalen, die zu einer Diskriminierung der anderen führt.
Zumindest rechtspolitisch dürfte es daher angebracht sein, auf die Privilegien bestimmter Gruppen hinzuweisen. Mehr Bedeutung sollte aber auch der Frage zugemessen werden, inwieweit eine Ungleichbehandlung von Personengruppen mit migrantischem oder ostdeutschem Hintergrund gerechtfertigt werden kann. Der Schutz des Art. 6 I GG z.B. umfasst schließlich alle Ehen, nicht nur die weißer, westdeutscher Personengruppen.
Folgt man Brown, ist dafür zunächst das Wissen um Art und Umfang der Diskriminierung notwendig. Steuerdaten sollten daher statistisch nach race, aber auch nach Migrationshintergrund, West- oder Ostdeutsch, etc. aufgeschlüsselt werden. Dies könnte auch eine Aufgabe für das in Planung befindliche staatliche Institut für Empirische Steuerforschung sein.
Kann die hier nur kursorisch belegte These bewiesen werden, so ist fraglich, ob sich die dargestellten Privilegien dann noch verfassungsrechtlich rechtfertigen lassen. So fordert auch Brown, Steuerprivilegien grundsätzlich zu überdenken, da sie tendenziell die schwarze Bevölkerung diskriminierten, und schlägt eine Steuergutschrift für alle Haushalte vor, die unter dem mittleren Vermögen (median wealth) liegen, um die Lücke zwischen Arm und Reich, unabhängig von race and/or ethnicity, zu schließen.
Zitiervorschlag: Jan Winterhalter, The Whiteness of Wealth – Diskriminierung im deutschen Steuerrecht, JuWissBlog Nr. 78/2021 v. 29.7.2021, https://www.juwiss.de/78-2021/
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Hinweis: Der Beitrag wurde nachträglich um einen klarstellenden Halbsatz ergänzt.