Im Namen des Klimas – Veto! Verfassungsrechtliche Probleme eines Veto-Rechts zugunsten des Klimaministers

von RICO NEIDINGER

Die Partei Bündnis90/GRÜNE hat ein „Klimaschutz-Sofortprogramm für die nächste Bundesregierung“ herausgegeben, in dem sie ihre klimapolitischen Forderungen bündelt. Darin ist unter anderem die Einrichtung eines Klimaschutzministeriums vorgesehen, das „mit einem Veto-Recht gegenüber den anderen Ressorts ausgestattet [wird], sollten Gesetze vorliegen, die nicht Paris-konform sind.“ Die Paris-Konformität meint die Vereinbarkeit mit dem Klimaschutzabkommen, das 2015 in Paris verabschiedet wurde. Ein solches „Klima-Veto“ stößt auf ernste verfassungsrechtliche Bedenken.

Organisationskompetenz des Bundeskanzlers

Aufbau und Strukturierung der Regierung ist Sache des Bundeskanzlers im Rahmen seiner sachlichen und personellen Organisationsgewalt. Er schlägt gem. Art. 64 I GG dem Bundespräsidenten die Kandidaten für die Ministerämter vor. Die Organisation der Regierung liegt im Ermessen des Kanzlers, beschränkt nur durch die verfassungsrechtlichen Grenzen, welche insbesondere die Existenz einzelner Minister voraussetzen (Verteidigungsminister, Justizminister und Finanzminister) oder bestimmte Aufgaben abstrakt definieren. Die Durchführung der Regierungsbildung erfolgt durch Organisationserlasse. Da von einem Erreichen der Arbeitsunfähigkeit der Regierung noch nicht auszugehen ist, stünde es dem künftigen Bundeskanzler durchaus frei, ein „Klimaschutzministerium“ entweder neu zu schaffen oder durch Umbenennung zumindest dem Namen nach einzuführen.

Bestehendes Widerspruchsrecht einiger Minister

Fraglich bleibt, ob einem Minister aber im Vergleich zu den übrigen Ministerien ein „Klima-Veto“ eingeräumt werden kann. Eine solche Regelung ließe sich in der Geschäftsordnung der Bundesregierung einführen. Schon jetzt existiert dort mit § 26 GOBReg eine Regelung, bei der dem Finanzminister in einer Frage von finanzieller Bedeutung und dem Innen- sowie Justizminister bei Gesetzes- oder Verordnungsentwürfen, die nach ihrer Auffassung mit geltendem Recht unvereinbar sind, ein Recht zum Widerspruch eingeräumt wird. Ein erhobener Widerspruch hat zunächst nur zur Folge, dass über die Angelegenheit in einer weiteren Sitzung der Bundesregierung erneut abzustimmen ist – dem Widerspruch kommt damit unmittelbar nur aufschiebende Wirkung zu. Bei der erneuten Abstimmung kann ein Widerspruch durch die Mehrheit sämtlicher Minister überstimmt werden, wobei der Widerspruch nur überwunden wird, wenn der Bundeskanzler mit der Mehrheit stimmt (§ 26 I 3 GOBReg). Wird eine solch qualifizierte Mehrheit nicht erreicht, hat die Durchführung der Angelegenheit zu unterbleiben. Damit verschärft der Widerspruch die Anforderungen an eine wirksame Beschlussfassung. Es genügt nicht mehr, dass neben dem Vorsitzenden die Hälfte der Bundesminister anwesend ist und Beschlüsse mit Stimmenmehrheit gefasst werden (§ 24 GOBReg). Von einem echten Veto-Recht eines Ministers kann aber nicht gesprochen werden. Die jeweiligen Minister können nur den Anlass zu einer vertieften Auseinandersetzung bieten und allenfalls im Zusammenwirken mit dem Bundeskanzler eine Sperrminorität bilden. Eine solche Ausgestaltung ist zwingend notwendig:

Ein Veto eines Ministeriums gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz ließe sich schon unter dem Aspekt der Gewaltenteilung (Art. 20 II, III GG) nur schwerlich mit dem Demokratieprinzip in Einklang bringen. Insofern ist das Sofortprogramm jedenfalls sprachlich unpräzise. Die Einbringung einer Gesetzesvorlage i.S.v. Art. 76 GG ist der Bundesregierung zugewiesen. Ein „echtes“ Veto-Recht zu diesem Zeitpunkt wirft demnach die Frage nach dem Abstimmungsverfahren innerhalb derselben auf. Dazu enthält das Grundgesetz keine näheren Angaben. Vielmehr überlässt es den Verfahrensablauf der Geschäftsordnung (Art. 65 S. 4 GG). Damit gesteht die Verfassung der Bundesregierung wie den übrigen Verfassungsorganen eine gewisse Verfahrensautonomie zu. Der Verfassung sind aber die Grenzen dieser Autonomie zu entnehmen. Hier kommen das Kollegial- und Ressortprinzip sowie die Richtlinienkompetenz des Kanzlers ins Spiel.

Die Bundesregierung als Kollegialorgan

Das Kollegial- oder Kabinettsprinzip ergibt sich aus Art. 62 GG. Über die Rechtsstellung der Minister untereinander und ihre Stimmgewichtung bei der Abstimmung lassen sich der Norm keine ausdrücklichen Vorgaben entnehmen. Die Verfassung kennt gewisse Sonderstellungen einzelner Bundesminister, ohne ihnen aber einen Vorrang einzuräumen. Einzig Art. 112 GG scheint zugunsten des Bundesfinanzministers davon eine begrenzte Ausnahme zu machen. Aus der Gesamtsystematik des Grundgesetzes und dem Sinn und Zweck des Kollegialprinzips liegt die Annahme einer prinzipiellen Ranggleichheit nahe. Auch wenn diese Gleichheit mangels einer Art. 38 GG entsprechenden Regelung nicht so weit wie die Stellung der Abgeordneten untereinander reicht, bedarf es für gleichheitsrelevante Abweichungen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Eine solche lässt sich etwa für die hervorgehobene Stellung des Bundeskanzlers aus der Richtlinienkompetenz und seiner unmittelbaren Verantwortung gegenüber dem Parlament herleiten, sodass sich dadurch die Sperrminorität in § 26 GOBReg oder die Regelung bei Stimmengleichheit in § 24 II 1 GOBReg rechtfertigen lassen. Auch für das Widerspruchsrecht des Finanzministers gem. § 26 I GOBReg könnte eine Rechtfertigung über die Regelungen in der Finanzverfassung gelingen. Deutlich fragwürdiger erscheint demgegenüber die Aufwertung des Innen- und Justizministers oder eben eines etwaigen Klimaministers. Dass ihnen bei der derzeitigen Regelung nur über eine Sperrminorität mit dem Bundeskanzler eine Verhinderung der Beschlussfassung gelingen kann, ändert nichts an ihrer Aufwertung im Vergleich zu den übrigen Ministern.

Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung ergibt sich zudem nicht aus materiellen Maßgaben des Grundgesetzes: Auch wenn mit dem Klimaschutz ein wichtiges Thema durch das Veto besonders gewichtet würde, dem sich auch die Verfassung mit Art. 20a GG nicht verschließt, wie die jüngste Entscheidung des BVerfG zum Klimaschutzgesetz zeigt, rechtfertigt dies mangels Erforderlichkeit keinen Eingriff in die Organisation der Regierung und die Stellung der Minister. Diese sind schließlich gleichmäßig an das Klimaabkommen gebunden.

Einfluss des Ressortprinzips und der Richtlinienkompetenz

Solange sich das „Klima-Veto“ auf das Stadium der Gesetzesinitiative beschränkt, besteht keine Kollision mit dem Ressortprinzip gem. Art. 65 S. 2 GG. Dies wäre anders, wenn sich das Veto-Recht auf das Entwurfsstadium oder auf alle Maßnahmen der Ministerien bezöge. Bei einem Blockaderecht eines Ministers gegen Maßnahmen innerhalb eines anderen Ressorts kann man nicht mehr von einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung des Geschäftsbereichs sprechen. Diese Beeinflussung verstieße gegen das Ressortprinzip, eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung misslingt. Zudem würde die Einlegung eines Vetos zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Ministerien führen, über die gem. Art. 65 S. 3 GG die Bundesregierung entschiede. Dementsprechend kämen dann die oben aufgeführten Grundsätze bezüglich des Kollegialorgans zum Tragen.

Letztlich würde ein Veto-Recht eines Ministers mit der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers aus Art. 65 S. 1 GG jedenfalls dann kollidieren, wenn letzterem keine Möglichkeit zur „Überstimmung“ bliebe. Durch die Richtlinienkompetenz wird der Kanzler mit besonderen Leitungs- und Entscheidungsrechten ausgestattet, was nicht zuletzt aus dem Umstand folgt, dass er als einziges Regierungsmitglied unmittelbar dem Parlament verantwortlich ist. Diese Stellung kann der Kanzler auch nicht durch einen freiwilligen Verzicht aufgeben. Mit einem Veto-Recht des Klimaministers entstünde ein Schatten- und Nebenkanzler, der in der Verfassung nicht vorgesehen ist.

Aufwertung des Pariser Klimaabkommens als Rechtmäßigkeitsmaßstab

Neben den regierungsorganisatorischen Bedenken tritt bei einem „Klima-Veto“ ein formales Rangargument hinzu. Das Klimaabkommen rangiert als völkerrechtlicher Vertrag im Rang einfachen Bundesrechts. Durch das Veto des Klimaministers würde eine Aufwertung des Abkommens im Vergleich zum übrigen Bundesrecht stattfinden, auch wenn das Veto das Gesetz im Initiativstatus beträfe. Die nach Gesetzeserlass eigentlich zur Anwendung kommenden allgemeinen Kollisionsregeln würden damit ausgehebelt. Zwar nimmt das BVerfG wegen der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes mit der Heranziehung der EMRK als Auslegungsmaßstab auch eine Aufwertung eines völkerrechtlichen Vertrags vor. Die EMRK ist aber wegen ihrer Verbindung zu den Grundrechten deutlich enger mit der Verfassung verknüpft und durch die Rechtsprechung des EGMR hinsichtlich ihrer Gewährleistungen zudem konkreter als das Pariser Abkommen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das BVerfG die Begrenzung auf das „deutlich unter 2°C“ Ziel als zulässige Konkretisierung der in Art. 20a GG verankerten Pflicht zum Klimaschutz ansieht (Rn. 197 und 242). Das BVerfG nimmt an dieser Stelle schon keinen direkten Bezug auf das Pariser Abkommen. Außerdem lässt sich aus der Konkretisierung weiterhin nicht ableiten, ob eine Maßnahme einen Beitrag zur Erreichung des Ziels leistet oder nicht. Letztlich lässt sich der Aussage des BVerfG nicht entnehmen, dass es sich bei der Begrenzung um die einzig verfassungsrechtlich mögliche Konkretisierung handelt, sondern nur, dass sie nicht im Widerspruch zu Art. 20a GG steht.

Notwendigkeit eines Klima-Vetos und Alternative

Über die verfassungspolitische Notwendigkeit der Einführung eines „Klima-Vetos“ lässt sich streiten. Der Mehrwert des Vorschlags erscheint zumindest fraglich: Was ein etwaiges Widerspruchsrecht i.S.v. § 26 GOBReg betrifft, kommt dies bereits anderen Ministern zu. Das Argument einer besonderen Sachnähe müsste zu einem Widerspruchsrecht aller Ressorts für ihr Fachgebiet führen. Letztlich spricht auch der praktische Ablauf der Gesetzesentwurfsentstehung dagegen. Schon jetzt werden diese in Abstimmung zwischen den Ressorts erstellt. Eine Behandlung im Kabinett erfolgt im Regelfall erst, nachdem eine Übereinstimmung zwischen den Ministerien besteht. Auch die Anwendungshäufigkeit der bestehenden Widerspruchsrechte spricht gegen die Effektivität einer solchen Regelung.

Eine Alternative könnte über eine Fortentwicklung des Standard-Kostenmodells die Einführung eines CO2-Fußabdrucks für Gesetze sein, der neben den Bürokratiekosten für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung quasi die Kosten für das Klima ausweist. Dazu könnte der Begriff des Erfüllungsaufwands in § 2 NNKRG entsprechend erweitert werden. Ein solches Modell hätte den Vorteil, dass mit dem Normenkontrollrat – diesem müsste zusätzliche Klimafachkompetenz etwa durch Kooperation mit dem Expertenrat für Klimafragen beiseitegestellt werden – ein unabhängiges Gremium die Angaben auf ihre Nachvollziehbarkeit überprüft. Außerdem ließe sich eine Verknüpfung mit den Regelungen im Klimaschutzgesetz und den dort vorgesehenen Jahresemissionsmengen und so ein in sich konsistentes System herstellen. Ein unmittelbarer Mehrwert fürs Klima ergäbe sich daraus gleichwohl nicht, da Papier bekanntlich geduldig ist. Zumindest würde aber dem Bundestag als eigentliches Entscheidungsorgan die Klimaauswirkungen eines Gesetzesentwurfs deutlich vor Augen geführt.

Auf die Frage, ob einem künftigen Klimaminister hingegen ein echtes Veto-Recht einzuräumen ist, müsste die Antwort als eines Juristen lauten: „Im Namen der Verfassung – Veto!“

 

Zitiervorschlag: Rico Neidinger, Im Namen des Klimas – Veto! Verfassungsrechtliche Probleme eines Veto-Rechts zugunsten des Klimaministers, JuWissBlog Nr. 85/2021 v. 14.9.2021, https://www.juwiss.de/85-2021/

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Bundeskanzler, Klimaminister, Klimaschutz, Pariser Übereinkommen, Richtlinienkompetenz, Rico Neidinger, Veto
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