von MELINA KAMMERER
Seit Finanzminister Olaf Scholz die Pläne seines Ministeriums offenbart hat, geschlechterselektiven Vereinen den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen, entspinnt sich eine kontroverse Debatte zur Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Der Beitrag nimmt dazu Stellung und räumt mit einigen Mythen auf, die zur Hitzigkeit der Debatte beitragen.
Reform des Gemeinnützigkeitsrechts
Das Bundesfinanzministerium (BMF) arbeitet momentan an einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Begrenzen Vereine ihre Mitgliedschaft ohne nachvollziehbaren Grund auf ein Geschlecht, sollen ihnen künftig die Steuerprivilegien, die sich aus dem Status der Gemeinnützigkeit ergeben, gestrichen werden. Erkennt das Finanzamt einen Verein oder eine andere Körperschaft als gemeinnützig an, folgen daraus zahlreiche Steuerbefreiungen, etwa bei der Körperschaft- oder Gewerbesteuer. Außerdem können sowohl natürliche als auch juristische Personen Spenden an gemeinnützige Körperschaften von der Bemessungsgrundlage der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer abziehen. Durch diesen Spendenabzug wird ein Anreiz geschaffen, gemeinnützige Körperschaften finanziell zu unterstützen.
Gegenüber der BILD am Sonntag sagte Scholz: „Vereine, die grundsätzlich keine Frauen aufnehmen, sind aus meiner Sicht nicht gemeinnützig. Wer Frauen ausschließt, sollte keine Steuervorteile haben und Spendenquittungen ausstellen.“ Dies betreffe „deutschlandweit hunderte Vereine wie Schützengilden oder Sportclubs, die ausschließlich Männer zulassen“.
Hintergrund: Freimaurer-Urteil
Hintergrund der Neuregelung ist das sogenannte Freimaurer-Urteil aus dem Jahr 2017, in dem der Bundesfinanzhof (BFH) eine Freimaurerloge, die laut ihrer Satzung Frauen von der Mitgliedschaft und von den rituellen Arbeiten ausgeschlossen hatte, als nicht gemeinnützig qualifizierte. Das BMF will die zahlreichen Nachfragen bezüglich des Freimaurer-Urteils nun zeitnah mit einer gesetzlichen Regelung beantworten. Diese gesetzliche Regelung träfe natürlich nicht nur Männervereine, sondern grundsätzlich alle geschlechterselektiven Vereine.
Die Äußerungen von Olaf Scholz haben zu einer regen Debatte rund um Gemeinnützigkeit und Vereinswesen geführt. So sprach sich etwa der Generalsekretär der CSU entschieden gegen die Neuregelung aus: „Vereine steuerlich zu benachteiligen, weil sie sich mit ihrem Angebot nur an Frauen oder nur an Männer wenden, ist grundfalsch. Ich frage mich: Hat Olaf Scholz schon mal etwas gehört von Männergesangsvereinen, dem Katholischen Frauenbund, Burschenvereinen oder Frauenselbsthilfegruppen? Es ist absurd, unsere Vereine nach Genderaspekten in Gut und Schlecht einzuteilen.“
Diese Aussage macht deutlich, dass es sich in Bezug auf die geplante Reform lohnt, genau hinzusehen. Folgende drei Aspekte sind dabei in Kürze klarzustellen:
- Das (zivile) Vereinsrecht ist von einer Reform des (steuerlichen) Gemeinnützigkeitsrechts nicht betroffen. Im Hinblick auf die Auswahl ihrer Mitglieder sind Vereine nach wie vor autonom. Zivilrechtlich ist anerkannt, dass Vereine durch die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG geschützt sind und deshalb grundsätzlich frei bestimmen können, wen sie als Vereinsmitglied zulassen. Grenzen der Vereinsautonomie ergeben sich erst dort, wo Vereine eine wesentliche soziale oder wirtschaftliche Machtstellung innehaben. Da die im privaten Bereich angesiedelten Vereine in solchen Fällen stärker im öffentlichen Bereich wirken, ist dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 2 GG dann eine größere Bedeutung zuzumessen.
- Nicht allen geschlechterselektiven Vereinen wird der Status der Gemeinnützigkeit verwehrt. Sowohl das Freimaurer-Urteil des BFH als auch der Regelungsentwurf des BMF lassen Geschlechterselektivität ausdrücklich zu, wenn dafür ein sachlicher bzw. nachvollziehbarer Grund besteht.
- Durch die Reform werden Vereine nicht in „gut“ und „schlecht“ eingeteilt, sondern in „gemeinnützig“ und „nicht gemeinnützig“. Die Versagung des Gemeinnützigkeitsstatus führt keinerlei Sanktionen oder gar Verbote mit sich, sondern bedeutet lediglich das Ende der Teilhabe an bestimmten steuerlichen Privilegien. Zwar kann es Vereine mitunter hart treffen, wenn sie keine Spendenquittungen mehr ausstellen können und in Folge Spenden ausbleiben. Etwaigen finanziellen Schwierigkeiten sind die betroffenen Vereine aber nicht schutzlos ausgeliefert. Schließlich können die Vereine ihre Satzung und tatsächliche Geschäftsführung ändern, um (wieder) als gemeinnützig anerkannt zu werden.
Nun zum Urteil: Der BFH hatte die Gemeinnützigkeit einer traditionellen Freimaurerloge zu beurteilen, deren Hauptzweck auf die Förderung ihrer männlichen Mitglieder („Logenbrüder“) gerichtet war. Das Gericht lehnte die Gemeinnützigkeit mangels Förderung der Allgemeinheit i.S.d. § 52 Abs. 1 S. 1 AO ab. Das Tatbestandsmerkmal der Allgemeinheit sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, der wesentlich durch die objektive Werteordnung geprägt werde. Verstoße eine Körperschaft gegen den Gleichheitssatz, indem sie die wesensmäßige Gleichheit aller Menschen entgegen Art. 3 Abs. 3 GG in Abrede stelle, fördere sie daher nicht die Allgemeinheit. Die Freimaurerloge behandle Frauen und Männer ungleich, indem sie Frauen von der Mitgliedschaft und von den rituellen Arbeiten ausschließe. Diese Ungleichbehandlung sei weder durch zwingende Gründe noch durch kollidierendes Verfassungsrecht sachlich gerechtfertigt.
Ähnlich hatte der BFH schon in einem Urteil aus dem Jahr 1973 entschieden. Dass das Freimaurer-Urteil 2017 so viel Aufsehen erregte, lag wohl vor allem an der zugehörigen Pressemitteilung. Dort äußerte sich der BFH dahingehend, dass sich das Freimaurer-Urteil auch auf andere Vereine, „wie z.B. Schützenbruderschaften, Männergesangsvereine oder Frauenchöre“, auswirken könne. Was folgt nun aus dem Freimaurer-Urteil für die geplante Reform?
Zunächst ist wichtig, dass das Urteil schon 2018 in dem vom BMF herausgegebenen Bundessteuerblatt, Teil II, abgedruckt wurde. Das bedeutet, dass die Finanzämter bereits jetzt angewiesen sind, die Entscheidung auch in vergleichbaren Fällen anzuwenden. Ob die geplante Reform des Gemeinnützigkeitsrechts über das Urteil hinausgehen wird, ist fraglich.
Das Urteil darf auch nicht dahingehend verstanden werden, dass künftig jeder Verein „die Allgemeinheit“ im Sinne eines realitätsgetreuen Ausschnitts der Bevölkerung fördern muss. Vielmehr muss die Förderung „im Interesse der Allgemeinheit und des gemeinen Wohls“ erfolgen. Durch das Urteil und die geplante Neuregelung sind nur solche Vereine betroffen, in denen sich die Fördertätigkeit auf die eigenen Mitglieder beschränkt, was z.B. bei Fördervereinen nicht der Fall ist.
Rechtfertigungsfähigkeit der Geschlechterselektivität
Für diese Vereine stellt sich die Frage, wann hinreichende Gründe für eine geschlechtsbezogene Beschränkung der Vereinsmitgliedschaft vorliegen.
Als Rechtfertigungsgrund für eine solche Beschränkung werden oftmals Brauchtum und Tradition angeführt, wie z.B. im Fall von – meist rein männlichen – Schützen-, Burschen- oder Karnevalsvereinen. Mit dem BFH ist dem jedoch zu entgegnen, dass das verfassungsrechtliche Gebot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG praktisch unwirksam wäre, wenn die gesellschaftliche Realität hinzunehmen wäre. Denn dieses Gebot dient gerade dazu, für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen. Zudem können sich auch Traditionen ändern, wie der Aachener Karnevalsverein erst kürzlich bewies, als er 160 Jahre nach seiner Gründung auch Frauen die Mitgliedschaft ermöglichte. Warum sollte Traditionspflege nur nach Geschlechtern getrennt möglich sein?
Hinsichtlich geschlechtergetrennter Gesangsvereine und Chöre oder auch Sportvereine wird man differenzieren müssen. In diesen Fällen erscheint es durchaus denkbar, eine geschlechterselektive Mitgliederstruktur durch sachliche Gründe zu rechtfertigen. Schließlich basiert die Geschlechtertrennung beim Gesang und beim Sport auf biologischen Unterschieden, die Einfluss auf die Stimmlage bzw. die sportliche Leistungsfähigkeit haben. Geschlechtergetrennte Chöre können zudem durch die Kunstfreiheit der Chorleitung gerechtfertigt sein, wie das VG Berlin jüngst bezüglich einer öffentlichen Einrichtung entschied.
Eine geschlechtsbezogene Beschränkung kann schließlich auch dann gerechtfertigt und damit im Interesse der Allgemeinheit sein, wenn gerade durch die Begrenzung die Beseitigung bestehender geschlechtsbezogener Nachteile erreicht werden soll. Als Beispiel hierfür seien etwa Frauenhäuser zum Schutz vor männlicher Gewalt genannt.
Vielen der in der Presse genannten Vereine wird das Finanzamt also auch in Zukunft grünes Licht geben können. Zu diesen Vereinen können unter Umständen auch Brauchtumsvereine zählen, etwa wenn ihr Hauptzweck die Förderung des (Schieß-)Sports oder die Ausrichtung öffentlicher, allen Geschlechtern zugänglicher Veranstaltungen ist. Hierfür wird man die gesetzliche Neuregelung abwarten müssen.
Zitiervorschlag: Kammerer, Olaf Scholz und die Männervereine – Gemeinnützigkeit vs. Geschlechterselektivität? , JuWissBlog Nr. 106/2019 v. 3.12.2019, https://www.juwiss.de/106-2019/.
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